Die Musik der Stille (eBook)

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2015 | 2. Auflage
176 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10772-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Musik der Stille -  Patrick Rothfuss
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Die Universität von Imre ist weithin bekannt für ihre Gelehrsamkeit. Die besten Köpfe zieht sie an, die Rätsel der Wissenschaft, des Handwerks und der Alchemie zu entschlüsseln. Aber tief unter dem lebendigen Treiben in ihren Hallen erstreckt sich ein Netz verlassener Räume und alter Gänge. Im Herzen dieses höhlenartigen Labyrinths lebt das Mädchen Auri. Das »Unterding« ist ihr Zuhause. Die kalte, trügerische Rationalität der Menschen, die über ihr leben, hat sie hinter sich gelassen und sie dringt tief in das Geheimnis der Dinge ein. Eine Geschichte voll betörender Bilder und magischer Spuren, wie sie nur Patrick Rothfuss erzählen kann. »Die Musik der Stille« ist nicht der dritte Band der Königsmörder-Chronik, aber fügt der Welt der Königsmörder-Chronik eine ganz eigene, faszinierende Geschichte hinzu.

Patrick Rothfuss, geboren 1973 in Wisconsin, unterrichtet als Englisch-Dozent am Stevens Point College in Wisconsin. Die ersten beiden Bände der Königsmörder-Chronik wurden weltweit bei Kritikern und Fantasylesern begeistert aufgenommen und gehören seit Erscheinen zu den meistgelesenen Werken der Fantasy. 2007 wurde Patrick Rothfuss für seinen Roman Der Name des Windes mit dem Quill Award sowie dem Pulishers Weekly Award für das beste Fantasy-Buch des Jahres ausgezeichnet, 2009 hat das Buch den Deutschen Phantastik Preis als bester internationaler Roman erhalten. 

Patrick Rothfuss, geboren 1973 in Wisconsin, unterrichtet als Englisch-Dozent am Stevens Point College in Wisconsin. Die ersten beiden Bände der Königsmörder-Chronik wurden weltweit bei Kritikern und Fantasylesern begeistert aufgenommen und gehören seit Erscheinen zu den meistgelesenen Werken der Fantasy. 2007 wurde Patrick Rothfuss für seinen Roman Der Name des Windes mit dem Quill Award sowie dem Pulishers Weekly Award für das beste Fantasy-Buch des Jahres ausgezeichnet, 2009 hat das Buch den Deutschen Phantastik Preis als bester internationaler Roman erhalten.  

Am tiefsten Grund der Dinge


Als Auri aufwachte, wusste sie, dass sie noch sieben Tage hatte.

Ja, sie war sich da ziemlich sicher. Am siebten Tag würde er sie besuchen kommen.

Eine lange Zeit. Lange, wenn man wartete. Aber gar nicht so lange bei all dem, was noch zu tun war. Nicht, wenn sie gewissenhaft zu Werke ging. Nicht, wenn sie bereit sein wollte.

Als sie die Augen aufschlug, sah Auri den Hauch eines schummrigen Lichtscheins. Das war eine Seltenheit, denn sie befand sich in Mantel, ihrem allerprivatesten Ort. Dann war es also ein weißer Tag. Ein tiefer Tag. Ein Findetag. Sie lächelte, und Aufregung perlte in ihrer Brust.

Es war gerade hell genug, um die blasse Form ihres Arms zu erkennen, während ihre Finger die Tropfflasche auf ihrem Bettbord fanden. Sie schraubte sie auf und ließ mit der Pipette einen Tropfen in Foxens Schälchen fallen. Es dauerte einen Moment, und dann leuchtete er in einem matten Abenddämmerungsblau auf.

Vorsichtig schob Auri ihre Bettdecke beiseite, sodass sie den Fußboden nicht berührte. Sie schlüpfte aus dem Bett, der Steinboden warm unter ihren Füßen. Ihre Waschschüssel stand auf dem Tisch in der Nähe ihres Betts, und daneben lag ein Scheibchen ihrer allerliebsten Seife. Nichts von alledem hatte sich im Laufe der Nacht geändert. Das war gut.

Auri ließ mit der Pipette einen Tropfen direkt auf Foxen fallen. Sie zögerte und fügte lächelnd noch einen dritten Tropfen hinzu. Keine halben Sachen an einem Findetag. Dann hob sie ihre Bettdecke auf und faltete sie sorgsam zusammen, wobei sie sich ein Ende unters Kinn klemmte, damit die Decke nicht über den Fußboden strich.

Währenddessen wurde Foxens Licht immer heller: Erst ein winziges Flackern, ein Leuchtpünktchen, ein ferner Stern. Dann begann er zusehends zu irisieren, war nun glühwürmchenhell. Und seine Helligkeit wuchs noch weiter an, bis er vor Licht pulsierte. Schließlich ruhte er stolz in seinem Schälchen und sah aus wie ein blaugrünes, münzgroßes Kohlenglutstück.

Auri lächelte ihm zu, während er endgültig erwachte und ganz Mantel mit seinem reinsten, hellsten blauweißen Licht erfüllte.

Dann schaute sich Auri um. Sie sah ihr vollkommenes Bett. Genau die richtige Größe für sie. Sie sah ihren Stuhl. Ihre Zedernholzkiste. Ihren winzigen silbernen Becher.

Der Kamin war leer. Und auf dem Kaminsims ruhten: ihr gelbes Blatt, ihre steinerne Schatulle, ihr graues Vorratsglas mit duftendem getrocknetem Lavendel. Kein Ding war nicht es selbst. Nichts war nicht so, wie es sein sollte.

Drei Wege führten aus Mantel heraus. Es gab einen Korridor, einen Durchgang und eine Tür. Letztere war nichts für sie.

Auri nahm den Durchgang nach Port. Foxen ruhte immer noch in seinem Schälchen, weshalb sein Licht hier schwächer war, aber noch hell genug, um sehen zu können. In Port war in letzter Zeit nicht allzu viel geschehen, dennoch überprüfte Auri alles der Reihe nach. Im Weinregal ruhte ein halber, zerbrochener Porzellanteller, dünn wie ein Blütenblatt. Darunter lagen ein in Leder gebundener Oktavband, ein paar Korken und ein kleiner Bindfadenknäuel. Weiter seitlich wartete seine feine weiße Teetasse auf ihn – mit einer Geduld, um die Auri sie beneidete.

Auf dem Regal an der Wand lag ein Klacks gelbes Harz in einem Schälchen. Ein großer schwarzer Stein. Ein kleinerer grauer Stein. Ein glattes, flaches Stück Holz. Abseits stand ein kleines Fläschchen, dessen Verschlussbügel wie ein hungriger Vogel den Rachen aufsperrte.

Auf dem Tisch in der Mitte des Raums lagen eine Handvoll Ilexbeeren auf einem sauberen weißen Tuch. Auri betrachtete sie einen Moment lang und legte sie dann in das Bücherregal, eine hohe Warte, die ihnen eher entsprach. Sie schaute sich im Raum um und nickte. Alles in Ordnung.

Zurück in Mantel, wusch sich Auri das Gesicht, die Hände und die Füße. Sie zog ihr Nachthemd aus, legte es zusammen und verstaute es in ihrer Zedernholzkiste. Sie streckte sich frohgemut, reckte die Arme empor und stellte sich auf die Zehenspitzen.

Dann schlüpfte sie in ihr Lieblingskleid, das Kleid, das er ihr geschenkt hatte. Es fühlte sich wunderbar an auf der Haut. Ihr Name loderte wie ein Feuer in ihr. Das würde heute ein geschäftiger Tag werden.

Auri nahm Foxen aus seinem Schälchen und trug ihn in der hohlen Hand. Sie ging durch Port hindurch und schlüpfte dann durch eine schartige Lücke in der Mauer. Die Lücke war nicht allzu breit, doch Auri war so schmal, dass sie nur ein wenig die Schultern drehen musste, um hindurchzukommen, ohne die zerbrochenen Steine zu berühren.

Van war ein großer Raum mit geraden, weißen Wänden aus gefügten Steinen. Bis auf ihren Standspiegel war es dort so leer, dass es hallte. Heute aber gab es dort noch etwas, einen zarten Hauch Sonnenschein. Er schlich sich oben durch einen gewölbten Durchgang herein, der voller Schutt lag: zerborstene Balken und Bohlen, herabgestürzte Steinbrocken. Und oben drüber eine Spur Licht.

Auri stellte sich vor den Spiegel und nahm die Bürste zur Hand, die an seinem hölzernen Rahmen hing. Sie bürstete sich das Schlafgewirr aus den Haaren, bis ihr das Haar wie eine Wolke um den Kopf schwebte.

Dann schloss sie die Hand um Foxen, und ohne sein blaugrünes Licht wurde es im Raum stockdunkel. Ihre Pupillen dehnten sich, und sie sah nur noch den sanften, schwachen, warmen Lichtschein, der sich über den Schutthaufen hinter ihr hereinschlich. Blassgoldenes Licht fing sich in ihrem blassgoldenen Haar. Auri lächelte ihrem Spiegelbild zu. Sie sah aus wie die Sonne.

Dann gab ihre Hand Foxen wieder frei, und Auri hüpfte geschwind hinüber in das ausgedehnte Labyrinth von Rubrik. Sie musste nicht mal eine Minute suchen, dann hatte sie ein Kupferrohr mit der richtigen Dämmung gefunden. Aber es kam ja darauf an, genau die richtige Stelle zu finden, nicht wahr? Sie folgte dem Rohr fast eine halbe Meile weit durch die runden Tunnel aus rotem Ziegelstein, immer darauf bedacht, dass es ihr im Gewirr der zahllosen anderen Rohre nicht entwischte.

Dann, ohne jede Vorwarnung, machte das Rohr einen Knick, verschwand in der gekrümmten Wand und ließ sie im Stich. Unverschämtes Ding. Es gab natürlich noch die vielen anderen Rohre, doch die dünnen Zinnrohre besaßen keinerlei Dämmung, die eiskalten aus brüniertem Stahl waren viel zu neu, und die Eisenrohre waren zwar derart dienstbeflissen, dass es schon fast peinlich war, doch ihre Dämmung bestand ganz aus Baumwolle, und das warf so große Schwierigkeiten auf, dass Auri sich an diesem Tag nicht damit befassen mochte.

Daher folgte sie stattdessen einem dicken, vor sich hin trödelnden Keramikrohr. Es grub sich schließlich tief in den Boden, doch wo es sich bog, hing die Dämmung aus Leinen zerfetzt wie das Hemd eines Straßenkinds herab. Auri lächelte und wickelte den Stoffstreifen vorsichtig ab, sehr darauf bedacht, ihn nicht abzureißen.

Schließlich löste er sich. Ein perfektes Ding. Ein zarter Streifen aus ergrauendem Leinen, so lang wie Auris Arm. Er war zwar müde, aber doch auch willig, und als Auri ihn zusammengefaltet hatte, machte sie kehrt und rannte wie verrückt durch das hallende Umbrel und dann tief hinab in die Zwölf.

Die Zwölf war einer der seltenen Änderorte im Unterding. Sie war klug genug, sich selbst zu kennen, mutig genug, sie selbst zu sein, und wild genug, sich zu ändern, sich dabei aber irgendwie auch treu zu bleiben. Sie war in dieser Hinsicht fast einzigartig, und obwohl es dort nicht immer sicher oder angenehm war, konnte Auri nicht anders, als die Zwölf sehr zu mögen.

Heute war die hohe, gewölbte Kaverne genau so, wie sie erwartet hatte: hell und belebt. Sonnenschein drang von oben durch die Entwässerunsgitter herein und fiel in die tiefe, enge Schlucht des Änderorts. Das Licht schien zwischen Rohren, Balken und den kräftigen, geraden Linien eines uralten hölzernen Stegs hindurch. Die fernen Straßengeräusche wehten herab auf den tief darunter liegenden Grund der Dinge.

Auri hörte Hufgetrappel auf Kopfsteinpflaster, das nach knackenden Fingerknöcheln klang. Sie hörte das ferne Scheppern eines vorüberfahrenden Wagens und dumpfes Stimmengewirr. Aus all dem stach das wütende Schreien eines Säuglings hervor, der offenkundig dringend an die Brust genommen werden wollte.

Am Grund der Gelben Zwölf erstreckte sich ein langes, tiefes Becken, die Wasserfläche glatt wie Glas. Der von oben hereinfallende Sonnenschein war so hell, dass Auri bis zum zweiten Rohrstrang unter der Oberfläche sehen konnte.

Sie hatte hier schon Stroh bereitgelegt, und drei Flaschen warteten auf einem Steinsims an einer Wand. Doch als Auri zu ihnen hinübersah, runzelte sie die Stirn. Dort standen eine grüne, eine braune und eine klare Flasche. Eine hatte einen breiten Bügelverschluss, eine einen grauen Schraubverschluss und die dritte einen faustgroßen Korken oben drauf. Sie waren alle unterschiedlich geformt und unterschiedlich groß, doch keine von ihnen hatte das passende Format.

Auri warf aufgebracht die Hände empor.

Also lief sie noch einmal zurück nach Mantel, und ihre nackten Füße patschten über den Steinboden. Dort beäugte sie das graue Vorratsglas mit dem Lavendel drin. Sie nahm es in die Hand, betrachtete es von allen Seiten, stellte es dann an seinen angestammten Platz zurück und lief wieder hinaus.

Sie eilte durch Port, nahm diesmal nicht die Lücke in der Mauer, sondern den schrägen Durchgang. Sie zwängte sich durch Weiden hinauf, und Foxen warf wilde Schatten an die Wände. Ihr Haar flatterte beim Laufen wie ein Banner hinter ihr her.

Sie nahm die Wendeltreppe durchs Dunkelhaus, ringsherum und hinab, ringsherum und hinab. Und als...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2015
Illustrationen Marc Simonetti
Übersetzer Jochen Schwarzer
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Abenteuer • Fantastische Welten • Fantasy • Königsmörder-Chronik
ISBN-10 3-608-10772-X / 360810772X
ISBN-13 978-3-608-10772-2 / 9783608107722
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