Das Haus meiner Väter (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
458 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30439-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus meiner Väter -  Jørn Riel
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Dies ist die Geschichte des Inuit-Jungen Agorajaq, seiner zwei weißen Väter, seiner drei Onkel und ihrem Haus am Fuß des Berges, der Miss Molly genannt wurde. Mit achtzehn Jahren brach Jørn Riel zum ersten Mal nach Grönland auf. Sechzehn Jahre lebte er dort, als Forscher und Abenteurer ganz auf sich gestellt, im unzugänglichen Nordosten. Als die Einsamkeit ihn zu überwältigen drohte, begann er, der nie an Literatur gedacht hatte, seinen Gefährten Geschichten zu erzählen. Jørn Riel spinnt seine Romane wie Seemannsgarn. Sie sind so wahr wie die unglaublichen Geschichten, die sich die Trapper, Jäger und Fischer, die Abenteurer, Ausgestoßenen und Ausgebrochenen in den ewigen Winternächten erzählen, um nicht in der Einsamkeit unterzugehen.

Jørn Riel (1931-2023) kam im Alter von achtzehn Jahren als Mitglied einer Expedition in den Osten Grönlands und blieb dort. Von 1962 bis 1965 unternahm er Reisen nach Westindien, Nordafrika und Südostasien. Zu Fuß durchquerte er Sumatra in elf Monaten. Später arbeitete er im Dienst der UNO im Vorderen Orient, in Syrien und Jordanien. Nachdem er in Thailand, Indonesien und Papua-Neuguinea seinen Wohnsitz hatte, pendelte er zwischen +40 Grad Malaysia und -40 Grad Skandinavien.

Jørn Riel (1931–2023) kam im Alter von achtzehn Jahren als Mitglied einer Expedition in den Osten Grönlands und blieb dort. Von 1962 bis 1965 unternahm er Reisen nach Westindien, Nordafrika und Südostasien. Zu Fuß durchquerte er Sumatra in elf Monaten. Später arbeitete er im Dienst der UNO im Vorderen Orient, in Syrien und Jordanien. Nachdem er in Thailand, Indonesien und Papua-Neuguinea seinen Wohnsitz hatte, pendelte er zwischen +40 Grad Malaysia und -40 Grad Skandinavien.

Von Onkel Gill, Small Johnson und Sam


Von meinen drei Onkeln war Gilbert ohne allen Zweifel der empfindsamste. Er war ein Träumer und setzte seine Träume in Musik und Poesie um. Als ich ihn zum Beispiel einmal nach meiner Entstehung fragte, richtete er seinen Blick himmelwärts und antwortete mit fester Stimme:

»Noch ungeboren,

noch in den Lenden

ein Brennen,

noch eine Umarmung,

ein Zittern,

ein Kreisen,

eine Glut!

Noch ein Plasma

aus Lust …«

Welche Antwort natürlich ein Wohllaut fürs Ohr, mir aber durchaus unverständlich war. Onkel Gill drückte sich übrigens besser im spätromantischen Stil aus, und seine Gedichte waren nur selten von so moderner Machart wie das oben angeführte.

Onkel Gill wurde in San Francisco als Sohn eines arbeitsscheuen Schlachthausarbeiters geboren, der seine Mannesjahre im Wirtshaus »Zum munteren Albatros« verbrachte. Die Mutter war ein wortkarges, starkes Weib, das seine Zeit gleicherweise zwischen dem Reinemachen »für die Feinen« und dem Biertrinken mit dem Ehegespons im »Albatros« teilte. Das Elternpaar betrachtete den Sohn Gilbert als einen ausgesprochenen Mißwuchs, einen jener unausrottbaren Wildtriebe, die die Natur bisweilen in den Gärten rechtschaffener Leute hervorsprießen läßt und mit denen zusammen zu leben es viel Demut braucht.

Der Vater drückte dies unter Freunden so aus: es gebe in seinem Leben nur zwei Dinge, die ihn wirklich plagten – Hämorrhoiden und Gill.

Der Junge hatte nur höchst selten verbalen Umgang mit seinen Eltern. Kam es indessen doch dazu, dann geschah dies nur mit Worten und Sätzen, die ihnen ebenso unverständlich waren wie Hebräisch oder die Sprache der Bantu. Der Junge lebte in einer Traumwelt, die voll von Fabeltieren, guten Feen, unwirklichen Farben und seltsamsten Tönen war. Noch ehe er schreiben gelernt hatte, dichtete er lange Balladen, die er sich murmelnd selber vortrug. War er nicht mit Poesie beschäftigt, dann spielte er auf selbstverfertigten Flöten nach einem Notensystem, das er sich mittels eines karierten Rechenheftes und der Zahlen von eins bis zwölf zurechtgelegt hatte. Er wurde zur großen Erleichterung seiner Lehrer frühzeitig aus der Schule genommen. Der Vater, der – wie so viele Väter vor ihm – die literarischen und musikalischen Talente des Jungen nicht beachtete, hielt Schulbesuch für eine lächerliche Zeitvergeudung und konnte dank seiner Verbindungen im »Albatros« seinen seltsamen Sohn in einer Fabrik unterbringen, wo man für die Frontsoldaten in Europa Frühstückskonserven herstellte.

Gill, den die Natur mit einem freundlichen und umgänglichen Gemüt beschenkt hatte, fand sich geduldig in sein Geschick und bediente seine stationäre Gulaschkanone fast mit dem gleichen Enthusiasmus, wie andere junge Amerikaner in der Fremde ihre Waffen bedienten. Seine Freizeit brachte er mit den Eltern im »Albatros« zu, wo er auf dem verstimmten Klavier Getränke für die Familie zusammenspielte. An einem solchen Abend begegnete er Small Johnson. Der Krieg war vorüber, und die Neue Welt wurde wie die Alte nach dem gewaltigen Siegesrausch vom Katzenjammer heimgesucht. Drei Jahre lang hatte Gill Konservendosen mit einer unbestimmbaren Substanz gefüllt, drei Jahre hatte er an dem gleichen Platz gestanden, hatte den gleichen sauren Dunst eingeatmet, die gleichen Handgriffe ausgeführt – drei tote Jahre. Gill war reif zum Aufbruch.

Small Johnsons Start vollzog sich in umgekehrter Richtung. Er begann oben auf der sozialen Stufenleiter mit einem adeligen Vater. Dieser vornehme Vater vermachte Small Johnsons Mutter, einer sogenannten Kuchenjungfer im Hotel »Longfeather«, eine erkleckliche Summe Geld, die es ihr ermöglichte, außer Small Johnson eine wachsende Kinderschar und noch einen oder zwei Liebhaber zu versorgen.

Der adelige Einschlag sicherte Small Johnson unter den vielen Geschwistern einen gewissen Vorrang. Schon als Kind war er sich darüber im klaren, daß es seine Umgebung war, die ihm zu dienen hatte, und nicht umgekehrt. Als er fünfzehn war, zog die Mutter mit der Geschwisterschar und einem französischen Prediger in den Süden, weil nach dessen Ansicht die mexikanische Grenzstadt Derio der Ort war, wo Jesu bevorstehende Wiederkunft vollzogen würde. Während also Small Johnsons Familie und der Prediger in heiliger Geduld den großen Tag abwarteten, versuchte er sich als Lebemann, doch hatte er nicht das Format seines Vaters. Zweimal stattete er dem Gefängnis des Ortes einen Besuch ab, bis er schließlich als Tellerwäscher an seinem Startplatz, dem Hotel »Longfeather«, einigermaßen zur Ruhe kam. Hier begegnete er der Liebe seines Lebens. Sie arbeitete untertags als Hilfskraft in einem Spital und verdiente sich nachts das Nötige zur Würze des Lebens. Leider zog sich das Mädchen eine Krankheit zu, deren Erwähnung ihre vielen Freunde nicht eben schätzten. Small Johnson und ein halbes Hundert anderer ehrwürdiger Bürger hatten ihr eine recht schmerzhafte Verarztung und ein fiebervolles Krankenlager zu verdanken.

Nach solchem Kummer streifte Small Johnson ein paar Jahre im Land umher. Er erwarb sich gründliche Kenntnisse in der schwierigen Kunst des häuslichen Branntweinbrennens und entwickelte im Laufe dieser Zeit seine Geschmacksnerven zu wahrer Vollkommenheit. Seine Kunst reichte vom Agavenschnaps, von Tequila und Mescal über den aus Rosinen destillierten Imiaq bis zu dem sinnbetörenden chinesischen Sam-Su. Diese seine Begabung führte ihn nach San Francisco, wo gerade in jenen Tagen großer Bedarf an tüchtigen Leuten war. Das Zusammentreffen mit Gill entsprang einer Sauferei im »Albatros«, einem Gelage, von dem man noch heute spricht, wenn die Sonne im Sacramento-Tal die Zungen zu Sandpapier brennt.

Gill und Small Johnson kamen überein, sich auf Reise durch das durstende Amerika zu begeben. Es ging durch die Wüsten Nevadas, den toten Salzsee entlang, über die Berge von Montana und weiter nach Norden. Gill spielte, und Small Johnson brannte. Sie überschritten die Grenze südlich von Medicinhill und folgten dem Saskatchewan-River nach Prince Albert. Hier begann die lange Reise durch das Nordwestterritorium.

Ein Zufall brachte sie zu Petes Haus. Soweit erinnerlich, handelte es sich dabei um eine kleinere Meinungsverschiedenheit mit dem Polizisten in Downty City nach einer munteren Zecherei in Ernesto Whitecooks Bar »Singapore«. Um die Behörde zu beruhigen und Ernesto Gelegenheit zu geben, sein Etablissement sozusagen von Grund auf neu zu erstellen, zogen sie, wie so manche Männer vor ihnen, weiter nordwärts.

Hier endete mit einem Schlag ihre Reise, sie waren von Patric McHuges’ Hütte, von Pete und von dem wundervollen Frieden, den dieser Erdenfleck ausstrahlte, zutiefst angetan. Vor allem das letzte empfanden sie nach den unruhigen Wanderjahren wie heilenden Balsam. Sie fügten sich schnell in den täglichen Turnus ein, der einem so wenig abverlangte, dafür aber alles Erdenkliche gab.

Von Onkel Sams Herkunft weiß ich erstaunlich wenig. Er kam irgendwo in Polen zur Welt, legte an der Warschauer Universität sein Staatsexamen in Anthropologie ab und emigrierte aus seinem Vaterland, fünfzehn Jahre bevor ein gewisser Anstreicher sich im Nachbarstaat zu rühren begann. Seine Wissenschaft führte ihn weit umher. Er entschied sich bald für die Eskimologie als Spezialgebiet und bereiste, von freundlichen Eskimo unterstützt, große Gebiete der Arktis. Er besuchte auch Teile Süd- und Mittelamerikas, da er dies als wichtig für seine Studien ansah. Er war nämlich ein begeisterter Anhänger einer neuen Theorie, derzufolge die Eskimo als ein stabilisiertes Mischvolk, eine Kreuzung der Lagao-Santa-Rasse mit asiatischen Mongolen, angesehen wurden. Onkel Sam hat von Brasilien im Süden über Mittelamerika und die USA bis weit hinauf in die arktischen Einöden schwer gebaute Schädel mit hohen, schmalen Scheitelpartien gemessen.

Man kann wohl sagen, daß Onkel Sam sich voll und ganz mit seiner Wissenschaft und seinen Studienobjekten identifiziert hat. Er ist weitgehend vertraut mit der Sprache und der Lebensweise der Eskimo und hat ganz wie ein echter Eskimo das lebendigste Interesse an der Sagen- und Mythenwelt der Polarländer. Ausdrucksformen der Eskimo haben seine Redeweise nicht wenig beeinflußt, so daß seine Alltagssprache oft etwas konstruiert oder gekünstelt klingt.

Onkel Sam kam vor das Haus gerollt. Das geschah ein paar Jahre vor meiner Geburt. Er war über die steilen Hänge der Willsonhills, durch den Gänsepaß und über das kleine Plateau gestapft und landete jäh an der Südwand unseres Hauses. Hinter ihm trafen ein stumpfnäsiger Zugschlitten, ein vom Wind zerfranstes Zelt und schließlich eine Kiste voller Landkarten und anthropologischer Handbücher ein. Er kam zusammen mit einem Unwetter angefegt, was seiner Natur durchaus nicht entsprach. Er hätte eigentlich an einem freundlichen, windstillen Abend im Licht der niedrig stehenden rotgoldenen Sonne leicht vor sich hin murmelnd den Berg herabkommen müssen.

Pete und Small Johnson hörten den Bums, als er an die Wand knallte. Sie liefen hinaus, um zu sehen, was los war. In dem heftigen Schneegestöber erkannten sie einen kleinen, stämmigen Mann, der halb betäubt dalag und nach etwas umhertastete.

Pete fand das Gesuchte, die...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arktis • Dänemark • Eskimo • Grönland • Inuit • Kindheit
ISBN-10 3-293-30439-7 / 3293304397
ISBN-13 978-3-293-30439-0 / 9783293304390
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