Über die Grenzen des Unbekannten

Erzählungen in Text, Ton und Bild

(Autor)

Buch | Softcover
272 Seiten
2019
Lehmanns (Verlag)
978-3-96543-033-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über die Grenzen des Unbekannten - Klaus Kayser
17,95 inkl. MwSt
  • Versand in 1-2 Tagen
  • Versandkostenfrei innerhalb Deutschlands
  • Auch auf Rechnung
  • Verfügbarkeit in der Filiale vor Ort prüfen
  • Artikel merken
Dieses technisch und inhaltlich innovative Buch kann mit Hilfe eines Smartphones (QR Code) digitalisiert, die farbenfrohen, tiefsinnigen und humorvollen Erzählungen, von denen einige durch Literaturpreise ausgezeichnet wurden, können so als professionelles Hörbuch erlebt werden. Begleitende Hinterglasmalereien ergänzen die Erzählungen, die mit kurzen Überleitungstexten zu einem ‚Patchwork-Roman' zusammenwachsen.
Die einzelnen Kapitel behandeln aktuelle Fragen nach Glaube und Wissen, Barmherzigkeit und Hilfe, Demokratie und Macht, sowie den Einfluss der Globalisierung und elektronischen Netzwerke auf Moral und Zukunft der Menschheit, auf Geburt und Entwicklung einer rein ‚elektronischen Ethik und Zielgestaltung'.
Hierbei werden die Grenzen des Glaubens (Die Rede des Allmächtigen vor der UN; Die hilflose Barmherzigkeit; Luther und das Luderob Konzil); die Grenzen einer ‚vernünftigen' Demokratie (all you can demonstrate), Eigenschaften unterschiedlicher Kulturen (Das Rot der Feuerbäume; Shen Quilin, der gute Geist von Sichuan), autonome Ethik und Moral virtueller Welten (Die Schutzengel der Pokemon Go Spieler; Das irreale Glück des Inneren Existenznetzes) in humorvoller und anregend tiefgreifender Fassung dargestellt, ebenso wie Fragen der Immigration (Der getürkte Franke oder von der Freiheit eines Frankenmenschen; Des Hauptmanns alte Kleider) oder einer tatkräftigen Hilfe und wahrheitsgetreuen Berichterstattung (Aus dem Leben einer Kirchenmaus; Der Regenschirmstock; Die wahre und die Ware Wahrheit).
Dieses Buch erweckt Freude am Lesen, Hören und Sehen, regt an zum Nachdenken über Zufall und Verantwortung, zum Verstehen menschlicher Verhaltensweisen bei Sieg und Niederlage, Glück und Pech, Kommunikation und Isolation, zur Diskussion ethischer, politischer und kirchlicher Ziel­set­zun­gen.
So wird erzählt: „Wir sind keine Götter. Aber wir tun unser Bestes, um hier und überall als Götter behandelt zu werden.“

Wer möchte das nicht: Über die Grenzen des Unbekannten

Von Volker Sieber


Egal ob indikativ oder imperativ gelesen, wer möchte das nicht: auf die Grenzen des Unbekannten schauen oder gar ein bisschen darüber hinweg. In den Abgrund vielleicht oder auf das Göttliche? Oder geht es hinter diesem letzten Horizont doch nur mit ganz normalem Wahnsinn weiter?
Der Titel macht Lust, den Band in die Hand zu nehmen. Haptik und Optik suggerieren den Stallgeruch des Fachbuchverlages. Wer jedoch ein wissensvermittelndes Sachbuch erwartet, wird schnell eines anderen belehrt: vom Vorwort des Autors, in welchem er selbst seine Erzählungen in das Terrain von Fiktion, Surrealismus und Humor verweist. Diese Klarstellung ist sehr notwendig, sonst könnte der Leser versucht sein, die behandelten Ernstthemen eben gerade nicht ernst zu nehmen oder das Erfahrene als grotesk abzutun. Wer Klaus Kaysers Buch liest, gewinnt nicht den Eindruck, dass sich Artenvielfalt gerade reduziert, jedenfalls nicht die des Denkens.

Hauptthema des Buches, ist nichts weniger als das Leben, die Gesellschaft, die Menschheit im sandgeplagten Getriebe aktueller Diskurse. Um dieses Brockens Herr zu werden, unterzieht ihn der Autor (wen wunderts, als Pathologe und Physiker) einer Art sezierender Spektralanalyse oder lässt oft rissbildend diskutierte Einzelthemen in grellem Auflicht erscheinen. Auch innerhalb der Erzählungen trifft Angespanntes in unerwarteter Weise und mit Wucht aufeinander, wobei sich eigener Zündstoff entwickelt: so bei der Beleuchtung der Invasion der Blattläuse und der Willkommenskultur der Ameisen; der wahren und der Ware Wahrheit; der Gefahr des Alterns (die schon bei den Eltern beginnt); der tödlichen Wirkung von Schnaps und Demokratie, wenn die Obergrenzen nicht beachtet werden; der Hilflosigkeit der Barmherzigkeit, um nur einige zu nennen.

Die erzählerische Handlung wechselt furios ihre Inhalte, Schauplätze und Zeiträume. Dabei gerät der Leser zum Beispiel während der Diagnostik des allgegenwärtigen Symptoms „Demonstratitis“ zwischen die verschiedensten Arten von Demonstrationen (ein wiederkehrendes Thema im Kayserschen Universum) von Adam bis Jetzt: in ein Demo-Event sich irgendwo freiflatternder Schmetterlinge, zwischen Regenbogenleute in Duisburg, zwischen Bullen und Antiglobalisten in Hamburg; er wird mit gelben Regenschirmen in Hong Kong konfrontiert und landet schließlich bei der Feststellung, dass der Tod „in Afrika und Asien … sein Bestes“ [tut:] „Dort wird noch richtig gestorben! Und richtig Liebe gemacht.“

Oft sind es die absurden Zusammentreffen von Behauptungen und Verortungen, die den Befund des Lesers herausfordern. So etwa, wenn sich chinesische Junggeister mit den Saarbrücken Gutgeistern auf deren Einladung im Geburtshaus von Karl Marx treffen und nach dem gemeinsamen Durchschreiten der Porta Nigra im Räsonieren um den „rechten Weg im Kapitalkommunismus“ mit der Feststellung, dass zuviel Gutes nicht mehr „Gleich“ aber zuviel Gleiches nicht mehr „Gut“ ist, ins Ratlose laufen; wenn Juristen (ständig unterbrochen vom Klingeln eines Smartphones) der unbedingten Notwendigkeit „dem Klavierbauer die Klavierbauerin gegenüberzustellen“ in die Zwangslage geraten „die fahrlässige Verwechslung mit der Klavierbäuerin per Gesetz zu klären“. Wen wundert’s, wenn schließlich ein „bester Gedanke“ die Flucht ergreift, um seiner Vertreibung durch die Smartphones zuvorzukommen.

Bei dieser virtuosen Mischung ist es für den Leser eine Herausforderung, die Orientierung zu behalten. Hier springt der Autor ein, indem er jede Erzählung zu einem Neubeginn macht. Wie in einem guten Softwareprogramm werden die Zeiger auf NULL gestellt und damit verhindert, dass der Leser irgendwo in der Pampa seines Arbeitsspeichers landet. Zur Allegorie wird dies, wenn Kayser den Allmächtigen die Weltschöpfung wiederholen lässt, dann aber beim zweidimensionalen Kreismenschen stecken bleibt und bei der Planung einer dritten Dimension in Zweifel gerät, „ob die neuen Menschen wirklich zu Luftsprüngen fähig sein werden …“

Überhaupt wirken die Protagonisten in den einzelnen Erzählungen anfänglich merkwürdig flach, bis man dahinter kommt, dass die Handelnden in einer Art epischen Dramaturgie eine Sprecherrolle einnehmen. Wenn der Allmächtige in einer fiktiver Rede vor der UN nur ein paar Sätze weit kommt, die Engel angesichts der Zerwürfnisse der irdischen Glaubensvertreter beschließen, durch eine „Welt mit umkehrbarer Zeit“, in der „jedweder Glaube, jedes Wissen und Handeln … zurückgespult und neu gestaltet werden können …“, „die kommende Selbstvernichtung der Menschheit aufzuhalten“; aber ein Harlekinengel, angesichts des dann drohenden Einsatzes elektronischer „Netzwerke, Chipimplantate, Roboter, Avatars“ durch die Menschen, fragt: „Werden es so noch Menschen sein?“, zeigt sich, dass es eher die Brisanz der Themen ist, die zum Träger der Handlungen wird als die Handelnden selbst.

Laut Vorwort möchte der Autor das Buch gern im Kontext eines Patchwork-Romanes gelesen wissen. Trotz einiger wiederkehrender Themen (Demonstrationen, Glück, Flüchtlinge, Religionen, Mauern) und auch Personen (Luther) fehlt es dazu an übergreifenden Handlungssträngen und durchgängigen Charakteren. Auch die eigens zu diesem Zweck eingefügten Vorspanngeschichten entwickeln eher ein interessantes Eigenleben, als dass sie als Bindeglieder fungieren. Insgesamt gerät der Hinweis auf des Romanhafte dem Erzählband jedoch zum Vorteil, indem ihn Klaus Kayser in den Bereich der Fiktion verweist. Der Leser wird dadurch nicht von vornherein auf eine Haltung festgelegt oder gar in die Konfrontation gedrängt. Lässt dieser dann mit einem vorurteilsfreien Gestus des Zurücklehnens die brisanten Themen an sich heran, kann er, einmal in der Erzählung angelangt, den Gang der Dinge immer noch ablehnen, tapfer dort verweilen oder versuchen, selbst den Weg heraus zu finden. Zum Beispiel aus einem Gedankenschlagabtausch zwischen Martin Luther King und Martin Luther, in welchem den ersten sein Idol einholt, während der andere Fake News verbreitet und damit 500 Jahre später zum Provokateur wird, wofür er „2017 … sicherlich verhaftet und …schwarz und blau geschlagen worden“ wäre.

Die Vielzahl der angeschnittenen Probleme verhindert ein Versinken in der Tiefe, doch positiv betrachtet: ist das Interesse des Lesers geweckt, sei es durch die Historizität oder die Aktualität des Stoffes, sorgt der oft abrupte Schluss die Erzählungen in Lenz’scher Manier der Selbstinduktion für ein Weiterfließen des Gedankenstromes, veranlasst den Leser zu eigenen Denkbewegungen, insbesondere dann, wenn er die verblüffenden thematischen Kollisionen nicht unbedingt im Internet wiederfinden kann, wenn Klaus Kayser zum Beispiel das Aussterben des Menschen nicht als Glücksbedrohung ansieht, sondern umgekehrt dessen Glücksbestreben als Ursache für sein Aussterben.

Insofern ein Buch für phantasievolle, aufgeschlossene Leser, die Lust am unkonventionellen Vergleichen verspüren, und keine Scheu vor dem Betreten des Grenzbereiches zwischen fiktiver Handlung und sachlicher Thematik haben. Obwohl manche Gedankenpirouetten von Biellmann’scher Schönheit sind, muss jeder für sich ausloten, wo seine Schmerzgrenze bei den extremen Denkspagaten und rasanten Sinnumdrehungen ist. Bis dorthin erwartet ihn das Erlebnis einer denkerischen Grenzerfahrung.

Optisch wohltuend fügen sich die Hinterglasmalereien von Michael Hug am Anfang jeder Erzählung ein. In dieser Positionierung erinnern sie an die barocke Kunst der Embleme. Um ihre symbolische Aussagekraft für die Texte zu erschließen, wünschte man sich jedoch die Bebilderung etwas großformatiger. Hier wäre mehr Platz am Platze gewesen. So wecken die Bilder vor allem Neugier auf weitere Arbeiten des Künstlers.

Originell ist der Einsatz der QR Codes, diesmal nicht als Verweis in Richtung eBook oder zur digitalen Ergänzung und Vertiefung, sondern umgekehrt. Das Digitale wird ins Buch geholt, um den Leser auf die Audiospur zu helfen und ihm durch die Stimme von Clemens Kerz neue poetische Resonanzräume zu eröffnen.

Alles in allem ein polyphones Werk, ein Lese-, Hör- und Schaubuch. Ein Buch, das keine Erwartungen erfüllt, sondern neugierig macht auf neues, anderes Denken und Lust darauf, Angerissenes in unerwartbaren Konstellationen selber weiterzusinnen, ohne dass man sich in alle Winkel des Erzählbandes versteigen müsste.

Volker Sieber: Lyrik, Prosa, Foto-Installationen. Geboren in der Oberlausitz, lebt in Görlitz und in Nußdorf am Bodensee. Physikstudium in Dresden, Coach-Ausbildung in Konstanz, lange Jahre in der Informatik. Veröffentlicht in Literaturzeitschriften und Anthologien. Mehrere Preise, unter anderem bei einem philosophischen Textwettbewerb des Magazins ZEIT Wissen (DIE ZEIT) bzw. bei einem internationalen Fotowettbewerb (FIAP, Blue Belt Award). Gehört zur Meersburger Autorenrunde, Mitglied der Literarischen Vereinigung SIGNAThUR SCHWEIZ.

Erscheinungsdatum
Illustrationen Michael Hug
Mitarbeit Sprecher: Klemens Kerz
Zusatzinfo farb. Abb.
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Schlagworte Barmherzigkeit • Demokratie • Glaube • Hilfe • Macht • Wissen
ISBN-10 3-96543-033-5 / 3965430335
ISBN-13 978-3-96543-033-4 / 9783965430334
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
Mehr entdecken
aus dem Bereich
Gretchens Schicksalsfamilie. Roman

von Susanne Abel

Buch | Softcover (2023)
dtv Verlagsgesellschaft
13,00