Where the fuck is the Führer? (eBook)

Als Touri-Guide in Berlin
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1113-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Where the fuck is the Führer? -  Christian Seltmann
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»Steht die Mauer noch?« - »Tut da die Merkel wohnen?« - »Where the fuck is the Führer?« Solche Fragen muss Christian Seltmann ertragen, während er Touristen durchs Verkehrs- und Geschichtschaos des Berliner Hauptstadtdschungels leitet. Amerikanische Fahrrad-Legastheniker kollidieren mit Kinderwägen. Rentner aus Bottrop blockieren auf Segways die Friedrichstraße. Australische Reisealkoholiker suchen nach den coolsten Kneipen. Nein, Touri-Guide ist kein leichter Job in dieser Stadt - wird aber versüßt durch die Bezahlung und durch bildschöne Frauen auf Junggesellinnen-Abschied ... Am Ende des Tages weiß Seltmann: Berlin geht nicht ohne Führer ...

Christian Seltmann, geboren 1968, floh in den 90ern aus Westdeutschland nach Ost-Berlin und schlug sich als Übersetzer, Fernsehredakteur, Rocksänger, Producer, Matratzenauslieferer, Rettungssanitäter und Drehbuchautor durch. Er war jahrelang Touristen-Guide und hat zudem Geschichte studiert (als es die DDR noch gab).

Christian Seltmann, geboren 1968, floh in den 90ern aus Westdeutschland nach Ost-Berlin und schlug sich als Übersetzer, Fernsehredakteur, Rocksänger, Producer, Matratzenauslieferer, Rettungssanitäter und Drehbuchautor durch. Er war jahrelang Touristen-Guide und hat zudem Geschichte studiert (als es die DDR noch gab).

Die erste Tour

Man stelle sich einen Fakir vor mit Bart und Nickelbrille. Dann packe man ihm einen Fahrradhelm auf den Kopf und stelle ihn auf einen Segway. Fertig ist Jerome.

Ich gehe zu ihm hinüber. »Hi, ich bin Christian. Esther hat gesagt, ich soll mit dir mitfahren, weil ich jetzt die deutschen Touren mit den Segways mache.«

Er reicht mir die Hand. Ein Händedruck wie ein Salatblatt. Pampig, mit schnarrendem britischen Akzent, erwidert er: »Deutsche Turren? Die gibsso gannick.«

Ich halte die Klappe. Was weiß der denn schon?

Jerome wedelt mit einer seiner Salatblatthände zum Laden rüber. »Okay, Honey, dann hol mal die Helme.«

Ich gehe in den Laden, hole eine riesige, doppelreihige Kleiderstange, die mit Fahrradhelmen vollgehängt ist, und rolle sie unter einen der Stempel des Fernsehturms, der mit seinem in den Beton gerammten Dreieck eine Art Grotte bildet.

»Wonderful, dear«, sagt Jerome, ohne es wirklich zu meinen, denn er ist ein waschechter Szene-Schwuler: eiskalt, berechnend und durch tausendfache Machtspielchen und Demütigungen unter schwulen Männern gestählt und poliert. »Holst du bitte« – sein »bitte« klingt wie ein Peitschenhieb auf meinen Hetero-Arsch – »den Tisch?«

Natürlich, Meister, ich hole den Tisch.

Das Umfeld, in dem die Touren stattfinden, ist schnell skizziert: Es gibt zwei Läden von Colorful Bike Rides, in denen Fahrräder verliehen und Touren angeboten werden, und zwar in verschiedenen Sprachen: auf Englisch (da sind unsere Jungs wohl Marktführer), auf Spanisch und auf Deutsch. Es gibt bei Colorful Rides Touren mit Segways und mit Fahrrädern, wobei sie eine lange und eine kurze Segway-Tour anbieten, aber fast unendlich viele verschiedene Fahrradtouren: von Überblickstouren über Mauer-Touren bis zu Third-Reich-Touren – und natürlich Klassenfahrtstouren und Privattouren. Die Standardtouren sind, nun ja, standardisiert: Die fremdsprachigen starten alle am Fernsehturm (wie die von mindestens drei Konkurrenzanbietern auch), die deutschsprachigen Radtouren am Bahnhof Zoo. (Auch da startet ein gutes halbes Dutzend anderer Touren.) Die deutschsprachigen Segway-Touren starten wiederum am Fernsehturm. Das alles ist logistisch sehr ausgeklügelt.

Es gibt in diesem riesigen Geschäftsfeld Einzelkämpfer, kleine Historikergrüppchen, Vollprofis und eben mittelständische Unternehmen wie zum Beispiel CR (Colorful Bike Rides), Berlin on Bike, Berlin by Bike, Fahrradtouren.de, Berlin Sights und und und. Manche Unternehmen betreiben primär einen Fahrradladen – mit allem, was dazugehört: Werkzeug, Werkstatt, Helme, Fahrräder natürlich – und sind zusätzlich noch Tourenanbieter. Das ist ungefähr so, wie wenn ein KFZ-Schrauber auch noch Chauffeur wäre. Bei CR gibt’s neben den Touren nur Räder, Getränke, Postkarten und Merchandising. Manche Tour-Anbieter sind auch an ein Hostel angeschlossen. Daneben gibt es Einzelkämpfer, die sich jeden Tag mit ein paar Rädern an einen der touristischen Orte stellen.

Colorful Bike Rides am Fernsehturm hat einen winzigen Laden und unfassbar viele Fahrräder. In den Läden, die bei so einem US-amerikanischen Unternehmen, wie CR eines ist, natürlich Shops heißen, arbeiten die »Shoppys«.

Die Shoppys sind eine besondere Sorte Mensch. Sie sind Expats. Das sind so genannte Expatriierte. Was für den jungen Hemingway in den Zwanzigern Paris war, das ist Berlin heute für Tausende von Amerikanern, Australiern, Spaniern, Katalanen und Kanadiern. (Hab ich wen vergessen?) Sie kommen, um etwas zu erleben – ach was: um die Erfahrung ihres Lebens zu machen. Um berühmt zu werden! Um eine goldene Jugend zu erleben – eine, von der sie für den Rest ihres Lebens schwärmen können! Wegen der Drogen, wegen des Sex, wegen der Musik, wegen der Gefahren und wegen alldem, was sie sich sonst so alles unter Berlin vorstellen.

Sie kommen von weit her, nur um hier zu sein, und stemmen dafür auch schon mal bei 30 Grad nach zehn Stunden Maloche noch 150 Fahrräder über Kopfhöhe an Deckenhaken. Denn die Läden bei CR sind nicht nur vollgestellt, sie sind auch vollgehängt. Mit Rädern. Und die müssen vom Personal abends, nach einem langen Tag, an die dort angebrachten Haken gehängt weden.

Das Personal von CR besteht neben anderen aus folgenden sehr unterschiedlichen Personen:

Kurt – ein schwuler Texaner, der sich langsam in der CR-Hierarchie hocharbeitet und irgendwann eine eigene Stadt von Stu bekommen wird. (Stu ist einer der vier Gründer – wörtlich »Owner« – von CR Europe.)

Margo – eine wunderschöne Hexe aus Schweden, die keiner versteht (weder was sie sagt, noch wie sie es ausspricht), aber das ist egal, man ist ja im Urlaub.

Carl – ein verschlagener Halbfranzose, der immer wieder bei Colorful Rides landet, obwohl er dauernd was Richtiges arbeiten will.

Adam – ein total verpeilter Philosoph aus Australien, blass wie eine Kalkleiste und schlacksig wie eine Marionette.

Gary – in wenigen Sätzen nicht zu beschreiben.

Esther – schick und tough und bald nach meinem Unternehmenseintritt nach Südamerika geflohen. Vielleicht organisiert sie da den Aufbau von CR Buenos Aires und São Paulo. Das würde zu ihr passen.

Ryan – eine irischstämmige Amerikanerin, die morgens aussieht wie eine Kindergärtnerin und abends so, als habe sie den ganzen Tag bei Braveheart mitgespielt, was irgendwie auch stimmt. Es gibt kein Mädchen in ganz Berlin, dem Fahrradschmiere im Gesicht so gut steht wie Ryan.

Hinzu gesellen sich jede Menge saisonaler Kräfte aus den USA, Kanada, UK usw., die kommen und gehen.

Und dann ist da noch Jerome.

Jerome legt auf einige Dinge ganz gesteigerten Wert:

– Er ist aus London.

– Er trinkt nicht.

– Er raucht nicht.

– Er nimmt keine Drogen.

– Er ist »der beste Guide, den Stu hat« (laut Jeromes eigener Aussage).

Stu ist, nebenbei gesagt, ein netter Typ, der so lange kumpelig ist, bis man ihm doof kommt. Dann erfährt man von ihm genau, wo der Hammer hängt. Das unterscheidet ihn angenehm von den ganzen Möchtegerngründern dieser Stadt. Stus rechte Hand heißt Zack. Die beiden haben es mit harter Arbeit, die immer wie der größte Spaß aussieht, geschafft, ihren Laden zu einem der bedeutendsten in Berlins Tourismusindustrie zu machen.

Berlin hat eine ähnliche Wirtschaftsstruktur wie Mallorca: 80 Prozent der Bevölkerung lebt vom Tourismus, 10 Prozent von Produktion. Weitere 65 Prozent von Dienstleistung. 20 Prozent sind in der Verwaltung beschäftigt, 35 Prozent im universitären Sektor, 98 Prozent in der Kulturbranche. Und weitere 70 Prozent der Bevölkerung lebt von irgendwelchen staatlichen Transferleistungen. Diese Statistik wiederum entspricht den mathematischen Fähigkeiten der Berliner Finanzverwaltung.

Die größten Feinde des Guides

1. Touristen

2. Lehrer

3. Schüler

4. Autofahrer

5. Radfahrer

6. andere Guides

7. Touristen anderer Guides

8. alle anderen

9. man selbst

10. das Wetter

Jerome behandelt alle Tourteilnehmer wie Kinder. Er sagt zu jedem »Dear« und »Honey« und beantwortet Fragen mit Sprüchen wie »Don’t be so phony« (was ungefähr so viel bedeutet wie »Erzähl doch nicht so ein geschraubtes Blech!«)

Eigenartigerweise nimmt ihm das niemand übel. Offenbar hilft es, dass er die Strategie eines Clowns fährt oder, noch besser, die eines Shakespearschen Narren. Er ist eine riesige Tunte von offensichtlich indisch-pakistanisch-tamilischer Herkunft und mit einem Sack voller Komplexe. Außerdem sind seine Tourteilnehmer allesamt nicht des Deutschen mächtig, größtenteils am Vortag angekommen und zum ersten Mal in Berlin oder zum ersten Mal in Deutschland oder gar zum ersten Mal überhaupt im Ausland, also zumeist außerhalb der USA. Ihnen ist alles suspekt, die deutsche Sprache klingt schroff und nach Kaserne, sie wittern hinter jeder Ecke Terroristen und Nazis und unter jedem Pflasterstein einen russischen Soldaten, einen Bunker oder die Eier des Führers.

Paradoxerweise ist es genau das, was sie wollen: Sie wollen un-be-fucking-dingt Terroristen, Nazis und den FÜHRER sehen.

Jerome gibt ihnen alles, was sie wollen. Nur ganz anders, als sie sich das gedacht haben. So wie King Lear von seinem Narren ja auch dauernd aufs Maul kriegt … Ungefähr so vollziehen sich Jeromes Stadtführungen: Der ehemalige Regierende Bürgermeister (»the Lord Mayor«) Klaus »Wowi« Wowereit wird von ihm ebenso als schwuchtelige Party-Schwuppe verkauft wie Hermann Göring. Am Reichsluftfahrtminister Göring interessiert Jerome vor allem dessen Morphiumsucht und seine Vorliebe für pompöse Phantasie-Uniformen. Alles andere ist sekundär. Auch bei Goebbels erwähnt Jerome vor allem dessen Liebesabenteuer mit UFA-Größen.

Selbst derartig rosa eingefärbtes Geschichtswissen ist manchen englischsprachigen Gästen schon zu viel, wie ich feststelle, als ich mit Jerome auf Tour bin. Mit dabei sind Bill und Stacey aus North Dakota. Sie maulen. Sie wollen keine »lessons«, sie wollen »sights and the Führer«. Jerome macht eine Geste, ungefähr so, wie man quengelnde Kinder zur Ordnung ruft. Ich wundere mich, dass Bill und Stacey sich das gefallen lassen. Dann fährt Jerome fort. Zugegeben recht elegant.

Einen überraschenden, wenn auch kurzen Ausflug in die wirklich lang vergangene Geschichte macht Jerome am Opernplatz, indem er Altbekanntes referiert: Berlin hat nichts mit Mittelalter oder Römern zu tun, denn da haben sich hier nur...

Erscheint lt. Verlag 7.8.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adolf • Berlin • Hitler • Hitler, Adolf • Touristen • Touristenguide
ISBN-10 3-8437-1113-5 / 3843711135
ISBN-13 978-3-8437-1113-5 / 9783843711135
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