Gerechtigkeit ist gut, wenn sie mir nützt

Was den Deutschen wichtig ist - Eine Umfrage

Uwe Engel (Herausgeber)

Buch | Softcover
302 Seiten
2014
Campus (Verlag)
978-3-593-50058-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gerechtigkeit ist gut, wenn sie mir nützt -
35,00 inkl. MwSt
Was hält die Deutschen zusammen?
  • Wie sollte eine gerechte Verteilung des Wohlstands aussehen?
  • Steht das Gemeinwohl über dem persönlichen Interesse?
  • Sollte Deutschland notleidende Länder des Euroraums unterstützen, obwohl dies im eigenen Land Teile der Bevölkerung wirtschaftlich schlechter stellen würde?
  • Und was bedeutet Glück?

Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer seit 2009 wiederholt durchgeführten repräsentativen Umfrage unter wahlberechtigten Deutschen zum Thema soziale Integration.

Entstanden ist ein facettenreiches Bild von den Erwartungen, Wünschen und Wertvorstellungen der Menschen: davon, was ihnen wichtig ist und was sie über ihr Land, über Gerechtigkeit, Solidarität, Familie, Partnerschaft, Verantwortung und Selbstverwirklichung denken.

Unter der Oberfläche zeichnet sich dabei für alle untersuchten Bereiche ein Grundmuster ab: Die Deutschen sind bereit, sich für soziale Integration und eine gerechte Gesellschaft einzusetzen, wenn ein persönlicher Vorteil damit verbunden ist.

Nur wenn der eigene Nutzen und der der nahestehenden Umgebung gesichert ist, haben solidarische Gedanken eine Chance.

Uwe Engel ist Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Statistik und empirische Sozialforschung an der Universität Bremen und leitet dort das Sozialwissenschaftliche Methodenzentrum. Er ist Mitbegründer des seit 2008 bestehenden »Access Panel and Mixed-Mode Internet Survey«. Bei Campus ist von ihm der Band »Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen« (2012) erschienen.

Inhalt
Vorwort
1. Individuum und Gesellschaft - Uwe Engel
2. Lebensverhältnisse der Deutschen - Uwe Engel
3. Beruf und Partnersuche im Internet - Christiane Lénard und Uwe Engel
4. Beruf, Familie, Freizeit: Zur Bedeutung von Lebensbereichen -
Julia Christine Borowsky und Catharina Henneking
5. Ehrenamtliches Engagement in Vereinen und Initiativen - Björn Oliver Schmidt
6. Sterbehilfe: Die Entscheidung über Leben oder Tod - Miriam Reußner
7. Gerechtigkeit - Suat Can und Uwe Engel
8. Glück, Zufriedenheit, Zuversicht - Soziale Lagen in Deutschland - Laura Burmeister und Uwe Engel
9. Klimaschutz und Wertrationalität - Umweltbewusstsein in Deutschland - Laura Burmeister und Kim-Sarah Kleij
10. Grenzen der Solidarität - Deutschland in Europa im Zeichen der Krise - Suat Can, Uwe Engel und Björn Oliver Schmidt
11. Gedanken zum europäischen Finanzausgleich - Britta Köster
Anhang
Autorinnen und Autoren

Vorwort Uwe Engel Zum 1. Januar 2008 startete das von meinem Arbeitsgebiet "Statistik und empirische Sozialforschung" der Universität Bremen koordinierte Schwerpunktprogramm 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (www.survey-methodology.de). Im vorliegenden Band berichten wir über Ergebnisse aus einem dieser Teilprojekte, dem "Access Panel and Mixed Mode Internet Survey". Das benannte Projekt startete zeitgleich mit dem Schwerpunktprogramm und realisierte mit dem zufallsrekrutierten Aufbau des Access Panels einen großen Teil seiner Arbeit in den ersten beiden Laufjahren. Seitdem führen wir Befragungen und Methodenexperimente innerhalb dieses Panels durch. Um das Access Panel aufzubauen, wurden im Jahr 2009 und später Zu-fallsauswahlen aus der zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen. Über Anlage und Durchführung dieser Studie haben wir in unserem 2012 im Campus Verlag erschienenen Buch "Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen" bereits detailliert berichtet. Während im vorangegangenen Band "Wissenschaftliche Umfragen" die mit dem Projekt verbundenen Methodenforschungsfragen im Zentrum des Erkenntnisinteresses und der dort vorgestellten zahlreichen Auswertungen stehen, geht es nun im vorliegenden Begleitband um die inhaltliche Seite des Frageprogramms. Im Blickpunkt steht hier nicht mehr die Survey Methodologie selbst, sondern die Frage danach, was eine Gesellschaft zusammenhält. In der Soziologie ist dies die klassische Frage nach der sozialen Integration einer Gesellschaft und damit die Frage danach, was genau das Individuum mit der Gesellschaft verbindet. Das über die zurückliegenden fünf Jahre aufgelegte Frageprogramm unseres PPSM Access Panels war stark darauf ausgerichtet, diverse Facetten des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft genauer zu beleuchten, da die soziale Integration als wichtiger Erklärungsbaustein auch und gerade für die Frage gilt, wer an wissenschaftlichen Umfragen teilnimmt und wer nicht. Entsprechend enthält auch der Band "Wissenschaftliche Umfragen" ein eigenes Kapitel, welches die Bedeutung der sozialen Integration für die Umfrageteilnahme beleuchtet. Jetzt wollen wir uns der Integrationsfrage aber ganz losgelöst von der Teilnahmefrage an Umfragen zuwenden, stellt die Frage der sozialen Integration doch schon für sich allein betrachtet ein zentrales Themenfeld der Soziologie dar. Der vorliegende Band zielt allerdings weniger darauf ab, einen Beitrag zur diesbezüglichen soziologischen Theorie zu leisten. Vielmehr soll er gestützt auf das Datenmaterial des Access Panels primär Einblicke in ei-nige themenrelevante Aspekte der aktuellen gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Dazu haben wir in der Regel Themen aus der öffentlichen Diskussion aufgegriffen, um die soziologischen Fragen dahinter zu beleuchten. Dabei handelt es sich um so grundlegende Wertefragen wie Freiwilligkeit versus Pflicht, Selbstbestimmung in existenziellen Fragen, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Interessenbezüge, aus denen heraus entsprechende Wertstandpunkte vertreten werden können. Im Blickpunkt des Interesses stehen damit auch die Lebensverhältnisse selbst, und zwar der persönliche Lebensstandard und die persönliche Lebensqualität. Wir beleuchten die Bedeutung von Familie, Beruf und Freizeit, untersuchen ehrenamtliches Engagement und werfen Licht auf die so wichtige Frage der Partnerwahl. Neben Solidarität und Gerechtigkeit gehen wir zudem auf ein weiteres kollektives Gut ein, und zwar den Klimaschutz. Mit Ausnahme von Kapitel 3, in dem der Zusammenhang von Beruf und Partnerwahl im Internet analysiert wird, stützen sich alle durchge-führten Analysen auf Auswertungen von Befragungsdaten des PPSM Access Panels. Die Analyse in Kapitel 3 wurde im Rahmen eines Kooperationsprojekts der PARSHIP GmbH (www.parship.de) mit der Universität Bremen mit anonymisierten PARSHIP-Daten durchgeführt. Unser besonderer Dank gilt der PARSHIP GmbH für die Erlaubnis, über die Ergebnisse dieser Forschungskooperation im Rahmen des vorliegenden Bandes berichten zu dürfen. Das PPSM Access Panel kann inzwischen auf einige Jahre kontinuierli-cher Forschungsarbeit zurückblicken. Die ›erste Generation‹ von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts ist inzwischen in andere berufliche Positionen vorgerückt. Simone Bartsch, Christiane Lénard (zuvor Schnabel) und Helen Lauff (zuvor Vehre) bekleiden inzwischen leitende Positionen im wissenschaftlichen Kontext insbesondere der Sozialforschung. Ich bin allen drei Wissenschaftlerinnen für die tatkräftige Mitwirkung beim Aufbau des Access Panels nach wie vor sehr dankbar. Das aktuelle Team meines Arbeitsgebietes für "Statistik und empirische Sozialforschung", das federführend am PPSM Access Panel mitwirkt, besteht aus den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung wäre es nicht möglich, ein Panel dieser Größenordnung zu betreiben. Mein Dank gilt ihnen allen (in alphabetischer Reihenfolge): Julia Christine Borowsky, Laura Burmeister, Suat Can, Kim-Sarah Kleij, Britta Köster, Miriam Reußner und Björn Oliver Schmidt. Die Liste komplettiert Catharina Henneking, die inzwischen in anderer beruflicher Position tätig ist. Neben meiner eigenen Person gibt es über die Jahre des PPSM Access Panels hinweg eine weitere konstante personelle Größe. Mein besonderer Dank geht an Sabine Sommer, die als Leiterin meines Büros sowohl das Access Panel Projekt als auch das Koordinationsprojekt des Schwerpunktprogramms 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft administrativ über die gesamte Zeit hinweg äußerst kompetent und tatkräftig unterstützt hat. Es sollte nicht übersehen werden, dass Befragungsstudien bei allem Engagement eines Projektteams ohne die tatkräftige Unterstützung der Bevölkerung nicht funktionieren würden. Ich bin daher allen Personen, die uns im Rahmen des PPSM Access Panels für die erbetenen Interviews zur Verfügung standen, und das auch wiederholt, aufrichtig und außerordentlich stark dankbar. Diese, wie man es nennen könnte, "Befragungsbereitschaft" ist ein hohes und keinesfalls selbstverständliches Gut. Für die hervorragende redaktionelle Betreuung des vorliegenden Ban-des bedanke ich mich bei Laura Burmeister und Kim-Sarah Kleij. Last but not least bedanke ich mich sehr bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft und der Universität Bremen für die finanzielle Unterstützung des PPSM Access Panel Projekts. Prof. Dr. Uwe Engel, Bremen, im Februar 2014 Literatur Engel, Uwe/Simone Bartsch/Christiane Schnabel/Helen Vehre (2012): Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in … " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die"bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: …" [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden." 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in … " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die "bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: …" [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden."

Vorwort Uwe Engel Zum 1. Januar 2008 startete das von meinem Arbeitsgebiet "Statistik und empirische Sozialforschung" der Universität Bremen koordinierte Schwerpunktprogramm 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (www.survey-methodology.de). Im vorliegenden Band berichten wir über Ergebnisse aus einem dieser Teilprojekte, dem "Access Panel and Mixed Mode Internet Survey". Das benannte Projekt startete zeitgleich mit dem Schwerpunktprogramm und realisierte mit dem zufallsrekrutierten Aufbau des Access Panels einen großen Teil seiner Arbeit in den ersten beiden Laufjahren. Seitdem führen wir Befragungen und Methodenexperimente innerhalb dieses Panels durch. Um das Access Panel aufzubauen, wurden im Jahr 2009 und später Zu-fallsauswahlen aus der zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen. Über Anlage und Durchführung dieser Studie haben wir in unserem 2012 im Campus Verlag erschienenen Buch "Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen" bereits detailliert berichtet. Während im vorangegangenen Band "Wissenschaftliche Umfragen" die mit dem Projekt verbundenen Methodenforschungsfragen im Zentrum des Erkenntnisinteresses und der dort vorgestellten zahlreichen Auswertungen stehen, geht es nun im vorliegenden Begleitband um die inhaltliche Seite des Frageprogramms. Im Blickpunkt steht hier nicht mehr die Survey Methodologie selbst, sondern die Frage danach, was eine Gesellschaft zusammenhält. In der Soziologie ist dies die klassische Frage nach der sozialen Integration einer Gesellschaft und damit die Frage danach, was genau das Individuum mit der Gesellschaft verbindet. Das über die zurückliegenden fünf Jahre aufgelegte Frageprogramm unseres PPSM Access Panels war stark darauf ausgerichtet, diverse Facetten des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft genauer zu beleuchten, da die soziale Integration als wichtiger Erklärungsbaustein auch und gerade für die Frage gilt, wer an wissenschaftlichen Umfragen teilnimmt und wer nicht. Entsprechend enthält auch der Band "Wissenschaftliche Umfragen" ein eigenes Kapitel, welches die Bedeutung der sozialen Integration für die Umfrageteilnahme beleuchtet. Jetzt wollen wir uns der Integrationsfrage aber ganz losgelöst von der Teilnahmefrage an Umfragen zuwenden, stellt die Frage der sozialen Integration doch schon für sich allein betrachtet ein zentrales Themenfeld der Soziologie dar. Der vorliegende Band zielt allerdings weniger darauf ab, einen Beitrag zur diesbezüglichen soziologischen Theorie zu leisten. Vielmehr soll er gestützt auf das Datenmaterial des Access Panels primär Einblicke in ei-nige themenrelevante Aspekte der aktuellen gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Dazu haben wir in der Regel Themen aus der öffentlichen Diskussion aufgegriffen, um die soziologischen Fragen dahinter zu beleuchten. Dabei handelt es sich um so grundlegende Wertefragen wie Freiwilligkeit versus Pflicht, Selbstbestimmung in existenziellen Fragen, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Interessenbezüge, aus denen heraus entsprechende Wertstandpunkte vertreten werden können. Im Blickpunkt des Interesses stehen damit auch die Lebensverhältnisse selbst, und zwar der persönliche Lebensstandard und die persönliche Lebensqualität. Wir beleuchten die Bedeutung von Familie, Beruf und Freizeit, untersuchen ehrenamtliches Engagement und werfen Licht auf die so wichtige Frage der Partnerwahl. Neben Solidarität und Gerechtigkeit gehen wir zudem auf ein weiteres kollektives Gut ein, und zwar den Klimaschutz. Mit Ausnahme von Kapitel 3, in dem der Zusammenhang von Beruf und Partnerwahl im Internet analysiert wird, stützen sich alle durchge-führten Analysen auf Auswertungen von Befragungsdaten des PPSM Access Panels. Die Analyse in Kapitel 3 wurde im Rahmen eines Kooperationsprojekts der PARSHIP GmbH (www.parship.de) mit der Universität Bremen mit anonymisierten PARSHIP-Daten durchgeführt. Unser besonderer Dank gilt der PARSHIP GmbH für die Erlaubnis, über die Ergebnisse dieser Forschungskooperation im Rahmen des vorliegenden Bandes berichten zu dürfen. Das PPSM Access Panel kann inzwischen auf einige Jahre kontinuierli-cher Forschungsarbeit zurückblicken. Die ›erste Generation‹ von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts ist inzwischen in andere berufliche Positionen vorgerückt. Simone Bartsch, Christiane Lénard (zuvor Schnabel) und Helen Lauff (zuvor Vehre) bekleiden inzwischen leitende Positionen im wissenschaftlichen Kontext insbesondere der Sozialforschung. Ich bin allen drei Wissenschaftlerinnen für die tatkräftige Mitwirkung beim Aufbau des Access Panels nach wie vor sehr dankbar. Das aktuelle Team meines Arbeitsgebietes für "Statistik und empirische Sozialforschung", das federführend am PPSM Access Panel mitwirkt, besteht aus den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung wäre es nicht möglich, ein Panel dieser Größenordnung zu betreiben. Mein Dank gilt ihnen allen (in alphabetischer Reihenfolge): Julia Christine Borowsky, Laura Burmeister, Suat Can, Kim-Sarah Kleij, Britta Köster, Miriam Reußner und Björn Oliver Schmidt. Die Liste komplettiert Catharina Henneking, die inzwischen in anderer beruflicher Position tätig ist. Neben meiner eigenen Person gibt es über die Jahre des PPSM Access Panels hinweg eine weitere konstante personelle Größe. Mein besonderer Dank geht an Sabine Sommer, die als Leiterin meines Büros sowohl das Access Panel Projekt als auch das Koordinationsprojekt des Schwerpunktprogramms 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft administrativ über die gesamte Zeit hinweg äußerst kompetent und tatkräftig unterstützt hat. Es sollte nicht übersehen werden, dass Befragungsstudien bei allem Engagement eines Projektteams ohne die tatkräftige Unterstützung der Bevölkerung nicht funktionieren würden. Ich bin daher allen Personen, die uns im Rahmen des PPSM Access Panels für die erbetenen Interviews zur Verfügung standen, und das auch wiederholt, aufrichtig und außerordentlich stark dankbar. Diese, wie man es nennen könnte, "Befragungsbereitschaft" ist ein hohes und keinesfalls selbstverständliches Gut. Für die hervorragende redaktionelle Betreuung des vorliegenden Ban-des bedanke ich mich bei Laura Burmeister und Kim-Sarah Kleij. Last but not least bedanke ich mich sehr bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft und der Universität Bremen für die finanzielle Unterstützung des PPSM Access Panel Projekts. Prof. Dr. Uwe Engel, Bremen, im Februar 2014 Literatur Engel, Uwe/Simone Bartsch/Christiane Schnabel/Helen Vehre (2012): Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in … " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die"bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: …" [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden." 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in … " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die "bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: …" [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden."

Vorwort Uwe Engel Zum 1. Januar 2008 startete das von meinem Arbeitsgebiet "Statistik und empirische Sozialforschung" der Universität Bremen koordinierte Schwerpunktprogramm 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (www.survey-methodology.de). Im vorliegenden Band berichten wir über Ergebnisse aus einem dieser Teilprojekte, dem "Access Panel and Mixed Mode Internet Survey". Das benannte Projekt startete zeitgleich mit dem Schwerpunktprogramm und realisierte mit dem zufallsrekrutierten Aufbau des Access Panels einen großen Teil seiner Arbeit in den ersten beiden Laufjahren. Seitdem führen wir Befragungen und Methodenexperimente innerhalb dieses Panels durch. Um das Access Panel aufzubauen, wurden im Jahr 2009 und später Zu-fallsauswahlen aus der zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen. Über Anlage und Durchführung dieser Studie haben wir in unserem 2012 im Campus Verlag erschienenen Buch "Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen" bereits detailliert berichtet. Während im vorangegangenen Band "Wissenschaftliche Umfragen" die mit dem Projekt verbundenen Methodenforschungsfragen im Zentrum des Erkenntnisinteresses und der dort vorgestellten zahlreichen Auswertungen stehen, geht es nun im vorliegenden Begleitband um die inhaltliche Seite des Frageprogramms. Im Blickpunkt steht hier nicht mehr die Survey Methodologie selbst, sondern die Frage danach, was eine Gesellschaft zusammenhält. In der Soziologie ist dies die klassische Frage nach der sozialen Integration einer Gesellschaft und damit die Frage danach, was genau das Individuum mit der Gesellschaft verbindet. Das über die zurückliegenden fünf Jahre aufgelegte Frageprogramm unseres PPSM Access Panels war stark darauf ausgerichtet, diverse Facetten des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft genauer zu beleuchten, da die soziale Integration als wichtiger Erklärungsbaustein auch und gerade für die Frage gilt, wer an wissenschaftlichen Umfragen teilnimmt und wer nicht. Entsprechend enthält auch der Band "Wissenschaftliche Umfragen" ein eigenes Kapitel, welches die Bedeutung der sozialen Integration für die Umfrageteilnahme beleuchtet. Jetzt wollen wir uns der Integrationsfrage aber ganz losgelöst von der Teilnahmefrage an Umfragen zuwenden, stellt die Frage der sozialen Integration doch schon für sich allein betrachtet ein zentrales Themenfeld der Soziologie dar. Der vorliegende Band zielt allerdings weniger darauf ab, einen Beitrag zur diesbezüglichen soziologischen Theorie zu leisten. Vielmehr soll er gestützt auf das Datenmaterial des Access Panels primär Einblicke in ei-nige themenrelevante Aspekte der aktuellen gesellschaftlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen. Dazu haben wir in der Regel Themen aus der öffentlichen Diskussion aufgegriffen, um die soziologischen Fragen dahinter zu beleuchten. Dabei handelt es sich um so grundlegende Wertefragen wie Freiwilligkeit versus Pflicht, Selbstbestimmung in existenziellen Fragen, Solidarität und Gerechtigkeit sowie Interessenbezüge, aus denen heraus entsprechende Wertstandpunkte vertreten werden können. Im Blickpunkt des Interesses stehen damit auch die Lebensverhältnisse selbst, und zwar der persönliche Lebensstandard und die persönliche Lebensqualität. Wir beleuchten die Bedeutung von Familie, Beruf und Freizeit, untersuchen ehrenamtliches Engagement und werfen Licht auf die so wichtige Frage der Partnerwahl. Neben Solidarität und Gerechtigkeit gehen wir zudem auf ein weiteres kollektives Gut ein, und zwar den Klimaschutz. Mit Ausnahme von Kapitel 3, in dem der Zusammenhang von Beruf und Partnerwahl im Internet analysiert wird, stützen sich alle durchge-führten Analysen auf Auswertungen von Befragungsdaten des PPSM Access Panels. Die Analyse in Kapitel 3 wurde im Rahmen eines Kooperationsprojekts der PARSHIP GmbH (www.parship.de) mit der Universität Bremen mit anonymisierten PARSHIP-Daten durchgeführt. Unser besonderer Dank gilt der PARSHIP GmbH für die Erlaubnis, über die Ergebnisse dieser Forschungskooperation im Rahmen des vorliegenden Bandes berichten zu dürfen. Das PPSM Access Panel kann inzwischen auf einige Jahre kontinuierli-cher Forschungsarbeit zurückblicken. Die ›erste Generation‹ von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts ist inzwischen in andere berufliche Positionen vorgerückt. Simone Bartsch, Christiane Lénard (zuvor Schnabel) und Helen Lauff (zuvor Vehre) bekleiden inzwischen leitende Positionen im wissenschaftlichen Kontext insbesondere der Sozialforschung. Ich bin allen drei Wissenschaftlerinnen für die tatkräftige Mitwirkung beim Aufbau des Access Panels nach wie vor sehr dankbar. Das aktuelle Team meines Arbeitsgebietes für "Statistik und empirische Sozialforschung", das federführend am PPSM Access Panel mitwirkt, besteht aus den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung wäre es nicht möglich, ein Panel dieser Größenordnung zu betreiben. Mein Dank gilt ihnen allen (in alphabetischer Reihenfolge): Julia Christine Borowsky, Laura Burmeister, Suat Can, Kim-Sarah Kleij, Britta Köster, Miriam Reußner und Björn Oliver Schmidt. Die Liste komplettiert Catharina Henneking, die inzwischen in anderer beruflicher Position tätig ist. Neben meiner eigenen Person gibt es über die Jahre des PPSM Access Panels hinweg eine weitere konstante personelle Größe. Mein besonderer Dank geht an Sabine Sommer, die als Leiterin meines Büros sowohl das Access Panel Projekt als auch das Koordinationsprojekt des Schwerpunktprogramms 1292 "Survey Methodology" der Deutschen Forschungsgemeinschaft administrativ über die gesamte Zeit hinweg äußerst kompetent und tatkräftig unterstützt hat. Es sollte nicht übersehen werden, dass Befragungsstudien bei allem Engagement eines Projektteams ohne die tatkräftige Unterstützung der Bevölkerung nicht funktionieren würden. Ich bin daher allen Personen, die uns im Rahmen des PPSM Access Panels für die erbetenen Interviews zur Verfügung standen, und das auch wiederholt, aufrichtig und außerordentlich stark dankbar. Diese, wie man es nennen könnte, "Befragungsbereitschaft" ist ein hohes und keinesfalls selbstverständliches Gut. Für die hervorragende redaktionelle Betreuung des vorliegenden Ban-des bedanke ich mich bei Laura Burmeister und Kim-Sarah Kleij. Last but not least bedanke ich mich sehr bei der Deutschen For-schungsgemeinschaft und der Universität Bremen für die finanzielle Unterstützung des PPSM Access Panel Projekts. Prof. Dr. Uwe Engel, Bremen, im Februar 2014 Literatur Engel, Uwe/Simone Bartsch/Christiane Schnabel/Helen Vehre (2012): Wissenschaftliche Umfragen. Methoden und Fehlerquellen. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in ... " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die"bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: ..." [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden." 1. Individuum und Gesellschaft Uwe Engel 1.1 Einleitung Was hält eine Gesellschaft zusammen? Die Frage der "sozialen Integration" stellt zweifelsohne eine Grundfrage der Soziologie dar. Wir nähern uns dieser Frage in vorliegendem Band vornehmlich aus empirischer Perspektive, um sowohl verbindende als auch trennende Elemente in der Beziehung des Individuums zur Gesellschaft zu beleuchten. Aus soziologischer Sicht können verschiedene "Mechanismen" aufgezeigt werden, die zur sozialen Integration einer Gesellschaft beitragen. Wir gehen darauf näher in Kapitel 2.2 ein und zeigen dort auch unsere theoretischen Bezüge auf. Dem dort skizzierten Bezugsrahmen folgend konzentriert sich vorliegendes Kapitel auf eine erste Auswahl basaler Integrationsmechanismen: Vertrauensbildung, Akzeptanz gesellschaftlicher Normen und die Identifikation mit dem Land, in dem man/frau lebt. Wir be-schreiben, auf welche Akzeptanz die Grenzen stoßen, die dem Individuum durch die Gesellschaft gezogen werden, und beleuchten das durchaus prekäre Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sowie von Selbstbestimmung in existenziellen Fragen und durch die Gesellschaft gezogener ethischer Grenzen. Die Haltung zu kollektiven Gütern und in diesem Zusammenhang die besondere Rolle von Gerechtigkeit und Solidarität stellt einen weiteren thematischen Schwerpunkt dar, dem wir uns in vorliegendem Kapitel widmen. Eine gesellschaftliche Ordnung, in der es gerecht, solidarisch und verantwortungsbewusst zugeht, wäre zweifelsohne ein kostbares kollektives Gut. Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung aber von Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität? Welche grundlegenden Haltungen können in diesen Fragen eingenommen werden? Wir unterscheiden diesbezüglich zwischen wert- und zweckrationalen Haltungen gegenüber kollektiven Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität und Klimaschutz, greifen diese Themen in vorliegendem ersten Kapitel auf, um sie nachfolgend in eigenen Kapiteln vertiefend zu behandeln (Kapitel 7, 9, 10 und 11). Gleiches gilt für das so wichtige Thema "Sterbehilfe", dem wir uns hier zunächst im Kontext der Frage "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und dann eingehender in Kapitel 6 zuwenden. 1.1.1 Lebensverhältnisse, Vereine, Lebenskontexte und Partnerwahl Vom Zustand einer Gesellschaft in punkto "sozialer Integration" ein Bild zeichnen zu wollen, wäre ohne einen fundierten Blick auf die Lebensverhältnisse unweigerlich unvollständig. Integration vollzieht sich nicht nur über psychologische Einstellungen, sondern auch über die Positionen, die Menschen in der Sozialstruktur einnehmen. Wir beschreiben diese Lebensverhältnisse in Kapitel 2 (mit Blick auf den Lebensstandard) und Kapitel 8 (mit einem umfassenderen Blick auf die Lebensqualität). Vereine stellen eine weitere Form dar, über die Menschen zusammenkommen. Es gibt unterschiedliche Arten von Vereinen, in denen sich Menschen zusammen gesellen, um dort am Vereinsleben teilzuhaben und gegebenenfalls für die jeweilige Gemeinschaft auch ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Wir widmen uns diesem Thema freiwilligen beziehungsweise ehrenamtlichen Engagements in Kapitel 5. Beruf und Familie dürften für das Individuum im Allgemeinen zwei zentrale Lebenskontexte darstellen. Wie aber gewichten die Menschen die relative Bedeutung, die diese Kontexte für sie haben? Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist aus der öffentlichen Diskussion kaum mehr wegzudenken, ebenso wenig die Frage nach einer gesunden "work-life-balance". Wir widmen uns dem Verhältnis von Familie, Beruf und Freizeit im Kontext von Kapitel 4 und werden dort unter anderem auf die große Bedeutung hinzuweisen haben, die in der Bevölkerung der Familie beigemessen wird. Wie aber steht es um die Bedeutung des Berufs eines Menschen, immerhin eine soziologische Grundkategorie? Direkt danach gefragt, wird der Familie klar Vorrang vor dem Beruf eingeräumt (Kapitel 4). Das aber mag nichts daran ändern, dass dem Beruf gleichwohl eine große Bedeutung beikommt. Darauf verweisen jedenfalls die Ergebnisse, die wir in Kapitel 3 präsentieren. Wir haben dort in einem Kooperationsprojekt der PARSHIP GmbH mit der Universität Bremen die Partnersuche im Internet einer eingehenden Analyse unterzogen. Nicht nur stellt der Beruf eine zentrale soziologische Kategorie dar, soziale Integration vollzieht sich auch und gerade über die "sozialen Beziehungen", die Menschen eingehen oder eben nicht eingehen. Und in Bezug auf soziale Beziehungen stellt die Wahl von Partner oder Partnerin eine besonders bedeutsame Form dar. Wie sehr nun diese Partnerwahl vom Beruf bestimmt wird, ist die Frage, der sich Kapitel 3 auf der Basis von PARSHIP-Daten widmet. 1.1.2 Daten Mit Ausnahme von Kapitel 3 stützen sich sämtliche in diesem Band vorgestellten Auswertungen auf Daten des Access Panels des "Priority Programme on Survey Methodology" (PPSM). Der Aufbau dieses Panels fand 2009 und 2010 statt, seitdem befragen wir innerhalb des Panels. Für den Aufbau des Panels waren telefonische Zufallsauswahlen aus der erwachsenen, für die Wahl zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Bevölkerung gezogen worden. Über das Design dieses Panels berichten wir dezidiert in Engel u.a. (2013: 38-58) und über die Qualität der realisierten Stichprobe, auch unter Bezugnahme auf Verteilungen des Mikrozensus, in Engel u.a. (2012: 59-96) sowie in Engel (2013: 8-11). Die in den Kapiteln dieses Bandes vorgestellten PPSM-Analysen nutzen dabei das gesamte Spektrum der über die letzten fünf Jahre hinweg erhobenen Daten. Das sind zunächst Daten aus der Aufbauphase des Jahres 2009, und zwar Befragungsdaten aus den "Rekrutierungsinterviews" und den sogenannten "Panelinitialisierungsinterviews", die wenige Wochen nach der Rekrutierung durchgeführt wurden. Im Anschluss daran wurden in der Regel zwei Panelsurveys pro Jahr realisiert. Es sind auch und gerade die Themen dieser Studien, die wir in vorliegendem Band aufgreifen. Die in Kapitel 3 berichteten Auswertungen beruhen auf PARSHIP-Daten, die im Zuge des im Herbst/Winter 2011/2012 durchgeführten Kooperationsprojekts ausgewertet wurden. 1.2 Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen Ein erster "Mechanismus", der zur sozialen Integration eines Menschen in die ihn umgebende Gesellschaft beiträgt, ist Vertrauensbildung. Vertrauen ist nicht nur eine außerordentlich wichtige Eigenschaft von sozialen Beziehungen unter den Menschen, Vertrauen berührt auch das Verhältnis des Individuums zu den Institutionen der Gesellschaft. Abbildung 1.2.1 informiert über den Grad dieses Vertrauens. Erfragt hatten wir es im Rahmen unserer Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009 in einer Weise, wie es auch in anderen soziologischen Studien erfolgt: "Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen. Sagen Sie mir bitte bei jeder, wie groß das Vertrauen ist, dass Sie ihr entgegenbringen. Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihr überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihr großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen. Wie groß ist Ihr Vertrauen in ... " Abbildung 1.2.1 weist dafür zum einen die am Median gemessenen mittleren Vertrauenswerte aus, und zwar abgebildet durch den horizontalen Strich innerhalb einer jeden Box. Zum anderen wird über die Box selbst der Bereich abgebildet, auf den sich die mittleren 50 Prozent der Antworten konzentrieren. Wenn wir die Institutionen nach dem Grad des mittleren Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, anordnen, resultiert das in Abbildung 1.2.1 ausgewiesene Bild. Das vergleichsweise geringste Vertrauen hat die Bevölkerung in das Fernsehen und die politischen Parteien. Das mittlere Vertrauen liegt hier bei Skalenwert 3, also noch unter der nominalen Skalenmitte von 4, während die mittleren 50 Prozent der Antworten auf den Skalenbereich von bis 4 entfallen. Etwas vertrauensvoller gestaltet sich die Situation in Bezug auf das Zeitungswesen und die Bundesregierung. Diesbezüglich bewegen sich die mittleren Vertrauenswerte um die nominelle Skalenmitte herum. Erst in Bezug auf Justiz, Polizei und Hochschulen/Universitäten überwiegt Vertrauen gegenüber mangelndem Vertrauen. Was den Grad des Vertrauens in die abgefragten gesellschaftlichen Institutionen anbelangt, besteht also durchaus noch reichlich "Luft nach oben". Gleiches trifft auf das Vertrauen in Banken zu, wenn wir dafür die Zahlen aus dem Jahre 2009 heranziehen. Im Anschluss an die Frage, ob die Politik die richtigen Rezepte besitzen würde, die "gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden", erbaten wir auch Informationen zum Vertrauen in Banken. Gefragt war: "Sagen Sie mir bitte, wie groß das Vertrauen ist, das Sie derzeit Banken entgegenbringen? Auf der Skala von 1 bis 7 bedeutet 1 diesmal, dass Sie ihnen derzeit überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen und 7, dass Sie ihnen großes Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung wieder abstufen." Das Vertrauen mag heute auf Befragen wieder deutlich stärker ausfallen als es im Jahr 2009 der Fall war. Da wir die Thematik nicht erneut abgefragt haben, können wir aus dem Panel heraus dazu aber nichts sagen. Was aber die Daten aus dem Jahr 2009 anbelangt, bleibt aus unserer Sicht interessant, dass das Vertrauen seinerzeit schon schwer erschüttert erschien. Ein Blick auf Abbildung 1.2.2 zeigt jedenfalls sehr deutlich, dass auch über unterschiedliche Bildungsgruppen hinweg kaum bis gar keine relevanten Unterschiede vorgelegen haben. Wir vergleichen dort, getrennt für Männer und Frauen, die sechs Bildungsgruppen, die wir in Kapitel 2 genauestens beschreiben. Hier möchten wir uns daher auf den Hinweis beschränken, dass es sich bei den Bildungsgruppen "BG 4" und "BG 5" um akademische Bildungsgruppen handelt (Fachhochschul- und Hochschulabschluss), bei den Übrigen um nicht-akademische Bildungsgruppen. Während sich das mittlere Vertrauen bei den Männern über alle Bildungsgruppen hinweg bei einem bescheidenen Skalenwert von "3" bewegt, liegt das mittlere Vertrauen von Frauen aus nichtakademischen Bildungsgruppen durchweg um einen Skalenpunkt darüber. 1.3 Akzeptanz von Normen Ein weiterer "Integrationsmechanismus" besteht darin, dass die Mitglieder einer Gesellschaft deren Normen akzeptieren. Zu den grundlegenderen dieser Normen zählen solche, deren Nichtbeachtung gegebenenfalls strafrechtliche Relevanz besitzt. Aber auch ohne diesen Aspekt wäre es fraglich, dass sich in der Gesellschaft ein Regelsystem halten könnte, das in der Bevölkerung nicht die erforderliche Akzeptanz findet. Zum einen kann es dabei um einzelne Regeln beziehungsweise Normen gehen, zum anderen aber auch um die grundsätzliche Anerkennung von Staat und Gesellschaft als regelsetzenden Autoritäten. Nur weil zum Beispiel gesetzliche Vorgaben demokratisch legitimiert sind, heißt das ja nicht, dass die Vorgaben dann auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Wäre dies ausreichend, könnte die Gesellschaft das Thema abweichenden beziehungsweise regelverletzenden Verhaltens ja ad acta legen. Das wäre dann eine ideale Welt ohne Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Korruption oder anderer Formen "abweichenden Verhaltens". Die Welt, in der wir leben, würde diesem Bild aber offenkundig nicht gerecht werden. Auch ist bedingt durch den Wertewandel heute sehr viel stärker als noch im Falle früherer Generationen davon auszugehen, das in der Bevölkerung erwartet wird, Regeln nicht nur als strikte Vorgaben betrachten zu müssen, sondern als etwas, an deren Ausgestaltung man/frau aktiv beteiligt sein möchte. Auch dies spricht dafür, dass Regeln in der Bevölkerung auch akzeptiert sein sollten, wenn man möchte, dass sie Beachtung finden. Für Staat und Gesellschaft hätte dies zudem den nützlichen Begleiteffekt, dass Regeln auch dann eingehalten würden, wenn Regelverletzungen aufgrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeiten nicht oder nur eher selten sanktioniert werden könnten. Grenzen der Gesellschaft akzeptieren? Die Messung von Norm- beziehungsweise Regelakzeptanz hat zu berücksichtigen, dass die Neigung groß ist, auf entsprechende Fragen gegebenenfalls sozial erwünschte Antworten abzugeben. Auf die Frage, ob man Regeln einhalten sollte, dürfte sinngemäß schon verbreitet die fast reflexhafte Antwort kommen. "ja, natürlich, dazu sind Regeln ja da." Diese Problematik trifft im Prinzip auch in vorliegendem Fragekontext zu. Wir sind dieser Problematik so begegnet, dass wir indirekter gefragt haben. Dies führt zwar einerseits zu einer gewissen Unschärfe in den Antworten, hatte aber den Vorteil, dass die Fragen für die die Befragungsteilnehmer/innen sehr viel leichter zu beantworten waren. Ob man/frau die Gesellschaft im Prinzip als (regelsetzende) Autorität akzeptiert, haben wir im Rahmen unserer Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009 über die Antworten auf folgende Frage ermittelt: "Man muss die Grenzen akzeptieren, die die Gesellschaft setzt, ob man will oder nicht." Gemeint, und auf etwaige Nachfragen der Befragten inhaltlich auch so präzisiert, waren die "Grenzen, die durch die Gesetze eines Landes gezogen werden." Gestützt auf eine 7-stufige, von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 7 (stimme voll und ganz zu) reichende Antwortskala, erhielten wir daraufhin die in Abbildung 1.3.1 getrennt für Frauen und Männer ausgewiesenen Häufigkeitsverteilungen der Antworten. Sie liefern für beide Geschlechter mittlere Zustimmungswerte von "5" und damit einen Skalenwert, der im Mittel auf tendenzielle Zustimmung zu der Aussage schließen lässt. Dabei fallen die Aussagen bei den Frauen heterogener aus als bei den Männern. Rangieren die mittleren 50 Prozent der Antworten bei den Frauen im Skalenbereich von 3 bis 6, ist es bei den Männern der Skalenbereich von 4 bis 6. Genau dieser Unterschied könnte allerdings darauf hindeuten, dass die Frage weniger im oben skizzierten als in dem (gesell-schaftspolitischen) Sinne verstanden wurde anzugeben, ob die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen zu akzeptieren sind wie sie sind. Diese Unschärfe bekommen wir aus vorliegender Analyse leider nicht mehr heraus. Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen Die Akzeptanz verschiedener Verhaltensweisen haben wir ebenfalls indirekt erfragt und über eine spätere Metafrage zu diesem Fragekomplex von den Befragten auch bestätigt bekommen, dass er im Großen und Ganzen als nicht sensitiv eingeschätzt wurde. Gefragt hatten wir im Kontext unserer zwanzig-minütigen Rekrutierungsinterviews des Jahres 2009, also in der Befragung, die der Panelinitialisierung (mit obiger Frage) vorausging. Gefragt war: "Nun geht es um verschiedene Verhaltensweisen. Bitte sagen Sie mir wieder auf einer Skala von 1 bis 7, ob Sie glauben, dass das betreffende Verhalten gerechtfertigt werden kann. 1 bedeutet hier, dass das Verhalten niemals gerechtfertigt werden kann und 7, dass das Verhalten immer gerechtfertigt werden kann. Jetzt die erste Verhaltensweise." Es schloss sich daraufhin folgende Liste von Verhaltensweisen an, für die jeweils die Antwort auf besagter Skala erbeten worden war: Staatliche Leistungen beziehen, auf die man gar keinen Anspruch hat, Steuern hinterziehen, Als verheiratete(r) Mann/Frau eine Affäre haben, Bestechungsgeld akzeptieren, Abtreibung, Sterbehilfe, Schwarz fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, Prostitution. Abbildung 1.3.2 informiert über die Verteilung der Antworten, die wir auf diese Frage erhalten haben. Ausgewiesen werden wieder sogenannte Box-Plots, aus denen der jeweilige mittlere Wert (Median; Strich innerhalb der Box) sowie der Bereich ersichtlich ist, innerhalb dessen sich die mittleren 50 Prozent der abgegebenen Antworten bewegen. Wir betrachten diese Informationen getrennt für die Männer und Frauen. Mit Ausnahme von zwei Verhaltensweisen, und zwar "Bestechungsgeld akzeptieren" und "verheiratet eine Affäre haben", erweist sich die Akzeptanz bei den abgefragten Verhaltensweisen in der Bevölkerungsgruppe der Männer als etwas höher als in der Bevölkerungsgruppe der Frauen. Um es in Anspielung auf eine in der öffentlichen Kommunikation derzeit durchaus beliebten Formel zu fassen: "Bestechungsgeld akzeptieren, das geht gar nicht!" Beide Geschlechter weisen dieses Verhalten auf Befragen kategorisch zurück. Mindestens 75 Prozent der Befragten votierten hier für Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden). Vergleichsweise strikt fällt die Ablehnung bei Steuerhinterziehung und dem Erschleichen staatlicher Leistungen aus. Bei den Frauen etwas stärker als bei den Männern ausgeprägt, ist die Ablehnung dieser Verhaltensweise insgesamt massiv. Keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt es in der Frage, verheiratet eine Affäre zu haben. Während hier mindestens 50 Prozent der Antworten auf den Skalenwert 1 (Verhalten kann niemals gerechtfertigt werden) entfallen, erweitert sich der Bereich, in dem die "nächsten" 25 Prozent der Antworten liegen, bis hin zum Skalenwert 3. Selbst damit bewegen wir uns aber noch unterhalb der nominellen Skalenmitte und damit in einem Bereich, bei dem die Verhaltensweise(n) im Spiegel der Skala eher nicht gerechtfertigt als gerechtfertigt werden kann. Gleiches trifft auf die Akzeptanz des "Schwarzfahrens" zu, das immanent betrachtet bei den Männern auf etwas größere Akzeptanz stößt als bei den Frauen. Markanter Weise unterscheiden sich dann aber die Einschätzungen in Bezug auf Prostitution, Abtreibung und Sterbehilfe von den Einschätzungen der zuvor benannten Verhaltensweisen. Sie stoßen auf eine deutlich positivere Resonanz in der Bevölkerung. Während in Bezug auf "Prostitution" bei den Frauen tendenziell noch Ablehnung überwiegt und die Einschätzungen auch recht heterogen ausfallen (Mittlere 50 Prozent der Antworten im Skalenbereich von 1 bis 5), orientieren sich die Antworten der Männer hier bei etwas größerer Homogenität im Mittel auf die nominelle ("weder/noch" beziehungsweise "teils/teils") Skalenmitte hin. Ein vergleichbares Homogenitätsmuster ist auch in Bezug auf "Abtreibung" zu beobachten, bei dem sich die Antworten bei beiden Geschlechtern auf die neutrale Skalenmitte hin orientieren. Bleibt das Thema "Sterbehilfe". Aus dem Spektrum der erfragten Verhaltensweisen ist sie die einzige, die auf höhere Akzeptanzwerte kommt. Die mittleren 50 Prozent der Antworten bewegen sich hier bei Männern wie Frauen innerhalb des Skalenbereiches von 3 bis 6, gruppieren sich somit zwar um die neutrale Mitte von 4, dies aber etwas stärker in Richtung auf "Verhalten kann gerechtfertigt werden" als in Gegenrichtung. Dabei stößt "Sterbehilfe" in der Bevölkerungsgruppe der Männer auf etwas größere Akzeptanz (Median: 5) als bei den Frauen (Median: 4). Dem Thema Sterbehilfe haben wir uns auch in einer unserer Panelsurveys zugewandt und berichten über die betreffenden Ergebnisse weiter unten. 1.4 Identifikation mit Deutschland Für die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft spielt die Verbundenheit einer Person mit der Gesellschaft, in der sie lebt, eine große Rolle. Soziale Integration entsteht auch und gerade dadurch, dass sich eine Person mit der Gesellschaft identifiziert, in der sie lebt. Konzeptuell stützen wir uns hierzu auf Arbeiten des Soziologen Hartmut Esser (2000) zur sozialen Integration. Esser (2000: im Überblick zum Beispiel S. 279) unterscheidet vier Dimensionen der Sozialintegration, und zwar: Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation. Hier interessiert uns im Moment vor allem die letztgenannte Dimension. Esser (2000: 274-277) unterscheidet diesbezüglich "drei unterschiedlich intensive Formen der Sozialintegration durch Identifikation", und zwar "die emphatische Wertintegration und die Hinnahme des Systems über die beiden Mechanismen der Verkettungsintegration und der Deferenzintegration" (op.cit., S. 275). Für Esser ist der "wohl deutlichsten Fall der Sozialintegration als Identifikation" die "bewusste Loyalität zur ›Gesellschaft‹ und ihren herrschenden Institutionen, etwa in Form der mit Werten begründeten Zustimmung zu den politischen Instanzen und deren Entscheidungen. Es ist die Integration der Gesellschaft über ausgeprägte Gefühle der Solidarität, über unbedingte Werte und über die, mehr oder weniger bewusste, sicher aber auch emotionale Identifikation der Akteure mit dem System der Gesellschaft insgesamt" (Esser, 2000: 275). Diese, wie Esser sie nennt, "emphatische Wertintegration" scheint uns seinen Ausführungen zufolge ein komplexes, gegebenenfalls aus mehreren Subdimensionen bestehendes Phänomen zu sein. Hier möchten wir uns zunächst auf die "auch emotionale Identifikation" der Akteure mit dem System konzentrieren und den angesprochenen Bezug zu konstitutiven Werten der Gesellschaft etwas später im Text wieder aufgreifen. Um diese "auch emotionale Identifikation" zu messen, dürften verschiedenste Optionen existieren. Beispielsweise ließe sich nach Gefühlen der Verbundenheit mit der Gesellschaft beziehungsweise ihren Institutionen fragen. Oder nach dem Grad, in dem die gesellschaftliche Ordnung oder die Ziele von Staat und Gesellschaft als unterstützenswert erscheinen. Hier haben wir einen etwas anderen Weg gewählt, in dem wir unsere Befragten gebeten haben, das Land, in dem sie leben, in Bezug auf einige basale Eigenschaften einzuschätzen. Dazu fragten wir sie im Rahmen der Panelinitialisierungsinterviews des Jahres 2009: "Auf einer Skala von 1 bis 7, wie sehr stimmen Sie folgenden Aussagen zum Leben in Deutschland zu? 1 bedeutet, dass Sie überhaupt nicht zustimmen und 7, dass Sie voll und ganz zustimmen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Jetzt die erste Aussage: ..." [V2_1] "Alles in allem fühle ich mich mit meinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben." [V2_2] "Deutschland ist ein Land, in dem Politik für das Gemeinwohl gemacht wird." [V2_4] "Alles in allem gesehen, funktioniert die Demokratie in Deutschland gut." [V2_6] "Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben." Mit der ersten Aussage war beabsichtigt, die so wichtige Interessenkategorie explizit anzusprechen, während mit der zweiten und dritten Aussage Gemeinwohl und Demokratie als potentiell verbindende Gemeinschaftsgüter von konstitutiver gesellschaftlicher Relevanz Ausdruck finden sollten. Schließlich sollte die "auch emotionale" Komponente über die Idee des "schön leben Könnens" Berücksichtigung finden. Auch wenn diese Komponente darüber sicherlich nur bedingt angesprochen werden kann, und die Verfügbarkeit ergänzender Informationen dafür hilfreich wäre, nehmen wir an, dass es im Kern genau darum geht: In einem Land zu leben, in dem es sich, alles in allem betrachtet, sehr gut leben lässt. Es ist genau diese Metapher vom schönen Leben, in der diese leicht emotional getönte, positive Grundhaltung gegenüber dem Land aufscheint. Man muss ja nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was in diesem Land passiert, aber im Kern ist/bleibt es einfach ein Land, in dem es sich (gegebenenfalls dennoch) sehr gut zu leben lohnt. Eine solche Haltung mag durchaus irrationale Züge tragen, etwa dann, wenn eigene Interessen objektiv betrachtet gar nicht die Berücksichtigung finden, von der man subjektiv annimmt, dass dies der Fall sei. Aber auch darin kann sich die emotionale Komponente ausdrücken: Man ist in diesem Land aufgewachsen und hat von klein auf emotionale Bindungen zu ihm beziehungsweise zu "Land und Leuten" aufgebaut, fühlt sich entsprechend heimisch und verbunden, und sieht deshalb gegebenenfalls auch über Punkte hinweg, die ein im Detail rationaleres, vielleicht sogar kritisches Licht auf das Land werfen würden. Auffällig ist jedenfalls, dass zwei Aussagen der ursprünglich aus sechs "Deutschland"-Items bestehenden Liste keinen integralen Bestandteil vorliegender Identifikationsdimension darstellen. Wie aus Abbildung 1.4.1 ersichtlich ist, bilden nur die vier oben beschriebenen Aussagen zu Deutschland ein und dieselbe Dimension ab. Sowohl faktorenanalytisch betrachtet, als im Ergebnis auch über eine Reliabilitätsbestimmung (Cronbach's alpha) festzustellen war, messen die beiden folgenden Aussagen eine andere inhaltliche Größe als die vier oben beschriebenen Aussagen: [v2_3] "Realistisch betrachtet, ist Wohlstand für alle nur in einer sozialen Marktwirtschaft möglich." [v2_5] "Deutschland ist ein Land, in dem jeder auf seinen Vorteil oder den seiner Familie bedacht ist." Auffällig ist zudem, dass die die Einschätzung der Aussage, dass Deutschland ein Land sei, in dem es sich sehr gut leben lasse, die vergleichsweise beste Bewertung erhält. Abbildung 1.4.2 informiert über die zugehörigen Antwortverteilungen. Während die Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik die vergleichsweise geringste mittlere Zustimmung erfährt, erfährt besagte Aussage die höchste: Im Mittel liegen die Zustimmungswerte hier im Bereich von 5 und 6, mit klarer Konzentration der Antworten beim höheren dieser beiden Werte. Während die mittlere Zustimmung zur Aussage, dass man in Deutschland sehr gut leben könne, am höchsten ausfällt, und die Zustimmung zur Aussage zur Gemeinwohlorientierung der Politik am geringsten, liegen die Zustimmungswerte der beiden anderen Aussagen dazwischen. Dies betrifft zum einen die Aussage, dass man sich mit seinen Interessen in Deutschland gut aufgehoben fühle, und zum anderen die Aussage, dass in Deutschland die Demokratie gut funktionieren würde. Werden auf der Basis des in Abbildung 1.4.1 abgebildeten Messmodells (um Null rangierende) Faktorwerte berechnet und deren mittlere Werte im Altersvergleich betrachtet, so resultiert die in Abbildung 1.4.3 ausgewiesene Verteilung. Es wird erkennbar, dass der Identifikationsgrad im Altersver-lauf zunächst sinkt, um dann wieder anzusteigen. Zu diesem Kurvenverlauf dürfte unter anderem beitragen, dass man/frau sich, biografisch betrachtet, erst einmal eine Lebenssituation erarbeiten muss, die ihren Beitrag zu dem sprichwörtlich schönen Leben leisten kann, von dem oben die Rede war. Korrelative Bezüge zur Identifikation mit Deutschland Um auf die oben angesprochene "emphatische Wertintegration" zurückzukommen, von der im Werk Hartmut Esser's (2000) die Rede ist, möchten wir im vorliegenden Abschnitt einige Bezüge der Identifikation mit Deutschland zu Einstellungen der Bevölkerung zu konstitutiven Werten der Gesellschaft aufzeigen. Dabei handelt es sich um inhaltliche Größen, die wir im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in anderen Kapiteln dieses Bandes genauer vorstellen werden. Jede dieser inhaltlichen Größen haben wir dafür auf der Basis von Modellen gemessen, die es erlauben, etwaige Messfehler statistisch zu kontrollieren. Die jeweiligen Messmodelle stellen wir in den betreffenden Abschnitten beziehungsweise Kapiteln genauer vor. Hier möchten wir uns hingegen darauf beschränken, einige der in Abbildung 1.4.4 aufzeigbaren Zusammenhänge anzusprechen. Die komplette Korrelationsmatrix befindet sich in Tabelle A 1.2 im Anhang zu diesem Kapitel. Mit der Identifikation mit Deutschland (D) geht eine allgemeine Lebenszufriedenheit einher (ZA), die sich in folgender Regularität ausdrückt: Je höher diese Lebenszufriedenheit, desto höher der Identifikationsgrad (r = 0,31). Die allgemeine Lebenszufriedenheit haben wir dabei auf der Basis eines komplexen, die Komponenten Glück, Zufriedenheit und Zuversicht berücksichtigenden, in Kapitel 8 vorgestellten Modells gemessen. Positive Korrelationen sind auch in Bezug auf zwei grundlegende Einstellungen zu beobachten. Hierbei handelt es sich um die wertrationale Einstellung zur Solidarität (WR) und die Verzichtsbereitschaft um eines kollektiven Gutes willen (VB), und zwar so, wie diese Größen im weiteren Verlauf dieses Kapitels und in Kapitel 10 beschrieben werden. Auch hier ist feststellbar: Je stärker der Identifikationsgrad, desto stärker die wertrationale Einstellung (r = 0,27) beziehungsweise desto stärker die Verzichtsbereitschaft (r = 0,22). Korrelationen bestehen auch zwischen dem Identifikationsgrad (D) und unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen. Positiv fällt diese Korrelation zu einer Einstellung aus, die Verteilungsgerechtigkeit als Leistungsgerechtigkeit (J1) konkretisiert (r = 0,12), und negativ (r = -0,13), wenn Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit im Verteilungsergebnis konkretisiert (J2). Positiv korreliert (mit r = 0,11) sind zudem "D" und "J3", das heißt der Identifikationsgrad mit Deutschland und die Vorstellung, dass es gerecht sei, wenn Eltern Vorteile an ihre Kinder weitergeben, auch wenn diese dadurch im Leben bessere Chancen als andere haben. 1.5 Selbstbestimmung 1.5.1 Pflichtdienst oder freiwilliger Beitrag zur Gemeinschaft Wie autonom sollten Entscheidungen sein, wenn sie sich auf Beiträge für die Gemeinschaft oder Gesellschaft beziehen, in denen man/frau lebt? Als in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die Wehrplicht auszusetzen, erfragten wir (im Vorfeld der zu treffenden Entscheidung im Bundestag) im Rahmen einer Umfrage die Einschätzung der Bevölkerung dazu. Die Informationen wurden über eine Sequenz von drei Fragen erbeten: [1] "Öffentlichkeit und Politik beschäftigt aktuell auch die Frage, ob die Wehrpflicht abgeschafft werden sollte? Junge Männer könnten dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. Wofür wären Sie? Dass der Dienst in der Bundeswehr verpflichtend bleibt oder freiwillig wird?" [2] "Wenn der Wehrdienst wegfällt, fällt auch der Zivildienst für junge Männer weg. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang, den Wehr- und Zivildienst für junge Männer gleich durch einen Pflichtdienst für junge Männer und Frauen zu ersetzen. Wofür wären Sie? Sollten künftig auch junge Frauen zu einem Pflichtdienst für das Gemeinwesen herangezogen werden?" (Ja, auch Frauen heranziehen; nein) [3] "Andere fordern, auf Pflichtdienste künftig ganz zu verzichten und jungen Menschen stattdessen die Möglichkeit anzubieten, sich freiwillig für das Gemeinwesen zu engagieren. Wofür wären Sie? Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen oder Pflichtdienste beizubehalten?" Dafür, dass der Dienst in der Bundeswehr freiwillig werden sollte, sprachen sich 69 Prozent der N = 1.414 Befragten aus, 31 Prozent votierten dagegen. Zugleich sprach sich auf Frage [2] hin eine deutliche Mehrheit von 75 Prozent der Befragten dafür aus, auch Frauen zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, sollte es zu einer "Pflichtdienstlösung" kommen. Sehr viele würden sich hier also am Gleichbehandlungsgrundsatz orientieren wollen. Schließlich sprachen sich auf Frage [3] hin 41 Prozent der Befragten dafür aus, Pflichtdienste durch freiwillige Dienste zu ersetzen, während 59 Prozent Pflichtdienste beibehalten würden. Generell danach gefragt, würde der Pflichtgedanke in der Bevölkerung also noch eine Mehrheit finden. Wie aber ist die Situation einzuschätzen, wenn wir die jeweiligen Antworten über diese drei Fragen hinweg im Zusammenhang betrachten? Ließe das Antwortverhalten eventuell darauf schließen, dass sich die Bevölkerung in zwei Gruppen teilt, in denen im Zweifel die Freiwilligkeit Vorrang vor der Pflicht oder die Pflicht Vorrang vor der Freiwilligkeit erhält? Tabelle 1.5.1 liefert darauf die Antwort. Sie weist das Ergebnis einer sogenannten "latenten Klassenanalyse" aus. Danach kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung in Befürworter des Pflicht- versus. Freiwilligkeitsprinzips aufteilt. Mit geschätzten 39 Prozent sind die Befürworter des Freiwilligkeitsgedankens dabei in der Minderheit, während es die Befürworter des Pflichtgedankens auf 61 Prozent bringen. Im Spiegel dieser Zahlen möchte eine Mehrheit in der Bevölkerung junge Menschen also durchaus noch in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten. Die geschätzten Antwortwahrscheinlichkeiten in Tabelle 1.5.1 legen dabei nahe, dass sich die beiden Bevölkerungsgrup-pen in erster Linie in ihrer allgemeinen Haltung zu Pflicht- versus Freiwilligendiensten unterscheiden (Aussage [3]), während es in Bezug auf die spezifischere Frage zur Wehrplicht nur graduelle Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gibt (Aussage [1]). Auffällig ist zudem, dass es zwischen beiden Bevölkerungsgruppen auch in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nur graduelle Unterschiede gibt. In beiden Gruppen überwiegt die Haltung im Sinne dieses Grundsatzes. Während die Bevölkerungsgruppe, die für die Freiwilligkeit eintritt, (mit Antwortwahrscheinlichkeiten um den 0,5 zu 0,5 Split herum) in dieser Frage aber nahezu gespalten ist, findet der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Gruppe, die für die Pflicht eintritt, eine deutliche Mehrheit (Aussage [2]). Die Haltung, den Pflichtgedanken gegebenenfalls auf beide Geschlechter zu beziehen, erweist sich dabei als eine Funktion des Lebensalters. Wie aus Abbildung 1.5.1 zu ersehen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Haltung mit dem Alter an. Während sich dieser Zusammenhang bei den befragten Frauen als linear erweist, beschreibt er bei den befragten Männern eher eine Kurve als eine gerade Linie. Etwas anders stellen sich die Kurvenverläufe in Bezug auf die beiden anderen Aussagen dar. 1.5.2 Selbstbestimmung in existenziellen Fragen Im Rahmen von Fragen, die wir im Zusammenhang mit den Themen "Sterbehilfe", "Patientenverfügung" und "Zulässigkeit von Gentests zur Präimplantationsdiagnostik" gestellt haben, ging es unter anderem um Haltungen zur medizinischen Forschung. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Themenkomplex erfolgt in Kapitel 6. Hier möchten wir uns auf drei Aussagen zur medizinischen Forschung beschränken. Im direkten Anschluss an Fragen zur Sterbehilfe, Patientenverfügung und Präimplantationsdiagnostik waren die Befragten gebeten worden, den Grad Ihrer Zustimmung zu sechs Aussagen zur medizinischen Forschung auszudrücken. Gefragt war zunächst: "Die folgenden Fragen befassen sich mit der medizinischen Forschung. Ich möchte Ihnen dazu einige Aussagen vorlesen und Sie bitten, mir zu jeder Aussage zu sagen, wie sehr sie ihr auf einer Skala von 1 bis 7 zustimmen. 1 bedeutet, dass sie der Aussage überhaupt nicht zustimmen und 7, dass sie ihr voll und ganz zustimmen." Drei der nachfolgenden sechs Aussagen möchten wir hier einbeziehen. [SH7] "Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht das Schicksal jedes kranken Menschen ändern können." [SH9] "Es ist nicht wünschenswert, alles, was medizinisch möglich ist, auch anzuwenden." [SH10] "Auch in existenziellen Fragen sollte jeder erwachsene Mensch über sein Leben selbst bestimmen können." Über eine Faktorenanalyse haben wir geprüft, in welchem inneren Zusammenhang die Antworten auf diese drei Aussagen stehen. Wie aus Abbildung 1.5.2 ersichtlich ist, ergab die Analyse, dass sich in den Antworten die Wirkung einer sich dahinter verbergenden Haltung ausdrückt. Diese Haltung kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und bestimmt entsprechend, wie sehr den Aussagen zugestimmt wird oder nicht. Wir bezeichnen diese Haltung als "Selbstbestimmung in existenziellen Fragen" und haben sie in oben beschriebener Korrelationsanalyse (Abbildung 1.4.4) über die dort als "SB" bezeichnete Faktorwerteskala berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang möchten wir uns damit begnügen, das zugehörige Messmodell anzusprechen (Abbildung 1.5.2) sowie einen visuellen Eindruck von der in Abbildung 1.4.4 ausgewiesenen Korrelation zwischen "SB" und der dort als "ZA" bezeichneten allgemeinen Lebenszu-friedenheit zu vermitteln. Abbildung 1.5.3 informiert über diesen Zusammenhang und liefert als weitere Information auch den entsprechenden Kurvenverlauf für die Antworten auf folgende Aussage: "Medizinische Techniken sollten im Zweifelsfall nur eingesetzt werden dürfen, wenn sie zuvor von Experten in Glaubens- und Wertefragen für unbedenklich gehalten werden."

Erscheint lt. Verlag 15.5.2014
Co-Autor Christine Borowsky, Laura Burmeister, Suat Can, Uwe Engel, Catharina Henneking, Kim-Sarah Kleij, Britta Köster, Miriam Reußner, Björn-Oliver Schmidt, Christiane Lénard
Zusatzinfo ca. 80 Abb. und 50 Tab.
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 430 g
Einbandart kartoniert
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Allgemeines / Lexika
Sozialwissenschaften Soziologie Empirische Sozialforschung
Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte BRD • Deutsche Gesellschaft • Deutschland; Politik/Zeitgeschichte • Gerechtigkeit • Glück • Integration • Meinungsumfrage • Panel • Programm • Sozialstruktur • Umfrage • Werte • Zufriedenheit
ISBN-10 3-593-50058-2 / 3593500582
ISBN-13 978-3-593-50058-4 / 9783593500584
Zustand Neuware
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