Ich gab ihm mein Wort - Tamera Alexander

Ich gab ihm mein Wort

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Buch | Softcover
440 Seiten
2018 | 1. Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-039-3 (ISBN)
8,00 inkl. MwSt
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Carnton Plantage, Franklin,1864:

Lizzie Clouston ist Hauslehrerin auf der Südstaaten-Plantage der Familie McGavock und eine heimliche Gegnerin der Sklaverei. Voller Hingabe widmet sie sich der Erziehung ihrer kleinen Schützlinge, sehnt sich jedoch danach, bald ihre eigene Familie zu gründen. Sie ist mit ihrem Kindheitsfreund Towny verlobt, doch irgendetwas lässt Lizzie zögern.
Als das beschauliche Carnton unerwartet von den Wirren des Bürgerkriegs heimgesucht wird, gerät Lizzies Welt schlagartig aus den Fugen. Einfühlsam kümmert sie sich um die verwundeten Soldaten, unter ihnen auch der
gutaussehende und charmante Hauptmann Roland Jones, der in Lizzie nie gekannte Gefühle weckt. Doch was ist mit Towny? Ihr Gefühlschaos ist komplett, als sie erfährt, dass Roland ein Sklavenhalter ist. Und ausgerechnet er begleitet sie nun auf der gefährlichen Mission, den letzten Wunsch eines sterbenden Soldaten zu erfüllen ...

Tamera Alexander ist für ihre historischen Romane schon mehrfach mit dem Christy Award ausgezeichnet worden, dem bedeutendsten christlichen Buchpreis in den USA. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern in Nashville.

Kapitel 1 30. November 1864 Carnton-Plantage Franklin, Tennessee 35 km südlich von Nashville „Und das hier, Kinder, ist eine Zeichnung von der Großen Pyramide von Gizeh in Ägypten. Dieses Land ist sehr weit von Franklin, Tennessee, entfernt.“ Lizzie sah die Faszination in den Augen der kleinen Hattie und ihrer Cousine Sallie, die aus Nashville zu Besuch gekommen war. Aber der siebenjährige Winder schaute nur gelangweilt aus dem Fenster. Lizzie senkte die Stimme. „In dieser Pyramide sind ein Pharao, das ist ein mächtiger ägyptischer König, und seine Königin begraben. In ihr gibt es viele Geheimkammern.“ Winders Kopf fuhr herum. „Geheimkammern?“ Sie nickte. „Archäologen haben vor Kurzem einige neue Kammern im oberen Teil der Pyramide gefunden. Sie waren über viele Jahrhunderte verborgen. Schaut euch diese Zeichnung an …“ Während sie die Kinder weiter unterrichtete, warf sie unauffällig einen Blick auf die Uhr, die auf einem Seitentisch stand, und rechnete damit, dass Tempy jeden Moment etwas für die Kinder zu essen bringen würde. Ein fast sommerlicher, leichter Wind bewegte die Vorhänge vor der offenen Tür, die auf einen Balkon im ersten Stockwerk hinausführte. Der Sonnenschein und die Wärme waren verlockend. Vielleicht würde sie das schöne Wetter nutzen und den Nachmittagsunterricht unter dem Milchorangenbaum vor dem Haus halten. Nach so vielen Wochen mit Regen und Kälte war das milde Wetter eine willkommene Abwechslung. Besonders um diese Jahreszeit, Ende November. Einige Momente später hörte sie Tempys Schritte auf der Treppe. „Danke, dass ihr so gut aufgepasst habt, Kinder. Und danke für eure ausgezeichneten Fragen, Mädchen. Jetzt ist Zeit für eine Pause!“ Tempy klopfte zweimal an die Tür, bevor sie eintrat. „Guten Morgen, Kinder!“ Winder hüpfte von seinem Stuhl. „Was gibt es zu essen, Tempy?“ Lizzie räusperte sich und schaute ihn vielsagend an. „Ich meine natürlich: Danke, Tempy, für das Essen, das du gemacht hast“, verbesserte er sich, versuchte aber immer noch, sich nach oben zu strecken und über den Rand des Tabletts zu spähen. Tempy zwinkerte ihm zu und stellte das Tablett auf den Tisch. „Ich habe heute Morgen für alle Zimtbrötchen gemacht, Master Winder. Bedient euch. Und trinkt ein Glas Milch.“ Sie schloss die Mädchen in ihr Kopfnicken ein. Die Kinder nahmen schnell ihr Essen und liefen auf den Balkon hinaus, der einen großzügigen Blick über das Gelände vor dem Haus bot. „Miss Clouston, ich habe Ihnen auch ein Brötchen mitgebracht, Ma’am.“ Lizzie nahm das Brötchen dankbar an und biss hinein. Sie seufzte entzückt und schloss für einen Moment die Augen. Das Brötchen, das frisch aus dem Ofen kam und deshalb noch ganz warm war, zerschmolz fast auf der Zunge. Der Zuckerguss, der daraufgestrichen war, schmeckte himmlisch süß. „Diese Brötchen schmecken noch besser als sonst. Danke.“ „Gerne, Ma’am.“ Tempy betrachtete den Globus auf dem Tisch und schüttelte den Kopf. „Schauen Sie sich nur diese vielen Länder an. Kaum zu glauben, was es auf der Welt alles gibt.“ Lizzie hörte in der Stimme der Frau etwas, das wie Sehnsucht klang. Ihr war schon öfter aufgefallen, dass Tempy den Globus anschaute, aber bisher hatte sie nie etwas dazu gesagt. Lizzie wischte sich sorgfältig den Zuckerguss von den Fingern und drehte den Globus, um ihr Nordamerika zu zeigen. Dann deutete sie auf Tennessee. „Hier sind wir. Und hier …“, sie drehte den Globus erneut und deutete auf die nordöstliche Ecke Afrikas, „… befindet sich diese Pyramide.“ Lizzie hielt die Zeichnung hoch und erzählte ihr eine Kurzfassung von dem, was sie die Kinder gelehrt hatte. „Sie steht in einem Land, das Ägypten heißt.“ Tempy schaute sie fragend an. „Sie sagen, dass in diesem Ding ein vornehmer König beerdigt ist?“ Lizzie nickte. „Zusammen mit seiner Königin.“ „Hmm. Auf dieser Kugel sieht es gar nicht so weit weg aus, aber ich schätze, wir würden eine Weile brauchen, bis wir dort sind.“ „Ja, eine sehr lange Weile. Und wir müssten dazu einen Ozean überqueren.“ Lizzie zeichnete eine unsichtbare Linie von Tennessee über den Atlantik bis nach Ägypten und der Gegend von Gizeh. Tempy schüttelte den Kopf. „Gott hat so eine große Welt geschaffen. Wie hat er sich das alles nur ausdenken können!“ Lizzie bewegte den Finger von Ägypten aus ein kleines Stück nach rechts, da sie wusste, dass sich Tempy darüber freuen würde. „Siehst du dieses winzige Land hier?“ Tempy kniff die Augen zusammen. „Ja, Ma’am. Es ist so klein, dass man es kaum erkennen kann.“ „Das ist Palästina. Hier wurde Jesus geboren und hier hat er gelebt, als er auf der Erde war.“ „Palästina“, wiederholte Tempy langsam und sagte das Wort noch zweimal, als wollte sie es auf ihren Lippen fühlen. „Ich habe gehört, dass er in einem Ort geboren wurde, der Bethlehem hieß.“ Lizzie nickte. „Das stimmt. Bethlehem liegt in diesem Gebiet.“ Tempy betrachtete die Stelle auf dem Globus sehr lange. Dann fuhr sie ehrfürchtig staunend mit ihrem von Arthrose geplagten Finger darüber. Nicht zum ersten Mal meldete sich Lizzies Gewissen und sie spürte eine deutliche Aufforderung. Laut Tempys eigenen Worten lebte die alte Frau schon seit Ewigkeiten auf Carnton, wo sie als Köchin für die McGavocks arbeitete. Lizzie hatte Tempy schon oft Fragen über ihr Leben stellen wollen. Über ihre Meinung zu diesem Krieg. Und sie hatte sie darauf ansprechen wollen, dass sie die einzige Sklavin war, die sich noch hier befand, nachdem Oberst McGavock die anderen 38 Sklaven bereits vor drei Jahren in den Süden geschickt hatte, weit weg von der Unionsarmee, die sie sonst befreit hätte. Sie war sicher, dass Tempy die Gelegenheit, lesen zu lernen, sofort ergreifen würde. Aber es verstieß gegen das Gesetz, eine Sklavin lesen und schreiben zu lehren. Wenigstens hier im Süden. Die von Präsident Lincoln vor fast zwei Jahren erlassene Emanzipationsproklamation hatte in dieser Hinsicht kaum etwas geändert. Deshalb hatte Lizzie das nie angeboten. Und in den acht Jahren, die sie hier auf Carnton lebte und arbeitete, hatte sie Tempy noch nie anvertraut, was sie über Sklaverei dachte. Dazu hatte sie nicht den nötigen Mut aufgebracht. Immerhin war Sklaverei kein Thema, über das eine „anständig erzogene“ Frau sprechen durfte. Schon gar nicht gegenüber einer Sklavin. Was würde es schon ändern, wenn sie ihre Meinung kundtäte? Sie war Gouvernante und keine Landbesitzerin. Sie hatte kein Wahlrecht. Sie war nicht einmal Herrin in ihrem eigenen Haus. Wenigstens noch nicht. Sie hatte keine Stimme. Falls sie ihre Meinung äußern würde, triebe das nur einen Keil zwischen sie und die Familie McGavock und sie wollte diese Beziehung, die ihr sehr wichtig war, nicht gefährden. Es könnte sie ihre Stelle hier auf Carnton kosten, wenn sie ihre Meinung unumwunden verkündete. Das konnte sie sich nicht leisten, schon gar nicht jetzt, da Krieg herrschte. Trotzdem regte sich in ihr eine gewisse Scham, als sie über die Gründe für ihr Schweigen nachdachte. Manchmal fragte sie sich, ob sie nicht vor Jahren in den Norden hätte gehen sollen. Sie hätte sich eine Stelle bei einer Familie in Boston oder Philadelphia suchen können. Aber dazu hätte sie ihre Familie, ihre Freunde, alles, was sie kannte, zurücklassen müssen. Also war sie geblieben und versuchte, sich nicht mit etwas aufzuhalten, das sie nicht ändern konnte. „Sie erzählen den Kindern von all diesen Orten, Ma’am?“ Tempy warf wieder einen Blick auf den Globus. „Ich versuche es. Aber an einem so schönen Tag lassen sie sich viel zu leicht ablenken.“ „Solche Tage wie heute gibt es nicht oft und schon gar nicht um diese Jahreszeit.“ Lizzie tupfte ihre Mundwinkel ab, um sicherzugehen, dass kein Zuckerguss mehr daran klebte. Dann senkte sie die Stimme, da die Balkontür offen stand. „Ich denke daran, den Nachmittagsunterricht nach draußen zu verlegen.“ „Wenn Sie wollen, Ma’am, könnte ich Ihnen ein Picknick einpacken. Dann könnten Sie mit den Kindern draußen essen.“ Lizzie nickte. „Das ist eine wunderbare Idee! Ich stelle den Kindern das Picknick als Belohnung in Aussicht, wenn sie bis dahin gut aufpassen.“ Diese Belohnung wirkte wahre Wunder. Nach dem köstlichen Mittagessen auf der Decke im Garten halfen die Kinder, ohne zu klagen, die Picknicksachen einzupacken. Bei Winder musste sie ein wenig nachhelfen, da er einfach ein abenteuerlustiger Junge war. Trotzdem packte er mit an, als er dazu aufgefordert wurde. Lizzie saß neben Sallie auf der Decke und schaute zu, wie Winder und Hattie im Schatten des Milchorangenbaums Fangen spielten. Eine starke Zuneigung zu diesen Kindern regte sich in ihr. Sie kannte Hattie schon, seit das Mädchen knapp zwei gewesen war. Und Winder kannte sie seit seiner Geburt. Sie liebte die beiden, als wären sie ihre eigenen Kinder. Die Wärme in ihr kühlte sich ein wenig ab. So Gott wollte, würden sie und Towny eines Tages eigene Kinder haben. Ein Anflug von Schuldgefühlen begleitete ihre Gedanken an Towny. Aber wie immer versuchte Lizzie, sie zu verdrängen. Immerhin heirateten Frauen aus vielen verschiedenen Gründen: Geld, Prestige, soziale Stellung, Sicherheit. War es da so schlimm, wenn sie Towny heiratete, weil sie Kinder bekommen wollte? Sie betrachtete den leeren Ringfinger ihrer linken Hand und dachte daran, was Towny in seinem letzten Brief vor fast einem Monat geschrieben hatte: Wenn er sie das nächste Mal sah, wollte er ihr etwas Besonderes geben. Meinte er damit den Ring seiner Mutter? Da sie seine Mutter, Marlene – Gott schenke ihr ewigen Frieden –, gekannt hatte, fand Lizzie diesen Gedanken sehr rührend. Andererseits hoffte sie im Hinblick auf die innige Beziehung, die Townys Eltern miteinander gehabt hatten, dass sie dieses Ringes würdig wäre – falls Towny überhaupt plante, ihn ihr zu geben. Es wäre bestimmt herrlich, ihn nach so vielen Monaten wiederzusehen. Hatte er sich sehr verändert? Hatte sie sich sehr verändert? Hatte sich an seiner Absicht, sie zu heiraten, irgendetwas geändert? Beschäftigten ihn ähnliche Fragen über ihre gemeinsame Zukunft wie sie? Ein warmer Wind ließ die Blätter über ihr rascheln. Lizzie warf einen Blick auf die Uhr, die sie an ihre Bluse gesteckt hatte. Es war schon später, als sie gedacht hatte. Sie brachte die Kinder wieder ins Schulzimmer im ersten Stock zurück und wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen, als ihr Tempy winkte. „Sie haben einen Brief bekommen, Ma’am. Von Ihrem Leutnant Townsend.“ Tempy reichte ihr den Brief. „Ich hoffe, es geht ihm gut. Er ist so ein guter Mann.“ Ihr Leutnant Townsend. Tempy hatte sich in den letzten Monaten angewöhnt, Towny so zu nennen, aber diese Formulierung löste bei Lizzie immer noch sonderbare Gefühle aus. „Danke, dass du ihn mir gebracht hast. Und ja, er ist ein guter Mann.“ Sie las das Datum, das auf den Umschlag gestempelt war. Der Brief war nur eine Woche unterwegs gewesen. Dieses Mal war die Postzustellung sehr schnell erfolgt. Wo er sich wohl befand? „Er wird Ihnen ein guter Ehemann sein, Ma’am.“ „Ja, das wird er“, antwortete Lizzie. Das sagte sie sich selbst auch immer wieder. Tempy legte den Kopf schief und sah sie wieder auf jene Weise an, wie sie es manchmal machte. Bei diesem Blick fragte sich Lizzie immer, ob die Frau vielleicht jeden ihrer Gedanken lesen könne. „Viel Freude mit Ihrem Brief!“ Tempy neigte den Kopf und verschwand wieder. Lizzie schloss die Tür und legte den Umschlag auf den Tisch. Der Brief müsste vorerst warten. Die erste Stunde verging schnell. Sie wiederholten die Grammatik und gingen dann zum Schreiben über. Hattie und Sallie hatten beide eine schöne Handschrift. Winders Schrift hingegen sah sehr krakelig aus, was ihrer Liebe zu ihm natürlich keinen Abbruch tat. Lizzie setzte sich zu ihm, während er mühsam jeden Buchstaben übte. Dann flüsterte sie: „Gut gemacht!“, und strich ihm über den Kopf. Sie liebte Herausforderungen. Danach folgte die Rechenstunde. Lizzie schrieb Additionsaufgaben an die Tafel und die Kinder lösten abwechselnd zwei bis drei Aufgaben. Rechnen war Winders Lieblingsfach. Zu Lizzies Freude war er darin auch sehr gut. Schließlich trug sie ihnen auf, selbständig einige Aufgaben zu lösen, und nahm Townys Brief in die Hand. Sie öffnete den Umschlag. Nur ein einziges Blatt steckte darin. Ihr Blick wanderte über die Seite. Er fasste sich kurz, war aber nicht oberflächlich. Ganz im Gegenteil. Lizzies Gesicht begann zu glühen. Liebste Lizzie Beth, ich zähle die Tage, bis ich dich wiedersehe, und hoffe von ganzem Herzen, dass es nicht mehr viele sind. Ich habe in den letzten Tagen angefangen, von dir zu träumen. Diese Träume sind so real, dass ich dich fast neben mir fühlen kann. Zu sagen, dass ich es nicht erwarten kann, dich zu meiner Frau zu machen, wäre eine starke Untertreibung meiner innigen Gefühle. Es wäre so, als würde ich sagen, dass die Sommer in Tennessee ein wenig warm sein können. Aber so warm diese Sommer auch werden können, sind sie gar nichts, verglichen mit dem Feuer, das in mir für dich brennt. Dieses Feuer wird mit jedem Tag stärker. Lizzie hob den Kopf, um zu sehen, ob die Kinder sie beobachteten. Dann wurde ihr bewusst, wie albern das war. Als könnten sie irgendwie den Inhalt des Briefes erahnen, wenn sie sie beim Lesen beobachteten! Sie berührte den hohen Kragen ihrer Bluse und las weiter. Tuckers Brigade wird weiter in den Süden geschickt, aber ich bete, dass wir bald nach Franklin zurückkehren. Hoffentlich bis zum Frühling. Ich will dich so bald wie möglich heiraten, Lizzie. Das ist mein Wunsch. Ich hoffe, du willst das auch. Bitte entschuldige, dass dieser Brief so kurz ist, aber ich will ihn abschicken, bevor wir aufbrechen. Bitte richte den McGavocks und ihren Kindern herzliche Grüße von mir aus. Wenn du meinen Vater siehst, sag ihm bitte, dass es seinem Sohn gut geht, dass er für das Land kämpft, das er liebt, aber sein Zuhause und alles, was ihm dort wichtig ist, sehr vermisst. Vor allem dich, meine liebste Lizzie. In großer Liebe Towny Alle Fragen, ob er in Bezug auf ihre bevorstehende Hochzeit seine Meinung geändert haben könnte, waren damit beantwortet. Towny hatte es erneut geschafft, sie zu überraschen. Sie hatte ihn das letzte Mal im Januar gesehen. Damals hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, der für sie äußerst unvermittelt und überraschend gekommen war. In der einen Minute waren sie nach einem Besuch bei ihrer Familie in der Stadt auf die Plantage zurückspaziert – sie hatten über den Krieg und seinen Kurzurlaub zu Hause gesprochen – und in der nächsten Minute schon hatte er sich zu ihr gedreht und ihre Hände ergriffen. „Ich weiß, dass es ein wenig plötzlich kommt, Lizzie, aber ich denke schon eine ganze Weile darüber nach. Ich glaube, ich liebe dich schon, seit ich dich damals im Kolonialwarenladen das erste Mal gesehen habe – als du mit deinen braunen Zöpfen dagestanden und eine Pfefferminzstange gegessen hast. Du hast mich kaum beachtet, bis ich einen Purzelbaum ohne Hände geschlagen habe.“ In seinem jungenhaften Grinsen waren Spuren des Jungen, der er vor dem Krieg gewesen war, zum Vorschein gekommen. „Wenn wir erst einmal ein Ehepaar sind, können wir uns ein gutes gemeinsames Leben aufbauen. Wir kennen uns bereits in guten und in schlechten Zeiten und das gibt uns gegenüber den meisten anderen Paaren einen großen Vorteil. Also bitte sag, dass du meine Frau werden wirst! Dass du es dir wenigstens überlegen willst.“ Sie hatte Ja gesagt. Danach hatte sie den Rat ihrer Mutter gesucht und dabei erfahren, dass Towny schon bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten und ihr Vater sie ihm gerne gegeben hatte. Ihre Eltern waren überglücklich. Praktisch betrachtet hatte Towny recht: Sie kannten sich wirklich sehr gut. Und sie waren beide 28 Jahre alt. Es war höchste Zeit, dass sie heiratete. Kein anderer Mann hatte bisher um ihre Hand angehalten und sie hatte keinen Anlass zu glauben, dass sich daran etwas ändern würde, besonders da der Krieg das Leben von so vielen Männern forderte. Aber der eigentliche Grund, aus dem sie eingewilligt hatte, Towny zu heiraten – der Grund, den sie ihm nicht verraten hatte –, gab ihr das Gefühl, nicht ehrlich zu ihm zu sein. Sie wollte eigene Kinder haben und die Zeit, in der das möglich war, wäre bald vorbei. Sie strich mit der Hand über ihren Bauch. Bald wären Hattie und Winder erwachsen und sie müsste eine Stelle in einem anderen Haus annehmen und dort die Kinder einer anderen Familie erziehen. Oder sie würde ihren Eltern auf der Tasche liegen. Aus diesem Grund hatte sie Ja gesagt. Sie mochte Towny wirklich sehr. Sie konnte ehrlich sagen, dass sie ihn liebte. Vielleicht nicht so, wie sie es sich immer ausgemalt hatte, dass sie ihren zukünftigen Ehemann lieben würde. Aber aus Freundschaft konnte Liebe wachsen. Wenigstens hatte sie das gehört. Und sie und Blake Rupert Townsend – beziehungsweise Towny, das war der Spitzname, den sie ihm als Kind gegeben hatte – waren schon seit ihrer Kindheit die besten Freunde. Deshalb hatte sie ihm ihr Wort gegeben. Und Towny wäre ein guter Ehemann. Das dachte sie schon seit vielen Jahren. Sie hatte nur einfach nie damit gerechnet, dass er ihr Ehemann werden würde. Lizzie faltete den Brief zusammen und steckte ihn ein. Dann schaute sie auf die Uhr. Sie würde den Kindern noch fünf bis zehn Minuten Zeit lassen, um ihre Rechenaufgaben zu lösen. In dieser Zeit wollte sie den Roman holen, den sie in Winders Zimmer liegen gelassen hatte. Sie hatte die Absicht, ihnen heute vor dem Schlafengehen daraus vorzulesen. Dieses Buch hatte sie speziell für diese Jahreszeit aufgehoben. „Miss Clouston“, sagte Sallie, bevor Lizzie die Tür schloss. „Ja, Sallie?“ „Helfen Sie mir bei dieser Aufgabe, bevor Sie gehen?“ Das Mädchen deutete auf seine Tafel. „Würden Sie mir bitte helfen“, verbesserte Lizzie sie liebevoll. „Ja, ich helfe dir gerne. Aber zuerst solltest du es selbst versuchen. Ich schaue dir zu und helfe dir, wenn du einen Fehler machst. Du kannst auch gerne laut rechnen, wenn dir das hilft.“ Sie strich über Sallies lange blonde Haare und nickte ihr ermutigend zu. Dann zupfte sie an einer ebenfalls langen blonden Haarsträhne von Clara, der Porzellanpuppe, die das Kind überall mit sich herumtrug. Sallie grinste und begann zu rechnen und dabei leise zu flüstern. Nach der jüngsten Verstärkung der Unionstruppen in Nashville hatten Sallies Eltern die McGavocks gefragt, ob sie Sallie für ein paar Tage nach Carnton bringen könnten, um sie vom Kriegsgeschehen fernzuhalten. Es war nett, ein weiteres Kind unterrichten zu können, und da Hattie und Sallie Cousinen waren, die sich nahestanden, genossen die Mädchen diese gemeinsame Zeit sehr. Sallie hatte die Rechenaufgabe gelöst und schaute sie fragend an. „Gut gemacht!“, flüsterte Lizzie und die Augen des Mädchens leuchteten auf. „Dadurch, dass du laut gerechnet hast, konntest du die Aufgabe selbst lösen. Jetzt versuche, ob du den Rest auch schaffst. Ich bin gleich wieder da.“ Lizzie schloss die Tür. Dann wartete sie einige Sekunden, um sicherzugehen, dass Winder nicht anfing, die Mädchen zu ärgern, wie er es manchmal tat, wenn sie das Zimmer verließ. Aber in dem Zimmer herrschte eine gesegnete Stille und sie atmete erleichtert auf. Solche Tage liebten Gouvernanten. Sie wollte über den Flur in Winders Zimmer gehen, doch dann fiel ihr ein, dass sie die Decke, die sie fürs Picknick benutzt hatten, auf der Veranda liegen gelassen hatte. Sie entschloss sich, zuerst die Decke zu holen. Sie stieg die Treppe hinab ins Erdgeschoss und hörte die Uhr im großen Salon zweimal schlagen. Vierzehn Uhr. Sie könnte den Unterricht heute früher beenden und mit den Kindern zum Bach spazieren oder vielleicht sogar in die Stadt gehen, um im Kolonialwarenladen Bonbons zu kaufen. Sie könnten Lizzies Eltern einen kurzen Besuch abstatten, und … Die Haustür wurde aufgerissen und Lizzie blieb abrupt stehen. Ihr Herz stockte. Ein Soldat marschierte ins Haus. Ein General, wie sie aus seiner Uniform schloss. Ohne stehen zu bleiben, konzentrierte er seinen Blick auf die Treppe und marschierte darauf zu. „Kann ich Ihnen helfen, Sir?“ Sie war diesem Mann noch nie begegnet, aber irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ohne ein Wort zu sagen, ohne sie auch nur anzuschauen, stieg er die Treppe hinauf. Lizzie warf einen Blick in die Zimmer neben der Eingangshalle, um zu sehen, ob Oberst McGavock oder seine Frau in der Nähe waren. Aber sie sah die beiden nicht. Also folgte sie dem Mann nach oben, wo er nur kurz zögerte, bevor er ins Gästezimmer trat und durch die offene Balkontür auf den Balkon im ersten Stock trat, der die Rückseite des Hauses einnahm. Er ging bis in die nordwestliche Ecke der Veranda. Dann blieb er stehen und ließ seinen Blick über die Felder schweifen. Lizzie stand an der Tür des Gästezimmers und war unschlüssig, was sie tun sollte. Ihre Hauptsorge galt der Sicherheit der Kinder. Sie waren offensichtlich nicht in Gefahr. Aber wie kam dieser Mann dazu, ohne Erlaubnis einfach so in ein Haus einzudringen? Ohne auch nur zu grüßen! Vielleicht kannte er Oberst McGavock. Trotzdem verlangte der Anstand ein anderes Verhalten. Die Sekunden verstrichen. Schließlich ging sie bis zu den Fenstern und spähte hinaus, da sie sehen wollte, was diesen Mann so sehr interessierte. Ihr Herzschlag erhöhte sich sofort. Kaum eine Meile von ihnen entfernt zogen sich Unionstruppen in einer riesigen Schar um das Haus der Carters zusammen. Das müssen mehrere Tausend Männer sein, dachte sie. So viele Soldaten hatte sie noch nie auf einem Fleck gesehen. Sie trat auf die Veranda hinaus, um eine bessere Sicht zu haben. An diesem Morgen hatten sie und Mrs McGavock mehrere Hundert Blauröcke die Columbia Pike-Straße hinaufziehen sehen. Das war nichts Ungewöhnliches, da die US-Armee die Stadt Franklin in den letzten drei Jahren immer wieder vorübergehend besetzt hatte. Die Stadt Nashville war sogar beinahe seit Beginn des Krieges in der Hand der Unionstruppen. Deshalb hatten Carrie McGavock und sie einfach angenommen, dass die Soldaten dorthin unterwegs wären. Oder ins nahe gelegene Fort Granger, einen Vorposten der Unionstruppen, der ungefähr drei Kilometer entfernt lag. Aber das, was Lizzie jetzt sah, ließ etwas anderes vermuten … Warum so viele Soldaten? Was machten sie hier? Sie errichteten, wie es aussah, irgendwelche Befestigungen. Im Halbkreis gleich südlich des Hauses der Carters. Sie hoffte, Fountain Carter und seiner Familie war nichts passiert. Etwas glitzerte im Sonnenlicht. Sie trat ein paar Schritte näher, blieb dann jedoch stehen. Auch ohne Fernglas konnte sie sehen, dass zahlreiche Kanonen entlang der Hügelkuppe aufgestellt wurden. Plötzlich drehte sich der General mit finsterer Miene auf dem Balkon um und marschierte wieder dorthin zurück, woher er gekommen war. Lizzie folgte ihm die Treppe hinab, wo er das Haus durch die offen stehende Haustür verließ, die Verandastufen hinabstieg und sich auf einen Hengst schwang. Sie blieb im Türrahmen stehen und schaute ihm fassungslos nach, wie er in südlicher Richtung über die Wiesen ritt. „War das ein Soldat?“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Sie drehte sich zu Tempy herum. „Ja. Aber ich weiß nicht, wer der Mann war. Er hat mir seinen Namen nicht genannt. Er ist einfach ins Haus eingedrungen, ohne zu klopfen!“ Auf dem Flur ertönten Schritte und Oberst McGavock tauchte aus dem Büro auf. „Was hat General Forrest hier gemacht?“, wollte er wissen. „General Nathan Bedford Forrest?“, fragte Lizzie. Als der Oberst nickte, schaute sie wieder durch die offene Haustür. Kein Wunder, dass ihr dieser Mann bekannt vorgekommen war! Sie hatte in den Zeitungen schon oft Bilder von ihm gesehen. „Ich habe keine Ahnung, Oberst McGavock. Er ist einfach ins Haus marschiert, die Treppe hinaufgestiegen, hat von der Veranda über das Land geschaut und ist dann wieder verschwunden. Er hat kein einziges Wort gesagt. Aber ich weiß, was er sehen wollte: Unions- truppen ziehen sich um das Haus der Carters zusammen. Viel mehr Männer, als Mrs McGavock und ich heute Morgen gesehen haben.“ Sie senkte instinktiv die Stimme, damit die Kinder sie von oben nicht hören konnten. „Es sieht so aus, als stellten sie ihre Artillerie auf.“ Der Oberst kniff die Augen zusammen und stieg die Treppe hinauf. „Bitte sorgen Sie dafür, dass die Kinder den Rest des Nachmittags im Haus bleiben, Miss Clouston. Sie sollen sich auf den Unterricht konzentrieren.“ „Selbstverständlich, Sir.“ Sie wechselte einen vielsagenden Blick mit Tempy. Lizzie verschob den Roman, den sie aus Winders Zimmer hatte holen wollen, auf später und kehrte ins Unterrichtszimmer zurück. Sie wies die Kinder an, ihre Lesebücher aufzuschlagen. Dann drehte sie sich auf ihrem Stuhl herum, um durch die halb geöffnete Tür zu beobachten, ob im vorderen Teil des Hauses irgendetwas passierte. Aber ihr fiel nichts Ungewöhnliches auf. „Hattie und Sally, bitte schlagt Seite 17 auf. Winder, bitte schlag in deinem Buch Seite 8 auf. Ihr könnt anfangen zu lesen, während ich eure Rechenaufgaben korrigiere.“ Lizzie hatte Hatties Rechnungen erst zur Hälfte korrigiert, als ihr bewusst wurde, dass sie seit fünf Minuten ein und dieselbe Aufgabe anstarrte. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Was machten so viele Unionssoldaten beim Haus der Carters? Als jemand an die Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Die Tür öffnete sich und Mrs McGavock trat ein. Lizzie stand auf. Besuche ihrer Arbeitgeberin während des Unterrichts waren selten. „Ist alles in Ordnung, Mrs McGavock?“ Die gerunzelte Stirn der Frau verriet, dass nicht alles in Ordnung war. Mrs McGavock begrüßte ruhig die Kinder, dann bedeutete sie Lizzie unauffällig, mit ihr auf den Balkon hinauszugehen. Lizzie trat hinaus und schloss die Tür hinter sich. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ihr schwer ums Herz. Keine drei Kilometer von ihnen entfernt bewegte sich ein riesiges Meer aus braunen und grauen Uniformen vorwärts. Wie eine große Meereswoge schritten die Männer Welle für Welle weiter. Sie waren offenbar bereits in ihre Divisionen eingeteilt und marschierten mit wehenden Fahnen auf das Feld. Lizzies Puls schlug schneller. Sie schaute in Richtung des Hauses der Carters, konnte es aber von diesem Balkon aus nicht sehen. „Sie können doch bestimmt erkennen, dass die Unionsarmee direkt vor ihnen ist. Sie liegt dort oben in Stellung und wartet auf sie.“ Mrs McGavock nickte mit ernster Miene. „Mein Mann ist nicht ganz sicher, was hier geschieht. Aber er hat gestern gehört, dass nach den letzten Regenfällen die Brücken über den Harpeth unpassierbar sind.“ „Sie denken, die Unionstruppen haben versucht, die Brücken zu überqueren, konnten es aber nicht?“ „Ich weiß nicht, was ich denken soll, Lizzie.“ Lizzie schaute sie von der Seite an. Sie betrachtete Carrie McGavock als liebe Freundin, aber ihre Arbeitgeberin sprach sie nur selten beim Vornamen an. Lizzie schaute auf die Uhr, die an ihrer Bluse hing. Halb vier. Mrs McGavock drehte sich um. „Bitte bringen Sie die Kinder in die Küche. Sie sollen dort ihre Schulaufgaben machen. Geben Sie ihnen vielleicht etwas zu essen.“ Sie bedachte sie mit einem schwachen Lächeln. „Etwas Süßes wird sie ein wenig ablenken.“ „Ja, Ma’am. Ich gehe sofort mit ihnen nach unten.“ Um die Frau zu beruhigen, versuchte Lizzie zu lächeln. Vor vielen Jahren hatte eine Tante einmal zu ihrer Mutter gesagt: „Lizzie ist ein ruhiges Ding, Sena. Lieb und brav, aber dieses Mädchen kann einfach nicht lächeln.“ Lizzie fragte sich oft, ob diese Aussage vielleicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung gewesen war. Tatsache war, dass sie der Wahrheit entsprach. Sie kehrte ins Schulzimmer zurück und hielt den Zeigefinger an ihre Lippen, während Mrs McGavock leise den Raum verließ. „Kinder, bitte packt eure Bücher und Tafeln zusammen. Unser Nachmittagsunterricht findet heute in einem ganz besonderen Raum dieses Hauses statt.“ Winders Augen wurden ganz groß. „Gibt es hier eine Geheimkammer?“, flüsterte er. Mit leicht gesenktem Kinn schaute er zu ihr hinauf. „Wie in diesem dreieckigen Ding, das Sie uns heute Morgen gezeigt haben?“ „Nein, wir gehen in keine Pyramide. Nicht einmal in eine Geheimkammer. Aber es ist ein Geheimnis, wohin wir gehen.“ Sie packte ihre Sachen zusammen und deutete zur Tür. Um die Spannung zu erhöhen, öffnete sie die Tür ganz langsam und spähte hi-naus. Dann bedeutete sie ihnen, ihr leise zu folgen. Die Mädchen kicherten, während sie die Treppe hinab zur Eingangshalle und dann weiter zum Esszimmer schlichen. Die Schiebetüren, die dieses Zimmer vom Büro trennten, standen offen. Durch das Fenster erblickte Lizzie in der Ferne die Südstaaten- Armee, die immer näher rückte. „Jetzt müssen wir uns beeilen“, flüsterte sie und forderte die Kinder auf, vor ihr die wenigen Steinstufen hinabzusteigen, die in die Küche führten. „Wir gehen in die Küche?“, fragte Winder und war überhaupt nicht beeindruckt. Lizzie schüttelte den Kopf. „Folgt mir!“ Tempy, die am Arbeitstisch stand und etwas in einer Schüssel zusammenrührte, blickte auf. Sie musste den Blick, den ihr Lizzie zuwarf, bemerkt haben, denn sie lächelte die Kinder nur an, als sie an ihr vorbeigingen. Dann zog sie die Brauen hoch, als Lizzie eine Petroleumlampe aus dem Schrank holte. „Also, Kinder …“ Lizzie deutete mit dem Kopf zur Vorratskammer und schlug einen verschwörerischen Tonfall an. „Erinnert ihr euch, was ich euch gesagt habe? Die Räume in der Pyramide haben keine Fenster. Wir gehen in die Speisekammer und tun so, als wären wir in einer Pyramide!“ Hattie und Sallie schauten sich an und grinsten. Winder hingegen blieb abrupt stehen. „Als ich das letzte Mal da hineingegangen bin, habe ich Schwierigkeiten bekommen, Miss Clouston. Mama hat geschimpft, weil ich zu viele von Tempys Teekeksen gegessen habe. Und ich habe danach ewig keine mehr bekommen.“ Lizzie wurde warm ums Herz, als sie sich an jenen Vorfall erinnerte. Sie liebte diesen Jungen wirklich sehr. „Mach dir keine Sorgen, Winder. Wir haben die Erlaubnis deiner Mutter, in die Speisekammer zu gehen. Versprochen. Kommt mit.“ Sie öffnete die Tür. Eine Vielfalt an Gerüchen strömte ihnen entgegen. Frisch gemahlenes Mehl und der Duft von Gewürzen, von Zimt über Muskat zu Oregano. Aber alles wurde vom süßlichen Geruch der getrockneten Äpfel, Pfirsiche und Birnen übertroffen. Tempy arbeitete unermüdlich, wenn es darum ging, im Sommer Obst und Gemüse für den Winter haltbar zu machen. Sie verstand es auch sehr gut, diese gelagerten Waren in kulinarische Köstlichkeiten zu verwandeln. Lizzie stellte die Petroleumlampe auf den Steinboden. „Setzt euch, Kinder.“ Sie setzte sich auf ein Fass voller Melasse und ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sallie atmete scharf ein. „Ich habe Clara vergessen! Kann ich zurücklaufen und sie holen?“ Hattie sprang auf. „Ich komme mit! Wir sind wie diese Forscher, von denen Sie uns erzählt haben!“ Lizzie hielt eine Hand hoch. „Ich gehe und hole Clara. Und ihr drei Forscher überlegt, wie es wäre, wenn ihr in einer dunklen Kammer in der Pyramide wärt. Wenn ich zurückkomme, sprechen wir gemeinsam darüber, was euch dazu eingefallen ist.“ Die Kinder nickten, obwohl Sally nicht ganz so überzeugt aussah. Lizzie griff hinter sich und nahm eine Dose. „Und natürlich braucht jeder Forscher etwas zu essen.“ Sie nahm den Deckel ab und hielt ihnen die Dose hin. „Teekekse!“, rief Winder und nahm sich schnell zwei. Doch dann hielt er inne und schaute fragend zu Lizzie hinauf, die zustimmend nickte. Nachdem sie den Mädchen Kekse gegeben und dafür gesorgt hatte, dass die drei Kinder gut untergebracht waren, huschte sie aus der Speisekammer und schloss die Tür hinter sich. Tempy stand am Küchenfenster und schaute hinaus. „Miss Clouston, das sollten Sie sich anschauen.“ Lizzie trat zu ihr und sah zwei große Gruppen konföderierter Soldaten in ihre Richtung kommen. Die Bäume, die den gewundenen Steinweg vor dem Haus säumten, verhinderten einen besseren Blick. „Ja, Mrs McGavock und ich haben sie schon gesehen, bevor ich die Kinder nach unten brachte. Ich wollte es dir sagen, aber vor den Kindern war das nicht möglich.“ „Was ist da draußen los, Ma’am? Warum marschiert die Armee in diese Richtung?“ „Ich habe keine Ahnung. Aber ich habe gesehen, dass drüben beim Haus der Carters viele Unionssoldaten aufgezogen sind.“ „Oh, großer Gott, steh uns bei!“, flüsterte Tempy. Lizzie sagte ein stummes Amen. „Ich muss hinauflaufen und Sallies Puppe holen. Behältst du die Kinder bitte im Auge, bis ich zurückkomme?“ „Ja, Ma’am. Natürlich.“ Lizzie eilte die Stufen hinauf und durch das Esszimmer hindurch und wollte gerade die Treppe hinaufgehen. „Miss Clouston.“ Sie drehte sich um und sah Mrs McGavock, die durch die angelehnte Haustür nach draußen spähte. Als sie den Gesichtsausdruck ihrer Arbeitgeberin sah, trat Lizzie zu ihr. „Den Kindern geht es gut, Ma’am. Sie sind bei Tempy in der Küche und …“ Mrs McGavock öffnete die Tür ein wenig weiter und Lizzie verstummte. Trotz ihrer Gefühle in Bezug auf diesen Krieg war der Anblick, der sich vor ihr ausbreitete, atemberaubend. Dieses große Meer aus braunen und grauen Uniformen, das sie vorher aus der Ferne gesehen hatte, kam in geordneten Reihen auf sie zumarschiert und schien das ganze Harpeth-Tal, das fast drei Kilometer breit war, zu füllen. Kein Geräusch störte die Stille des Nachmittags bis auf die rhythmischen Schritte der Soldaten und das gelegentliche Zwitschern einer Rauchschwalbe. Die meisten Soldaten sahen so jung aus! Sie marschierten mutig und mit angelegten Gewehren über Carntons Felder und Wiesen, während sich der warme Spätherbsttag dem Ende zuneigte. Bei genauerem Hinsehen stellte Lizzie fest, dass einige der Soldaten keine Gewehre hatten. Obwohl allgemein bekannt war, dass die Südstaaten-Armee nicht so gut ausgerüstet war wie ihr Gegner aus dem Norden, war es, gelinde gesagt, ernüchternd, diese Tatsache so brutal vor Augen geführt zu bekommen: Die Waffen, die einige Soldaten schwangen, waren Mistgabeln, Messer, Äxte, sogar Fleischerbeile. Das alles unterstrich den erstaunlichen Mut und die spürbare Entschlossenheit, die die Soldaten bei jedem Schritt ausstrahlten. „Die mächtige Tennessee-Armee“, sagte Mrs McGavock leise. In ihrer Stimme lag eine Mischung aus Stolz und Grauen. „20.000 Männer, hat mein Mann gesagt.“ Lizzie war von diesem Anblick zwar wie gebannt und sie teilte das Entsetzen, aber Mrs McGavocks Stolz konnte sie nicht verstehen. Denn trotz der Gründe, aus denen die Sache der Konföderation unterstützenswert war – Staatsrechte, wirtschaftliche Gründe, der Schutz der Heimat und des Landes, die Zukunft der Familien –, schienen sie alle die Fortdauer der Sklaverei zum Ziel zu haben. Und obwohl sie in diesem Haus ihre Meinung noch nie laut geäußert hatte, stimmte sie in dieser Frage mit dem Norden überein. Gleichzeitig wünschte sie, dass kein Krieg nötig wäre, um eine gemeinsame Basis zu finden. Die sauberen Soldatenreihen unterbrachen kurz ihre geraden Linien, als sie das Haus umrundeten und schnellen Schrittes direkt auf die Menge der verschanzten Unionstruppen zumarschierten, die gleich südlich des Hauses der Carters auf sie warteten. Lizzie betrachtete die Gesichter der Männer, die vorüberzogen. Einige Mienen waren von wilder Entschlossenheit gekennzeichnet, andere von Müdigkeit und Erschöpfung. Dann hörte sie sie. Musik. Irgendwo in den Reihen erklang das im Süden so beliebte „Dixie“. Sie entdeckte die Blaskapelle, als diese vorbeimarschierte, und sah, dass sich die schwächer werdenden Sonnenstrahlen auf ihren In- strumenten spiegelten. Nach „Dixie“ kam „Bonnie Blue Flag“, dann „The Girl I Left Behind Me“. Die letzten Lieder klangen als Begleitmusik für den Angriff einer Armee viel zu fröhlich und unbeschwert, aber trotzdem hörte sie einige Männer aus den Truppen mitsingen, während sie weiter voran… Plötzlich und unvermittelt ertönte ein Schuss. Lizzie und Mrs McGavock, die mittlerweile vor dem Haus standen, drehten sich schnell um und eilten zur Veranda zurück. Als sie die Stufen erreichten, hörten sie jemanden rufen. „Meine Damen! Warten Sie bitte. Ich muss dieses Haus beschlagnahmen!“ Lizzie drehte sich um und sah einen Mann, der auf das Haus zukam. Mrs McGavock trat einen Schritt vor und kniff die Augen zusammen. „Pastor Markham? Sind Sie das?“ Die Schritte des Mannes verlangsamten sich und er schaute sie fragend an. „Caroline Elizabeth Winder?“ Seine Stimme klang ungläubig. „Kann denn die Frau, die hier vor mir steht, das junge Mädchen sein, das ich in Louisiana kannte?“ Ein zurückhaltendes Lächeln umspielte Mrs McGavocks Mund. „So ist es, Pastor Markham. Allerdings heiße ich jetzt Mrs John McGavock. Die Menschen, die mir nahestehen, nennen mich Carrie. Es ist einige Jahre her, seit ich jenes junge Mädchen war, von dem Sie sprechen. Und seit sich unsere Wege das letzte Mal gekreuzt haben.“ „Ja, das stimmt.“ Er schaute zu den Soldaten hinüber, die immer noch vorwärtsmarschierten. „Es kommt mir vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen.“ Das einfühlsame Verständnis in Mrs McGavocks Miene machte eine Antwort überflüssig. Hinter ihnen ertönten Schritte. „Pastor Markham“, sprach Mrs McGavock weiter, „darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen, Oberst John McGavock.“ Nach der Vorstellung kehrte ein kurzes Schweigen ein und Lizzie entdeckte eine leichte Veränderung im Verhalten des Pastors. „Oberst McGavock, Mrs McGavock, ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr Haus zum Divisionsfeldkrankenhaus für die Verwundeten von Lorings Division bestimmt wurde. Im Namen von General Hood und der großen Tennessee-Armee danke ich Ihnen für die Unterstützung der Konföderation und Ihrer Landsleute.“ Er reichte Oberst McGavock ernst die Hand. Der Oberst ergriff sie, ohne zu zögern, und akzeptierte damit, dass sein Haus von der Armee beschlagnahmt wurde. Was sollte er auch anderes tun? Armeen fragten nicht. Sie nahmen sich, was sie brauchten. Selbst wenn es sich um die eigene Armee handelte. „Pastor Markham, unser Haus ist Ihr Haus“, antwortete der Oberst. „Wir bereiten alles vor, so gut wir können, bis …“ Irgendwo hinter ihnen krachte eine Kanone. Das Echo hallte im ganzen Tal wider. Ein hohes Pfeifen ließ die Luft erbeben. Im selben Moment, in dem Lizzie in Richtung Westen zum Haus der Carters schaute, erschütterte eine Detonation den Boden unter ihren Füßen. Sie zog instinktiv den Kopf ein. Ihr ganzer Körper war angespannt. „Meine Damen.“ Der Oberst nahm sowohl sie als auch seine Frau am Arm. „Im Haus sind wir sicherer.“ Als wäre dieser Kanonenschuss ein Signal gewesen, ging hinter ihnen in der Ferne ein Artilleriefeuer los. Auf dem Weg zur Tür warf Lizzie einen Blick hinter sich auf den Pastor, doch er lief bereits auf das Tor zu. Sie war schon fast im Haus, als sie ihn hörte: einen unheimlichen Schrei, einen unmenschlichen Urschrei, der wie ein Phantomchor von den konföderierten Soldaten aufstieg. Die Luft erbebte darunter. Zwischen Gewehrsalven erfüllte der Schrei in einer beängstigenden Tonlage das ganze Tal. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Der Rebellenruf. Sie hatte davon gelesen, sie hatte die Männer darüber sprechen hören, aber sie hatte diesen Ruf noch nie mit eigenen Ohren vernommen. „Wenn man ihn hört, verliert man den Mut und das Rückgrat“, hatte ihr ein Mann einmal erzählt. Obwohl sie seine Worte damals infrage gestellt hatte, glaubte sie ihm jetzt. Wie konnte ein Feind diesen Ruf hören, ohne zu erschauern? Sie blieb dicht hinter Oberst McGavock und seiner Frau und eilte in den Salon, um durch das Fenster die Felder hinter dem Haus zu beobachten. Feuer und Rauch stiegen von der Verschanzungslinie der Unionstruppen auf, als ginge die Hölle über die Konföderierte Armee, die über das offene Feld unbeirrt weitermarschierte, nieder. Männer wurden, noch bevor sie ihre Gewehre zum Schießen angelegt hatten, zu Dutzenden zu Boden gerissen. Trotzdem marschierten die Rebellen unvermindert weiter. Aber das Tal war viel zu breit, um es durchqueren zu können. Lizzie legte eine Hand an die Fensterscheibe und konnte kaum atmen. Das ist zu weit! Kehrt um!, schrie sie stumm. Doch mit einem unerschütterlichen Mut und einer tiefen Überzeugung, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, marschierten die Männer weiter, stiegen über ihre gefallenen Brüder, stolperten und rappelten sich wieder auf die Beine. Sie marschierten weiter und weiter auf die Verschanzungen der Unionstruppen zu. Rauch und Feuer erfüllten bald das ganze Tal. „Carrie! Miss Clouston!“ Lizzie drehte sich um und sah, dass der Oberst anfing, Möbel an die Wand zu schieben. Seine Frau beeilte sich, ihm zu helfen. „Wo sind die Kinder?“, fragte er. „In der Küche bei Tempy“, antwortete Lizzie. Er nickte. „Wir müssen für so viele Männer wie möglich Platz schaffen. Carrie, du und Miss Clouston arbeitet gemeinsam hier unten. Ich gehe nach oben und tue dort, was ich kann.“ Lizzie ergriff ein Ende eines Sofas, Mrs McGavock das andere, und sie schleppten es an die Wand. Ein Marmortisch und ein Sessel wurden an die Seite des Zimmers geschoben, dann taten sie mit den Möbeln im großen Salon das Gleiche. Währenddessen wütete vor den Mauern des Hauses der Krieg. Danach eilten sie ins Esszimmer, räumten das Geschirr vom Tisch, den Tempy bereits für das Abendessen gedeckt hatte, und verstauten es im Seitenschrank. Vor Anstrengung keuchend, begaben sie sich zum Büro. Mrs McGavock trat schnurstracks auf den griechischen Schaukelstuhl zu. Lizzie wusste, was sie dachte. Der Stuhl war vor vielen Jahren ein Geschenk des verstorbenen Präsidenten Andrew Jackson an den Oberst gewesen und besaß einen hohen emotionalen Wert. Lizzie packte an einer Seite des Schaukelstuhls an. „Wir können ihn in die Küche hinabtragen. Dann kann der Oberst später entscheiden, was er damit machen will.“ „Eine gute Idee.“ Es gelang ihnen, den Stuhl die Treppe hinabzuschleppen, aber die letzte Ecke vor der Küche erwies sich als Problem. Tempy kam ihnen schnell zu Hilfe und zu dritt schafften sie es. Lizzie sah die Kinder im Türrahmen der Speisekammer stehen. Die Gesichter der Mädchen, die ihre Bewegungen mit großen Augen verfolgten, strahlten Unsicherheit aus, während aus Winders Miene eine kindliche Neugier sprach. „Winder sagt, dass draußen gekämpft wird“, sagte Hattie und schaute zuerst ihre Mutter und dann Lizzie an. „Das stimmt doch auch!“, erwiderte Winder und wollte schnurstracks zum Fenster laufen. Lizzie hielt ihn fest. „Kinder, ihr müsst noch ein wenig länger in der Speisekammer bleiben.“ Sie schaute Mrs McGavock an und war nicht sicher, ob sie hierbleiben oder wieder mit ihr nach oben gehen sollte. Mrs McGavocks Blick wanderte zu Tempy. „Tempy, du bleibst bei den Kindern, bis Miss Clouston zurückkommt. Sie und ich haben oben noch ein paar Dinge zu tun. Aber ich schicke sie bald wieder zu euch“, fügte sie hinzu und ihr Tonfall wurde mütterlicher, da diese letzte Bemerkung vor allem für die Kinder bestimmt war. Lizzie drückte jedem Kind einen schnellen Kuss auf den Kopf und führte sie wieder in die Speisekammer. Bevor sie die Tür zuzog, deutete sie zu der Dose mit den Teekeksen und zwinkerte ihnen zu. Wieder oben angekommen, ging sie mit Mrs McGavock eilig daran, Dinge aus dem Weg zu räumen und für das, was kommen würde, Platz zu schaffen. Irgendwo zwischen den Kanonenschüssen und dem Gewehrfeuer hörte sie schwach die Klänge der konföderierten Kapelle, die immer noch in der Ferne spielte. Carrie McGavock stemmte die Hände in die Hüften und blieb in der Eingangshalle stehen. „Ich wünschte, wir wären besser ausgestattet, um zu helfen. Wenn wir nur mehr Verbandsmaterial und Medikamente hätten!“ Aber als einen Moment später die Haustür aufgerissen wurde und die Verwundeten auf Tragen ins Haus gebracht wurden, erkannte Lizzie, dass sie sich auf das, was über die Türschwelle kam, unmöglich hätten vorbereiten können.

Kapitel 1

30. November 1864
Carnton-Plantage
Franklin, Tennessee
35 km südlich von Nashville

"Und das hier, Kinder, ist eine Zeichnung von der Großen Pyramide von Gizeh in Ägypten. Dieses Land ist sehr weit von Franklin, Tennessee, entfernt." Lizzie sah die Faszination in den Augen der kleinen Hattie und ihrer Cousine Sallie, die aus Nashville zu Besuch gekommen war. Aber der siebenjährige Winder schaute nur gelangweilt aus dem Fenster.
Lizzie senkte die Stimme. "In dieser Pyramide sind ein Pharao, das ist ein mächtiger ägyptischer König, und seine Königin begraben. In ihr gibt es viele Geheimkammern."
Winders Kopf fuhr herum. "Geheimkammern?"
Sie nickte. "Archäologen haben vor Kurzem einige neue Kammern im oberen Teil der Pyramide gefunden. Sie waren über viele Jahrhunderte verborgen. Schaut euch diese Zeichnung an ..."
Während sie die Kinder weiter unterrichtete, warf sie unauffällig einen Blick auf die Uhr, die auf einem Seitentisch stand, und rechnete damit, dass Tempy jeden Moment etwas für die Kinder zu essen bringen würde. Ein fast sommerlicher, leichter Wind bewegte die Vorhänge vor der offenen Tür, die auf einen Balkon im ersten Stockwerk hinausführte. Der Sonnenschein und die Wärme waren verlockend. Vielleicht würde sie das schöne Wetter nutzen und den Nachmittagsunterricht unter dem Milchorangenbaum vor dem Haus halten. Nach so vielen Wochen mit Regen und Kälte war das milde Wetter eine willkommene Abwechslung. Besonders um diese Jahreszeit, Ende November.
Einige Momente später hörte sie Tempys Schritte auf der Treppe. "Danke, dass ihr so gut aufgepasst habt, Kinder. Und danke für eure ausgezeichneten Fragen, Mädchen. Jetzt ist Zeit für eine Pause!"
Tempy klopfte zweimal an die Tür, bevor sie eintrat. "Guten Morgen, Kinder!"
Winder hüpfte von seinem Stuhl. "Was gibt es zu essen, Tempy?"
Lizzie räusperte sich und schaute ihn vielsagend an.
"Ich meine natürlich: Danke, Tempy, für das Essen, das du gemacht hast", verbesserte er sich, versuchte aber immer noch, sich nach oben zu strecken und über den Rand des Tabletts zu spähen.
Tempy zwinkerte ihm zu und stellte das Tablett auf den Tisch. "Ich habe heute Morgen für alle Zimtbrötchen gemacht, Master Winder. Bedient euch. Und trinkt ein Glas Milch." Sie schloss die Mädchen in ihr Kopfnicken ein. Die Kinder nahmen schnell ihr Essen und liefen auf den Balkon hinaus, der einen großzügigen Blick über das Gelände vor dem Haus bot. "Miss Clouston, ich habe Ihnen auch ein Brötchen mitgebracht, Ma'am."
Lizzie nahm das Brötchen dankbar an und biss hinein. Sie seufzte entzückt und schloss für einen Moment die Augen. Das Brötchen, das frisch aus dem Ofen kam und deshalb noch ganz warm war, zerschmolz fast auf der Zunge. Der Zuckerguss, der daraufgestrichen war, schmeckte himmlisch süß. "Diese Brötchen schmecken noch besser als sonst. Danke."
"Gerne, Ma'am." Tempy betrachtete den Globus auf dem Tisch und schüttelte den Kopf. "Schauen Sie sich nur diese vielen Länder an. Kaum zu glauben, was es auf der Welt alles gibt."
Lizzie hörte in der Stimme der Frau etwas, das wie Sehnsucht klang. Ihr war schon öfter aufgefallen, dass Tempy den Globus anschaute, aber bisher hatte sie nie etwas dazu gesagt. Lizzie wischte sich sorgfältig den Zuckerguss von den Fingern und drehte den Globus, um ihr Nordamerika zu zeigen. Dann deutete sie auf Tennessee. "Hier sind wir. Und hier ...", sie drehte den Globus erneut und deutete auf die nordöstliche Ecke Afrikas, "... befindet sich diese Pyramide." Lizzie hielt die Zeichnung hoch und erzählte ihr eine Kurzfassung von dem, was sie die Kinder gelehrt hatte. "Sie steht in einem Land, das Ägypten heißt."
Tempy schaute sie fragend an. "Sie sagen, dass in diesem Ding ein vornehmer König beerdigt ist?"
Lizzie nickte. "Zusammen mit seiner Königin."
"Hmm. Auf dieser Kugel sieht es gar nicht so weit weg aus, aber ich schätze, wir würden eine Weile

Erscheinungsdatum
Übersetzer Silvia Lutz
Sprache deutsch
Original-Titel With this pledge
Maße 135 x 205 mm
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanischer Bürgerkrieg • christlicher Liebesroman • Historischer Liebesroman • Menschenrechte • Sklaverei
ISBN-10 3-96362-039-0 / 3963620390
ISBN-13 978-3-96362-039-3 / 9783963620393
Zustand Neuware
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5 Man begreift, wie kostbar und flüchtig jeder Moment ist und wie wenig Zeit wir alle hier haben.

von (Österreich), am 07.04.2019

Man begreift, wie kostbar und flüchtig jeder Moment ist und wie wenig Zeit wir alle hier haben.

Die mächtige Tennessee-Armee marschiert am 30. November 1864 unter dem Befehl von General John Bell Hood durch das Harpeth-Tal und zieht direkt an der Carnton-Plantage in Franklin, Tennessee vorbei. Kurz darauf treffen Konföderierte und Unionsarmee aufeinander – eine zwei Kilometer große Fläche wird zu einem Ort des Gemetzels. Oberst John McGavrock, Inhaber der Carnton-Plantage, seine Ehefrau Carrie sowie ihre Angestellten tun alles in ihrer Macht stehende, um die Verwundeten zu versorgen. Besonderen Einsatz zeigt Elizabeth „Lizzie“ Clouston, die achtundzwanzigjährige Gouvernante der McGavrock-Kinder. Die beherzte, unkomplizierte und mitfühlende Frau besitzt große innere Stärke, die sie auch angesichts der furchtbaren Bilder auf den Schlachtfeldern tapfer durchhalten lassen. Lizzie assistiert dem Arzt Dr. Philipps bei seinen zahlreichen Notoperationen und Amputationen im Haus der McGavrocks. Die Verwundeten schätzen die freundliche, beruhigende Art und die liebevolle Zuwendung von Carrie McGavrock und Lizzie Clouston, doch sowohl die Möglichkeiten, als auch die Mittel zur ärztlichen Versorgung sind in Kriegszeiten begrenzt. Als ein Scharfschütze aus der Adam’s Brigade, Mississippi, namens Roland Ward Jones schwer verletzt auf dem Operationstisch landet und sich vehement gegen eine Amputation seines Beines ausspricht, steht Lizzie auch ihm zur Seite. Sie verliebt sich in den attraktiven Mann mit den markanten Gesichtszügen und den unergründlichen grauen Augen, in denen eine tiefe Traurigkeit steht. Doch Lizzie ist verlobt, sie hat ihrem besten Freund seit Jugendtagen, Blake Rupert „Towny“ Townsend, ihr Wort gegeben. Und Lizzie hat noch niemals ein Wort gebrochen…

Tamera Alexander erzählt in diesem Buch eine Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht. Sie berichtet von einer mutigen Frau aus den Südstaaten, die unmittelbar nach der Schlacht in der Nähe der Carnton-Plantage den schwer verwundeten Scharfschützen Roland Ward Jones kennen- und lieben lernt. Trotz ihrer konträren Ansichten die Sklaverei betreffend eint die beiden ein unerschütterlicher Glaube, die feste Zuversicht auf Gottes Beistand in jeder noch so schwierigen Situation. Die Autorin beginnt ihre Geschichte am Tag der Schlacht, dem 30. November 1864, und endet etwa ein Jahr später. Sie baut historische Ereignisse und Dokumente in ihren Roman ein, die zum Großteil authentisch sind. Mit Erlaubnis eines Nachfahren werden dem Leser somit Einblicke in den echten Briefwechsel zwischen Lizzie Clouston und Roland Ward Jones gewährt, die Korrespondenz wurde kursiv im Buch dargestellt. Tamera Alexander besitzt einen wunderschönen und berührenden Schreibstil, der Glaube ist stets ein fester und wichtiger Bestandteil ihrer Bücher. Ich fand die Charakterzeichnung von Lizzie und Roland hervorragend, ihre inneren Kämpfe und ihre persönliche Entwicklung wurde höchst authentisch vermittelt. Auch die Nebenfiguren dieses Buches fand ich ausgezeichnet dargestellt, der Arzt Dr. Philipps, das Ehepaar John und Carrie McGavrock sowie Tempy und George sind mir sofort ans Herz gewachsen. Lizzies Verlobter „Townie“ wurde zwar in den Gebeten und Gesprächen der jungen Frau oft erwähnt, er selber blieb jedoch aufgrund seines Fronteinsatzes eher im Hintergrund.

Obgleich der Ausgang dieses Krieges geschichtlich belegt und somit bestens bekannt ist, beinhaltete das Buch dennoch einen relativ hohen Spannungsbogen, der auf der Ungewissheit der Zukunft einiger handelnder Personen sowie der Suche nach der Mutter des Soldaten Thaddäus begründet war. Tamera Alexander befasst sich in diesem Buch eingehend mit der Sklaverei, die zugleich das Kernthema des Konflikts im Amerikanischen Bürgerkrieg darstellte. Die Sklavenhaltung, die Argumente der Befürworter und der Gegner, und Ereignisse aus der Sicht betroffener Sklaven wurden dem Leser nahegebracht. Die Autorin beschreibt das nahende Ende einer generationsübergreifenden Ungerechtigkeit mit einer überwältigenden Eindringlichkeit.

Fazit: „Ich gab ihm mein Wort“ war eine Lektüre, die mich tief in die Ereignisse des Jahres 1864 in Franklin, Tennessee, involvierte und mir ein beeindruckendes Leseerlebnis vermittelte. Die geschickte Verbindung historischer Ereignisse mit der berührenden Geschichte zweier Menschen, die sich in den Wirren des Krieges kennen- und lieben lernten, hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich kann dieses grandiose Lese-Highlight und bislang beste Werk aus der Feder der christlichen Romanautorin Tamera Alexander uneingeschränkt weiterempfehlen.

5 Ein literarisches Meisterwerk!

von , am 23.02.2019

Meisterhaftes Südstaaten-Epos, das auf einer wahren Geschichte beruht. – Wer sich dieses Buch entgehen lässt, ist selber schuld!

Hin und wieder hat man das Glück, ein Buch zu lesen, welches den eigenen Horizont, das eigene Bewusstsein so sehr erweitert, dass man im Anschluss die Welt mit anderen Augen sieht. "Ich gab ihm mein Wort" ist so ein Buch. - Ein brillantes, mitreißendes Südstaaten-Meisterwerk, das einen ehrfürchtig, tief bewegt und zuversichtlich zurücklässt.

Tennessee, November 1864. Seit einigen Jahren fordert der blutige Sezessionskrieg zwischen den Armeen der Nordstaaten (Union) und Südstaaten (Konföderation) erbarmungslos immer mehr Opfer, Amerika gleicht einem einzigen Schlachtfeld. Einer der Hauptgründe für den militärischen Konflikt ist die Uneinigkeit über Frage der Sklavenhaltung – die Südstaaten wollen die Abschaffung der Sklaverei um jeden Preis verhindern. In diese bedeutungsschwere Zeit, welche die Zukunft der nachfolgenden Generationen prägen wird und den Grundstein legt zu den Vereinigten Staaten von Amerika, wie wir sie heute kennen, entführt Bestsellerautorin Tamera Alexander ihre Leser.

Bereits das in angenehmen Blautönen gehaltene Cover strotz vor Südstaaten-Flair. Ich habe im Nachhinein erfahren, dass die abgebildete Villa tatsächlich die im Roman erwähnte Plantage ist. Eine hübsche Frau, gemäß der damaligen Mode gekleidet, blickt besorgt zum Horizont. Sofort möchte man mehr erfahren – wer ist die Dame, wie ist ihr Leben mit diesem herrschaftlichen Anwesen verbunden und wieso wirkt sie so nachdenklich?

Kurz vor Ende des Krieges kommt es nahe der Carnton Plantage in Franklin, Tennessee, wo die junge Lizzie Clouston bei der McGavock-Familie als Hauslehrerin für deren zwei Kinder angestellt ist, zum Desaster: eine der grausamsten und für den Süden verlustreichsten Schlachten des Amerikanischen Bürgerkrieges wütet direkt vor den Augen der entsetzten Plantagenbewohner. Innerhalb weniger Stunden gleicht die vornehme Südstaaten-Villa einem überfüllten Lazarett, in dem die verwundeten Soldaten mit dem Tod ringen. Mit notdürftigen Mitteln werden lebensrettende Operationen durchgeführt, die Schmerzensschreie der Verletzten hallen durch die Nacht. Anstatt der beschaulichen, ländlichen Idylle, die bisher ihr Leben ausgemacht hatte, nachzutrauern und in eine Schockstarre zu verfallen, wachsen die McGavocks, Lizzie und Haussklavin Tempy über sich hinaus – sie assistieren den Ärzten bei Amputationen, umsorgen die Soldaten und werden für ihre bedingungslose Hilfsbereitschaft und Güte für immer unvergessen bleiben. Eine zarte Liebesgeschichte ist in die Wirren des Krieges eingeflochten worden – nur so viel sei verraten: private Gefühle und Gedanken werden mit gleicher Intensität behandelt wie die dramatischen historischen Ereignisse. Ergreifende Schicksale in Zeiten des Umbruchs: neue Prioritäten bahnen sich ihren Weg, eine neue Gesellschaftsordnung rüttelt an alten Konventionen.

Diese wahre Geschichte, in der nahezu alle (!) Hauptcharaktere, einschließlich der zwei Hauptfiguren Lizzie und Roland, auf echten Personen basieren, hat mich staunen lassen über die Kraft des Glaubens und der Hoffnung, über die Warmherzigkeit und Selbstlosigkeit, mit der Menschen sich auch in Zeiten des Grauens noch zu begegnen vermögen. Man kann nicht umhin, tiefes Mitgefühl für die jungen Männer zu empfinden und sie für ihren Mut zu respektieren. Trotz der detaillierten und überaus bildreichen Schilderungen des Krieges, die für manch zartbesaitete Gemüter eventuell schwer zu verdauen sein könnten, überwiegt ein positiver, lebensbejahender Eindruck – Loyalität und Ehrlichkeit, Liebe, Gerechtigkeit und Zuversicht werden zelebriert und machen das Buch zu einem unvergleichlichen Leseerlebnis, das noch lange bei mir nachgewirkt hat.

Die beeindruckende Recherchearbeit der Autorin hat mich restlos begeistert, selten habe ich solch ein reales, durch und durch authentisches Werk gelesen. Auf ihrer Homepage (www.tameraalexander.com) finden die Leser interessante Hintergrundinformationen, inklusive Fotos der Plantage und der im Buch vorkommenden Charaktere. Tatsächlich sind nur sehr wenige fiktive Elemente in der Story enthalten und ich kann Tamera Alexander nicht genug beglückwünschen zu diesem gelungen Werk, welches dem Begriff Sezessionskrieg ein Gesicht gibt und die betreffenden Personen entsprechend würdigt.

Oftmals erleben Romanfiguren in Werken dieses Genres radikale Kehrtwenden in ihren persönlichen Einstellungen, um sich entsprechend in die Handlung einzufügen – hier ist dies dankbarerweise nicht der Fall. Stattdessen erleben die Leser, wie Charaktere nach und nach ihr bisheriges Denken in Frage stellen, ein Wechselbad der Gefühle erleben, wachsen. Die unglaublich tiefgründig ausgearbeiteten Figuren wirken auch deshalb so glaubwürdig, da ihre (realen) Nachkommen mittels Erzählungen und Zurverfügungstellung von historischen Briefen der Autorin ermöglicht haben, die beschriebenen Charaktere tatsächlich ein Stück weit 'kennenzulernen'.

Fazit: Ein literarisches Werk der Superlative, das ich allen Fans von historischen Romanen mit starken Frauenfiguren wärmstens empfehlen kann! Was für ein umwerfendes Buch, welch eine wichtige Botschaft - den Glauben an Gott nicht aufzugeben - und was für eine berührende wahre Geschichte, die es verdient, erzählt zu werden. BRAVO! Ich kann es nicht erwarten, weitere Werke von Tamera Alexander zu lesen!
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