Weil da irgendetwas fehlt (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60709-4 (ISBN)
Michael Nast, 1975 in Ost-Berlin geboren, arbeitet seit 2014 als Schriftsteller und Autor. Er hat bisher sechs Bücher veröffentlicht. Sein drittes Buch 'Generation Beziehungsunfähig' hielt sich neun Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2021 erschien der zugehörige Kinofilm, der gleichnamige Podcast für Singles und Paare ist sehr erfolgreich und umfasst über 100 Folgen. Nast veröffentlicht eine wöchentliche Kolumne. Er lebt in Berlin.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 22/2024) — Platz 12
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 21/2024) — Platz 19
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 20/2024) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 19/2024) — Platz 13
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 18/2024) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 17/2024) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 16/2024) — Platz 18
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 15/2024) — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 14/2024) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 13/2024) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 12/2024) — Platz 8
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 11/2024) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 10/2024) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 09/2024) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 08/2024) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 07/2024) — Platz 1
Michael Nast, 1975 in Ost-Berlin geboren, arbeitet seit 2014 als Schriftsteller und Autor. Er hat bisher sechs Bücher veröffentlicht. Sein drittes Buch "Generation Beziehungsunfähig" hielt sich neun Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste. 2021 erschien der zugehörige Kinofilm, der gleichnamige Podcast für Singles und Paare ist sehr erfolgreich und umfasst über 100 Folgen. Nast veröffentlicht eine wöchentliche Kolumne. Er lebt in Berlin.
Die To-do-Liste, die man Leben nennt
Von der Gefahr, ein gefülltes für ein erfülltes Leben zu halten – wenn man das Leben wie eine To-do-Liste behandelt.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Notizblock, den mir eine Freundin zu einem meiner letzten Geburtstage geschenkt hat. Erst seitdem ich ihn besitze, verstehe ich, wie wertvoll er für jemanden wie mich ist. Ich notiere mir jeden Morgen die Dinge, die ich erledigen muss. Das ist notwendig, weil ich oft vergesse, was ich erledigen muss.
Für Dinge, die ich gern mache, brauche ich keine To-do-Listen. Ich muss mich nicht daran erinnern, mich jeden Morgen an den Schreibtisch zu setzen. Zu schreiben, ist mir ein Bedürfnis, das allgegenwärtig ist. Ich habe mir vor einigen Monaten angewöhnt, ein oder zwei Stunden am Tag zu lesen, aber mir würde nie einfallen, diesen Punkt auf meine To-do-Liste zu setzen. Ich arbeite keine Dinge ab, die mir etwas geben.
Meine tägliche Liste hat allerdings einen ungewöhnlich starken Effekt, der nicht ungefährlich ist. Weil sich durch sie etwas verschiebt. Wenn ich einen der Stichpunkte abstreiche, habe ich tatsächlich das Gefühl, etwas geschafft zu haben, auch wenn es Erledigungen sind, die ich nur in Kauf nehme. Das potenziert sich noch einmal, wenn ich am Abend die Seite mit den geschwärzten Punkten abreiße, um sie mit großer Geste in den Papierkorb zu werfen.
Meine To-do-Liste zerteilt meinen Tag in nützliche Abschnitte. Sie macht Erfolge sichtbar. Auch vermeintliche Erfolge, die mir eigentlich fremd sind.
Ob ich die Belege für meinen Steuerberater zusammentrage oder Anrufe bei Behörden erledige, meine tägliche Liste gibt mir das Gefühl, dem vergangenen Tag einen Sinn gegeben zu haben. Je länger die Liste war, die ich abgearbeitet habe, desto nützlicher scheint der Tag gewesen zu sein. Jede durchgestrichene Erledigung gibt mir das Gefühl, die Zeit ein bisschen besser genutzt zu haben. Sobald ich einen weiteren Stichpunkt streichen kann, denke ich: Wieder was geschafft.
Das macht diese Liste so gefährlich. Sie vermittelt mir Erfolgserlebnisse, die gar keine sind. Es sind künstliche Erfolgserlebnisse, die nichts mit mir zu tun haben. Mein Gefühl, dem vergangenen Tag einen Sinn gegeben zu haben, darf sich einfach nicht aus Erledigungen zusammenfügen, die ich eigentlich nur in Kauf nehme, weil sie mir fremd sind, denke ich dann. Die To-do-Liste darf nicht mein Leben bestimmen.
Erledigungen füllen mein Leben, Erlebnisse erfüllen es. Die Gefahr liegt darin, das nicht zu verwechseln. Meine Familie hilft mir dabei.
In meiner Familie gibt es einen Running Gag, in dem die Formulierung »Wieder was geschafft« eine zentrale Rolle spielt. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie genau dieser Scherz entstand, aber inzwischen machen wir ihn pausenlos.
Wir verwenden den Ausspruch universell, vor allem in Zusammenhängen, in denen es eigentlich absurd ist, ihn zu benutzen. Wenn wir zu Mittag gegessen haben, sagt immer irgendjemand: »Wieda wat jeschafft.« Wenn wir von einem gemeinsamen Spaziergang zurückkehren. »Wieda wat jeschafft.« Wenn wir uns verabschieden. »Wieda wat jeschafft.«
Es ist ein Scherz, der sich nicht verbraucht. Weil wir so oft darüber lachen, fällt uns auch kaum noch die Tragik auf, die über dieser Bemerkung liegt, indem wir sie für die Dinge zweckentfremden, die man genießt.
Wir verstehen unseren Running Gag natürlich nicht als Zivilisationskritik, man könnte ihn aber so verstehen. Ich meine, wie viel Tragik würde in einem Alltag liegen, den man jeden Tag aufs Neue nach einer inneren Liste abarbeiten würde. Wenn man ihn in »Wieda wat jeschafft«-Abschnitte unterteilen würde. Was für eine erbärmliche Form von Existenz wäre es, ein gefülltes Leben mit einem erfüllten zu verwechseln, denke ich. Dann fällt mir allerdings ein, dass dieser Satz meinen Alltag eigentlich gut beschreibt. Ein Großteil meines Alltags entspricht diesem Satz. Es fällt mir nur nicht mehr auf, weil ich mich daran gewöhnt habe.
Nicht nur meine handgeschriebene Liste, auch die Technik hilft mir dabei, meine Tage zu zerstückeln. Sie macht die Abschnitte sichtbar, in die ich meinen Alltag zerteile. Sie bilden meine digitale To-do-Liste als fortwährendes Live-Experiment.
Mein Alltag setzt sich aus Countdowns, Stoppuhren und Weckern zusammen. Der Timer meines Smartphones ist meine meistgenutzte App. Er erinnert mich daran, wann die Wäsche fertig, mein Ingwertee durchgezogen ist oder wann ich beim Sport den nächsten Satz machen muss. Das ist ein 50-Sekunden-Countdown. Ich tracke jede Radtour, um die Statistik nicht zu gefährden. Ich nutze mein Smartphone auch als Duschwecker. Weil ich zu Hause arbeite, dusche ich nicht morgens, sondern erst, wenn ich die Wohnung verlasse. Meine Morgenroutine verlagert sich auf den Nachmittag. Mein Duschwecker erinnert mich, wann ich sie beginnen muss, ohne dass es stressig wird.
Manchmal spüre ich das beunruhigende Gefühl, der Technik meine Entscheidungen zu überlassen. Mein Smartphone ist zu einem Sinnesorgan geworden, das mir mein Zeitgefühl abnimmt. Ich würde gar nicht mehr daran denken, dass die Wäsche fertig ist, wenn mein Smartphone mich nicht daran erinnern würde. Ohne mein iPhone wäre ich Michael, der Unbeholfene. Eine hilflose Person. Vollkommen orientierungslos. Auch keine Entwicklung, die für mich spricht.
Aber es gibt dann doch diese befreienden Momente, in denen ich vergesse, dass mein Smartphone existiert. Momente, in denen es keine To-do-Listen gibt, die abgehakt werden müssen. Momente, die mir zeigen, dass es noch Hoffnung gibt.
Es gibt einen wunderbaren, beinahe ausgestorbenen Begriff, den ich liebe. Es ist der Begriff »Flanieren«. Er klingt seltsam antiquiert, sicherlich auch weil er nicht mehr in unsere Gegenwart passt, in der Müßiggang als Untätigkeit empfunden wird. Als verschwendete Lebenszeit.
Ich bin ein Flaneur. Ich genieße stundenlange ziellose Spaziergänge durch die Stadt, während ich in ein langes, ebenfalls zielloses, immer wieder neue Themen berührendes Gespräch vertieft bin. Es sind Spaziergänge, auf denen ich stundenlang meine Gedanken treiben lassen kann, als würden die fest gefügten Gewohnheiten meines Alltags mein Denken nur in einem begrenzten Raum möglich machen.
Als ich einmal meinem Freund Julian von dieser Leidenschaft erzählte, sah er mich verständnislos an. Er erklärte mir, dass er mit dieser Ziellosigkeit nichts anfangen könne. Er erkenne ihren Nutzen nicht.
»Wenn ich die Wohnung verlasse, brauche ich immer ein Ziel«, sagt er.
Tätigkeiten, die sich nicht dafür eignen, sie in seiner To-do-Liste zu erfassen, empfindet Julian als wertlos. Seine Tage sind vollkommen durchgeplant. Jeden Tag geht er seinem überladenen Alltag nach. Es gibt ständig etwas zu tun. Und immer muss es schnell gehen. Alltagsoptimierung im Endstadium.
Den Alltag in Zeitabschnitte zu zerstückeln, die abgearbeitet werden müssen, kann sehr beruhigend sein. Man bewegt sich mit einem Navigationssystem durch die Tage. Ein Navigationssystem aus Erledigungen, das Struktur genannt wird. Auch Struktur gibt den Tagen einen vermeintlichen Sinn. Einen To-do-Listen-Sinn sozusagen.
Diese Struktur ist Julians Halt. Sie nimmt ihm die Entscheidungen ab. Sie sagt ihm, was er wann zu tun hat. Sie organisiert seinen Alltag. Sie hat ihn übernommen. Täglich arbeitet er einen festgelegten Plan ab. Am Ende des Tages liegt er erschöpft im Bett und fühlt sich nützlich, weil er all die Erledigungen hinter sich gebracht hat. Die Dystopie eines Lebens.
»Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit hat«, wusste der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg. Das ist eine tiefe, aber offensichtlich auch aus der Zeit gefallene Wahrheit. Wie Julian sind viele sehr eingehend damit beschäftigt, nicht zur Ruhe zu kommen. Denn das ist die eigentliche Idee. Die vielen Erledigungen sind eine Ablenkung. Sie verdecken das Unbehagen, das unter dem Alltag liegt, als Grundierung sozusagen. Aber sobald sie zur Ruhe kommen, spüren sie es.
Wenn man zur Ruhe kommt, kann das schnell belastend werden. Ich kenne nicht wenige Leute, die nervös werden, sobald es nichts zu tun gibt. Langeweile lähmt sie. Sie brauchen die Bewegung. Sie brauchen Ziele, in deren Richtung man sich bewegen...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2024 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 101 Essays • Alltag • Berlin • Dating • die dein Leben verändern werden • Generation Beziehungsunfähig • Generation Maybe • Geschichten • Leben • Liebe • Michael Nast • Selbstoptimierung • Wahre Geschichten |
ISBN-10 | 3-492-60709-8 / 3492607098 |
ISBN-13 | 978-3-492-60709-4 / 9783492607094 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 6,8 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich