Die kurzen und die langen Jahre (eBook)

Roman
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2014 | 4. Auflage
208 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-96606-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die kurzen und die langen Jahre -  Thommie Bayer
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Silvie hat ihren Mann verloren, Simon seinen Vater. Und nicht nur die Trauer verbindet die beiden, vor allem Simon empfindet eine große Seelenverwandtschaft für die um Einiges ältere Silvie. Er ist sich schnell sicher, dass es Liebe ist. Doch er glaubt warten zu müssen, auch weil Silvie zu sehr vom Tod ihres Partners verwirrt ist. Er wartet, bis der richtige Moment verstrichen ist, bis zuviel geschehen ist, das sich so leicht nicht mehr rückgängig machen lässt. Aber das Schicksal und die gegenseitige Zuneigung führen die beiden immer wieder zusammen. »Die langen und die kurzen Jahre« ist die klassische Geschichte zweier Liebender. Thommie Bayer erzählt von der tragischen Ungleichzeitigkeit der Liebe und schreibt dabei einen äußerst zeitgemäßen Roman.  

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm die Romane »Das Glück meiner Mutter«, »Das innere Ausland« und der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück«.und zuletzt »Einer fehlt«. Thommie Bayer lebt mit seiner Frau in Staufen bei Freiburg.

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm »Die gefährliche Frau«, »Singvogel«, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück«, »Fallers große Liebe« und zuletzt »Vier Arten, die Liebe zu vergessen«.

1975

Es dauerte ein paar Monate, aber ich gewöhnte mich dann doch daran, dass Sylvie und Manni ein glückliches Paar waren, dass sie irgendwann eine gemeinsame Wohnung in Konstanz bezogen, sich vor meinen Augen küssten und einander an die Wäsche gingen oder sich in ihr Schlafzimmer verzogen, dass sie unzertrennlich und unzerbrechlich schienen und dass Sylvie ganz offenbar Mannis Muse wurde, denn er schrieb Songs wie am Fließband, hatte immer mehr Erfolg mit seiner Band, spielte immer öfter in den größeren Städten, Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Heidelberg, und ich hatte Sylvie nur dann für mich, wenn er unterwegs war.

Briefe gab es keine mehr zwischen uns, denn wir sahen uns ein paarmal in der Woche, wenn sie in den Laden kam oder für Manni und mich und die Musiker kochte. Es fühlte sich bald an wie ein Familienleben, in dem ganz von selbst Manni und ihr die Elternrolle zugefallen war und die Band und ich uns als Kinder gebärdeten, die nörgelten, frotzelten, Ansprüche stellten und sich so lange aus der Verantwortung für irgendwelche gemeinsamen Unternehmungen stahlen, bis sie darauf gestoßen wurden und sich murrend fügten.

Ich war Sylvies Lieblingskind. Oder Mannis Schwager. Wir waren Vertraute, die einander berieten und unterstützten, und, obwohl meine Eifersucht nie ganz einschlief und ich mir das Bild von Sylvie, wie sie nackt an der Quelle gestanden hatte, immer wieder vor Augen führte, ging es mir gut, wenn ich mit beiden zusammen war, und ich vergaß die meiste Zeit, dass ich Sylvie eigentlich für mich allein wollte.

Sie hatte einen Geschäftsführer eingesetzt und fuhr nur einen oder zwei Tage in der Woche nach Lindau, um die Buchhaltung für die Apotheke zu machen oder die Rechnungen zu bezahlen. Den Rest der Zeit verbrachte sie mit dem Management von Sinkin Ship, und sie machte ihre Sache gut. Die Plakate waren professionell, die Verträge, die sie entworfen und immer wieder modifiziert hatte, ebenfalls, und die Auftritte, die sie akquirierte, wurden immer mehr und immer besser bezahlt, sodass Manni bald nur noch vier Tage in der Woche im Laden war, weil er Freitag bis Sonntag spielte. Der Bassist war Student und ließ die Uni einfach langsamer angehen, der Schlagzeuger arbeitete als Gärtner in der Firma seiner Eltern und konnte weg, wann es nötig war, und der Sänger hatte seinen Job in einem Steuerbüro geschmissen und fuhr Arzneimittel aus.

Wenn sie nicht gerade am Wochenende nach Lindau musste, verbrachte Sylvie die Abende oft mit mir – anfangs war sie natürlich zu den Auftritten mitgefahren, aber das wurde eintönig, und die Band brauchte keinen Roadmanager. Wir kochten gemeinsam oder gingen ins Kino und hinterher am Seeufer spazieren – es war eigentlich eine Art Wochenendbeziehung, nur eben ohne das Wichtigste: Sex.

Es machte mir nichts aus, dass sich seit dem Ausflugsintermezzo mit Anke im letzten Sommer nichts mehr in dieser Richtung ereignet hatte – mein Sexualleben spielte sich in diskreter Autarkie ab mit Sylvie vor dem inneren Auge und ihrem Patschuliduft, den ich bei jeder Gelegenheit tief einatmete, als könnte ich ihn so eine Zeit lang behalten, in der inneren Nase.

~

Wir hatten den Film Cousin, Cousine gesehen, es war Ende März und so windig, dass Sylvie ihren Borsalino mit einer Hand festhielt und sich mit der anderen bei mir unterhakte.

»Hast du noch Hunger?«, fragte sie, und ich nickte nur, denn es war ohnehin klar, dass wir nach dem Kino nicht einfach auseinandergehen würden. Das tat man nicht. Einen Film ließ man gemeinsam einsinken, erinnerte sich gegenseitig an einzelne Szenen, lobte was, bemängelte was, spielte was nach, es kam nicht infrage, sich nach dem Kino ohne Gespräch zu trollen.

»Ich mach aus den Resten eine Suppe«, sagte sie, »ich hab noch Bohnen, Nudeln und Karotten übrig. Und Brot.«

»Und wenn du grünen Pfeffer hast, schmeißen wir den rein, dann spucken wir hinterher Feuer«, sagte ich.

»Und schlafen schlecht«, sagte sie.

»Und morgen früh erst.«

»Stop«, sagte sie, »das macht jeder für sich alleine« und schloss die Haustür auf.

Wir fanden keinen Pfeffer und schnitten stattdessen zwei Kartoffeln in kleine Würfelchen, sodass es eine Art Gaisburger Marsch ohne Fleisch wurde. Wir saßen in der Küche, hörten aus dem Wohnzimmer leise, um die Nachbarn nicht zu stören, Wish you were here, das neue Album von Pink Floyd, tranken Rosé aus Frankreich und bliesen auf unsere Löffel, um uns nicht den Mund zu verbrennen.

»Bist du nicht vielleicht doch schwul?«, fragte sie irgendwann, ohne mich dabei anzusehen – sie studierte das, was auf ihrem Löffel schwamm: eine Nudel, eine Bohne und zwei Streifen Karotte.

»Wär dir das lieber?«

»Nein, wieso?«

»Egal«, sagte ich, »ich könnte ja auch nicht dir zuliebe schwul sein. Ich bin’s jedenfalls nicht.«

»Dann brauchst du eine Freundin.«

»Wieso? Ich hab doch dich.«

»Ja. Aber für alles andere.«

Wir schwiegen eine Zeit lang. Anfangs wusste ich nicht, ob mir das nun zudringlich von ihr vorkam oder fürsorglich, ob sie mich verkuppeln wollte oder mir ins Gewissen reden, eigentlich wusste ich nicht einmal, ob das ein Thema war, das wir beide besprechen sollten, aber je länger ich darüber nachdachte, desto ärgerlicher wurde ich. Oder trauriger. Ich verstand nicht, was genau ich fühlte, aber es war nichts Gutes.

Sie schien das zu spüren, denn sie sagte nichts mehr, ließ unser Schweigen einfach andauern, bis sich dessen ungute Anteile wieder verflüchtigt hatten, und erst dann, als alles wieder ruhig und selbstverständlich war, fragte sie: »Denkst du manchmal noch an deinen Vater?«

»Ganz selten. Alle paar Wochen fällt er mir mal ein. Das Bild mit seinem Freund schau ich mir manchmal an, und dann wundere ich mich immer noch darüber, dass er mal ein Kind war.«

»Ich denk überhaupt nicht mehr an Konrad«, sagte sie, und es klang traurig. Oder schuldbewusst.

~

Im letzten Dezember waren wir noch einmal nach Freiburg zur Polizei gefahren, und dort hatte man uns keine Hoffnung mehr machen wollen. Alle auch nur denkbaren Ansätze seien ausermittelt, aus keinem habe sich eine halbwegs verfolgbare Spur ergeben, nirgends ein Anhaltspunkt, es sei zwar unerträglich, aber es habe den Anschein, dass der oder die Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten. Natürlich werde man, sobald sich eine Tat mit ähnlichem Muster zeige, den Fall wieder aufrollen, aber einstweilen habe man nichts mehr in der Hand, aus dem sich auch nur die kleinste Chance auf Erkenntnisse ergebe.

»Er hat recht«, sagte Sylvie, als wir wieder draußen waren und unsere Kapuzen über die Köpfe zogen.

»Womit?«

»Es ist unerträglich.«

~

Wir waren nicht sehr oft in der Hütte, aber ich versuchte, sie, so gut es ging, instand zu halten, denn ich hatte Mannis Verkaufsverbot beherzigt, obwohl ich nicht wusste, was ich mit der entlegenen Immobilie anfangen sollte.

Anfang Mai besserten Sylvie und ich das Dach aus. Ich hatte mir das selbst nicht zugetraut, aber Sylvie sagte, wir schauen uns das an und sehen, wie es gemacht ist. Was soll daran so schwer sein. Und sie hatte recht. Es war einfach. Zumindest für sie, die dabei ein Geschick an den Tag legte, das mich überraschte. Ich holte die Ersatzschindeln aus dem Keller, und sie hebelte behutsam die morschen Exemplare ab und nagelte die neuen an.

»Ich muss dich was fragen«, sagte sie irgendwann, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen – sie wandte den Kopf immer nur, wenn ich dran war, ihr eine neue Schindel zu reichen und die morsche von ihr entgegenzunehmen. Anfangs hatte ich die alten Schindeln einfach in den Wald geschleudert, aber irgendwann tat Sylvie ihre Missbilligung kund: »Du machst einen Slum aus dem schönen Platz.«

»Frag«, sagte ich.

»Ein alter Verehrer von mir ist bei der Intercord in Stuttgart. Er ist ein Angeber und Blödian, ich hab ihn immer ignoriert, aber er hat, solang wir uns in der Schule über den Weg laufen konnten, nicht aufgegeben, an mir herumzugraben. Später ist er sogar noch nach Tübingen gekommen, weil er von einer Klassenkameradin erfahren hat, dass ich da studiere.«

»Was hast du studiert?«, fragte ich, obwohl mir klar war, dass das vom Thema wegführte.

»Pharmazie. Drei Semester, dann hat’s mir gereicht. Und ich hab Konrad wiedergetroffen, der schon mein Teenagerfreund war.«

»Intercord ist eine Plattenfirma, oder?«

»Ja.«

»Und?«

»Na, liegt das nicht auf der Hand?«, sagte sie, und jetzt sah sie sogar kurz zu mir her, vielleicht um sich zu vergewissern, dass ich nicht inzwischen verblödet war. »Wenn ich mich bei dem melde und wenn er immer noch so wild hinter mir her ist wie früher, dann könnte ich vielleicht was für Mannis Band erreichen.«

»Und?« Ich hatte aus irgendeinem Grund, den ich selbst nicht verstand, keine Lust, ihr das Aussprechen der Worte abzunehmen, die sie offenbar vermeiden wollte.

»Du tust nur so vernagelt, oder?«

Das tat ich wirklich, denn ich hatte schon begriffen, dass der Typ sich Hoffnungen auf sie machen konnte, wenn sie mit einem solchen Anliegen zu ihm käme, aber ich fand das Ganze auch degoutant und so platt wie aus einem Kitschfilm, dass es mir schwerfiel, es ernst zu nehmen.

»Er wird dir doch nicht grad einen Deal vorschlagen«, sagte ich, »Mannis Plattenvertrag gegen eine Nacht mit dir. Das ist doch irgendwie Fünfzigerjahre.«

»Das glaubst du«, sagte sie und reichte diesmal ihre Hand in meine Richtung, ohne herzusehen, »ich glaube, genau das wird er tun. Und er wird’s nicht mal aussprechen müssen. Es liegt dann sozusagen in...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2014
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Altersunterschied • Brieffreundschaft • Buch • Bücher • Die gefährliche Frau • Doppelleben • Eine kurze Geschichte vom Glück • Gegenwartsliteratur • Kanon • Liebeskummer • Liebesroman • Liebe zu älterer Frau • Roman • Seelenverwandte • Seltene Affären • Singvogel • Trauerbewältigung • Traumfrau • Unerfüllte Liebe • unglückliche Liebe • Vergebliche Liebe
ISBN-10 3-492-96606-3 / 3492966063
ISBN-13 978-3-492-96606-1 / 9783492966061
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