Der bewohnte Mensch (eBook)

Darm, Haut, Psyche - Besser leben mit Mikroben
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2014 | 1. Auflage
336 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-13422-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der bewohnte Mensch -  Sebastian Jutzi
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100 Billionen Mikroorganismen leben auf und in uns - und das ist gut so. Ohne Bakterien, Pilze und sogar Viren könnte der Mensch nicht überleben. Sie schützen uns vor Krankheiten, trainieren unser Immunsystem und unterstützen uns bei der Verdauung. Die kleinen Helfer können aber noch viel mehr: Sie manipulieren unsere Psyche, komponieren unseren Körpergeruch und machen uns erst zu dem, was wir eigentlich sind. Spannend, unterhaltsam und wissenswert - eine packende Entdeckungsreise zu den kleinsten Lebewesen, die uns bewohnen.

Sebastian Jutzi, 1967 in Bad Kreuznach geboren, studierte nach Abitur sowie Grundwehr- und Zivildienst Biologie an der Universität des Saarlands und Journalistik an der Universität Hohenheim. Als Redakteur arbeitete er unter anderem für die Zeitschrift bild der wissenschaft und für das ZDF. Seit 2001 schreibt der Wissenschaftsjournalist für das Nachrichtenmagazin Focus über Themen aus Biologie, Umwelt, Medizin, Internet und Technik. Die Menschen und die Natur Afrikas sind seine große Leidenschaft. Auf zahlreichen Reisen hat er den Kontinent südlich der Sahara intensiv erkundet.

Winzig, aber enorm wichtig

Im Jahr 1673 ereignete sich in der 15 000 Seelen zählenden niederländischen Stadt Delft Erstaunliches. Der Amateurforscher Antoni van Leeuwenhoek betrachtete durch eines seiner Mikroskope Wassertropfen, die von einem nahe der Stadt liegenden See stammten. Er sah zu seiner Verwunderung ein wimmelndes Heer kleinster Lebewesen. Er nannte sie in Ermangelung eines besseren Begriffs Animalcules, lateinisch für Tierchen. Tatsächlich hatte er Bakterien und andere Mikroorganismen beobachtet. Ähnliche Animalcules fand er später im Belag seiner Zähne.

Zwar erregte Leeuwenhoek bereits zu Lebzeiten Aufsehen und wurde sogar von zahlreichen Herrschern besucht, die auch einmal einen Blick in die Welt des Kleinsten werfen wollten. Seine Vorführungen hatten dabei aber eher den Rang einer Zirkusdarbietung als wirklichen wissenschaftlichen Wert. Erst viel später, mit der Entwicklung der Mikrobiologie als Wissenschaft im 19. Jahrhundert, trat die wahre Bedeutung der Mikroorganismen für das Leben und die Erde zutage.

Die Welt der kleinsten Lebewesen bietet faszinierende Perspektiven. Mit ihnen begann vor mehr als dreieinhalb Milliarden Jahren das Leben auf der Erde – und, so viel steht fest, es wird auf unserem Planeten dereinst mit ihnen enden, voraussichtlich in noch einmal etwa dreieinhalb Milliarden Jahren. Bakterien oder andere Mikroorganismen werden dann die letzten Lebewesen sein, die unseren Globus bevölkern, bevor er in der sich ausdehnenden Sonne untergeht.

Die Einzeller, die, wie ihr Name bereits verrät, als einzelne Zellen und nicht als vielzelliger Organismus ihr Leben fristen, sind im Vergleich zu den mehrzelligen Pflanzen und Tieren harte Kerle. Als sogenannte Extremophile leben sie auch heute noch an Orten, an denen kein anderes Lebewesen, geschweige denn der Mensch, existieren könnte. In heißen Quellen von mehr als 120 Grad Celsius fühlen sich manche pudelwohl. Andere leben munter bei dauerhafter Kälte von minus 20 Grad Celsius und mehr. Wieder andere haben sich an eine besonders saure, basische oder trockene Umgebung angepasst. Manche überstehen sogar einen Atomunfall wie in Tschernobyl oder Fukushima, weil sie besonders resistent gegen nukleare Strahlung sind. Andere Spezialisten gedeihen inmitten starker Gifte. Sogar mehr als zweieinhalb Kilometer tief in der Erdkruste findet man Spezialisten, die sich von Gestein ernähren.

Bei dieser enormen Bandbreite an unterschiedlichen Lebensstilen wundert es nicht, dass Mikroorganismen nicht nur den Planeten als Wohnort nutzen, sondern auch dessen Bewohner. Pflanzen und Tiere bieten mannigfaltige Lebensräume für eine Vielzahl an Mikroben – der Mensch macht da keine Ausnahme. So leben Tiere seit mindestens einer Milliarde Jahre eng mit Mikroorganismen zusammen. Das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit aller ein Lebewesen bewohnenden Mikroorganismen, ist somit keineswegs eine neue Erfindung der Evolution, sondern steht ganz am Anfang der Entwicklung tierischen Lebens.

Zählt man die Zellen, aus denen ein menschlicher Körper besteht, und anschließend seine Mikroben, so stellt man erstaunt fest: Wir sind mehr Bazille als Mensch – denn 1013 Zellen setzen Homo sapiens zusammen. Das sind zehn Billionen Zellen. Aus zehnmal mehr Zellen besteht dagegen das Mikrobiom – also 100 Billionen Zellen. Würde man dieses Zahlenverhältnis auf unseren Körper übertragen und dessen gesamte Zellzahl entspräche der Zahl aller Zellen, sowohl der Körperzellen als auch der der Mikroorganismen unseres Körpers, dann entspräche die Zahl der menschlichen Körperzellen in etwa der eines Unterschenkels samt Fuß. Das Mikrobiom müsste man mit dem Rest des Körpers gleichsetzen. Insofern stellt der deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht in einem seiner Buchtitel vollkommen zu Recht die Frage: »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?«

Vom Kopf bis zu den Füßen bietet der Mensch vielfältige Nischen für die Winzlinge, die so bedeutend sind, dass das renommierte Wissenschaftsmagazin Science das Mikrobiom und seine Auswirkungen auf den Menschen zu einer der zehn wichtigsten Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts kürte. Gerade erst beginnen Forscher mit der Erkundung der geheimen Welt auf und in uns, ohne die es kein menschliches Leben geben würde. Die Verbindung zwischen dem Menschen und seinen Mikroorganismen ist so eng, dass manche Forscher dem Mikrobiom den Status eines weiteren Organs zubilligen wollen und es gleichberechtigt neben Herz, Leber, Nieren, Haut oder Blut stellen. Das Gewicht dafür hätte es jedenfalls, summiert sich die Gesamtheit aller kaum ein Nanogramm, also ein Milliardstelgramm, wiegenden Einzeller jedes Menschen immerhin auf ein bis zwei Kilogramm.

Unser Körper bietet Platz für zahlreiche Untermieter. Mehr als 10 000 Arten wurden bislang gezählt. Allein der Darm ist mit etwa 8000 verschiedenen Mikroorganismenarten einer der am dichtesten besiedelten Lebensräume der Erde überhaupt. Die Mikroben unserer Darmflora besitzen insgesamt etwa 3,3 Millionen Gene. Der Mensch selbst nennt dagegen nur schätzungsweise 20 000 bis 25 000 Gene sein Eigen.

Angesichts dieser überwältigenden Zahlen verwundert es nicht, dass Mikroorganismen nicht nur seit Jahrmillionen die Evolution prägen, sondern auch den Menschen und seine biologische Entwicklung. Doch im Verhältnis Mensch zu Mikrobe kündigt sich eine Zeitenwende an. Denn vielleicht wird es bald möglich sein, nicht nur die Mikroorganismen in unserer Umwelt, sondern auch diejenigen auf und in unserem Körper gezielt zu beeinflussen.

Seit Jahrtausenden nutzten wir Mikroorganismen gezielt für unsere Zwecke, vor allem bei der Nahrungsmittelproduktion. Bier, Brot und Joghurt sind drei populäre Beispiele. Seit einigen Jahrzehnten helfen Mikroben dem Menschen bei der industriellen Herstellung von Medikamenten. Nun beginnen Forscher, die Gemeinschaft der Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, zu entdecken – unter anderem mit dem sogenannten Human Microbiome Project. Sein Ziel ist die Kartierung aller Lebensräume im menschlichen Organismus und die Identifizierung aller Bewohner. Die dahinterstehende Hoffnung ist, dass wir mit einer besseren Kenntnis unseres Mikrobioms besser leben können. Erste Erfolge wurden bereits erzielt.

Bislang haben Forscher nur einen Bruchteil der Mikroben identifiziert, die auf und in uns existieren. Doch schon aus diesen Untersuchungen ergibt sich eine vage Landkarte der Bereiche, wo es von Leben nur so wimmelt. Andere gestalten sich eher öde. Bakterien bevorzugen vor allem den Darm, die Haut oder die Mundhöhle als Wohnort. Dort fristen etwa drei Viertel aller Einzeller ihr Dasein, die man bislang im menschlichen Mikrobiom identifiziert hat. Aber auch in den Atemwegen, im Urogenitaltrakt oder sogar im Blut lassen sich die Winzlinge nachweisen (siehe auch Tabelle 2).

Um die Welt der Mikroorganismen zu begreifen und diese nutzen zu können, muss man zunächst verstehen, mit wem man es überhaupt zu tun hat. Die kleinsten Lebewesen lassen sich verschiedenen Kategorien zuordnen. Die gröbste Einteilung sortiert die Mikroben in eine von drei Gruppen, die sogenannten Prokaryoten, die Eukaryoten und die Viren.

Zunächst sind da also die Lebewesen, deren Erbgut nicht in einem vom Rest der Zelle abgetrennten Zellkern liegt, die sogenannten Prokaryoten. Diese Bezeichnung leitet sich von den altgriechischen Wörtern »karyotos« für »nussartig« und »pro« für »zuvor« ab. Mit »nussartig« ist der entfernt an eine Walnuss erinnernde Zellkern gemeint.

Prokaryoten besitzen keinen Zellkern und stehen damit für das Stadium der Evolution, in dem die Natur diesen Teil einer lebenden Zelle noch nicht erfunden hatte. Hierzu zählen beispielsweise Bakterien oder noch urtümlichere Einzeller, die sogenannten Archaeen. Letztere gelten quasi als Urbakterien, die wohl ganz am Anfang des Lebens entstanden. Unter ihnen befinden sich viele der schon erwähnten Extremophile, die beispielsweise in heißen Quellen leben. Einige von ihnen bevölkern auch den Menschen.

In Bakterien und Archaeen steckt enormes Potenzial, vor allem wenn man ihre Vermehrungsfähigkeit betrachtet. Die einzelligen Bakterien pflanzen sich in der Regel fort, indem ihre Zelle zunächst wächst und sich dann in zwei neue Zellen teilt. Bei dem weitverbreiteten Darmbakterium Escherichia coli geht man davon aus, dass es sich alle 20 Minuten in dieser Weise teilt – zumindest wenn es in einer idealen Umgebung lebt. Bei einer Anfangszelle hat man dann also nach 20 Minuten zwei. Teilen sich diese auch jeweils nach 20 Minuten, hat man nach 40 Minuten bereits vier und nach 60 Minuten acht Zellen. Man nennt dieses Wachstum auch exponentielles Wachstum. Auch wenn diese Bezeichnung zunächst nur wissenschaftlich klingt, steckt in ihr eine beinahe beängstigende Sprengkraft.

Abbildung 1: Ein Prokaryot. Typisch für diese Lebensform ist, dass ihr Erbgut frei in der Zelle liegt und nicht von einem Zellkern umhüllt ist.

Dies verdeutlicht am besten eine Legende aus dem Orient. Dieser zufolge gewährte ein König dem Erfinder des Schachspiels einen freien Wunsch. Der Untertan zögerte keine Sekunde und wünschte sich, dass der Herrscher auf alle Felder des Schachbretts Weizenkörner legen sollte, und zwar nach folgender Regel: Auf das erste Feld sollte er ein einziges Korn legen, auf das zweite zwei Körner, auf das dritte vier, auf das vierte acht und so weiter. Die Zahl der Körner sollte sich von Feld zu Feld verdoppeln – also exponentiell ansteigen, so wie wir das auch von der...

Erscheint lt. Verlag 9.6.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Antibiotika • Darm • Darmbakterien • eBooks • Focus Gesundheit • Gesundheit • Immunsystem • Medizin • Mikrobiologie • Mikrobiom • Mikrobiom, Probiotics, populäre Wissenschaft, Mikroorganismen, Darmbakterien, Immunsystem, Antibiotika, Focus Gesundheit, Verdauung • populäre Wissenschaft • Probiotics • Verdauung • Virologie
ISBN-10 3-641-13422-6 / 3641134226
ISBN-13 978-3-641-13422-8 / 9783641134228
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