Fremdes Gelände - Maika de Riese

Fremdes Gelände

(Autor)

Buch | Softcover
150 Seiten
2009 | 1., 1. Auflage
Manuela Kinzel Verlag
978-3-937367-40-8 (ISBN)
9,90 inkl. MwSt
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Neuland entdecken - das macht Spaß, aber auch Angst. Das Fremde auf der anderen Seite zieht an und stößt ab. Was ist stärker? Neugier oder die eigenen Vorurteile? Die Menschen hier, jung oder alt, mutig oder ängstlich, versuchen, ihre inneren Grenzen zu überwinden und im Fremden heimisch zu werden. Ob es gelingt?

Maike de Riese, geboren 1942 in Berlin. Kindheit in Freiberg/Sachsen, lebte in Westberlin, Wien, Stuttgart, Hamburg, München und in einem Dorf in Oberbayern. Arbeit in Journalismus und Werbeagentur als Texter. Drei erwachsene Kinder. Lebt jetzt in Lettland.

Der Lächler Einen hatten sie im dritten Stock, den nannten sie den Lächler. Wenn ihn einer von den Pflegern oder den Schwestern im Vorübergehen anschaute, wohl auch einmal ansprach, verzog sich sein schiefes Gesicht zu einem noch schieferen Lächeln. Lange war er schon da, wohl an die sechs oder sieben Jahre. Einige der älteren Pflegekräfte erinnerten sich noch, wie er damals ankam. Eine elegante Frau samt Begleiter fuhr eines Tages mit ihm im chromglänzenden Auto vor. Der Mann trug eine Offiziersuniform mit Koppel und Dolch. Als die Aufnahmeformalitäten der Anstalt erledigt waren und der Neue schon auf der Kinderstation verschwunden, verließ die Dame weinend das Haus. Ihr Begleiter, einer mit starken Schultern, reichte ihr, noch auf der Eingangstreppe, galant ein blütenweißes Taschentuch. Eine schöne Geste, hatten damals alle gefunden. Der Junge hockte eine Woche lang abseits von den anderen, aß nichts, wiegte sich nur immer von hinten nach vorn, den Kopf in den Armen versteckt. Dass er einmal der Lächler werden würde, wusste man damals noch nicht. Auch dieses Kind gewöhnte sich ein. Schlief im Schlafsaal neben den dreiundzwanzig anderen Jungen in seinem weißen Eisenbett. Nicht einmal festgurten musste man ihn. Aß im Speisesaal sauber von seinem Blechteller, die Schwestern brauchten ihn nicht zu füttern. Nur dann, wenn ihn die Krämpfe überfielen, er sich nach hinten warf und seine Glieder zuckten, fiel sein Teller scheppernd zu Boden, und die Pfleger mussten ihn festhalten. Doch das ging immer schnell vorüber. Auch sonst war er anstellig. Der neue Direktor, ein Reformpsychiater, hatte für die Insassen Beschäftigungstherapie eingeführt. Jetzt saßen die „Irren“ und flochten Weidenkörbe. Der Lächler flocht sie mit Sorgfalt. Nur hin und wieder fiel er unangenehm auf, weil er sie nicht hergeben wollte. Da erlaubte der neue Direktor den Kindern, ein Spielzeug zu besitzen. Der Lächler wählte sich eine Puppe. Er nahm sie abends mit ins Bett, wiegte sie, drückte sie an sich und stieß seltsam gurrende Laute aus. Von da an begann er zu lächeln. Der Lächler sprach nicht, sagte kein Wort. Als er vierzehn wurde, musste er die Kinderabteilung verlassen. Er kam zu den Männern, und am Anfang schien es, als vermisse er seine jüngeren Gefährten. Die Männer in seinem Saal waren grob, hielten ihn auch wohl an seinem Nachthemd fest, wenn er zur Schlafenszeit zu seinem Bett in der Ecke ging und griffen ihm zwischen die Beine. Es war, als bemerke der Lächler sie nicht. Nur wenn sie ihm seine Puppe versteckten, geriet er außer sich vor Wut. Dann schrie er so gellend und schrill, dass sie ihm die schnell wiedergaben. Weil er so anstellig war, erlaubten ihm die Schwestern, beim Baden der kleinen Buben zu helfen.

Verlagsort Dessau
Sprache deutsch
Maße 115 x 180 mm
Gewicht 148 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur
Schlagworte Grenzen • "Grenzen im Kopf" • "offene Grenzen"
ISBN-10 3-937367-40-3 / 3937367403
ISBN-13 978-3-937367-40-8 / 9783937367408
Zustand Neuware
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