Die letzte Zigarette - Bruno Preisendörfer

Die letzte Zigarette

Ein Liebesroman
Buch | Softcover
208 Seiten
2008
Goldmann Verlag
978-3-442-46409-8 (ISBN)
7,95 inkl. MwSt
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Über die Liebe, die Literatur und die vielen kleinen Zigarettenpausen dazwischen


Carmen rauchte nur Mentholzigaretten, Anne nur ökologisch wertvolle, Melanie steckte sich exakt zehn Zigaretten pro Tag an, Paula sechs Zigarillos plus sechs Zigaretten und Kreta neun Roth-Händle – nur Philine rauchte nicht. Doch nachdem sie den nikotinabhängigen Erzähler dieses Romans kennengelernt hatte, fing auch sie an. Für diesen verbinden sich mit dem Rauchen all die unvergesslichen Momente mit den Frauen in seinem Leben – und die stetige Jagd nach dem Glück in der Liebe, der Literatur und dem blauen Dunst …


Bruno Preisendörfer, geboren 1957 in Aschaffenburg, war Redakteur des Stadtmagazins „Zitty“ und der Zeitschrift „Freibeuter“. Heute ist er freischaffender Kritiker und Schriftsteller und lebt in Berlin.

Anfangen aufzuhören Alle glücklichen Raucher gleichen einander. Die unglücklichen jedoch sind stets auf ihre eigene Weise unglücklich. Von Rauchfäden gefesselt, kämpfen sie gegen den Dschinn, dem sie sich ausgeliefert haben und ohne den sie nicht leben können, obwohl er sie umbringt. Manche verstecken vor dem Aufhören Zigaretten für den Rückfall, weil sie Angst haben, sich mitten in der Nacht vor einem Automaten wiederzufinden, der stur ihre Münzen zurückweist und weder durch einschmeichelndes Kratzen mit dem Geldstück noch mit wütenden Faustschlägen gegen die blecherne Brust zu bewegen ist, eine Schachtel herauszurücken. Andere scheitern am Aufhören, bevor sie überhaupt damit angefangen haben, fliehen in die Mangelwirtschaft, rationieren das Tagesquantum und geben Bezugsscheine an sich selber aus. Wieder andere stehen erbittert ihre Qualen durch, nur um nach vierzig Tagen in nikotinverwaister Wüste von Selbstvorwürfen gedemütigt Asche von der Zigarette zu streifen und auf ihr Haupt zu streuen, gewissermaßen. Die meisten starken Raucher, die vom Aufhören träumen, haben sehr früh angefangen. Ich dagegen war ein Spätentwickler und rauchte meine Erste mit siebzehn. Viele meiner Freunde begannen mit zwölf und machten mit siebzehn frustrierende Versuche, wieder davon loszukommen. Ein Großteil von ihnen hatte im Alter von zehn Jahren dem Stamm der Komantschen angehört. Der Beratungsplatz des Stammes, der für die Squaws verbotenes Gebiet war - die geliebte Leserin wird ausdrücklich gebeten, trotz dieses unerfreulichen historischen Details mit der Lektüre fortzufahren -, lag unten am Fluss. Dort versammelten sich die Krieger und schnitten trockenes Schilfrohr, das beim großen Indianerrat angezündet und reihum gereicht wurde. Es war sehr wichtig, von dem scharfen und heißen Rauch wenigstens so viel zu inhalieren, dass man deutlich sichtbar eine kleine Wolke aus der Nase blasen konnte. Wer das nicht fertig brachte, hatte keine Chance, je vom einfachen Komantschen zum Häuptling aufzusteigen. Bei diesem Spiel hing alles davon ab, das Schilfrohr in die Hände zu bekommen, wenn es noch lang genug war, um den zum Mund gezogenen Rauch unterwegs ein klein wenig abkühlen zu lassen. Natürlich zog der Häuptling immer als Erster, als Nächster sein Stellvertreter. Danach folgten die Unterhäuptlinge und zuletzt die einfachen Krieger. Je weiter es hinunterging, desto kürzer wurde das Rohr und desto heißer der Rauch. Bei meinem ersten und einzigen Versuch, bei den Komantschen Karriere zu machen, verbrannte ich mir dermaßen den Mund, dass ich am Abend mit der Zunge die Blasen am Gaumen ausdrücken musste und viel Willenskraft brauchte, nicht weinend zu meiner Mutter zu laufen und alles zu beichten. Das hätte sicher die erzieherische Befehdung der Komantschen zur Folge gehabt und mich für alle Zeiten öffentlich als Verräter gebrandmarkt. Dann lieber das Brandmal heimlich im Gaumen herumtragen und tapfer warten, bis Haut über die Sache gewachsen war. In der schlaflosen Nacht, die meiner Niederlage folgte, traf ich eine Entscheidung, die noch heute mein Dasein bestimmt. Ich beschloss, das Indianerleben der Wirklichkeit zu meiden und stattdessen Romane zu schreiben. Die Wirklichkeit in Romanen wird von Philosophen und Literaturkritikerinnen>FiktionIn jener Nacht träumte ich davon, Schriftsteller zu werden, und leider ging dieser Traum auch in Erfüllung. Erfüllte Wünsche sind fast so deprimierend wie erhörte Gebete. Ein Wunsch geht im Moment seiner Erfüllung vom Konjunktiv ins Perfekt über, was bei den Wünschenden häufig Enttäuschung hervorruft. Beispielsweise ist ein Schriftsteller in der Fantasie oder in einem Roman etwas ganz anderes als ein Schriftsteller in der Wirklichkeit. In der Wirklichkeit gibt es nichts Langweiligeres als die Schriftstellerei. Das ganze Vergnügen ist auf Seiten der Leserschaft. Wie sehr wünscht sich der Autor beim Buchstabenfädeln ein Lächeln von seiner geliebten Leserin oder ein Schulterklopfen von seinem verehrten Leser. Die hüllen sich stattdessen in Schweigen, denken an eine Zigarette und warten darauf, dass die Geschichte weitergeht. Mein erster Roman hieß Morgengrauen, literarisches Vorbild war Karl Mays Der Schatz im Silbersee. Aber mein Titel war besser. Ich fand das Wort>MorgengrauenEs war ungeschickt, den Roman mit einem toten Helden zu beginnen. Meine Muse war wie ich selbst noch ein Greenhorn. Nachdem der Cowboy vom Pferd geglitten war, wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Ich malte in großen Buchstaben ein schönes Morgengrauen auf eine leere Seite, zog mit dem Lineal einen Strich darunter und setzte meinen Namen dazu. Nach der Fertigstellung des Titelblatts ließ ich den Rest des Buches auf sich beruhen. Es war der erste einer langen Reihe unvollendeter Romane, die ich im Laufe meines hoffentlich noch lange unvollendeten Schriftstellerlebens geschrieben habe, aber er ist mir stets der liebste geblieben. Heute bedaure ich, dass das Manuskript einem dieser Verbrennungsrituale zum Opfer fiel, die angehende Schriftsteller nun einmal absolvieren müssen. Auch die letzte Zigarette wird verbrennen, nicht aber der Roman, der nach ihr benannt ist. Ich werde ihn zu Ende schreiben und mit dem Rauchen aufhören. Und ich setze darauf, dass meine geliebte rauchende Leserin und mein verehrter rauchender Leser - ohne die nicht- oder mitrauchende Leserschaft diskriminieren zu wollen - es mir gleichtun. Ich verspreche aber, dass ich unsere Letzte mit allen mir zu Gebote stehenden literarischen Mitteln hinauszögern und für viele Zigarettenpausen sorgen werde. Mit zwölf entdeckten die ehemaligen Komantschen den Zusammenhang zwischen Nikotin und Virilität, auch wenn sie das zweite Wort noch nie gehört hatten. In einem Lexikon jener Zeit wird es lapidar als »Mannesalter, Manneskraft« definiert, und obwohl es beim ersten noch haperte, wurde mit der zweiten bereits fleißig geübt. Eines Tages, wenn aus den jungen Männern alte Knaben geworden sind, wird sich die Verbindung zwischen Nikotin und Virilität zur sexuellen Gelassenheit verflüchtigen, ganz so, wie es der spanische Filmregisseur Luis Bunuel in seiner Autobiografie beschrieben hat: »Ich habe an mir selbst in den letzten Jahren das allmähliche und schließlich vollständige Absterben des Sexualtriebs erlebt - die Träume eingeschlossen. Mir ist es sehr lieb so - als wäre ich endlich von einem Tyrannen befreit. Wenn Mephisto mir erschiene und mir die Wiedererlangung der sogenannten Virilität anböte, würde ich sagen:>Nein, vielen Dank, daran liegt mir nichts, aber meine Leber und meine Lungen könntest du kräftigen, damit ich mehr trinken und rauchen kann.Die letzte Zigarette ist kein erotischer, sondern ein romantischer Roman. Erotische Romane sind solche, die nur mit einer Hand gehalten werden. Das hat jedenfalls der im 18. Jahrhundert lebende französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau einmal bemerkt. Seine praxisnahe Beobachtung büßte jedoch mit der Erfindung der Zigarette im 19. Jahrhundert die definitorische Schlüssigkeit ein. Raucher halten alle möglichen Bücher mit einer Hand, sogar solche, die erklären, wie man nicht raucht. Bei den ehemaligen Komantschen kamen dem Rauchen vor allem kulturelle Aufgaben zu. Aber auch den Mädchen galt das Rauchen als Bildungspflicht. Auf den Schultoiletten kamen sie ihr mit umso größerem Eifer nach, je strenger die Kontrollen durch die Lehrer waren.

Erscheint lt. Verlag 15.8.2008
Reihe/Serie Goldmann Allgemeine Reihe
Sprache deutsch
Maße 118 x 187 mm
Gewicht 177 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-442-46409-9 / 3442464099
ISBN-13 978-3-442-46409-8 / 9783442464098
Zustand Neuware
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