Austerität (eBook)

Politik der Sparsamkeit: Die kurze Geschichte eines großen Fehlers
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2014 | 1. Auflage
256 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-14074-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Austerität -  Florian Schui
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Wie die Enthaltsamkeit in die Wirtschaftspolitik kam und warum sie immer scheitern wird.
In Zeiten der Krise tritt - verlässlich, unvermeidlich, 'alternativlos' - die Politik der Sparsamkeit auf den Plan: Was könnte tugendhafter sein, als sündhafter Verschuldung mit Verzicht und Enthaltsamkeit zu begegnen? Auch heute steht Austerität wieder im Zentrum öffentlicher Debatten. Ihre Verfechter preisen sie als Fundament für künftiges Wachstum und die Rückkehr zur Stabilität. Ihre Kritiker warnen vor Abschwung und sozialer Ungerechtigkeit. Florian Schui betrachtet unsere heutige Diskussion im Kontext der jahrhundertealten Ideengeschichte der Austerität - einer Idee, die sich in der Wirtschaftspolitik hartnäckig hält, obwohl sie sich für die Bewältigung von Wirtschaftskrisen Mal um Mal als großer Fehler erwiesen hat.

Der Wirtschaftshistoriker Florian Schui legt eine prägnante Analyse vor, die belegt: Ein enthaltsamer Staat mag zwar die Moral auf seiner Seite haben, nicht aber die wirtschaftliche Vernunft. Ein wichtiger Beitrag zu der Debatte, die Europa zu spalten droht.

Florian Schui, geboren 1973, lehrte und forschte an zahlreichen Instituten, darunter die University of Cambridge und die University of London, über die Geschichte ökonomischer und politischer Ideen und die Wirtschaftsgeschichte Europas. Er veröffentlichte bereits vielbeachtete Bücher, u.a. über das Preußische Bürgertum unter Friedrich II. und den Diskurs über Industrialisierung zu Voltaires Zeiten. Heute ist Schui an der Universität St. Gallen tätig.

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Austeritätspolitik ist ökonomisch gescheitert: Die Staatsschulden sind kaum gesunken und das Wachstum ist weiterhin schwach. Warum wird die Sparpolitik trotzdem mit breiter Unterstützung von Politikern, Ökonomen und großen Teilen der Öffentlichkeit fortgesetzt? Das ist die Frage, die dieses Buch zu beantworten versucht.

Viele deutsche Leser werden über die negative Einschätzung der Austeritätspolitik, die diesem Buch zugrunde liegt, die Stirn runzeln: Ist Deutschland denn nicht das beste Beispiel dafür, dass Sparpolitik funktioniert? Hat das Austeritätspaket, das sich Deutschland mit der Agenda 2010 und der Schuldenbremse verordnet hat, nicht gerade dazu geführt, dass das Land heute besser dasteht als die meisten anderen?

Es hat in der Tat einen »deutschen Sonderweg« durch die Krise gegeben. Der hat aber wenig mit der Sparpolitik zu tun und war auch weitaus weniger erfolgreich als häufig angenommen. Die bessere wirtschaftliche Lage Deutschlands basiert zum großen Teil auf starken Exporten. Etwa die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) besteht heute aus Waren und Dienstleistungen, die exportiert werden. Exporte spielten schon früher eine bedeutende Rolle. Aber ein erneuter Anstieg ab 2009 hat wesentlich dazu beigetragen, die Folgen der Finanzkrise abzumildern. Diese Tatsache ist unstrittig. Fraglich ist aber, ob die Agenda- und Sparpolitik der Vergangenheit der Grund für die heutigen Erfolge der Exportwirtschaft sind.

Die Reallöhne in Deutschland sind im Zeitraum von 2000 bis 2008 leicht gesunken, was dazu beigetragen hat, der deutschen Wirtschaft einen Kostenvorteil zu sichern. Das war teilweise ein Ergebnis der Agendareformen: Die Kürzungen der Renten- und Sozialversicherung haben dazu geführt, dass mehr Arbeitnehmer dem Arbeitsmarkt auch zu unattraktiven Konditionen zur Verfügung standen. Gleichzeitig verschlechterte sich die Verhandlungsposition der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen, weil Arbeitnehmer mit schwindender sozialer Absicherung weniger konfliktbereit waren. Diese Entwicklung wurde jedoch auch durch langfristige Entwicklungen verstärkt, die nichts mit der Agenda 2010 zu tun hatten. Besonders sinkende Mitgliederzahlen der Gewerkschaften trugen zur schwachen Lohnentwicklung bei.

Die Senkung der Lohnkosten, so argumentieren die Verteidiger der Sparpolitik, hat die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig gemacht und die Grundlage für die heutigen Exportüberschüsse gelegt. Ein Blick auf Geschichte und Struktur der deutschen Exporte lässt jedoch Zweifel an diesem Argument aufkommen. So stiegen die deutschen Exporte schon vor der Einführung der Agenda in den 1990er-Jahren deutlich an. Außerdem erzielt Deutschland heute deutliche Exportüberschüsse auch gegenüber Ländern wie der Türkei, die weitaus niedrigere Lohnkosten haben. Die deutschen Exportüberschüsse sind auch höher als die von Niedriglohnländern wie China. Darüber hinaus spielen hochwertige Produkte unter den deutschen Exporten eine große Rolle. Zusammen legen diese Beobachtungen die Vermutung nahe, dass deutsche Produkte sich international nicht deswegen gut verkaufen, weil sie billig sind, sondern weil sie qualitativ hochwertig und technisch innovativ sind. Der Umfang der Exporte hängt damit weniger von ihrem Preis ab als vielmehr von der Nachfrage in den Exportländern. Der Boom der Schwellenländer hat die Nachfrage nach deutschen Produkten in den letzten Jahren erhöht, nicht die Lohnzurückhaltung der deutschen Arbeitnehmer.

Ein positiver Effekt des kollektiv verordneten Konsumverzichts auf die deutschen Exporte ist fragwürdig. Dafür sind negative Auswirkungen auf den heimischen Markt sicher. Die schwache Lohnentwicklung zusammen mit den staatlichen Sparmaßnahmen hat der Nachfrage nach deutschen Produkten in Deutschland geschadet. Der deutschen Wirtschaft ist es gelungen, trotzdem zu wachsen, indem sie sich auf Exporte verlegt hat. Langfristig ist das jedoch eine risikoreiche Strategie, weil das deutsche Wachstum dadurch sehr stark von der wirtschaftlichen Entwicklung in den Exportmärkten abhängt.

Darüber hinaus braucht Deutschland eine stärkere Binnennachfrage, um über das spärliche Wachstum der letzten Jahre hinauszukommen. Denn die ökonomische Entwicklung der letzten Jahre kann nur deswegen als Erfolg gewertet werden, weil es anderen Ländern heute viel schlechter geht. Gemessen an den Boomphasen der Vergangenheit ist die Leistung der deutschen Wirtschaft schwach: In den 1960er- und 1970er-Jahren wuchs die westdeutsche Wirtschaft im Durchschnitt zwischen 2,5 und 3 Prozent. In den Jahren 2000 bis 2010 lag der Durchschnitt bei 1 Prozent und 2012 und 2013 waren es 0,7 und 0,4 Prozent. Dass Deutschland heute weit unter seinem wirtschaftlichen Potenzial bleibt, liegt vor allem an der Sparpolitik.

Die deutsche Austeritätspolitik der letzten 20 Jahre hat jedoch nicht nur der ökonomischen Entwicklung Deutschlands geschadet, sondern auch erheblich zur Eurokrise beigetragen. Denn die schwache Lohnentwicklung und der staatliche Sparkurs in Deutschland haben die Importe aus EU-Staaten geschwächt. Viele deutsche Unternehmen kamen gut durch die Krise, weil sie die sinkende heimische Nachfrage durch vermehrten Absatz im Ausland ausgleichen konnten. Der deutsche Markt spielte wegen der Sparpolitik keine vergleichbare Rolle für Unternehmen im europäischen Ausland.

Die schwachen Importe trugen auch zur Erhöhung der Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands gegenüber anderen Eurostaaten bei. Die Folge waren deutsche Kapitalexporte in die späteren Krisenstaaten, die dort zu einer Überhitzung der Konjunktur führten. Kredite wurden zu großzügig vergeben und Löhne stiegen deutlich schneller als in Deutschland. Diese unterschiedlichen Entwicklungen haben in der Vergangenheit die Grundlagen für die Eurokrise gelegt. Die deutsche Sparpolitik war nicht der einzige Grund für dieses Auseinanderdriften. Sie war jedoch ein wichtiger Teil dieser Fehlentwicklung, die noch heute das Fortbestehen des Euro bedroht.

Die deutsche Sparpolitik hat aber nicht nur ökonomischen Schaden angerichtet. Die sozialen Folgen waren ebenfalls negativ. Der Lebensstandard vieler Deutscher ist in den letzten Jahren gesunken. Darunter sind nicht nur Arbeitslose und andere Empfänger von Sozialleistungen, deren Lage durch die Agendareformen verschlechtert wurde. Die schwache Lohnentwicklung hat auch dazu geführt, dass viele Deutsche, die Arbeit haben, geringere Lebensstandards hinnehmen müssen. Besonders gravierend ist dabei die rapide Vergrößerung des Niedriglohnsektors. In der Vergangenheit spielten solche Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland kaum eine Rolle. 1996 waren es bereits 15,6 Prozent der Beschäftigten und 2010 mussten 21,2 Prozent der Beschäftigten mit solchen Kleinstgehältern auskommen, die häufig nicht ausreichen, um die Grundbedürfnisse zu decken.

Darüber hinaus haben die Kürzungen der öffentlichen Haushalte auch den kollektiven Konsum der Deutschen eingeschränkt: Die Qualität öffentlicher Dienstleistungen sinkt kontinuierlich. Dabei geht es nicht nur um öffentliche Schwimmbäder, die die Wassertemperatur senken, oder Bibliotheken, die Öffnungszeiten kürzen. Auch in Kernbereichen spart sich Deutschland tot: Deutsche Schulen und Universitäten bewegen sich langsam, aber stetig ins internationale Mittelmaß, und die Infrastruktur für Verkehr, Internet und Energie muss dringend verbessert werden.

Schwaches Wachstum, Eurokrise, sinkende Lebensstandards: Die Politik der Sparsamkeit war in Deutschland ebenso wenig erfolgreich wie anderswo. Dennoch ist sie in Deutschland deutlich populärer als in anderen Ländern. Auch in den Krisenländern gibt es starke öffentliche Unterstützung für die Sparpolitik. In keinem der Krisenländer konnten bisher Austeritätsgegner Wahlen gewinnen. Aber in der deutschen Öffentlichkeit ist die Unterstützung für die Sparpolitik besonders weit verbreitet und tief verwurzelt.

Die historischen Debatten, die in diesem Buch behandelt werden, haben die Einstellung zur Austeritätspolitik in Deutschland genauso beeinflusst, wie sie es in anderen Teilen der westlichen Welt getan haben. Es gibt aber auch einige spezielle Gegebenheiten, die die besonders starke Zustimmung in Deutschland erklären. Ein entscheidender Faktor hat damit zu tun, dass kritische Reflektion in der Regel das Ergebnis von Scheitern ist. Das ist in der Wirtschaftspolitik nicht anders als in anderen Politikbereichen. Die vergleichsweise positive ökonomische Entwicklung in Deutschland hat daher sedierend auf die öffentliche Debatte über die Sparpolitik gewirkt. Die negativen Folgen sind in anderen Ländern deutlicher sichtbar und kritische Fragen entsprechend lauter.

Eine wichtige Rolle spielt aber auch die nationale Selbstwahrnehmung vieler Deutscher. Das 1990 entstandene vereinigte Deutschland hat im Wesentlichen die Institutionen und das nationale Selbstverständnis Westdeutschlands übernommen. Die Konstruktion der westdeutschen nationalen Identität in der Nachkriegszeit war jedoch eng mit spezifischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen verbunden, die in der Aufbauphase traditionelle Formen nationaler Symbolik ersetzt hatten. Das war notwendig, weil der westdeutsche Nachkriegsnationalismus nicht auf die üblichen Requisiten des Nationalismus zurückgreifen konnte....

Erscheint lt. Verlag 6.10.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Austerity - The Great Failure
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Wirtschaft
Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
Schlagworte eBooks • Europapolitik • EZB • Finanzkrise • Finanzkrise, Europapolitik, Schuldenkrise, EZB • Schuldenkrise • Wirtschaft
ISBN-10 3-641-14074-9 / 3641140749
ISBN-13 978-3-641-14074-8 / 9783641140748
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