Das Kosmotop (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
592 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-13140-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Kosmotop -  Andreas Brandhorst
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Nur der letzte Mensch kann das Geheimnis lüften
Die ferne Zukunft: Die Galaxis wird von intelligenten außerirdischen Zivilisationen regiert - und die Menschheit steht kurz vor dem Aussterben. Einer der letzten Menschen, ein Mann, der sich schon seit Jahrhunderten selbst immer wieder geklont hat, ist inzwischen zum Berater der galaktischen Regierung aufgestiegen. Als auf der alten Erde ein seltsames Artefakt gefunden wird, soll er ermitteln, was es damit auf sich hat. Es birgt, das wird bald klar, das Geheimnis der Zukunft des Universums ...

Andreas Brandhorst, geboren 1956 im norddeutschen Sielhorst, hat mit seinen Romanen die deutsche Science-Fiction-Literatur der letzten Jahre entscheidend geprägt. Spektakuläre Zukunftsvisionen verbunden mit einem atemberaubenden Thrillerplot sind zu seinem Markenzeichen geworden. Etliche seiner Romane wurden preisgekrönt und zu Bestsellern. Andreas Brandhorst hat viele Jahre in Italien gelebt und ist inzwischen in seine alte Heimat in Norddeutschland zurückgekehrt.

SICH SELBST ZU GRABE TRAGEN

1

Es geschah zum siebzehnten Mal, dass Corwain Tallmaster – jetzt Corwain 18Tallmaster – seiner Bestattung beiwohnte. Mehr noch, er trug seinen Leichnam in den eigenen Armen. Ein kleiner Gravitator reduzierte das Gewicht, damit es für die gerade neu gewachsenen Armmuskeln keine zu große Anstrengung darstellte.

»Ich finde es ein bisschen … morbid?«, zwitscherte Solace.

»Das klingt nach einer Frage. Bist du nicht sicher?«

»Liebst du den Tod?«

Corwain blieb am Rand seines Friedhofs stehen. Wind strich übers violette Gras, und einige Meter weiter vorn wartete die Grube, ausgehoben von zwei Adjus. Dahinter ragten sechzehn Grabsteine auf, der erste von ihnen anderthalbtausend Jahre alt. Er bestand aus echtem Stein, aus dem kalten, toten Leib des Asteroiden gehauen, und Corwain erinnerte sich noch daran, wie er die Inschrift hineingemeißelt hatte, mit seinen eigenen Händen. Jetzt war sie kaum mehr zu lesen.

»Ob ich den Tod liebe? Natürlich nicht.« Wie konnte sie so etwas fragen? Wie konnte sie das für möglich halten? Dann fiel ihm ein, dass sie zum ersten Mal dabei war. So lange kannten sie sich noch nicht, nur … zehn Jahre? Vielleicht elf. Kaum mehr als ein Wimpernschlag. Dort stand sie, schlank und schön, von Kopf bis Fuß in winzige Federn gehüllt, halb Mensch und halb Vogel, aber ganz und gar Frau. Ein leises Knistern kam jetzt vom Federflaum, der an den sichtbaren Stellen einen lehmbraunen Ton zeigte, und Solace schlang die dünnen Arme um sich, als wäre ihr kalt. Zwar neigte sich die künstliche Sonne vor ihnen dem nahen Horizont entgegen, aber hinter ihnen ging die nächste bereits auf – die Temperatur der Gashülle unter dem Schirmfeld sank nie unter zwanzig Grad. Eine kleine Welt, die ganz allein ihnen gehörte, immer warm und immer hell, mit einem Maschinenkern, der alles zur Verfügung stellte, was sie brauchten. Die Tallmaster-Residenz seit vielen Jahrhunderten. Wenn er nicht in der Galaxis unterwegs war, um seine selbst gewählte Aufgabe wahrzunehmen und Frieden zu stiften.

Er blickte auf die Leiche in seinen Armen, einen Mann in den besten Jahren, der die Augen geschlossen hatte und zu schlafen schien. Er hätte noch zehn oder fünfzehn Jahre leben und altern können, aber Corwain hatte beschlossen, vorher in einen neuen Körper umzuziehen, vielleicht weil er sich vor dem Alter fürchtete.

Kurzes Zwielicht setzte ein, als beide Sonnen den Horizont berührten, die eine auf dem Weg nach unten und die andere nach oben.

»Es ist meine Art, das Leben zu ehren«, sagte Corwain und ging weiter, zum offenen Grab, wo er den Toten – seine siebzehnte Inkarnation – in den Sarg aus leicht abbaubarem Syntho legte. »Wenn ich mich selbst begrabe, habe ich die Kostbarkeit des Lebens vor Augen.«

»Deines Lebens?«

Corwain gab den beiden Adjus ein Zeichen, und sie ließen den Sarg ins Grab hinab. Er griff nach der Schaufel; dies gehörte zum Ritual.

»Auch mein Leben ist kostbar«, sagte er, fast so, als müsste er sich rechtfertigen. »Es gehört zu den wenigen, die noch geblieben sind.«

»Meinst du deine Spezies?«

Er nahm die Nervosität in Solace’ Stimme wahr, und er hörte auch, wie Erde von der Schaufel auf den Sarg fiel, etwas von der zwanzig Meter dicken, biologisch aktiven Krume, die den Asteroiden bedeckte.

»Es ist nicht nur meine, sondern auch deine, das weißt du. Du bist zur Hälfte Mensch, mindestens.« Corwain ließ die Schaufel fallen und beobachtete, wie die mechanischen Adjutanten das Grab füllten. »Wir sind nur noch wenige«, sagte er nachdenklich, jemand, der vor wenigen Stunden gestorben und wiedergeboren war. »Mit wir meine ich …«

»Alle Menschen?«, trillerte Solace.

»Ja. Nur noch 14 722 sind von uns übrig, in der ganzen Galaxis verstreut.«

Eine andere Stimme erklang, eine, die er jetzt, in diesem neuen Körper, zum ersten Mal hörte, obwohl sie ihm vertraut war: die Stimme der Nadel, die noch heiß und spitz in seinem Rückgrat steckte, jung wie er selbst, aber bereits mit den Membranen und dem Kommunikationssystem der Kompetenz verbunden. Während er sprach, stellte sie Verbindung mit seinem Nervensystem her und übermittelte ein Ping Es sind nur noch 14 721. Avvin Gelder geriet gestern auf Nodderat in eine Falle der Incera. »14 721«, verbesserte er sich. »Ich erfahre gerade, dass gestern einer von uns gestorben ist, für immer.«

»Das Ding in dir spricht?«

»Ja, das Ding in mir, die Nadel. Ich habe es dir erklärt.« Hatte er das? Der Bewusstseinstransfer spielte manchmal den einen oder anderen Streich, wenn es um Erinnerungen an das vorherige Leben ging.

»Offenbar fiel er den Incera zum Opfer. Sie haben es noch immer auf uns abgesehen, nach all der Zeit.«

Die Adjus hatten das Grab zugeschaufelt und stellten den Grabstein auf. Die Inschrift lautete: Hier ruht Corwain 17Tallmaster, der 21 Konflikte löste und damit zahlreiche Leben rettete.

»Die Incera sind böse«, sagte Solace. Ihre Augen verfärbten sich. »Schlimm und böse.«

Sie hatten einmal ihre Heimatwelt Sirmion überfallen, vor hundert Jahren; Solace wusste, wovon sie sprach, denn sie hatte damals das Chaos als Schlüpfling miterlebt.

Corwain ging zu ihr und umarmte sie. Wie weich sie war, wie zart und doch stark; es erstaunte seine neuen Hände. Als sie zur Hütte am See zurückkehrten – die er selbst gebaut hatte, aus gewachsenem Holz und einigen wenigen Syntho-Materialien –, sagte er: »Es tut mir leid, Solace. Ich hätte dich darauf vorbereiten sollen. Auf die Bestattung.«

»Du zelebrierst den Tod.« Diesmal klang es nicht wie eine Frage.

»Wir sind ein sterbendes Volk«, sagte Corwain. »Vielleicht liegt es daran.« Er schaute über den See, der spiegelglatt dalag, jetzt nur noch im Licht einer künstlichen Sonne; die andere war hinter dem Horizont versunken. Dann hob er den Blick zum Himmel, an dem sich einige andere nahe Asteroiden der Residenzgruppe zeigten wie kleine Monde. »Wenn es mir wie Avvin Gelder ergeht, dem Mann, der gestern gestorben ist, wie mir die Nadel gesagt hat …«

»Die Incera kommen nicht hierher, unmöglich.« Solace schüttelte heftig den Kopf. »Die Koryphäen verhindern das, bestimmt.«

Corwain strich ihr über die flaumige Wange. »Ich könnte einem Unfall zum Opfer fallen. So was passiert. Selbst die Unsterblichen sind damals gestorben. Niemand lebt ewig. Wenn ich sterbe …«

»Nein«, zwitscherte Solace.

»Dann möchte ich im Mausoleum beigesetzt werden, bei Esebian, der damals die Drei Feldzüge gegen die Incera führte. Versprichst du mir, meinen letzten Leichnam dorthin zu bringen, zum Mausoleum auf der Alten Erde, damit ich bei Esebian, Leandra und all den anderen toten Unsterblichen ruhen kann?«

Ihre Augen wurden groß. »Du redest dummes Zeug.«

Corwain grinste plötzlich. »Ich bin gerade neu geboren. Neugeborene müssen viel lernen.«

»Oh.« Solace ergriff seine Hand und zog ihn zur Hütte. »Ich helfe dir, das eine oder andere zu lernen.«

2

Später lag Corwain erschöpft auf der Ruhematte und sehnte sich nach Dunkelheit, die Solace fürchtete. Sein neuer Körper reagierte gut, wenn auch vielleicht noch nicht gut genug. Der Sex mit Solace war immer anstrengend gewesen, auf eine sehr angenehme Art und Weise, aber diesmal fühlte er sich erschöpft; das durch die Fenster strömende Licht lastete schwer auf seinen Lidern und hielt den Schlaf fern. Seltsame Gedanken gingen ihm durch den Kopf, im schmalen Niemandsland zwischen Wachen und Schlafen, Bruchstücke von Erinnerungen, und eine alte Frage tauchte dazwischen auf: Wie viel ist mir geblieben von meiner Seele? Wie viel ist noch von ihr übrig? Solace nahm ein Stück davon, ein kleines Stück, bei jedem Orgasmus, der ihrer eigenen Seele die Flügel verlieh, die ihrem Körper fehlten. Unbewegt lag sie jetzt da, wie erstarrt, die Federn an ihrem Leib still, während die Seele flog, getragen von den Schwingen der Ekstase. Auf den Ellenbogen gestützt beobachtete Corwain sie: das schmale, flaumige Gesicht mit der spitzen Nase, die beinahe wie ein Schnabel aussah, die großen Augen, die ihre Farben ebenso verändern konnten wie das Gefieder und sich unter den geschlossenen Lidern bewegten. Es geschah oft, wenn sie den Höhepunkt erreichte, und Corwain wusste noch immer nicht, ob es sich um eine absichtlich herbeigeführte Veränderung des Bewusstseinszustands handelte – um eine gut genutzte Gelegenheit – oder um eine unwillkürliche psychische Reaktion. Für einige Sekunden, manchmal auch für ein oder zwei Minuten, sank Solace in Trance, in die »Kognition«, wie sie es nannte. Sie hatte von Fenstern und Türen im Haus des Wissens gesprochen, die sich dann für sie öffneten, und vom »Seelenwind«, der ihr Geschichten erzählte von Vergangenheit und Zukunft.

Corwain wartete geduldig, bis die Bewegungen unter den ockerfarbenen Lidern aufhörten und Solace die Augen öffnete.

»Schlimm«, gurrte sie. »Schlimm.«

Corwain hob die Brauen. »Das ist ein vernichtendes Urteil«, sagte er. »Mir ist klar, dass ich im Bett schon besser gewesen bin, aber bitte denk daran, dass dieser Körper erst wenige Stunden alt ist.«

»Nein, nicht das.« Sie drückte ihm einen Finger auf die Nase. »Ich meine,...

Erscheint lt. Verlag 9.6.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Andreas Brandhorst • Äon • eBooks • Raumschiff • Science Fiction • Space Opera • Space Opera, Science Fiction, Raumschiff, Andreas Brandhorst, Äon
ISBN-10 3-641-13140-5 / 3641131405
ISBN-13 978-3-641-13140-1 / 9783641131401
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