Vorwort Inhaltsverzeichnis Stichwortverzeichnis Autor

Vorwort

Die teils bedrohlich, teils faszinierend empfundene Welt des Islams hat unsere Schulen erreicht. Sie wird nach Jahren der Diskussion über Schulstrukturen, Unterrichtsreformen und Qualitätssicherungen nicht nur zu einem Großthema von Pädagogik und Didaktik werden. Sie wird auch alle in der schulischen Praxis Stehenden vor völlig neue Aufgaben und Herausforderungen stellen.

Dabei ist die Entwicklung in vollem Fluss. Ein Beispiel bietet die juristische und gesellschaftspolitische Diskussion, die nach Abschluss dieses Manuskriptes eine Frankfurter Richterin im März des Jahres auslöste. Sie vertrat die Ansicht, unter Bezug auf Koran-Sure 4:34 sei ein Züchtigungsrecht muslimischer Männer gegenüber ihren Frauen zuzulassen. Ein anderes Beispiel ist der an Mohammeds Geburtstagsfeier im April von vier islamischen Verbänden gegründete Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland, mit dem Ziel einer rechtlichen Gleichstellung mit den christlichen Religionsgemeinschaften und mit möglichen Konsequenzen für den islamischen Religionsunterricht.

Ihres Bemühens um Aktualität wegen ist diese Untersuchung nahe an der Presse gearbeitet. In ihr werden fast täglich neue Ereignisse vermeldet. Dennoch sind in den letzten Jahren die wesentlichen Konturen des Themenkreises »Islam in der Schule« deutlich geworden. Sie erlauben, eine erste Bilanz zu ziehen. Ihr Leitsatz lautet: Islam heißt - jedenfalls für seine Hauptrichtungen - religiöse Durchdringung der gesamten Lebenswelt, heißt Öffentlichkeit.

Können Tiefe und Tragweite dieses Leitsatzes von Nichtmuslimen erfasst werden? Von einer Gesellschaft, die Religion nicht nur als Privatsache versteht, sondern dem Bereich des Intimen zuweist? Letzte Überzeugungen macht man mit sich selbst aus, öffentliches Bekennen von Religion und Glauben empfindet man eher als peinlich.

Das Wesen des Islams verlangt, diese Verengung aufzubrechen und das Thema »Islam in der Schule« in den öffentlichen Raum zu stellen. Damit eröffnet sich ein Horizont, der von Problemen der Identität und Integration über zentrale Fragen des Wahrheitsanspruches, der kulturellen Traditionen und staatsrechtlicher Aspekte bis hin zur Begegnung mit der Welt des Islams im konkreten Unterricht vor Ort reicht.

Im Abschreiten dieses weiten Horizonts eröffnen sich abendländisch-christlich geprägten Lehrkräften nicht nur Einblicke in Glauben und Kultur des Islams mit ihren Auswirkungen und Ansprüchen im Blick auf schulische Bildung. Die sich hierbei abzeichnenden Perspektiven ermöglichen zugleich ein tieferes Verständnis des eigenen Glaubens und Kulturkreises, sowie deren Bedeutung für die kommende Generation.

Das vorliegende Buch ist in erster Linie für nichtmuslimische Leser geschrieben, speziell für Lehrkräfte, und zwar für Lehrkräfte aller Schularten und aller Fächer. Es wäre darüber hinaus jedoch sehr wünschenswert, würde es auch von Muslimen in die Hand genommen. Sie werden dann bemerken, dass die wechselseitigen Bereicherungen gewürdigt, zugleich aber auch die Differenzen zwischen christlich-abendländischer und islamischer Welt aufgezeigt werden. Auf diese Weise wird versucht, der Forderung Abdoljavad Falaturis nachzukommen, der zu Beginn einer ersten Kontaktaufnahme betonte, er sei hierzu nur bereit, wenn zwischen Islam und Christentum nicht harmonisiert würde. Er wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass es ein Gebot der Klarheit und der Achtung gegenüber dem Andersgläubigen ist, ihn in der Eigenart seines Denkens und Lebens ernst zu nehmen und sich damit offen auseinanderzusetzen. Dieses Gebot erwächst auch aus der Verantwortung für die der Schule anvertrauten Jugendlichen. Sie müssen zu einer Toleranz befähigt werden, die darin besteht, unter unseren rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen das Eigene engagiert zu vertreten und zugleich dem Anderen Respekt entgegenzubringen.

Dieses zweifache Bemühen führt gläubige Christen und Muslime zusammen. Es verbindet sie in der Suche nach Wahrheit und nach Hoffnung für das persönliche Leben wie für die Zukunft der Menschheit.

Der umfangreiche Anmerkungsteil soll nicht als belastend empfunden werden. In ihm sind die Zitate ausgewiesen, die im Sinne der Leserfreundlichkeit in den meisten Fällen in den Fließtext eingearbeitet sind. Darüber hinaus enthält er Hinweise zur Vertiefung der angesprochenen Fragestellungen.

Ich danke dem Claudius Verlag, dass er die Drucklegung dieses Buches ermöglicht hat.

Gräfelfing, im April 2007 Helmut Anselm