Die Pluralektik der Romantik

Studien zu einer epochalen Denk- und Darstellungsform
Buch | Hardcover
302 Seiten
2010
Böhlau Wien (Verlag)
978-3-205-78528-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Pluralektik der Romantik - Rüdiger Görner
65,00 inkl. MwSt
In fünfzehn Kapiteln fragt diese Studie nach im wesentlichen literarischen und musikalischen Erscheinungsformen einer in der Romantik maßgeblich entwickelten poetischen Denkweise, die hier als eine pluralektische vorgestellt wird. Im Romantischen kristallisiere sich die "Lektüre des Heterogenen", wie Novalis notierte. Er war es auch, der eine "Theorie der Berührung" und des Übergangs entwerfen wollte. Noch für die in der Forschung vergleichsweise weniger beachtete Spätromantik, der im dritten Teil dieses Buches besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, blieb dieser Ansatz verbindlich. Der unverwechselbare Beitrag der Romantik zur Ideengeschichte, so die Hauptthese dieser Arbeit, liegt in ihrer den dialektischen Schematismus entgrenzenden Pluralektik, die sich mit mythologischer Motivik verband, im Roman exponierte und in der poetischen Musik selbst besang.

Rüdiger Görner, geb. 1957, Studium der Germanistik, Geschichte, Anglistik und Philosophie an der Universität Tübingen und am University College, University of London, Großbritannien.

Einführendes Brouillon

Erster Teil: Präludierende Etüden
I Schattenrisse und andere Ansichten vom Ich
Identität als pluralektisch-ästhetisches Phänomen
II Politisches Bilden in der frühen Romantik oder:

Auf dem Wege zu einer pluralektischen Kulturpoetik
III "Schwer verläßt, / Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort"
Zur Mythopoetik des Anfangs bei Hölderlin und Novalis
IV Pluralektik - Kulturalektik am Beispiel von Friedrich Schlegels
Versuch über Georg Forster

Zweiter Teil: Romantische Pluralektik (Die Mainzer Vorlesungen)
V Pluralektik und enzyklopädische Poetik: Denkstrukturen
bei Novalis und einige Folgen
VI Kritik als Pluralektik und der Sinn der 'negative capability'
VII Pluralektische Klangformen (am Beispiel Schuberts) und romantische Fensterblicke.
VIII Retrospektive Prophetien: pluralistische Zeitkonzeptionen in der Romantik
IX Zu einer romantischen Ästhetik des Unbewussten

Dritter Teil: Spätromantische Coda
X Poetische Klangkreise. Über Schumann und sein Deuten Eichendorffs
XI Religion im Exil. Zu Heines Götterlehre
XII Lenaus poetische Grenzerfahrung
XIII Stifters romantisches Realismuskonzept
XIV "Das Farbenwesen im Regentropfen" Gottfried Kellers plurale Ontologie des Anscheins in Kleider machen Leute
XV Nachspiel mit Nietzsche: Zur Romantik-Kritik eines spätromantischen Unzeitgemäßen

Plurale Schlussworte
Nachweise
Literaturverzeichnis
Personenregister

VII Pluralektische Klangformen und romantische Fensterblicke

Zum romantischen Anspruch eines, mit Novalis gesprochen, "Pluralism und Omnilism" gehört auch das Einbegreifen der Musik in die Reflexion.142 Das Denken vertonen und die Musik denken - diese Forderung wurde zum Bestandteil des frühromantischen Kunst-Projekts und lässt sich bis in die Spätromantik Schumanns und Hugo Wolfs, selbst noch bis in die Romantik-kritische Brechung dieses Projekts bei Nietzsche verfolgen. Der alles einbegreifende "Omnilism" oder "Pluralism" des Novalis erkannte in den musikalischen Strukturen ein flexibles Beziehungssystem, das man philosophisch zu nutzen wusste. Die musikalische Grammatik mit ihrer klanglichen Syntax und den Tonarten als ihren Konjugations- und Deklinationsformen richtete sich - etwa in Schellings Kunstphilosophie - an der Bedeutung der rhythmischen Gefüge aus. Aus den rhythmischen Einheiten, wie Schelling nahe legt, generiere die Musik ihren Gesamtrhythmus, den Rhythmus des Einen im Vielerlei.143 Die inhaltliche Gewichtung des Rhythmus als "Musik in der Musik" (Schelling) trug dann mit dazu bei, den Klang vom Wort zu emanzipieren und in Richtung "absoluter Musik" vorzudringen.144 Hegel wiederum beschrieb das "Verhältnis des Inhalts und der Form im Romantischen" wie überhaupt den "Grundton des Romantischen" als musikalisch.145 Trotz der offenkundigen Tendenz romantischer Musik zum Abstrahieren von der Vokalmusik und zu einer Symphonik, die sich mit E.T.A. Hoffmann als eine "Oper der Instrumente" verstand146, zeigte sich "das Romantische" immer wieder gerade in der intensivierten Symbiose von Wort und Ton, nämlich in seiner wesentlichsten Klangform: im Lied.

Die Musik, so wiederum Schelling, sei ein "reales Selbsterzählen der Seele", wobei er betont, dass "die Formen der Musik die Formen der ewigen Dinge seien", und zwar von ihrer "realen Seite", also ihrer sinnlich-geistigen Realität aus betrachtet.147 Schelling ging sogar soweit, den Gehörsinn mit dem Selbstbewusstsein in Verbindung zu bringen, und zwar vermittelt durch unseren Zeitsinn, weil dieser rhythmisch und reflektierend konditioniert sei.148 So wie die Musik sich als eine durch den Rhythmus begründete Struktur dazu eignet, Verschiedenheiten, Vielheiten in sich aufzunehmen, was sich in der Symphonie oder der symphonischen Dichtung idealtypisch zeigt, können auch die Sinne ein Zusammenstimmen verschiedenster Eindrücke koordinieren. Entsprechend bezieht die ästhetische Theorie der Romantik wahrnehmungspsychologische Phänomene in ihre Reflexionen mit ein. Folgerichtig fordert Novalis eine "Theorie der Berührung" und des Übergangs als Teil einer Lehre von der Transsubstantiation, die beides einbegreifen soll: den Übergang vom Sinnlichen ins Geistige und umgekehrt. Die Sinne als Instrumente der Weltwahrnehmung gehören im romantischen Verständnis auch zum Inventar des Reflektierens. Was das Auge in den Blick nimmt, ans Ohr dringt, gerochen oder ertastet wird, prüft der kunstsinnige Romantiker auf seinen geistig-ästhetischen Wert und gewinnt daraus Anhaltspunkte für seine formenden Transformationen, zu denen auch die Abstraktion von eben diesen sinnlichen Eindrücken gehören können.

Musik und Bewusstsein
Musik als "Verklärung der sinnlichen Natur" steht für eine Spielart romantischer Kunstauffassung, wie sie etwa Bettine von Arnim vertreten hat.149 Die andere 'nicht-verklärte' insistierte auf der sinnlichen Qualität der Musik und führt sich auf Wilhelm Heinse und dessen Roman Hildegard von Hohenthal zurück (1795/96). "Unser Gefühl ist selbst nichts anderes", schreibt Heinse, "als eine innre Musik, immerwährende Schwingung der Lebensneven."15 0 Musik als Entäußerung einer Art emotionalen Physiologie - mit dieser These versuchte Heinse am Übergang von musikanalytischer zu musikpoetischer Betrachtung ein Zeichen für die Interpretation einer Kunst zu setzen, die noch in der Spätromantik als "Tat des Herzens" verstanden wurde.
Ist

Erscheint lt. Verlag 26.3.2010
Reihe/Serie Literatur und Leben ; Band 078
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Maße 159 x 236 mm
Gewicht 530 g
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik Musikgeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Hardcover, Softcover / Deutsche Sprachwissenschaft, Deutschsprachige Literaturwi • Literatur • Musik • Pluralektik • Romantik • Romantik (Epoche); Geistes-/Kultur-Geschichte • Romantik; Geistes-/Kultur-Geschichte
ISBN-10 3-205-78528-2 / 3205785282
ISBN-13 978-3-205-78528-6 / 9783205785286
Zustand Neuware
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