Der Abend

Phillip Janta, geboren 1980 in Erfurt, studierte Typografie und Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig. Er ist freiberuflicher Grafiker und Illustrator für Verlage, Magazine, Musiker, Museen, Veranstalter und Gastronomen. Seit 2010 gibt er das Comic-Magazin DROPS heraus und organisiert seit 2013 das Comic- und Grafikfestival „The Millionaires Club“.

Cosima Schneider, geboren 1966 in Marburg an der Lahn, ist Diplom-Designerin und seit 2012 Herstellungsleiterin der Büchergilde Gutenberg.

Ergebnis eines Aufpralls

Im BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 4 erzählt der Illustrator Phillip Janta von einem eskalierten Abendessen. Auf einem modernen Vanitas-Stillleben lässt sich die Geschichte wie im Krimi rekonstruieren. Das Betrachten wird zur Spurensuche.

Der Abend ist gelaufen. Auf dem Tisch liegen nur noch Essensreste. Aber für einige Tiere scheint das Festmahl erst angefangen zu haben: Eine Schildkröte tut sich an den Blättern eines Blumengestecks gütlich. Ein Papagei beißt auf dem Kabel eines Ladegeräts herum. Ein Äffchen stibitzt eine Perlenkette. Neben einer Flasche Gin steckt ein Brotmesser in einem Schneidebrett, dazwischen fliegen und krabbeln Insekten umher. Doch was ist hier zuvor geschehen?
All das ist auf dem BÜCHERGILDE BILDERBOGEN № 4 Der Abend zu sehen – und noch viel mehr gilt es darauf zu entdecken. Denn der Leipziger Grafiker Phillip Janta erzählt mit seinem Stillleben eine Geschichte vom Ende her. Das Ergebnis eines Abendessens – eines Aufpralls. Wie es dazu kam, wird auf der Rückseite in einer Prosa-Erzählung erklärt:
Ein Ehepaar empfängt vier Freunde. Man kennt sich lange und gut, man gibt sich Mühe, es ist ein Sehen und Gesehenwerden. Doch im Laufe des Abends lösen sich Spannungen, es kommt zur Eskalation: Die Freunde sagen sich die Wahrheit und die Vergangenheit holt sie ein, Erwartungen werden enttäuscht, Vertrauen wird missbraucht. Am Ende zerfällt eine Freundschaft, andere kommen zusammen.
„Das Bild ist ein Resümee des Ganzen“, sagt Janta. „Das, was übrig bleibt, nachdem alle gegangen sind. Die Haustiere wurden freigelassen, ein Messer ins Brett gerammt und ein Brief liegt unter der Rose.“ Die in Kratztechnik ausgeführte, schwarz-weiß gehaltene Grafik ist voller Details, sodass der Betrachter zum Detektiv wird: Ähnlich wie in einem Krimi gilt es, Hinweise zusammenzutragen und zu entschlüsseln. Das große Format – ein ganzer Druckbogen – lädt zur Spurensuche ein.
Warum aber diese Form des Vanitas-Stilllebens? Janta spricht von einer Leidenschaft: „Ich mag es, mit Metaphern zu arbeiten und auch diese scheinbar prunkvollen, hergerichteten Momente zu torpedieren. Es ist wie ein Requisitenfundus oder eine Asservatenkammer. Man kann alle Zutaten schön drapieren. Die Bezüge der Elemente untereinander kann oder muss der Betrachter selber entdecken. Das ist sehr reizvoll, finde ich.“
Der Abend ist der Versuch, das Vanitas-Stillleben, das seine Tradition in der Barockmalerei hat und in symbolträchtigen Kompositionen auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweist, neu zu interpretieren: Statt eines Totenkopfs gibt es einen Affen (einen Kaiserschnurrbarttamarin, um genau zu sein), statt Musikinstrumenten einen tragbaren Lautsprecher. Aber es finden sich auch klassische Symbole darin wie Bücher, ein umgekipptes Weinglas, erloschene Kerzen und Muscheln. Der Bilderbogen sei durchaus als Gesellschaftssatire zu lesen, sagt Janta. Denn hinter der Fassade bürgerlicher Anständigkeit tun sich Abgründe auf. Damit fügt sich auch der vierte BÜCHERGILDE BILDERBOGEN in die bisherige Reihe ein: Nach einer Satire auf Mao, Münchhausens Spiel mit der Fiktion zwischen Wahrheit und Lüge und Thomas Müllers Fragen zur Zukunft des Wohnens hält uns auch Der Abend einen Spiegel vor, hinterfragt Beziehungen zwischen Menschen und
thematisiert Vergänglichkeit in Zeiten stabil geglaubter Verhältnisse. Janta: „Wenn Menschen mit gemeinsamer Vergangenheit auf engstem Raum aufeinandertreffen, ist alles möglich.“

Lukas Gedziorowski arbeitet als freier Journalist und Autor in Berlin, unter anderem als Online-Redakteur für Deutschlandfunk Kultur. Außerdem betreibt er das Weblog batmanprojekt.com.