Nekropolis - Kriminalroman aus Delhi (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
272 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30906-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nekropolis - Kriminalroman aus Delhi -  Avtar Singh
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'Diese Stadt', sagte Kommissar Sajan Dayal, 'diese Stadt ist eine riesige Nekropole. Ganze Wohngebiete sind dort errichtet worden, wo einst Friedhöfe lagen.' Er muss die aufsehenerregendsten, rätselhaftesten Kriminalfälle dieser überbordenden Stadt lösen. In U-Bahnhöfen brechen mysteriöse Gang-Kriege aus. Eine junge Frau aus dem Nordosten wird vergewaltigt. Das dreijährige Kind einer einflussreichen Familie wird entführt. Ein Toter wird gefunden, der eine Halskette aus abgeschnittenen Fingern trägt. Kommissar Dayal und sein Team arbeiten mit den modernsten Techniken und stoßen auf archaische Bräuche und Kulte. Ihre Ermittlungen führen uns durch alle Schichten dieser brodelnden, vielgesichtigen und geschichtsträchtigen Stadt, in die Villen der Reichen, in die Hütten der Slums.

Avtar Singh wurde 1972 in Amritsar (Nordindien) geboren. Er studierte Englisch und Philosophie in Kalifornien, kehrte 1996 nach Indien zurück und lebte in Mumbai und Goa. Er arbeitete bei verschiedenen Zeitschriften (z.B. Man's World; Time Out Delhi) und ist Chefredakteur von The Indian Quarterly, ein führendes Kunst- und Kulturmagazin in Indien. Nekropolis ist sein zweiter Roman, 2000 erschien bereits The Beauty of these Present Things. Avtar Singh lebt mit seiner Familie in Neu-Delhi.

Avtar Singh wurde 1972 in Amritsar (Nordindien) geboren. Er studierte Englisch und Philosophie in Kalifornien, kehrte 1996 nach Indien zurück und lebte in Mumbai und Goa. Er arbeitete bei verschiedenen Zeitschriften (z.B. Man's World; Time Out Delhi) und ist Chefredakteur von The Indian Quarterly, ein führendes Kunst- und Kulturmagazin in Indien. Nekropolis ist sein zweiter Roman, 2000 erschien bereits The Beauty of these Present Things. Avtar Singh lebt mit seiner Familie in Neu-Delhi.

Sommerspiele


Die Zeitungen jener Tage waren voll vom ziemlich unerwarteten Ausgang der Geschichte, mit der sie sich den ganzen Sommer über beschäftigt hatten. In einem Waldstück in der Nähe eines alten Dorfbezirks von Delhi, nicht weit von der Hauptstraße entfernt, wurde der Leichnam eines jungen Mannes gefunden. Er war nicht älter als zwanzig, den Berichten nach gut gekleidet und offenbar wohlhabend genug gewesen, um sich außergewöhnlich kunstvolle Tätowierungen und zahlreiche Piercings leisten zu können. Die Tagespresse erwähnte es nicht, doch auf den Partys und in den Basaren von Delhi tuschelte man über die fetischistischen Piercings in seinem Genitalbereich und einige offensichtlich selbst zugefügte Wunden, darunter auch unter der Haut angebrachte Metallstücke. Polizeilichen Quellen zufolge war sein Gesicht jedoch frei davon. An seinem Hals fand man die Eindrücke eines Stricks oder ähnlichen Würgewerkzeugs: Es war nicht klar, ob dieses mit oder ohne seine Einwilligung angebracht worden war. Die Autopsie nannte Herzinfarkt als Todesursache.

Um seinen Hals hing eine Kette aus Fingern.

Diese Finger waren unfreiwilligen Spendern abgenommen worden. Der Täter dieser Welle von Verbrechen war immer gleich und überraschend einfach vorgegangen: Er folgte seinen Opfern spät in der Nacht. Sie waren allesamt Vorstadtbewohner – Rikschafahrer, Gelegenheitsarbeiter und ähnliche Leute –, die regelmäßig spät heimkehrten. Mit einem Schlag auf den Hinterkopf setzte er sie außer Gefecht. Dann verabreichte er ihnen eine Injektion, die dafür sorgte, dass die Opfer nicht so schnell wieder erwachten. Erst wenn die Wirkung der Droge nachließ, bemerkten sie das Fehlen des Fingers und den vom Täter in Sekundenschnelle angebrachten Notverband zum Stoppen der Blutung. Kein einziger Mann war dabei ums Leben gekommen, doch die Tatsache, dass der Täter seine Opfer nicht umbrachte, machte ihn in den Augen der Stadt noch krankhafter.

Mit der Zeit wurde der Fingersammler selbstsicherer und begann sogar, seinen Opfern nachzustellen. Nur eines, im Dorfbezirk für seine Leichtfüßigkeit bekannt, schaffte es, ihm zu entkommen. Die anderen erlegte er bei der Jagd durch die Stadt, die taub für ihre Schreie war. Sie alle mussten dem Fingersammler ihren Tribut entrichten.

Er nahm immer nur einen Finger und niemals einen Daumen. Die Auswahl wirkte zufällig: In seiner Sammlung gab es genauso viele kleine Finger wie Ring- oder Zeigefinger. Er hatte im Hochsommer begonnen, während des Monsuns sogar noch zugelegt, und als die Stadt vor Panik schon fast überschnappte, hatte er an die zwanzig Finger gesammelt. Es wurde spekuliert, ob er da aufhören würde oder ob er, sobald sich das Wetter besserte, den Sprung über die Klassengrenzen machen und beginnen würde, auch die Mittelschicht zu entfingern. Ein spürbares Gefühl der Erleichterung lief durch die Stadt, als keine der beiden Hypothesen eintrat.

Große Beachtung hatte die Nachricht gefunden, dass der für seinen Scharfsinn bekannte Kommissar Sajan Dayal, Deputy Commissioner of Police, mit dem Fall betraut worden war. Weil sich Dayal als Chef der Sonderkommission über den Sommer und die Regenzeit intensiv um diese Gräueltaten gekümmert hatte, war er zum bekanntesten Polizisten der Stadt geworden. Seine stoischen Bemerkungen bei den Pressekonferenzen hatten beinahe Kultstatus erreicht und machten regelmäßig in den sozialen Netzwerken die Runde.

»Wir wussten inzwischen, mit wem wir es zu tun hatten«, sagte der Kommissar im ersten Morgenlicht in die Kameras und Aufnahmegeräte. »Wir waren ihm dicht auf der Spur, er versuchte zu fliehen, dabei ist er zusammengebrochen. Es ging ihm offensichtlich nicht besonders gut.« Nach diesem Understatement ließ er die Reporter stehen und zog sich in den geheiligten Bereich hinter dem gelben Absperrband zurück. Kein noch so großer Mediendruck konnte ihn wieder hervorlocken.

Die Menschen, die zu Hause bei Cornflakes und Frühstücksfladenbrot zusahen, erinnerten sich, als der unvermeidliche Hype über die folgenden Tage nachließ, an den resignierten Gesichtsausdruck des Kommissars, während er sein Statement abgab. Ein erfolgreicher Abschluss des Falls war dies beileibe nicht. Einige Kommentatoren machten die Erschöpfung des Kommissars für den Mangel an Siegesemotion verantwortlich: Immerhin war dies einer der langwierigsten und grausamsten Fälle gewesen, den der Kommissar je zu lösen gehabt hatte. Das Wichtigste aber war, so wurde immer wieder betont, dass die abscheulichen Taten jetzt ein Ende hatten.

Ein Blick auf die Lokalseiten der Zeitungen zeigte, dass noch ein anderes Vorkommnis Delhis Bürger in jenem endlosen Sommer beunruhigte: Straßenschlachten, die, entweder als Stellungskriege oder mit beweglichen Fronten, zwischen Banden von selbst ernannten Vampiren und Werwölfen geführt wurden. Die Jugendlichen verfolgten sie atemlos, die Älteren waren entsetzt und alle anderen verwirrt. Was sollte man von jungen Leuten beiderlei Geschlechts halten, die sich verkleideten und an Bushaltestellen und in Zügen, auf Märkten und Parkplätzen mit Gegenständen bewarfen und wüst beschimpften? Wer waren ihre Vorbilder, was wollten sie beweisen? Und wo, bitte schön, waren ihre Eltern?

Die Klatschspalten berichteten auch vom Verschwinden der Frau, die wegen ihres militärisch anmutenden Outfits »Frau Oberst« genannt wurde, in dem sie sich ins Nachtleben stürzte, was Nacht für Nacht geschah. Ihre Leggins und maßgeschneiderten Jacketts mit Schulterstücken waren unverwechselbar. Niemand sonst kleidete sich so. Bei den Modefreaks der Stadt erregte »Frau Oberst« damit großes Aufsehen. Sie verschwand in der gleichen Nacht, als die Leiche von Delhis eigenem Angulimala entdeckt wurde.

Ein Grüppchen ihrer weiblichen Follower, jetzt ihrer Anführerin beraubt, wurde in ihren nächtlichen Hangouts von Zeitungs- und Fernsehreportern interviewt. Wie lange kannte man sie schon? »Seit jeher«, erklärte eine junge Frau in den Zwanzigern. »Schon bevor diese Bar eröffnet wurde«, bekräftigte eine andere. »Und das war vor mindestens zwei Jahren.« Keiner konnte sagen, ob sie Familie hatte. Niemand war jemals zu ihr nach Hause eingeladen worden. Sie ging jeden Abend in eine andere Bar, und ihr Hofstaat war ihr immer gefolgt. »Wir werden ihr Lächeln, die Gespräche mit ihr und ihre Anteilnahme sehr vermissen.«

Nach ein paar Tagen verschwand auch sie aus den Zeitungen und den Herzen und Gedanken ihrer einstigen Fangemeinde.

* * *

Ein paar Monate früher: Zwei Uhr morgens in Lajpat Nagar, einer Bastion der Punjabi-Mittelschicht in der Nähe des Zentrums von Delhi. Im feineren Teil des Viertels wohnen die niederen Angestellten der nicht so wichtigen Botschaften, die schäbigeren Bezirke beherbergen Afghanen und Kashmiris und andere Vertreter aus Delhis Flüchtlingsszene. Es gibt hier Straßen, in denen rund um die Uhr das Licht nie ausgeht, gesäumt von Häusern mit zahllosen Bewohnern.

Eine dieser Straßen: an einem Ende eine Reihe Läden, in denen Autoersatzteile verkauft werden, am anderen ein armseliger kleiner Park. Die bescheidenen Wohnungen liegen über den Läden und gehen auf kleine Gärten hinaus. Alle Fenster sind mit Eisenstangen verbarrikadiert. Schmale Gassen zweigen von dieser Durchgangsstraße ab. Nachts kommen die Rikschafahrer zum Schlafen hierher, wenn die letzten Halbstarken in ihren Kleinwagen mit den getönten Scheiben, die Stereoanlage voll aufgedreht, davongebraust sind. Sie parken ihre Fahrradrikschas in einer Reihe nebeneinander und rollen sich auf der unbequemen Sitzbank oder direkt auf der offenen Straße zusammen.

Ein kleiner Kiosk am Straßenrand bietet bis spät in der Nacht Tee und Kekse feil. Wenn man dem Inhaber ein paar Eier gibt, brät er sie auch für einen. Das kalte Licht von Gaslampen liegt über allem und taucht die Bewohner der Nacht und ihre Umgebung in ein ungesundes Gelb.

Die heiße Nachtluft Delhis ist noch mit Abgasen geschwängert. Kein Windhauch ist zu spüren, und die wenigen Kleidungsstücke, die die Männer tragen, glänzen vor Schweiß. Einer der Männer wälzt sich im Schlaf von der einen auf die andere Seite und stöhnt wie im Fieberwahn. Keiner von denen, die sein offenes Schlafzimmer teilen, hat etwas übrig für so viel Intimität, sie ignorieren ihn und lassen das Echo seines wirren Geredes an den Häuserwänden abprallen.

Schließlich erwacht einer von ihnen brummend und stolpert zu dem kleinen Park hinüber, ein hart umkämpfter Platz, den die Mittelschichtsanwohner am Tag für ihre Kinder und in der Nacht gegen Männer wie ihn abzuschirmen versuchen. Das Tor ist mit einem Vorhängeschloss gesichert, weshalb er sein Geschäft an der Außenmauer verrichtet. Er ist nicht der Erste, der dies tut, und ein scharfer Männergestank hängt über dem gesamten Park. Ein riesiger alter Niembaum wirft seinen schwankenden Schatten auf ihn. Es gibt ein paar dunkle Ecken hier, dunkler als die Straße selbst, und vielleicht denkt er: Warum nicht?, bevor er sein Spritzbesteck hervorholt. Dann hört er plötzlich ein Geräusch, und als er sich umdreht, sieht er etwas, das zu dem Geräusch passt, und es erschreckt ihn so sehr, dass er die alte gläserne Injektionsspritze fallen lässt. Die schmutzige Nadel bricht, und die kostbare Substanz auf ihrem Stückchen Aluminiumfolie fällt zu Boden und liegt verstreut im Dreck.

Wahrscheinlich schreit er los. Sicher rennt er ein paar Schritte davon.

Dann spürt er einen Schlag und fällt auf die Knie....

Erscheint lt. Verlag 6.11.2015
Übersetzer Lutz Kliche
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Archaische Kulte • Asien • Delhi • Gang-Kriege • Großstadt • Himalaya • Indien • Kommissar Sajan Dayal • Kriminalroman • Modernes Indien • Neu Delhi • Sajan Dayal • Spannung
ISBN-10 3-293-30906-2 / 3293309062
ISBN-13 978-3-293-30906-7 / 9783293309067
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