Perdido Street Station (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
848 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-14170-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Perdido Street Station -  China Miéville
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Willkommen in der unmöglichen Stadt!
Eine Stadt, eine Welt für sich, ein Moloch: Das ist New Crobuzon, bevölkert von Milliarden Menschen und Mutanten, unterjocht von einem strengen Regime und angefüllt mit den ungezählten Sehnsüchten, Ängsten, Problemen und Kämpfen seiner Bewohner. Als eines Tages ein seltsames Wesen den geheimen Laboren der Stadt entflieht, ahnt niemand, dass dies der Untergang New Crobuzons sein könnte. Auch Isaac Dan dar Grimnebulin ahnt die Gefahr nicht, als er dem Wesen begegnet ...

China Miéville hat mit seinen phantastischen Romanen bereits zahlreiche Preise gewonnen, unter anderem den Arthur C. Clarke Award, den World Fantasy Award und den British Fantasy Award, und begeistert mit seiner Phantastik Kritiker und Leser gleichermaßen. China Miéville lebt in London.

2

Es wurde elf, bevor sie sich voneinander lösten. Nach einem Blick auf seine Taschenuhr stolperte Isaac durchs Zimmer und suchte seine Kleidungsstücke zusammen, in Gedanken schon bei der Arbeit. Lin ersparte ihnen das peinliche Hin und Her, das unweigerlich entbrannte, wenn sie zusammen das Haus verließen. Sie beugte sich vor und streichelte mit den Fühlern Isaacs Rücken, was ihm eine Gänsehaut verursachte. Dann ging sie aus der Tür, während er sich noch mit seinen Stiefeln abmühte.

Ihre Wohnung lag im neunten Stock. Lin stieg die Treppe hinunter, vorbei an der einsturzgefährdeten achten Etage, der siebten, mit dem Teppich aus Vogelkot und dem leisen Dohlengeplapper; vorbei an der alten Dame im sechsten Stock, die nie herauskam, und weiter nach unten, vorbei an kleinen Taschendieben und Stahlarbeitern und Botenmädchen und Messerschleifern.

Die Haustür befand sich auf der Aspic Hole abgewandten Seite des Gebäudes. Lin trat in eine stille Gasse hinaus, ein bloßer Durchgang zu den Ständen des Basars.

Sie wandte sich in die dem Stimmengewirr und dem Schacher entgegengesetzte Richtung und schlug den Weg zu den Gärten von Sobek Croix ein. An ihrem Tor warteten immer reihenweise Droschken. Sie wusste, einige der Fahrer (meistens die Remade) waren so tolerant oder verzweifelt, dass sie Khepri als Kundschaft akzeptierten.

Je näher sie dem Rand des Viertels kam, desto schäbiger wurde die Gegend. In Richtung Süd-Westen ging es jetzt leicht bergan, die Baumwipfel von Sobek Croix wuchsen wie Rauchwolken über die Firste der verwahrlosten Behausungen ringsum. Dahinter erhob sich die gedrungene Hochhaussilhouette von Ketch Heath.

Lins gewölbte Facettenaugen sahen die Stadt als gebrochene visuelle Kakophonie. Eine Million winzige Teile des Ganzen, jedes winzige Hexagon Vermittler präziser Farben und noch präziserer Linien, empfindlich für die geringfügigsten Helligkeitsunterschiede, aber weniger geeignet für die Wahrnehmung kleinerer Einzelheiten – solange sie sich nicht so angestrengt konzentrierte, dass es schmerzte. In jedem einzelnen Segment waren die toten Schuppen abblätternder Mauern für sie unsichtbar, Architektur reduziert auf Farbausschnitte. Trotzdem erzählten diese Mosaiksteine eine komplexe Geschichte. Jedes visuelle Fragment, jedes Teilchen, jede Form, jede Farbabstufung unterschied sich von der Umgebung in subtilen Nuancen, die Lin Aufschluss über den Zustand der gesamten Struktur vermittelten. Zusätzlich schmeckte sie Chymikalien in der Luft, konnte sagen, wie viele Angehörige welcher Rasse in welchem Gebäude lebten; die Fähigkeit, Schwingungen exakt zu registrieren und zu interpretieren, half ihr, sich in einem vollen Raum zu unterhalten oder zu spüren, wenn oben an der Hochbahn ein Zug entlangfuhr.

Lin hatte Isaac zu beschreiben versucht, wie sie die Stadt wahrnahm.

Ich sehe ebenso deutlich wie du, deutlicher. Für dich ist das Bild undifferenziert. In einer Ecke ein Elendsviertel, in einer anderen ein Zug mit glänzenden Kolben, in der nächsten eine grell geschminkte Frau unter einem alten, verwitterten Luftschiff – das alles musst du auf einmal verarbeiten. Chaos! Verrät dir nichts, widerspricht sich selbst, verändert seine Aussage. Für mich besitzt jedes winzige Teilchen Integrität, jedes minimal verschieden vom anderen, bis alle Variationen erfasst sind, additiv und rational.

Isaacs Faszination hielt anderthalb Wochen an. Er machte, wie für ihn typisch, seitenweise Notizen, vertiefte sich in Bücher über die visuelle Wahrnehmung von Insekten und unterwarf Lin ermüdenden Experimenten in Weitsehen und Tiefenwahrnehmung und Lesen. Letzteres beeindruckte ihn am stärksten, da er aus Erfahrung wusste, dass es ihr nicht leichtfiel; sie musste sich konzentrieren wie ein Mensch mit stark eingeschränktem Sehvermögen.

Sein Interesse war bald wieder abgeflaut. Der menschliche Verstand war unfähig, diese Art des Sehens zu erfassen.

Lin wanderte durch das Gewimmel der Gauner und Tagediebe von Aspic, die ausschwärmten, um ein paar Schekel zu ergattern, mit Stehlen oder Betteln oder Verramschen oder dem Durchwühlen der Abfallhaufen, die sich in Abständen am Straßenrand türmten. Kinder schleppten rätselhafte Gebilde aus zusammengeschraubten Maschinenteilen. Gelegentlich schritten naserümpfend »bessere« Herrschaften fürbass, auf dem Weg nach irgendwo anders.

Lins Pantoletten waren bespritzt mit dem organischen Unrat der Straße, reiche Nahrungsquelle für die scheuen Geschöpfe, die aus Abwasserrohren lugten. Die Häuser links und rechts waren hoch, mit flachem Dach, Bretterstege überbrückten die Schluchten dazwischen. Fluchtwege, Abkürzungen: das Straßennetz der Dächerwelt über New Crobuzon.

Nur sehr wenige Kinder riefen ihr Schimpfnamen hinterher. Man war hier an Xenomorphe gewöhnt. Lin schmeckte die kosmopolitische Zusammensetzung des Viertels, die Ausdünstungen einer Vielzahl von Spezies, von denen sie einige zu identifizieren vermochte. Da war der Moschusgeruch anderer Khepri, die schale Bilge der Vodyanoi, und irgendwo das fruchtige Aroma von Kakteen.

Lin erreichte den gepflasterten Boulevard rund um Sobek Croix. Eine lange Reihe Droschken warteten entlang des eisernen Zauns, für jeden Geschmack und Anspruch etwas: zweirädrig, vierrädrig, bespannt mit Pferden, hochmütigen Pteravögeln, mit dampfschnaufenden Konstrukten auf Gleisketten und einige sogar mit Remade – unglücklichen Männern und Frauen, die sowohl Kutscher waren als auch Kutsche.

Lin blieb stehen und winkte. Zu ihrer Erleichterung trieb gleich der vorderste Kutscher seinen störrisch wirkenden Ptera heran.

»Wohin?« Der Mann beugte sich vor und las die ausführlichen Informationen, die sie auf ihren Notizblock kritzelte. »Klaro«, sagte er und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung einzusteigen.

Die Droschke war ein vorn offener Zweisitzer, der Lin während der Fahrt einen Ausblick auf den südlichen Teil der Stadt ermöglichte. Der wippende, wiegende Lauf des Ptera übertrug sich durch die Räder als ein angenehmes Schaukeln auf den Wagen. Sie lehnte sich zurück und überlas ihre Anweisungen für den Fahrer.

Isaac wäre dagegen. Sehr dagegen.

Lin brauchte Färberbeeren, und sie fuhr deswegen nach Kinken – wie sie gesagt hatte. Und einer ihrer Freunde, Cornfed Daihat, veranstaltete tatsächlich eine Vernissage in Howl Barrow.

Doch ohne sie.

Sie hatte schon mit Cornfed gesprochen und ihn gebeten, ihre Anwesenheit zu bestätigen, sollte Isaac ihn fragen (höchst unwahrscheinlich, aber sie wollte sichergehen). Cornfed war entzückt gewesen, schleuderte dramatisch die weiße Haarmähne aus dem Gesicht und beschwor die ewige Verdammnis auf sich herab, sollte ihm auch nur ein Sterbenswort entschlüpfen. Er dachte natürlich, sie hätte noch einen zweiten Liebhaber und betrachtete es als Privileg, Teil dieser neuen Wendung ihres bereits skandalösen Liebeslebens zu sein.

Lin konnte nicht zu seiner Ausstellung kommen. Sie hatte einen anderen Termin.

Die Droschke näherte sich dem Fluss. Lin schwankte, als die hölzernen Räder über ein neues Muster aus Pflastersteinen holperten. Sie waren in die Shadrach Street eingebogen. Der Markt lag jetzt südlich von ihnen; sie befanden sich oberhalb des Punktes, wo Gemüse und Schellfisch und überreifes Obst den Abschluss bildeten.

Voraus blähte sich feist der Flyside-Milizturm über den niedrigen Häuserzeilen. Ein massiger, schmutziger, klobiger Vierkant, plump und ungeschlacht trotz seiner 35 Stockwerke. Schmale Fenster wie Schießscharten durchsetzten das Mauerwerk, die dunklen Scheiben entspiegelt, blind. Der Betonputz des Turms war fleckig und bröckelte. Drei Meilen weiter nördlich konnte Lin ein noch höheres Bauwerk erspähen: das Hauptquartier der Miliz, der Spike, der im Herzen der Stadt martialisch aus der Erde stach.

Lin reckte den Hals. Ein halb gefülltes Luftschiff schwappte obszön über die Dachkanten des Flyside-Turms. Es wogte und wallte und wälzte sich wie ein sterbender Wal. Lin konnte das Summen der Motoren spüren, die sich bemühten, es in die stumpfgrauen Wolken zu heben.

Ein neues Geräusch näherte sich, ein durchdringendes Sirren überlagerte das sonore Brummen des Luftschiffs. Irgendwo ganz nah vibrierte ein Stützpfeiler, und eine Milizgondel schoss nordwärts in halsbrecherischem Tempo auf den Turm zu.

Hoch, hoch oben flog sie dahin, der Gleistrosse folgend, die von Norden nach Süden durch die Spitze des Turms führte wie ein Draht durch das Öhr einer gigantischen Nadel. Die Gondel prallte gegen die Puffer, wurde schlagartig abgebremst und kam zum Halten. Personen stiegen aus, aber die Droschke fuhr weiter, bevor Lin Einzelheiten erkennen konnte.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schwelgte sie in den fruchtigen Ausdünstungen der Kaktusleute, als der Ptera in Richtung des Gewächshauses von Riverskin trabte. Vertrieben aus diesem klösterlichen Sanktuarium (die geschweiften, kunstvoll gestalteten Seiten der steilen Glaskuppel funkelten im Osten, im Zentrum des Viertels), verachtet von ihren Eltern, lehnten Cliquen von Kaktusteens an verrammelten Gebäuden und billigen Plakatwänden. Sie spielten mit Messern. In ihr Stachelkleid waren aggressive Muster rasiert, die...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2014
Übersetzer Eva Bauche-Eppers
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Perdido Street Station
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte China Miéville • China Miéville, Perdido Street Station, Science Fiction, Phantastik • eBooks • Fantasy • Perdido Street Station • Phantastik • Science Fiction • Urban Fantasy
ISBN-10 3-641-14170-2 / 3641141702
ISBN-13 978-3-641-14170-7 / 9783641141707
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