Medizinische Literaturrecherche für Anfänger

Unsere Autorin

Christina Czeschik
Dr. Christina Czeschik
Ärztin und Autorin für
Medizinische Informatik
Eine gekonnte Literaturrecherche ist eines der wichtigsten Werkzeuge für Erfolg in Studium und Klinik: Zum einen ist ein fundierter Überblick über die relevante Literatur ein unverzichtbarer Bestandteil jeder wissenschaftlichen Arbeit, und zum anderen hängen im Berufsleben nicht selten sogar Menschenleben davon ab, ob es Ihnen gelingt, die für den jeweiligen Patientenfall beste Evidenz in der Literatur ausfindig zu machen.

Doch wie verschafft man sich Durchblick im Dschungel der wissenschaftlichen Literatur? Schon einige wenige Tipps geben Ihnen Orientierung.

Datenbanken auswählen

Datenbanken auswählen Entscheiden Sie sich zunächst, in welchen Datenbanken Sie suchen wollen. In der Medizin und den verwandten Biowissenschaften (Life Sciences) führt kein Weg an PubMed vorbei. Mit Hilfe dieser Suchmaschine werden die Literaturdatenbank MEDLINE sowie einige kleinere Informationsdatenbanken durchsucht.

Wenn Sie Ihre Literaturrecherche besonders ausführlich gestalten wollen, können Sie noch EMBASE hinzuziehen - hier sind zum Teil Werke indexiert, die man über PubMed nicht findet. Die Nutzung ist jedoch im Gegensatz zur PubMed-Nutzung kostenpflichtig, wenn Sie keinen Zugang über Ihre Universität erhalten.

Empfehlenswert ist außerdem die Cochrane Library: Hier sind insbesondere sogenannte systematische Reviews gesammelt, die unter allen Arten der wissenschaftlichen Literatur den höchsten Evidenzgrad haben. Wenn Ihre Universität oder Ärztekammer jedoch keinen kostenfreien Zugang anbietet, greifen Sie einfach wieder auf PubMed zurück - alle Inhalte der Cochrane Library sind auch dort gelistet.

Wenn Sie eine ganz spezielle Publikation suchen, die Sie in den anderen Suchmaschinen nicht finden - weil sie beispielsweise sehr alt ist oder nur als Doktorarbeit veröffentlicht wurde - lohnt sich immer auch ein Blick in die kostenfreie Literatursuchmaschine von Google namens Google Scholar. Die Inhalte sind nicht auf die Biowissenschaften begrenzt, sondern umfassen alle denkbaren Fachgebiete. Dafür findet man gelegentlich leider auch Treffer, die den Ansprüchen wissenschaftlicher Seriosität nicht so ganz genügen.

Das Ziel der Recherche festlegen

Werden Sie sich über das Ziel Ihrer Recherche klar. Möchten Sie einen groben Überblick oder haben Sie eine konkrete, patientenrelevante Fragestellung vor Augen?

Wenn Sie sich lediglich einen Überblick über ein Thema verschaffen wollen, ist eine Suche in den oben genannten Datenbanken nach einzelnen Stichworten oder einer Kombination aus Stichworten häufig schon erfolgreich.
Hier können Sie so vorgehen, wie Sie es von Google gewohnt sind: Wenn Sie beispielsweise die neueste Literatur zum Thema Antibiotikaresistenz bei Tuberkulose nachlesen wollen, wären eine gute Suchanfrage drug resistance mycobacterium. Oder, wenn Sie sich spezifischer über multiple Resistenzen informieren wollen: multi-drug resistance mycobacterium - oder auch, wenn es Ihnen speziell um ein Präparat geht: rifampicin resistance mycobacterium.

Bei solchen simplen Suchanfragen ist die Reihenfolge der Stichwörter meist austauschbar. Wenn Sie PubMed verwenden, kann die Suchmaschine jedoch häufig einzelne Phrasen wiedererkennen, wenn Sie sie in der richtigen Reihenfolge verwenden, und sucht automatisch auch nach Synonymen - mehr dazu in unserem Buch »Literaturrecherche mit PubMed«.

In vielen Fällen ist das Ziel einer wissenschaftlichen Literaturrecherche aber konkreter: Man möchte wissen, was die Studienlage über die Wirksamkeit einer bestimmten Therapie bei einer bestimmten Patientengruppe verrät. In diesen Fällen kann man systematisch mit Hilfe einer sogenannten PICO-Strategie vorgehen.

Suchstrategie PICO

Das Akronym PICO steht für ...
  • P - Patient oder Population
  • I - Intervention
  • C - Comparison (andere Intervention, die mit der vorigen verglichen werden soll)
  • O - Outcome (Ergebnis)
Ein Beispiel: Ein 40-jähriger, männlicher Patient ohne weitere Vorerkrankungen kommt in Ihre Praxis und berichtet, er habe einen Chiropratiker aufgesucht, um seine Migräne behandeln zu lassen. Die Häufigkeit seiner Anfälle habe tatsächlich nachgelassen. Sie fragen sich: Ist die Therapie wirklich wirksam - sollten Sie sie also auch Ihren anderen, vergleichbaren Migränepatienten empfehlen?

Die Patientenpopulation sind in diesem Fall zunächst ansonsten gesunde Männer mittleren Alters, die die Anfallsfrequenz ihrer Migräne reduzieren möchten (nicht solche, die Hilfe während eines akuten Anfalls suchen). Im weiteren Verlauf der Recherche möchten Sie die Patientengruppe vielleicht ausdehnen, um herauszufinden, ob die Ergebnisse auch für Frauen, jüngere oder ältere Patienten zutreffend sind.

Die Intervention ist die konkrete Therapie, um die es geht - beispielsweise chiropraktisches Einrichten der Wirbelsäule.

Die Vergleichsintervention (Comparison) erfordert nun eine Entscheidung Ihrerseits: Möchten Sie wissen, ob Chiropraktik überhaupt eine Wirkung hat, die über den Placebo-Effekt hinausgeht? Dann ist der Vergleich keine Intervention beziehungsweise Placebo. Wenn Sie dagegen wissen möchten, ob Chiropraktik eine bessere Intervention ist als beispielsweise die Gabe von Betablockern zur Prophylaxe, dann ist Betablocker-Therapie der Vergleich.

Das Outcome sollte schließlich die Veränderung der Anfallsfrequenz der Migräne sein, denn das ist für den Patienten relevant. In manchen Studien werden lediglich Laborwerte als Outcome gewählt. Das ist zwar ebenfalls akzeptabel, aber Outcomes, die für den Patienten direkt spürbar sind, sollten stets vorgezogen werden: Eine Verringerung der Anzahl von Schlaganfällen in einer Population ist mehr wert als die messbare Senkung des LDL-Spiegels.

Sie können die so definierten Stichwörter nun einfach bei PubMed eingeben. Für das obige Beispiel etwa: male middle-aged patient migraine spinal manipulation placebo frequency. PubMed bietet aber zahlreiche Möglichkeiten, um die Suche noch weiter zu verfeinern (siehe »Literaturrecherche mit PubMed«) - und mittlerweile gibt es sogar ein Tool, in das Sie die einzelnen Bestandteile von PICO nur noch eingeben müssen.

Literatur speichern, verwalten und zitieren

Wenn Sie nur einige der hier genannten Tipps in die Tat umsetzen, werden Sie schon bald eine sehr umfangreiche - und hoffentlich hilfreiche - Literaturliste zu Ihrem Thema erstellt haben. Hier den Überblick zu behalten, stellt dann schon wieder eine ganz eigene Herausforderung dar.
Daher haben wir für Sie auch dazu eine Hilfe vorbereitet: In den Artikeln Literaturverwaltung leicht gemacht und Literaturverwaltungsprogramm Zotero finden Sie Orientierung und eine Hands-on-Anleitung zur einfachen Literaturverwaltung.
›Literaturrecherche mit PubMed‹ von Christina Czeschik Literaturrecherche mit PubMed
von Christina Czeschik
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Wie erstelle ich ein Literaturverzeichnis?
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