Morenga (eBook)

Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
528 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30871-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Morenga -  Uwe Timm
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»Ein brillantes Buch.« Main-Echo. Deutsch-Südwestafrika, 1904. Beginn eines erbarmungslosen Kolonialkrieges, den das Deutsche Kaiserreich gegen aufständische Hereros und Hottentotten führt. An der Spitze der für ihre Freiheit kämpfenden Schwarzen steht Jakob Morenga, ein früherer Minenarbeiter. Was damals in dem heute unabhängigen Namibia geschah, hat Uwe Timm in einer geschickten Montage von historischen Dokumenten und fiktiven Aufzeichnungen zu einem grandiosen historischen Roman verdichtet.

Uwe Timm, geboren 1940 in Hamburg, lebt in München und Berlin. Sein Werk erscheint seit 1984 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln, u.?a.: »Heißer Sommer« (1974), »Morenga« (1978), »Der Schlangenbaum« (1986), »Kopfjäger« (1991), »Die Entdeckung der Currywurst« (1993), »Rot« (2001), »Am Beispiel meines Bruders« (2003), »Der Freund und der Fremde« (2005), »Halbschatten« (2008), »Vogelweide« (2013), »Ikarien« (2017), »Der Verrückte in den Dünen« (2020).

Uwe Timm, geboren 1940 in Hamburg, lebt in München und Berlin. Sein Werk erscheint seit 1984 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln, u. a.: »Heißer Sommer« (1974), »Morenga« (1978), »Der Schlangenbaum« (1986), »Kopfjäger« (1991), »Die Entdeckung der Currywurst« (1993), »Rot« (2001), »Am Beispiel meines Bruders« (2003), »Der Freund und der Fremde« (2005), »Halbschatten« (2008), »Vogelweide« (2013), »Ikarien« (2017), »Der Verrückte in den Dünen« (2020).

Wenstrups Verschwinden


Anfang Januar 1905 war Wenstrup verschwunden. Den genauen Termin seines Verschwindens konnte später niemand mehr angeben. Man wußte nur, daß er am 2. Januar in südlicher Richtung aus Keetmannshoop hinausgeritten war. In seiner Begleitung befand sich sein Bambuse, ein Hottentottenjunge namens Jakobus.

Der Unterveterinär Wenstrup war auf Befehl nach Uchanaris geritten. Dort, in der mit nur wenigen Mann besetzten Militärstation, waren Rinder angeblich an Milzbrand krepiert. Wenstrup sollte diesen Verdacht prüfen und, falls es sich tatsächlich um Milzbrand handelte, Gegenmaßnahmen ergreifen. Da es Zugochsen waren, bestand die Gefahr, daß die Seuche auch nach Keetmannshoop verschleppt würde. Man hatte ihn davor gewarnt, allein zu reiten.

Zwar hatten sich die Hottentotten um Keetmannshoop nicht dem Aufstand angeschlossen, aber es kam immer wieder zu Streifzügen der Rebellen in dieses Gebiet, und zudem konnte man keinem der Hottentotten trauen.

Wenstrup aber wollte nicht warten, bis eine Patrouille nach Uchanaris ging, sondern gleich reiten. Dieser ungewöhnliche Diensteifer war nicht nur Gottschalk aufgefallen. Andererseits hatte Wenstrup sich nicht freiwillig gemeldet.

Vor drei Wochen, also kurz vor Weihnachten, war ein Stabsarzt ebenfalls allein mit seinem Burschen nach Uchanaris geritten, um einem Gefreiten den vereiterten Blinddarm herauszuschneiden. Als Wenstrup aus dem Ort ritt, trug er statt des Truppenhuts einen Chapeau claque und unter seiner grauen Uniform dieses leuchtendrote Halstuch. An diesem Aufzug war nichts Ungewöhnliches. Die meisten Reiter liefen in Keetmannshoop herum wie zu einem Lumpenball kostümiert. Einige trugen Kreissägen aus Stroh, andere abgetragene Paletots. Äußerlich begann sich der Unterschied zwischen Militärs und Rebellen zu verwischen.

Die Versorgungslage sei katastrophal, sagte ein Zahlmeister in Lodenjoppe.

Hier in Keetmannshoop fühlte sich Gottschalk erstmals seit seiner Abreise aus Hamburg wohl. So hatte er sich den Krieg in Südwest vorgestellt, nicht bequem, aber beschaulich und doch abwechslungsreich. Ein wenig begann er die Ereignisse so zu betrachten, wie er sie später einmal Freunden und Bekannten erzählen würde.

Das zeigt sich auch in seinen Tagebuchnotizen. Gottschalk hat einige jener Anekdoten, die ihm alte Schutztruppler erzählten, aufgeschrieben: Die Geschichte von dem Löwen, der schon ziemlich alt und gichtig, einen schlafenden Reiter vom Feuer wegschleppt und erschrocken von seiner Beute läßt, als dieser aufwacht; die Geschichte von einem Riesenfaß, das ein Verrückter in das Land geschleppt hat; die Geschichte von einer Sandviper, die ein Leutnant nach dem Aufwachen in seiner Brusttasche findet. Dazu ausführliche Stimmungsbilder, die das monotone Lagerleben im Ort beschreiben.

Gottschalk konnte sich seinen Dienst frei einteilen. Die Dienstvorschriften, die umständlichen Grußrituale hatten sich in dem eingeschlossenen Ort abgeschliffen. Man verkehrte fast kameradschaftlich sogar mit den Stabsoffizieren. Niemand mochte ausschließen, daß die Rebellen den Ort zu belagern oder gar zu stürmen versuchen könnten. Dennoch war alles ruhig, und manchmal ging Gottschalk auch zur Jagd. Er ging allerdings nur so weit ins Feld, daß er immer noch die Flagge im Auge behielt, die beim Nahen des Feindes heruntergezogen werden sollte. Die Eingeborenen waren freundlich, wenn auch zurückhaltend. Ihr Kapitän hatte sie überreden können, sich nicht am Aufstand gegen die Deutschen zu beteiligen. Der weitschauende Mann sah gute Geschäfte voraus, wenn erst einmal die Truppenverstärkungen der Deutschen ins Land kamen. Dann wurden ortskundige Führer und Wagenfahrer gebraucht. Glücklicherweise hatte die Kommandantur gerade vor Ausbruch des Aufstandes den gesamten Jahresvorrat an Rum und Arrak für das Etatjahr 1905 im voraus geliefert. Abends, wenn es sich abgekühlt hatte, saß man bei einem Glas Rum zusammen. Eine Kapelle aus zwei Trompetern, einem Trommler und zwei Ziehharmonikaspielern spielte abwechselnd Märsche oder Walzer. Eine fidele Zeit, bis die Ablösung von Uchanaris kam. Sie hatte von dem Unterveterinär Wenstrup nichts gesehen und gehört. Drei Tage überfällig sei so ziemlich normal in diesem Land, sagte ein Feldwebel, man muß sich bloß mal bei einer Weggabelung irren.

Was Gottschalk nie so recht verstanden hatte, war, warum Wenstrup sich damals überhaupt freiwillig zur Südfront gemeldet hatte. Eigentlich sollte Wenstrup, da er sich auf Immunologie spezialisiert hatte, in dem neugegründeten Veterinärmedizinischen Institut in Windhuk arbeiten. Statt dessen hatte er die Kommandantur regelrecht bestürmt: Er sei nicht nach Südwest gekommen, um vor dem Mikroskop zu hocken. Er wolle Pulver riechen. Wenstrup hatte das damals selbst erzählt und dabei gelacht, ohne allerdings einen Grund für sein Drängen zu nennen. Der Major habe sich schließlich von der Hartnäckigkeit Wenstrups beeindrucken und den Marschbefehl ausstellen lassen. Dieser Mann glühe förmlich, um für Kaiser, Volk und Vaterland sein Leben in die Schanze zu schlagen, schrieb der Major in seine Beurteilung, in der er zugleich die Beförderung des Unterveterinärs zum Oberveterinär befürwortete, die von Wenstrups ehemaligem Regimentskommandeur zweimal abgelehnt worden war. Hier draußen, im Felde, zeige sich oftmals erst der wahre Kern eines Mannes, dessen rauhe Schale im friedlichen Garnisonsalltag oftmals störend wirke.

 

Am 14. November war die Abteilung, der Wenstrup und Gottschalk zugeteilt worden waren, von Windhuk in Richtung Rehoboth aufgebrochen. Wenstrup behauptete, in dieser verkarsteten Landschaft könnten sich nur verkarstete Geister wohl fühlen. Ein Land, so recht geschaffen für Gemüter mit einem kurzen Docht.

 

Tagebucheintragung Gottschalks vom 15.11.04

Die Landschaft: Der Harz, aber konsequent entlaubt und entwässert. Über den Paß kommend, laufen die Berge sanft geneigt nach Süden in eine Ebene, in die wir durch eine schwebende Glut langsam hineinritten. Überall reicht der Himmel bis auf die gelben Grasspitzen. Die wenigen Sträucher und Büsche stehen prasseltrocken. Die Landschaft öffnet sich dem Auge. Alles, was einen in den Städten bedrängt an sinnlichen Reizen, kommt hier zu einer weiten Ruhe. Anders bei W., der sogar beim Reiten in einer Broschüre blättert.

 

Beim zweiten Biwak hatte Gottschalk Wenstrup gefragt, was er denn da seit Tagen lese. (Gottschalk hatte lange mit sich kämpfen müssen, bevor er fragte. Er selbst mochte auch nicht nach seiner Lektüre gefragt werden.) Das dünne zerfledderte Heft war denn aber keine Agitationsbroschüre der Sozialdemokraten, wie Gottschalk vermutet hatte, sondern ein Lehrbuch für Feuerwerker über die Funktion von Granatzündern. Wenstrup hatte Gottschalk das Heft wortlos herübergereicht. Verständnislos blätterte Gottschalk herum, betrachtete die Zeichnungen und Daten. Was soll das?

In einem Kleinkrieg muß man alles wissen. Stellen Sie sich einmal vor, eine Granate wird auf eine Eingeborenenwerft abgefeuert, und diese Granate detoniert unmittelbar nach Abschuß. Der Zünder ist falsch eingestellt. Fliegt also der Bedienungsmannschaft und den Umstehenden um die Ohren. Da muß man dann doch aufpassen, daß man nicht zu nahe steht. Daß Gottschalk auf dem Marsch nach Rehoboth meist mit Wenstrup zusammen ritt, ergab sich einfach daraus, daß Gottschalk der 5. Batterie zugeteilt worden war und Wenstrup den Befehl erhalten hatte, sich dieser anzuschließen, bis er in Keetmannshoop die Versorgungsstaffel traf, zu der er abkommandiert worden war.

Am dritten Tag trug Wenstrup dieses rote Halstuch. Niemand stellte ihn deswegen zur Rede, obwohl das Tuch zwischen den grauen Uniformen und in dieser grauen Landschaft wie eine rote Signallaterne leuchtete.

Der Krieg kann, wenn man ihn richtig führt, für unsereins auch seine Freiheiten schaffen, sagte Wenstrup. Sehen Sie, die Herren haben vor lauter Diensteifer und natürlich auch vor Angst ihre Augen überall, aber wir sind der schwarze Fleck.

Die Abteilung wurde von einer Avantgarde und einer Arrieregarde gesichert. Seitwärts, rechts und links von der Marschkolonne ritten Patrouillen, und die Offiziere suchten das bebuschte Gelände immer wieder mit Gläsern ab. Besonders der Schwanebach. Dem schien das Glas unter die Stirn gewachsen zu sein.

Ein Oberleutnant, der schon sechs Jahre in Südwest gedient hatte, sagte zu Schwanebach, das Herumsuchen in der Gegend nütze überhaupt nichts. Wenn die Hottentotten einen Hinterhalt legten, dann würde man das erst dann bemerken, wenn die ersten Reiter aus dem Sattel fielen. In diesem überschaubaren Gelände würden die niemals einen Angriff versuchen. Die Hottentotten hielt er für weit gefährlicher als die Herero. Die hätten sich in einer offenen Feldschlacht abschlachten lassen, dafür aber auch mit den Gefangenen nicht viel Federlesens gemacht. Den Toten hätten sie die abgeschnittenen Genitalien in den Mund gesteckt.

Viehisch, sagte Schwanebach und hielt verkrampft das Glas vor die Augen.

Wenstrup wollte wissen, ob das eine Art Kriegsritual sei. Der Oberleutnant sagte nein. Der Grund läge wohl darin, daß es während des Vormarschs der deutschen Truppen zu Vergewaltigungen und Mißhandlungen von Hererofrauen gekommen sei. Der Furor teutonicus, sozusagen. Aber das hatte Wenstrup gesagt.

 

Am 17.11.1904 erreichte die Abteilung Rehoboth. Ein Ort, der aus einigen weißgetünchten Häusern und ein paar Lehmhütten bestand.

Die Zugochsen hatten sich, das Wasser witternd, auf den letzten Kilometern mächtig ins Zeug gelegt, mit einem sonderbar...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte AutorenEdition • Belletristik • Deutsche Kolonialgeschichte • Deutsches Kaiserreich • Deutsch-Südwestafrika • Ereignisse • Gefangenenlager • Guerilla-Aufstand • Herero • historisch • Kiepenheuer & Witsch • Kolonial-Krieg • Montageroman • Montaignes Turm • Nama • Rebellion • Roman • Schicksale • Uwe Timm
ISBN-10 3-462-30871-8 / 3462308718
ISBN-13 978-3-462-30871-6 / 9783462308716
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