Die Brille des Gionata Lerolieff - Giovanni Orelli

Die Brille des Gionata Lerolieff

Roman

(Autor)

Buch | Softcover
114 Seiten
2014
Weidle Verlag
978-3-938803-62-2 (ISBN)
16,90 inkl. MwSt
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Im Zug nach Lugano, auf der Rückfahrt von den Solothurner Literaturtagen, stellt der Tessiner Schriftsteller Gionata Lerolieff mit Entsetzen fest, daß er seine Brille verloren hat. Oder wurde sie ihm gar gestohlen? Auf den ersten Blick ein ebenso alltägliches wie banales Ereignis, ist der Verlust seiner Lesefähigkeit für Lerolieff gleichbedeutend mit dem Verlust der ordnenden Perspektive auf sich selbst und seine Umwelt. Die verlorene Brille macht den Weg frei für eine wilde Schar von Assoziationen, Traumgespinsten und Halbschlafbildern. Dabei vermengen sich historische Begebenheiten, autobiographische Reminiszenzen, Zitate aus Literatur und Mythologie vor Lerolieffs geistigem Auge nahezu nach Belieben.
Einziger roter Faden in diesem Potpourri von Eindrücken und Erinnerungen sind die Stationen der Eisenbahnstrecke gen Süden: Olten – Sempach – Immensee – Sisikon, sie alle dienen als Stichwortgeber für weitere Ab- und Ausschweifungen und sind damit im doppelten Sinne Etappen einer Reise: einer Reise nämlich, die Lerolieff ins eigene Unterbewußtsein führt und die schließlich alles als eine Frage der Perspektive erscheinen läßt – als ein Mosaik aus Wahrnehmungsfragmenten, ein Kaleidoskop, in dem sich mit jeder Drehung, jeder Wendung ein neues Bild der Wirklichkeit zusammensetzt. Und am Schluß wird dem geplagten Schriftsteller evident, daß es weit Schlimmeres gibt als den Verlust einer Brille.
In seinem 2000 erschienenen Episodenroman "Die Brille des Gionata Lerolieff" ("Gli occhiali di Gionata Lerolieff") jongliert Orelli virtuos mit verschiedenen Erzählformen ebenso wie mit Zitaten, regionalsprachlichen Elementen, Klang- und Wortspielen.
Der Leser wird selbst zum Mitreisenden.

Giovanni Orelli, 1928 in Bedretto, Kanton Tessin, geboren, wurde 2012 für sein Gesamtwerk mit dem Großen Schillerpreis der Schweiz ausgezeichnet. Er schreibt Gedichte, Essays und erzählende Prosa. Auf deutsch liegen u. a. die Romane "Monopoly", "Der lange Winter" und "Walaceks Traum (ebenfalls von Maja Pflug übersetzt) vor, dazu der Gedichtband "Vom schönen Horizont". Giovanni Orelli lebt in Lugano.

Giovanni Orelli gehört gewiss zu den kühnsten, doch auch zu den heitersten Poeten dieses Landes. Ärmer wäre die italienische Literatur und wären die Literaturen der Schweiz ohne die melancholische Anarchie seiner Gedichte und seiner Prosa.Neue Zürcher ZeitungDie Gedächtnistätigkeit ist bei Orelli keine Aufbewahrungsarbeit, sondern ein verwegenes Konstruieren und Komponieren. Tonpartikel aus der Vergangenheit, Motivfetzen aus der Gegenwart, alles wird einbezogen in ein transformatives Spiel.Gertrud Leutenegger

Auf der Durchfahrt durch Sisikon, schöner Name im Herzen des Vaterlands (das er nie verloren hatte, aber die Brille schon, es war wirklich zum Heulen), doch auch ein Name, der im Munde einer Mutter als Flehen, als Aufforderung an das einjährige Kind dienen könnte, das windellos aufs Töpfchen gesetzt wurde: jetzt hier die Körpersäfte frei fließen zu lassen, die entzückenden: für die Mutter. Die Körpersäfte, die das Bläschen ihres lieben Sprößlings füllen. Es ist eines der zu Recht wichtigen Gesprächsthemen beim Wäscheaufhängen mit der Nachbarin, die ebenfalls Mutter ist. – S ì-sì-kon, ja, ja, S ì-sì-kon. Ja, nicht nur Sisikon besitzt entwässernde Eigenschaften. Man müßte es auch mit Pfäffikon probieren. Wer sagt mir, daß durch diesen Namen, der von mütterlichen Lippen unmittelbar ins schon wohlgeformte Ohr des Kindes und von dort ins ebenfalls schon um ein Jahr gewachsene Gehirn wandert, der angeborene Wille zur Zurückhaltung des Pipis nicht einen Anreiz erhält, die Zügel zu lockern, so daß sich bestimmte Müskelchen entspannen und die Entleerung mit feinem Bächlein genau da ins an dem zarten Popöchen klebende Töpfchen gestattet wird, des (ebenfalls nur für die Mutter) göttlichen Pipis? Und mit Silenen, Ittingen, Gerlafingen, Niederpipp, Pizzamiglio. Oder mit Figino, vielleicht so ausgesprochen, wie die Deutschen es tun: mit stimmhaftem velarem g. Unter Hohngelächter der Schweizer Südländer, dieser schmutzigen Italophonen. Oder Pazzalino Sigirino? Mach, mein Tessin, mach ein bißchen Pipi. Gefährlich dagegen die Namen auf -engo, die zum Zurückhalten einladen: Lurengo, Primadengo, Polmengo, Chichenengo, Mairengo, Fichengo. G. L. beschloß also, aufs WC zu gehen.

Erscheint lt. Verlag 11.2.2014
Übersetzer Maja Pflug
Verlagsort Bonn
Sprache deutsch
Original-Titel Gli occhiali di Gionata Lerolieff.
Maße 130 x 205 mm
Gewicht 147 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Episodenroman • Orelli • verschiedene Erzählformen
ISBN-10 3-938803-62-2 / 3938803622
ISBN-13 978-3-938803-62-2 / 9783938803622
Zustand Neuware
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