Kindheiten in der Moderne

Eine Geschichte der Sorge

***** 1 Bewertung

Buch | Hardcover
514 Seiten
2014
Campus (Verlag)
978-3-593-50079-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kindheiten in der Moderne -
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Neue Geschichte der Kindheit
Seit der epochalen »Geschichte der Kindheit« (1960) des französischen Historikers Philippe Ariès ist keine umfassende Geschichte der Kindheit mehr erschienen, die zu internationalen Debatten geführt hat.

Dieser Sammelband gibt Impulse, sich heute wieder mit diesem spannenden Thema zu befassen und der Geschichtsvergessenheit innovative Sichtweisen entgegenzusetzen.

Chronologisch geordnete Einzelbeiträge erzählen, auf der Grundlage epochenspezifischer Zuordnungen und eingebettet in sozialhistorische Zusammenhänge, eine Geschichte der Kindheit unter dem Aspekt der sorgenden Verhältnisse von der frühen Neuzeit bis heute.

Was bedeutete es etwa, wenn die Sorge um das spirituelle Heil von Kindern im Vordergrund stand? Wie wurde Kindheit im 18. Jahrhundert zur Familienkindheit? Welche Veränderungen brachten wohlfahrtsstaatliche Regelungen mit sich und welche Implikationen hatte eine wissenschaftliche Sicht auf das Kind? Was wissen wir über Kinder im Holocaust und wie gestalten sich Sorgeverhältnisse in einer globalisierten Welt?

Meike Sophia Baader ist Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Hildesheim.

Wolfgang Schröer ist Professor für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim.

Florian Eßer, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hildesheim.

Inhalt

Einleitung

Kindheiten in der Moderne. Eine Geschichte der Sorge

Meike Sophia Baader/Florian Eßer/Wolfgang Schröer7

Frühe Neuzeit (1500 bis 1750)

Versorgte und unversorgte Kinder

Juliane Jacobi21

Revolution und Restauration (1789 bis 1815)

Die bürgerliche Kindheit

Pia Schmid42

Industrialisierung und Säkularisierung (1815 bis 1850)

Die proletarische Kindheit

Doris Bühler-Niederberger/Heinz Sünker72

Bildung von Nationalstaaten und Aufstieg

der Naturwissenschaften (1850 bis 1910)

Die nationalstaatliche Kindheit

Franz-Michael Konrad97

Die verwissenschaftlichte Kindheit

Florian Eßer124

Klassische Moderne (1890 bis 1930)

Die Kindheit der sozialen Bewegungen

Meike Sophia Baader154

Die großstädtische Kindheit

Håkan Forsell190

Massengesellschaft und Wohlfahrtsstaat (1914 bis 1945)

Die fordistische Kindheit

Volker Schubert226

Die wohlfahrtsstaatliche Kindheit

Johanna Mierendorff257

Faschismus und Nationalsozialismus (1922 bis 1945)

Die faschistische Kindheit

Till Kössler284

Kinder und Kindheiten in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

Wiebke Hiemesch319

Nachkriegszeit (1945 bis 1968)

Die "familialisierte" Kindheit

Michael-Sebastian Honig/Ilona Ostner360

Die sozialistische Kindheit in der Sowjetischen Besatzungszone

Sabine Andresen391

Zweite Moderne (1968 bis 2000)

Die reflexive Kindheit

Meike Sophia Baader414

Globalisierung (seit 1990)

Die sozialinvestive Kindheit

Harry Hendrick456

Die transnationale Kindheit

Nicole Himmelbach/Wolfgang Schröer492

Autorinnen und Autoren511

"Ohne die bahnbrechende Forschung von Ariès zu schmälern, werden neue Erkenntnisse vorgestellt, die zu differenzierteren Ergebnissen kommen ... auch für pädagogisch interessierte Laien verständlich.", Psychologie Heute, 01.03.2015

"Ohne die bahnbrechende Forschung von Ariès zu schmälern, werden neue Erkenntnisse vorgestellt, die zu differenzierteren Ergebnissen kommen ... auch für pädagogisch interessierte Laien verständlich.", Psychologie Heute, 01.03.2015

Kindheiten in der Moderne. Eine Geschichte der Sorge Meike Sophia Baader/Florian Eßer/Wolfgang Schröer Dieser Überblick über moderne Kindheiten wird als Geschichte der Sorge erzählt. Damit wird einerseits an Diskussionen in der Frauen- und Geschlechterforschung um "Care" angeschlossen. Andererseits werden Perspektiven aufgenommen, wie sie in Bezug auf die wohlfahrts- und sozialstaatliche Entwicklung in den letzten Jahren diskutiert wurden. Grundsätzlich ermöglicht diese Fokussierung, eine geschlechterdifferenzierende Per-spektive im Umgang mit Kindern einzunehmen und nach den damit verbundenen Prozessen der Arbeitsteilung zu fragen. Zudem überschreitet die Frage nach der gesellschaftlichen Organisation der Sorge die in der deutschen Tradition verwurzelte Differenzierung zwischen einer weiblich konnotierten und im Privatraum situierten "Erziehung" sowie einer eher männlich konzipierten "Bildung", die im öffentlichen Raum angesiedelt ist. Beides ist wiederum eng verknüpft mit den institutionellen Zuordnungen von "Familie" und "Schule". Diese Trennung wird von jenem intermediären Status des Vorschulbereiches flankiert, wie er seit dem 19. Jahrhundert für die deutsche Erziehungs- und Bildungsgeschichte und, nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Bundesrepublik charakteristisch ist. Der Fokus "Sorge" eröffnet einen weiten Blickwinkel und bezieht Geschlechterverhältnisse, emotionale Ressourcen, Zeitressourcen, familien- und sozialpolitische sowie institutionelle und transnationale Perspektiven in die Hervorbringung der generationalen Sorgeordnungen ein. Dabei erscheint gerade auch angesichts des demographischen Wandels in vielen europäischen Ländern eine Zuspitzung auf ein binäres Generationenver-hältnis - wie sie in der deutschsprachigen bildungshistorischen Forschung lange Zeit vorherrschend war - für eine Geschichte der Kindheit nicht mehr hinreichend. Unter dem Aspekt der "Generationensorge" wird derzeit in den Sozialwissenschaften verstärkt die Sorge um Pflege im Alter, das heißt die Sorge um die ältere Generation sowie - eng damit verbunden - um das eigene zukünftige Alter beforscht. Gerade die Verknüpfung mo-dernisierungstheoretischer Zugänge mit der Frage nach der Organisation und den Lebenswelten der Sorge ermöglicht die Veränderungen von Sorgestrukturen im Prozess der Modernisierung, insbesondere in der ersten und zweiten beziehungsweise der reflexiven Moderne, genauer zu beschreiben. Care in feministischer Theorietradition Grundlegend ist der Begriff der Sorge in den letzten Jahren in der Genderforschung diskutiert worden. Dort wurde er mit einer Ethik der Sorge in Verbindung gebracht, die letztlich auf moralpsychologische und moral-philosophische Positionen im Anschluss an Gilligan und ihre These von den zwei Moralen, einer eher beziehungsorientierten femininen, und einer eher an abstrakten Gerechtigkeitsprinzipien ausgerichteten maskulinen, zurückgreift. Diese Perspektive versieht den Sorgebegriff einerseits mit einer ethischen Dimension und fundiert ihn andererseits in einer besonderen und wesentlich emotional gefärbten responsiven Beziehungskonstellation. Im Rahmen dieser ethics of care wird Sorge etwa mit Achtsamkeit, Kompetenz, kommunikativen Fähigkeiten, Vertrauen und Empathie in Verbindung gebracht. Aktuelle Ansätze beziehen sich auf Trontos Theorie von care, die sie in Abgrenzung sowohl zu Gilligan als auch zu Noddings entwickelte. Tronto entwirft eine konstruktivistische und relationale Perspektive, die Sorge aus der Gebundenheit an eine weibliche Psyche sowie aus der Unmittelbarkeit dyadischer Beziehungen löst. Theorien von care, wie sie im Anschluss an Tronto diskutiert werden, fußen auf einer relationalen Sozialtheorie: "[T]hose advocating the ethics of care usually see care, as they see persons, in relational rather than in individualistic terms". Dahinter steht eine grundlegende Kritik an Vorstellungen, gemäß denen es sich bei Gesellschaften zunächst um Aggregate autonomer Individuen handelt. Vor einem solchen handlungstheoretischen Hintergrund, so bemerkt Tronto kritisch, erscheine jede menschliche Bedürftigkeit und Verwiesenheit auf andere als Autonomieverlust, der die Sorgeempfänger in eine Situation struktureller Schwäche stelle. Im Gegensatz zu jener Konstruktion der Besonderung, die damit sorgenden Beziehungen tendenziell eingeschrieben ist, wird bei Tronto und an sie anschließend soziale Verwiesenheit und die Eingebundenheit in Sorgebeziehungen als Normalfall (zwischen-)menschlicher Existenz angesehen. Dies ist unmittelbar mit einer Sicht auf Subjektivierung und Subjektivierungsformen verbunden, die diese relational denkt und entfaltet. "Sorge" als pädagogischer Code Für eine stärkere Gewichtung des Begriffs der Sorge auch für pädagogische Kontexte plädiert Jürgen Zinnecker. Er sieht darin eine Chance in der deutschen erziehungswissenschaftlichen Tradition eingefahrene Sichtweisen zu überwinden, den Sorgebegriff als Alternative zu dem gleichermaßen individualistisch wie binär verengten Begriff des "pädagogischen Bezuges" von Herman Nohl zu fundieren und mit dem Sorgebegriff zugleich eine "konzeptionelle Modernisierung" der erziehungswissenschaftlichen Reflexion vorzunehmen: Der Sorgebegriff könne die überkommenen Leitbegriffe von "Bildung und/oder Erziehung" ersetzen, denn diese würden der "Diffundierung" des pädagogischen Feldes nicht mehr gerecht. "Pädagogik", so Zinnecker, "bezeichnet alle sorgenden Verhältnisse zwischen allen zu einer Zeit lebenden Generationen, seien diese nun dominant auf Bil-dung/Unterrichtung, Erziehung oder soziale Hilfe fokussiert". Damit ist Pädagogik über den Begriff der Sorge - der in Beziehungskonstellationen eingebettet ist - definiert. "Sorgende Verhältnisse" sind für Zinnecker der "übergeordnete Schlüssel", mit dem sich das heterogene Feld der Pädagogik erschließen lässt. Diese Definition bringt zugleich eine andere Konzeption des Generationenverhältnisses mit sich, die im dominanten pädagogischen Diskurs nach wie vor auf zwei Generationen, nämlich "Kinder" und "Erwachsene" reduziert wird. Damit ist sie jedoch unübersehbaren Modernisierungsprozessen im Generationenverhältnis - denken wir etwa an die "Vier-Generationen-Familie" - nicht mehr angemessen. Sorge nimmt "die Pluralität generationeller Verpflichtungen" auf und öffnet die "unidirektionale Richtung". Damit, so Zinnecker, werde eine Fiktion aufgelöst, die in der kanonisierten Tradition des pädagogischen Codes notorisch sei. Der Begriff der Sorge ermöglicht die komplexen Transfer- und Tauschbeziehen im Generationenverhältnis zu erfassen. Hier wird care nicht nur für die feministische Diskussion, sondern auch kindheitstheoretisch anschlussfähig, insofern sich die konkrete Gestaltung von Sorgeverhältnissen im Licht generationaler Ordnungen betrachten lässt. Ein theoretisch reflektierter Sorgebegriff, wie wir ihn hier vorschlagen wollen, bietet erstens Erklärungsansätze für die Kritik der Kindheitsforschung, gemäß der "Kinder als Objekte der Besorgnis" und Fürsorge als gefährdete und zugleich gefährliche care-receiver erscheinen mussten. Er kann zweitens einen Beitrag zur feministischen Kritik daran liefern, dass das Bereitstellen von Sorge in die Domäne weiblicher - und besonders mütterlicher - Fürsorgetätigkeit fiel. Historisch gesehen sind nämlich der kindheitstheoretische und der feministische Aspekt in der Herausbildung einer feminin konnotierten privat-reproduktiven und einer maskulin konnotierten öffentlich-produktiven Sphäre aneinander gekoppelt. Mit dieser Zweiteilung ging eine Abwertung von Aufgaben einher, die auf Sorge und Abhängigkeit gegründet sind, gegenüber denen, die auf Gestaltung und Autonomie zielen: "Care-giving and care-receiving are left to the less powerful". Die immer gegebene Sorge- und Hilfsbedürftigkeit von autonomen Subjekten (also Erwachsenen, Männern etc.) hingegen werde negiert und sozial verdeckt. Insofern kritisiert Tronto grundsätzlich, dass die Abhängigkeit von anderen mit einem Verlust an Autonomie gleichgesetzt werde. Dieses "Autonomieideal […], das die Dichotomie von Machthabern (Erwachsenen) und Machtlosen (Kindern) voraussetzt", kann also auf der Grundlage von Care-Theorien analysiert werden. Die spezifische Sorgebedürftigkeit der Kinder wird damit vom historischen Explanans zum Explanandum. Sie wird erklärungsbedürftig und ist damit analytisch an spezifische historische Konstellationen zurückzubinden. Dies geschieht hier auf der Grundlage einer Theorie, die Sorge universell als Bedingung sozialen Lebens entwirft. Daraus folgt, dass Sorgeverhältnisse als Ausgestaltung von Sorgebeziehungen Gegenstand der historischen Analyse sind: "The notion that ›mothering‹ is the paradigmatic act of caring, for example, is part of our cultural construction of adequate care". Sorge in diesem sozialhistorischen Definitionszusammenhang hat also eine sozialphilosophische Dimension, die auf der Relationalität und grundsätzlichen wechselseitigen Verwiesenheit menschlichen Daseins beruht. Die Care-Perspektive schließt Sorgestrukturen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich und deren subtiles Aufeinanderangewiesensein ein. Die Care-Perspektive fragt im Verständnis des Herausgeberteams entsprechend danach, wie care - entlang der Trennung von öffentlich und privat - in ihrer Komplexität sozialhistorisch hervorgebracht wird. Wie wird beispielsweise Sorgebedürftigkeit hergestellt, welche Funktion hat diese Be-dürftigkeit und welche Appell-Strukturen werden durch die jeweiligen Sorgediskurse erzeugt? Reflexivität von care-giving und care-taking Der Fokus auf die Sorge verspricht noch weiteren analytischen Mehrwert. Der (deutschsprachige) Begriff der Sorge zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in hohem Grad durch den Bezug auf die Sorgenden selbst erklärt. Diese Dimension kann beispielsweise von Martin Heideggers existenzialphilosophischer Deutung des Phänomens gefasst werden. Für ihn bedeutet Sorge die Grundstruktur allen Daseins. In ihr, so Heidegger, ruft das Gewissen der oder des Einzelnen sich selbst. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass sich ein dezentriertes Ich in reflexiver Art und Weise zu sich selbst als einem anderen verhält, denn die Sorge bezeichnet die grundsätzliche Art und Weise, in der sich der Einzelne immer schon in der Welt erfährt. Entsprechend weist Heidegger auch den Ausdruck "Selbstsorge", als tautologisch zurück. Dieser wird dann 1981/1982 prominent von Foucault in den Vorlesungen zur "Hermeneutik des Subjekts" entfaltet. Im Gegensatz zu Begriffen wie etwa "Erziehung" oder auch "Fürsorge" ist die "Sorge" also nicht nur unmittelbar, sondern zunächst nicht relational bezogen - denn das wird sie erst, wenn sie um eine Präposition ergänzt wird. Folglich wird auch eine "Geschichte der Sorge" immer auch eine "Geschichte der Sorgenden" sein müssen. Der Sorgebegriff schließt die Rückbezogenheit der Sorgenden auf sich selbst ein. Somit schließen sich Fragen nach sich wandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten, (Selbst-) Entwürfen, Begehrlichkeiten und Ängsten an, die den Diskursen und Arrangements zugrunde liegen, die mit der Sorge um die Kinder verknüpft sind. Zudem bringt diese Sichtweise Fragen nach der Sorge-Bedürftigkeit der Care-Gebenden oder auch nach dem spezifischen Begehren von Akteur-innen und Akteuren im pädagogischen Feld hervor. In diesem Zusammen-hang können auch Impulse aus aktuelleren Arbeiten aufgenommen werden, die etwa nach dem weiblichen Begehren in der Pädagogik und seinen Maskierungen fragen und so die Problematik von Motiven für pädago-gische Interventionen und Programme noch einmal anders beleuchten. Auch damit wird die oben genannte "unidirektionale" Einseitigkeit in der pädagogischen Konzeption des Generationenverhältnisses aufgelöst. Hier kann zudem mit einem Verständnis von Generationenbeziehungen angeschlossen werden, das die Ambivalenzen im Blick hat, einseitige Idealisierungen vermeidet und auch für die Reziprozität von Sorgebeziehungen sensibel ist.

Kindheiten in der Moderne. Eine Geschichte der Sorge Meike Sophia Baader/Florian Eßer/Wolfgang Schröer Dieser Überblick über moderne Kindheiten wird als Geschichte der Sorge erzählt. Damit wird einerseits an Diskussionen in der Frauen- und Geschlechterforschung um "Care" angeschlossen. Andererseits werden Perspektiven aufgenommen, wie sie in Bezug auf die wohlfahrts- und sozialstaatliche Entwicklung in den letzten Jahren diskutiert wurden. Grundsätzlich ermöglicht diese Fokussierung, eine geschlechterdifferenzierende Per-spektive im Umgang mit Kindern einzunehmen und nach den damit verbundenen Prozessen der Arbeitsteilung zu fragen. Zudem überschreitet die Frage nach der gesellschaftlichen Organisation der Sorge die in der deutschen Tradition verwurzelte Differenzierung zwischen einer weiblich konnotierten und im Privatraum situierten "Erziehung" sowie einer eher männlich konzipierten "Bildung", die im öffentlichen Raum angesiedelt ist. Beides ist wiederum eng verknüpft mit den institutionellen Zuordnungen von "Familie" und "Schule". Diese Trennung wird von jenem intermediären Status des Vorschulbereiches flankiert, wie er seit dem 19. Jahrhundert für die deutsche Erziehungs- und Bildungsgeschichte und, nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Bundesrepublik charakteristisch ist. Der Fokus "Sorge" eröffnet einen weiten Blickwinkel und bezieht Geschlechterverhältnisse, emotionale Ressourcen, Zeitressourcen, familien- und sozialpolitische sowie institutionelle und transnationale Perspektiven in die Hervorbringung der generationalen Sorgeordnungen ein. Dabei erscheint gerade auch angesichts des demographischen Wandels in vielen europäischen Ländern eine Zuspitzung auf ein binäres Generationenver-hältnis - wie sie in der deutschsprachigen bildungshistorischen Forschung lange Zeit vorherrschend war - für eine Geschichte der Kindheit nicht mehr hinreichend. Unter dem Aspekt der "Generationensorge" wird derzeit in den Sozialwissenschaften verstärkt die Sorge um Pflege im Alter, das heißt die Sorge um die ältere Generation sowie - eng damit verbunden - um das eigene zukünftige Alter beforscht. Gerade die Verknüpfung mo-dernisierungstheoretischer Zugänge mit der Frage nach der Organisation und den Lebenswelten der Sorge ermöglicht die Veränderungen von Sorgestrukturen im Prozess der Modernisierung, insbesondere in der ersten und zweiten beziehungsweise der reflexiven Moderne, genauer zu beschreiben. Care in feministischer Theorietradition Grundlegend ist der Begriff der Sorge in den letzten Jahren in der Genderforschung diskutiert worden. Dort wurde er mit einer Ethik der Sorge in Verbindung gebracht, die letztlich auf moralpsychologische und moral-philosophische Positionen im Anschluss an Gilligan und ihre These von den zwei Moralen, einer eher beziehungsorientierten femininen, und einer eher an abstrakten Gerechtigkeitsprinzipien ausgerichteten maskulinen, zurückgreift. Diese Perspektive versieht den Sorgebegriff einerseits mit einer ethischen Dimension und fundiert ihn andererseits in einer besonderen und wesentlich emotional gefärbten responsiven Beziehungskonstellation. Im Rahmen dieser ethics of care wird Sorge etwa mit Achtsamkeit, Kompetenz, kommunikativen Fähigkeiten, Vertrauen und Empathie in Verbindung gebracht. Aktuelle Ansätze beziehen sich auf Trontos Theorie von care, die sie in Abgrenzung sowohl zu Gilligan als auch zu Noddings entwickelte. Tronto entwirft eine konstruktivistische und relationale Perspektive, die Sorge aus der Gebundenheit an eine weibliche Psyche sowie aus der Unmittelbarkeit dyadischer Beziehungen löst. Theorien von care, wie sie im Anschluss an Tronto diskutiert werden, fußen auf einer relationalen Sozialtheorie: "[T]hose advocating the ethics of care usually see care, as they see persons, in relational rather than in individualistic terms". Dahinter steht eine grundlegende Kritik an Vorstellungen, gemäß denen es sich bei Gesellschaften zunächst um Aggregate autonomer Individuen handelt. Vor einem solchen handlungstheoretischen Hintergrund, so bemerkt Tronto kritisch, erscheine jede menschliche Bedürftigkeit und Verwiesenheit auf andere als Autonomieverlust, der die Sorgeempfänger in eine Situation struktureller Schwäche stelle. Im Gegensatz zu jener Konstruktion der Besonderung, die damit sorgenden Beziehungen tendenziell eingeschrieben ist, wird bei Tronto und an sie anschließend soziale Verwiesenheit und die Eingebundenheit in Sorgebeziehungen als Normalfall (zwischen-)menschlicher Existenz angesehen. Dies ist unmittelbar mit einer Sicht auf Subjektivierung und Subjektivierungsformen verbunden, die diese relational denkt und entfaltet. "Sorge" als pädagogischer Code Für eine stärkere Gewichtung des Begriffs der Sorge auch für pädagogische Kontexte plädiert Jürgen Zinnecker. Er sieht darin eine Chance in der deutschen erziehungswissenschaftlichen Tradition eingefahrene Sichtweisen zu überwinden, den Sorgebegriff als Alternative zu dem gleichermaßen individualistisch wie binär verengten Begriff des "pädagogischen Bezuges" von Herman Nohl zu fundieren und mit dem Sorgebegriff zugleich eine "konzeptionelle Modernisierung" der erziehungswissenschaftlichen Reflexion vorzunehmen: Der Sorgebegriff könne die überkommenen Leitbegriffe von "Bildung und/oder Erziehung" ersetzen, denn diese würden der "Diffundierung" des pädagogischen Feldes nicht mehr gerecht. "Pädagogik", so Zinnecker, "bezeichnet alle sorgenden Verhältnisse zwischen allen zu einer Zeit lebenden Generationen, seien diese nun dominant auf Bil-dung/Unterrichtung, Erziehung oder soziale Hilfe fokussiert". Damit ist Pädagogik über den Begriff der Sorge - der in Beziehungskonstellationen eingebettet ist - definiert. "Sorgende Verhältnisse" sind für Zinnecker der "übergeordnete Schlüssel", mit dem sich das heterogene Feld der Pädagogik erschließen lässt. Diese Definition bringt zugleich eine andere Konzeption des Generationenverhältnisses mit sich, die im dominanten pädagogischen Diskurs nach wie vor auf zwei Generationen, nämlich "Kinder" und "Erwachsene" reduziert wird. Damit ist sie jedoch unübersehbaren Modernisierungsprozessen im Generationenverhältnis - denken wir etwa an die "Vier-Generationen-Familie" - nicht mehr angemessen. Sorge nimmt "die Pluralität generationeller Verpflichtungen" auf und öffnet die "unidirektionale Richtung". Damit, so Zinnecker, werde eine Fiktion aufgelöst, die in der kanonisierten Tradition des pädagogischen Codes notorisch sei. Der Begriff der Sorge ermöglicht die komplexen Transfer- und Tauschbeziehen im Generationenverhältnis zu erfassen. Hier wird care nicht nur für die feministische Diskussion, sondern auch kindheitstheoretisch anschlussfähig, insofern sich die konkrete Gestaltung von Sorgeverhältnissen im Licht generationaler Ordnungen betrachten lässt. Ein theoretisch reflektierter Sorgebegriff, wie wir ihn hier vorschlagen wollen, bietet erstens Erklärungsansätze für die Kritik der Kindheitsforschung, gemäß der "Kinder als Objekte der Besorgnis" und Fürsorge als gefährdete und zugleich gefährliche care-receiver erscheinen mussten. Er kann zweitens einen Beitrag zur feministischen Kritik daran liefern, dass das Bereitstellen von Sorge in die Domäne weiblicher - und besonders mütterlicher - Fürsorgetätigkeit fiel. Historisch gesehen sind nämlich der kindheitstheoretische und der feministische Aspekt in der Herausbildung einer feminin konnotierten privat-reproduktiven und einer maskulin konnotierten öffentlich-produktiven Sphäre aneinander gekoppelt. Mit dieser Zweiteilung ging eine Abwertung von Aufgaben einher, die auf Sorge und Abhängigkeit gegründet sind, gegenüber denen, die auf Gestaltung und Autonomie zielen: "Care-giving and care-receiving are left to the less powerful". Die immer gegebene Sorge- und Hilfsbedürftigkeit von autonomen Subjekten (also Erwachsenen, Männern etc.) hingegen werde negiert und sozial verdeckt. Insofern kritisiert Tronto grundsätzlich, dass die Abhängigkeit von anderen mit einem Verlust an Autonomie gleichgesetzt werde. Dieses "Autonomieideal […], das die Dichotomie von Machthabern (Erwachsenen) und Machtlosen (Kindern) voraussetzt", kann also auf der Grundlage von Care-Theorien analysiert werden. Die spezifische Sorgebedürftigkeit der Kinder wird damit vom historischen Explanans zum Explanandum. Sie wird erklärungsbedürftig und ist damit analytisch an spezifische historische Konstellationen zurückzubinden. Dies geschieht hier auf der Grundlage einer Theorie, die Sorge universell als Bedingung sozialen Lebens entwirft. Daraus folgt, dass Sorgeverhältnisse als Ausgestaltung von Sorgebeziehungen Gegenstand der historischen Analyse sind: "The notion that ›mothering‹ is the paradigmatic act of caring, for example, is part of our cultural construction of adequate care". Sorge in diesem sozialhistorischen Definitionszusammenhang hat also eine sozialphilosophische Dimension, die auf der Relationalität und grundsätzlichen wechselseitigen Verwiesenheit menschlichen Daseins beruht. Die Care-Perspektive schließt Sorgestrukturen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich und deren subtiles Aufeinanderangewiesensein ein. Die Care-Perspektive fragt im Verständnis des Herausgeberteams entsprechend danach, wie care - entlang der Trennung von öffentlich und privat - in ihrer Komplexität sozialhistorisch hervorgebracht wird. Wie wird beispielsweise Sorgebedürftigkeit hergestellt, welche Funktion hat diese Be-dürftigkeit und welche Appell-Strukturen werden durch die jeweiligen Sorgediskurse erzeugt? Reflexivität von care-giving und care-taking Der Fokus auf die Sorge verspricht noch weiteren analytischen Mehrwert. Der (deutschsprachige) Begriff der Sorge zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in hohem Grad durch den Bezug auf die Sorgenden selbst erklärt. Diese Dimension kann beispielsweise von Martin Heideggers existenzialphilosophischer Deutung des Phänomens gefasst werden. Für ihn bedeutet Sorge die Grundstruktur allen Daseins. In ihr, so Heidegger, ruft das Gewissen der oder des Einzelnen sich selbst. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass sich ein dezentriertes Ich in reflexiver Art und Weise zu sich selbst als einem anderen verhält, denn die Sorge bezeichnet die grundsätzliche Art und Weise, in der sich der Einzelne immer schon in der Welt erfährt. Entsprechend weist Heidegger auch den Ausdruck "Selbstsorge", als tautologisch zurück. Dieser wird dann 1981/1982 prominent von Foucault in den Vorlesungen zur "Hermeneutik des Subjekts" entfaltet. Im Gegensatz zu Begriffen wie etwa "Erziehung" oder auch "Fürsorge" ist die "Sorge" also nicht nur unmittelbar, sondern zunächst nicht relational bezogen - denn das wird sie erst, wenn sie um eine Präposition ergänzt wird. Folglich wird auch eine "Geschichte der Sorge" immer auch eine "Geschichte der Sorgenden" sein müssen. Der Sorgebegriff schließt die Rückbezogenheit der Sorgenden auf sich selbst ein. Somit schließen sich Fragen nach sich wandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten, (Selbst-) Entwürfen, Begehrlichkeiten und Ängsten an, die den Diskursen und Arrangements zugrunde liegen, die mit der Sorge um die Kinder verknüpft sind. Zudem bringt diese Sichtweise Fragen nach der Sorge-Bedürftigkeit der Care-Gebenden oder auch nach dem spezifischen Begehren von Akteur-innen und Akteuren im pädagogischen Feld hervor. In diesem Zusammen-hang können auch Impulse aus aktuelleren Arbeiten aufgenommen werden, die etwa nach dem weiblichen Begehren in der Pädagogik und seinen Maskierungen fragen und so die Problematik von Motiven für pädago-gische Interventionen und Programme noch einmal anders beleuchten. Auch damit wird die oben genannte "unidirektionale" Einseitigkeit in der pädagogischen Konzeption des Generationenverhältnisses aufgelöst. Hier kann zudem mit einem Verständnis von Generationenbeziehungen angeschlossen werden, das die Ambivalenzen im Blick hat, einseitige Idealisierungen vermeidet und auch für die Reziprozität von Sorgebeziehungen sensibel ist.

Kindheiten in der Moderne. Eine Geschichte der Sorge Meike Sophia Baader/Florian Eßer/Wolfgang Schröer Dieser Überblick über moderne Kindheiten wird als Geschichte der Sorge erzählt. Damit wird einerseits an Diskussionen in der Frauen- und Geschlechterforschung um "Care" angeschlossen. Andererseits werden Perspektiven aufgenommen, wie sie in Bezug auf die wohlfahrts- und sozialstaatliche Entwicklung in den letzten Jahren diskutiert wurden. Grundsätzlich ermöglicht diese Fokussierung, eine geschlechterdifferenzierende Per-spektive im Umgang mit Kindern einzunehmen und nach den damit verbundenen Prozessen der Arbeitsteilung zu fragen. Zudem überschreitet die Frage nach der gesellschaftlichen Organisation der Sorge die in der deutschen Tradition verwurzelte Differenzierung zwischen einer weiblich konnotierten und im Privatraum situierten "Erziehung" sowie einer eher männlich konzipierten "Bildung", die im öffentlichen Raum angesiedelt ist. Beides ist wiederum eng verknüpft mit den institutionellen Zuordnungen von "Familie" und "Schule". Diese Trennung wird von jenem intermediären Status des Vorschulbereiches flankiert, wie er seit dem 19. Jahrhundert für die deutsche Erziehungs- und Bildungsgeschichte und, nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Bundesrepublik charakteristisch ist. Der Fokus "Sorge" eröffnet einen weiten Blickwinkel und bezieht Geschlechterverhältnisse, emotionale Ressourcen, Zeitressourcen, familien- und sozialpolitische sowie institutionelle und transnationale Perspektiven in die Hervorbringung der generationalen Sorgeordnungen ein. Dabei erscheint gerade auch angesichts des demographischen Wandels in vielen europäischen Ländern eine Zuspitzung auf ein binäres Generationenver-hältnis - wie sie in der deutschsprachigen bildungshistorischen Forschung lange Zeit vorherrschend war - für eine Geschichte der Kindheit nicht mehr hinreichend. Unter dem Aspekt der "Generationensorge" wird derzeit in den Sozialwissenschaften verstärkt die Sorge um Pflege im Alter, das heißt die Sorge um die ältere Generation sowie - eng damit verbunden - um das eigene zukünftige Alter beforscht. Gerade die Verknüpfung mo-dernisierungstheoretischer Zugänge mit der Frage nach der Organisation und den Lebenswelten der Sorge ermöglicht die Veränderungen von Sorgestrukturen im Prozess der Modernisierung, insbesondere in der ersten und zweiten beziehungsweise der reflexiven Moderne, genauer zu beschreiben. Care in feministischer Theorietradition Grundlegend ist der Begriff der Sorge in den letzten Jahren in der Genderforschung diskutiert worden. Dort wurde er mit einer Ethik der Sorge in Verbindung gebracht, die letztlich auf moralpsychologische und moral-philosophische Positionen im Anschluss an Gilligan und ihre These von den zwei Moralen, einer eher beziehungsorientierten femininen, und einer eher an abstrakten Gerechtigkeitsprinzipien ausgerichteten maskulinen, zurückgreift. Diese Perspektive versieht den Sorgebegriff einerseits mit einer ethischen Dimension und fundiert ihn andererseits in einer besonderen und wesentlich emotional gefärbten responsiven Beziehungskonstellation. Im Rahmen dieser ethics of care wird Sorge etwa mit Achtsamkeit, Kompetenz, kommunikativen Fähigkeiten, Vertrauen und Empathie in Verbindung gebracht. Aktuelle Ansätze beziehen sich auf Trontos Theorie von care, die sie in Abgrenzung sowohl zu Gilligan als auch zu Noddings entwickelte. Tronto entwirft eine konstruktivistische und relationale Perspektive, die Sorge aus der Gebundenheit an eine weibliche Psyche sowie aus der Unmittelbarkeit dyadischer Beziehungen löst. Theorien von care, wie sie im Anschluss an Tronto diskutiert werden, fußen auf einer relationalen Sozialtheorie: "[T]hose advocating the ethics of care usually see care, as they see persons, in relational rather than in individualistic terms". Dahinter steht eine grundlegende Kritik an Vorstellungen, gemäß denen es sich bei Gesellschaften zunächst um Aggregate autonomer Individuen handelt. Vor einem solchen handlungstheoretischen Hintergrund, so bemerkt Tronto kritisch, erscheine jede menschliche Bedürftigkeit und Verwiesenheit auf andere als Autonomieverlust, der die Sorgeempfänger in eine Situation struktureller Schwäche stelle. Im Gegensatz zu jener Konstruktion der Besonderung, die damit sorgenden Beziehungen tendenziell eingeschrieben ist, wird bei Tronto und an sie anschließend soziale Verwiesenheit und die Eingebundenheit in Sorgebeziehungen als Normalfall (zwischen-)menschlicher Existenz angesehen. Dies ist unmittelbar mit einer Sicht auf Subjektivierung und Subjektivierungsformen verbunden, die diese relational denkt und entfaltet. "Sorge" als pädagogischer Code Für eine stärkere Gewichtung des Begriffs der Sorge auch für pädagogische Kontexte plädiert Jürgen Zinnecker. Er sieht darin eine Chance in der deutschen erziehungswissenschaftlichen Tradition eingefahrene Sichtweisen zu überwinden, den Sorgebegriff als Alternative zu dem gleichermaßen individualistisch wie binär verengten Begriff des "pädagogischen Bezuges" von Herman Nohl zu fundieren und mit dem Sorgebegriff zugleich eine "konzeptionelle Modernisierung" der erziehungswissenschaftlichen Reflexion vorzunehmen: Der Sorgebegriff könne die überkommenen Leitbegriffe von "Bildung und/oder Erziehung" ersetzen, denn diese würden der "Diffundierung" des pädagogischen Feldes nicht mehr gerecht. "Pädagogik", so Zinnecker, "bezeichnet alle sorgenden Verhältnisse zwischen allen zu einer Zeit lebenden Generationen, seien diese nun dominant auf Bil-dung/Unterrichtung, Erziehung oder soziale Hilfe fokussiert". Damit ist Pädagogik über den Begriff der Sorge - der in Beziehungskonstellationen eingebettet ist - definiert. "Sorgende Verhältnisse" sind für Zinnecker der "übergeordnete Schlüssel", mit dem sich das heterogene Feld der Pädagogik erschließen lässt. Diese Definition bringt zugleich eine andere Konzeption des Generationenverhältnisses mit sich, die im dominanten pädagogischen Diskurs nach wie vor auf zwei Generationen, nämlich "Kinder" und "Erwachsene" reduziert wird. Damit ist sie jedoch unübersehbaren Modernisierungsprozessen im Generationenverhältnis - denken wir etwa an die "Vier-Generationen-Familie" - nicht mehr angemessen. Sorge nimmt "die Pluralität generationeller Verpflichtungen" auf und öffnet die "unidirektionale Richtung". Damit, so Zinnecker, werde eine Fiktion aufgelöst, die in der kanonisierten Tradition des pädagogischen Codes notorisch sei. Der Begriff der Sorge ermöglicht die komplexen Transfer- und Tauschbeziehen im Generationenverhältnis zu erfassen. Hier wird care nicht nur für die feministische Diskussion, sondern auch kindheitstheoretisch anschlussfähig, insofern sich die konkrete Gestaltung von Sorgeverhältnissen im Licht generationaler Ordnungen betrachten lässt. Ein theoretisch reflektierter Sorgebegriff, wie wir ihn hier vorschlagen wollen, bietet erstens Erklärungsansätze für die Kritik der Kindheitsforschung, gemäß der "Kinder als Objekte der Besorgnis" und Fürsorge als gefährdete und zugleich gefährliche care-receiver erscheinen mussten. Er kann zweitens einen Beitrag zur feministischen Kritik daran liefern, dass das Bereitstellen von Sorge in die Domäne weiblicher - und besonders mütterlicher - Fürsorgetätigkeit fiel. Historisch gesehen sind nämlich der kindheitstheoretische und der feministische Aspekt in der Herausbildung einer feminin konnotierten privat-reproduktiven und einer maskulin konnotierten öffentlich-produktiven Sphäre aneinander gekoppelt. Mit dieser Zweiteilung ging eine Abwertung von Aufgaben einher, die auf Sorge und Abhängigkeit gegründet sind, gegenüber denen, die auf Gestaltung und Autonomie zielen: "Care-giving and care-receiving are left to the less powerful". Die immer gegebene Sorge- und Hilfsbedürftigkeit von autonomen Subjekten (also Erwachsenen, Männern etc.) hingegen werde negiert und sozial verdeckt. Insofern kritisiert Tronto grundsätzlich, dass die Abhängigkeit von anderen mit einem Verlust an Autonomie gleichgesetzt werde. Dieses "Autonomieideal […], das die Dichotomie von Machthabern (Erwachsenen) und Machtlosen (Kindern) voraussetzt", kann also auf der Grundlage von Care-Theorien analysiert werden. Die spezifische Sorgebedürftigkeit der Kinder wird damit vom historischen Explanans zum Explanandum. Sie wird erklärungsbedürftig und ist damit analytisch an spezifische historische Konstellationen zurückzubinden. Dies geschieht hier auf der Grundlage einer Theorie, die Sorge universell als Bedingung sozialen Lebens entwirft. Daraus folgt, dass Sorgeverhältnisse als Ausgestaltung von Sorgebeziehungen Gegenstand der historischen Analyse sind: "The notion that ›mothering‹ is the paradigmatic act of caring, for example, is part of our cultural construction of adequate care". Sorge in diesem sozialhistorischen Definitionszusammenhang hat also eine sozialphilosophische Dimension, die auf der Relationalität und grundsätzlichen wechselseitigen Verwiesenheit menschlichen Daseins beruht. Die Care-Perspektive schließt Sorgestrukturen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich und deren subtiles Aufeinanderangewiesensein ein. Die Care-Perspektive fragt im Verständnis des Herausgeberteams entsprechend danach, wie care - entlang der Trennung von öffentlich und privat - in ihrer Komplexität sozialhistorisch hervorgebracht wird. Wie wird beispielsweise Sorgebedürftigkeit hergestellt, welche Funktion hat diese Be-dürftigkeit und welche Appell-Strukturen werden durch die jeweiligen Sorgediskurse erzeugt? Reflexivität von care-giving und care-taking Der Fokus auf die Sorge verspricht noch weiteren analytischen Mehrwert. Der (deutschsprachige) Begriff der Sorge zeichnet sich dadurch aus, dass er sich in hohem Grad durch den Bezug auf die Sorgenden selbst erklärt. Diese Dimension kann beispielsweise von Martin Heideggers existenzialphilosophischer Deutung des Phänomens gefasst werden. Für ihn bedeutet Sorge die Grundstruktur allen Daseins. In ihr, so Heidegger, ruft das Gewissen der oder des Einzelnen sich selbst. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass sich ein dezentriertes Ich in reflexiver Art und Weise zu sich selbst als einem anderen verhält, denn die Sorge bezeichnet die grundsätzliche Art und Weise, in der sich der Einzelne immer schon in der Welt erfährt. Entsprechend weist Heidegger auch den Ausdruck "Selbstsorge", als tautologisch zurück. Dieser wird dann 1981/1982 prominent von Foucault in den Vorlesungen zur "Hermeneutik des Subjekts" entfaltet. Im Gegensatz zu Begriffen wie etwa "Erziehung" oder auch "Fürsorge" ist die "Sorge" also nicht nur unmittelbar, sondern zunächst nicht relational bezogen - denn das wird sie erst, wenn sie um eine Präposition ergänzt wird. Folglich wird auch eine "Geschichte der Sorge" immer auch eine "Geschichte der Sorgenden" sein müssen. Der Sorgebegriff schließt die Rückbezogenheit der Sorgenden auf sich selbst ein. Somit schließen sich Fragen nach sich wandelnden gesellschaftlichen Gegebenheiten, (Selbst-) Entwürfen, Begehrlichkeiten und Ängsten an, die den Diskursen und Arrangements zugrunde liegen, die mit der Sorge um die Kinder verknüpft sind. Zudem bringt diese Sichtweise Fragen nach der Sorge-Bedürftigkeit der Care-Gebenden oder auch nach dem spezifischen Begehren von Akteur-innen und Akteuren im pädagogischen Feld hervor. In diesem Zusammen-hang können auch Impulse aus aktuelleren Arbeiten aufgenommen werden, die etwa nach dem weiblichen Begehren in der Pädagogik und seinen Maskierungen fragen und so die Problematik von Motiven für pädago-gische Interventionen und Programme noch einmal anders beleuchten. Auch damit wird die oben genannte "unidirektionale" Einseitigkeit in der pädagogischen Konzeption des Generationenverhältnisses aufgelöst. Hier kann zudem mit einem Verständnis von Generationenbeziehungen angeschlossen werden, das die Ambivalenzen im Blick hat, einseitige Idealisierungen vermeidet und auch für die Reziprozität von Sorgebeziehungen sensibel ist.

Erscheint lt. Verlag 18.6.2014
Co-Autor Sabine Andresen, Meike S. Baader, Doris Bühler-Niederberger, Florian Eßer, Håkan Forsell, Harry Hendrick, Nicole Himmelbach, Wiebke Hiemesch, Michael-Sebastian Honig, Juliane Jacobi, Franz-Michael Konrad, Till Kössler, Johanna Mierendorff, Ilona Ostner, Pia Schmid, Wolfgang Schröer, Volker Schubert, Heinz Sünker
Zusatzinfo 10 Abbildungen
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 213 mm
Gewicht 725 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Sozialwissenschaften Pädagogik Allgemeines / Lexika
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19.Jahrhundert • 20.Jahrhundert • Bildung • Bundesrepublik Deutschland • DDR • Die Moderne • Erziehung • Frühe Neuzeit • Generation • Holocaust • Kinder • Kindheit • Moderne • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Pädagogik • Sorge • Sorgen
ISBN-10 3-593-50079-5 / 3593500795
ISBN-13 978-3-593-50079-9 / 9783593500799
Zustand Neuware
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5 Buchhändler-Bewertung

von (Buchhändler, Lehmanns Media Web-Redaktion), am 28.07.2014


Steffen Ille
Buchhändler
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Dieser Sammelband vermag mit seinem weiten Blickwinkel die
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