Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe (eBook)
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490173-2 (ISBN)
Gerhard Roth, geboren 1942 in Graz und gestorben im Februar 2022, war einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens« und den nachfolgenden Zyklus »Orkus«. Zuletzt erschienen die drei Venedig-Romane »Die Irrfahrt des Michael Aldrian«, »Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier« und »Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe«. Sein nun letzter Roman »Die Imker« ist im Mai 2022 erschienen. Literaturpreise (Auswahl): Preis der »SWF-Bestenliste« Alfred-Döblin-Preis Marie-Luise-Kaschnitz-Preis Preis des Österreichischen Buchhandels Bruno-Kreisky-Preis 2003 Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien 2003 Jakob-Wassermann-Preis 2012 Jeanette-Schocken-Preis 2015 Jean-Paul-Preis 2015 Großer Österreichischer Staatspreis 2016 Hoffmann-von-Fallersleben-Preis 2016
Gerhard Roth, geboren 1942 in Graz und gestorben im Februar 2022, war einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens« und den nachfolgenden Zyklus »Orkus«. Zuletzt erschienen die drei Venedig-Romane »Die Irrfahrt des Michael Aldrian«, »Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier« und »Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe«. Sein nun letzter Roman »Die Imker« ist im Mai 2022 erschienen. Literaturpreise (Auswahl): Preis der »SWF-Bestenliste« Alfred-Döblin-Preis Marie-Luise-Kaschnitz-Preis Preis des Österreichischen Buchhandels Bruno-Kreisky-Preis 2003 Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien 2003 Jakob-Wassermann-Preis 2012 Jeanette-Schocken-Preis 2015 Jean-Paul-Preis 2015 Großer Österreichischer Staatspreis 2016 Hoffmann-von-Fallersleben-Preis 2016
Beeindruckend!
Es gehört zu den derzeit größten Vergnügen, in diesen drei Büchern durch Venedig zu spazieren und das Grausame und das Schöne zu sehen.
Tod in Venedig à la Roth!
›Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe‹ ist ein weiteres Venedig-Vexierspiel, Verbrechensskizze und Labyrinthgeschichte zugleich
passt genau in die Atmosphäre der verborgenen Winkel von Venedig.
Eine Hommage an die Serenissima
Atmosphärisch wird Gerhard Roth mit seinem [...] dritten Venedig-Roman der ganz besonderen Stimmung Venedigs gerecht: träumerisch, unwirklich, verwirrend, geheimnisvoll.
Sehr atmosphärisch und dicht geschrieben.
es beginnt jene Mischung aus verblüffenden Zufällen, touristischem Interesse und kriminalistischen Rätseln, die Roth in den vorangegangenen Romanen kultiviert hatte.
Meisterhaft verzahnt Roth die einzelnen Rädchen der [...] leitenden Motive ineinander, wodurch jeder Band, bei aller Eigenständigkeit, zugleich zu einem organischen Bestandteil der Trilogie wird.
Man merkt dem Buch Roths Kennerschaft der Lagunenstadt an.
Versänke Venedig eines Tages tatsächlich [...], ließe sich mithilfe von Roths geradezu kartografisch grundierten Venedig-Romanen im Groben ein Plan des entschwundenen Inselhaufens erstellen.
ein kunstvoll verrätselter Thriller
2 Venedig
Unterwegs übernachtete sie schon in Italien. Es interessierte sie nicht, wo sie sich befand, sie folgte nur ihrem inneren Navigator. Klemens war, wenn sie mit dem Auto unterwegs waren, oft neben ihr eingeschlafen und erst am Ziel wieder aufgewacht … Ihr fiel ein, dass er jetzt unter der Erde lag, und sie lenkte sich mit der Landschaft, durch die sie fuhr, ab. Die Sonne schien, Holundersträucher und Akazienbüsche blühten, grüne Alleen säumten die Landstraße, und kristallblitzende Flüsse erweckten in ihr den Eindruck, dass alles nur für sie allein geschaffen sei. Doch fühlte sie sich einsam wie noch nie in ihrem Leben. Plötzlich überkam sie ein lähmendes Gefühl, wie unerwarteter dichter Nebel.
Jedes Mal, wenn sie gemeinsam eine Reise nach Venedig unternommen hatten, waren sie zuerst durch Jesolo gefahren: an den kleinen Pensionen vorbei, an der gewaltigen Wasserrutsche, den Bächen und den Vorgärten, bis sie Punta Sabbioni erreichten und auf einem der bewachten Parkplätze hinter den Villen ihren Wagen abgestellt hatten. Dort bezahlte sie jetzt wieder den Geldbetrag für die Gesamtdauer ihres geplanten Aufenthaltes.
Während sie auf das Passagierschiff wartete, das sie von Punta Sabbioni zum Markusplatz bringen würde, rief sie kurz ihre Familienmitglieder und engsten Freunde an und gab vor, in Padua zu sein, um die Scrovegni-Kapelle mit den Fresken von Giotto anzusehen. Dass sie log, fand sie gut. Bei jedem ihrer Telefonate verwendete sie die gleiche Lüge, und jedes Mal war sie bei dem Gedanken unterzutauchen erleichtert. Als Letztes fügte sie stets hinzu, dass sie sich melden würde, sonst aber ihr Telefon ausgeschaltet sei.
Endlich legte das Schiff, das von Burano kam, an, und sie schleppte ihren Koffer an Bord. Dabei fielen ihr Dinge, die sie zu Hause vergessen hatte, ein, aber es machte ihr nichts aus. Seit Klemens’ Tod fühlte sie sich schrecklich allein, aber sie sagte sich, dass es allen anderen Menschen genauso ging. Die meisten Passagiere, die an Bord waren, hatten vermutlich schon erfahren, wie hässlich Trauer und Schmerz waren. Als sie sich vornahm, die beiden Hefte über Klemens’ Kindheit zu lesen, erinnerte sie sich wieder, dass er alle seine Bücher und Aufzeichnungen in Spiegelschrift verfasst hatte und wie mühsam das Entziffern sein würde. Klemens hatte seine Arbeit gerne mit einem Geheimnis umgeben. Er sperrte die Manuskripte, bis sie fertig waren, in seinen Safe und band sie in Zeitungsseiten ein, die das Etikett trugen »Nicht lesen!« – Obwohl sie neugierig gewesen war, hatte sie sich immer daran gehalten. Sobald er ein Comicbuch abgeschlossen hatte, durfte sie die Manuskriptseiten und die Bilder als Erste in Augenschein nehmen. Manchmal erschrak sie beim Lesen darüber, was in seinem Kopf vor sich ging.
Als sie durch das Fenster schaute, entdeckte sie Paddelboote in der Ferne. Wenn die Sportler die Paddel schwenkten, reflektierten die Ruderblätter in der Sonne das Licht, so dass sie ein fortlaufendes Blinken wie von riesigen Leuchtkäfern wahrnahm, obwohl es taghell war. Der Dampfer, auf dem sie sich befand, hatte beim Ablegen in Punta Sabbioni heftig schwarzen Rauch ausgestoßen. Er war in Fetzen über das Schiffsdach gezogen. Sachlich stellte sie fest, dass auch sie sich gerade auflöste und allmählich verschwinden würde. Das war ihr ein eigenartiger Trost, und sie verband ihn mit dem spontanen Wunsch, nie mehr nach Hause zurückzukehren. In ihrem Zustand ertrug sie vor allem das Vertraute nicht – nur das Fremde schien ihrer Befindlichkeit angemessen. Man hatte ihr gesagt, sie sei eine starke Frau, aber es war schwer genug, ein Mensch und verletzlich zu sein. Gleichzeitig bemerkte sie, dass sie den letzten Gedanken unabsichtlich, wenn auch leise ausgesprochen hatte, sie blickte sich um, ob es jemand bemerkt hatte, doch alle schienen in ihre eigene Welt versunken.
Reste weißer Papiertaschentücher, bemerkte sie, lagen im Passagierraum vor einer Sitzbank, zwei leere Getränkeflaschen aus durchsichtigem Kunststoff rollten mit der Bewegung des Dampfers über den Fußboden. Sie wandte sich ab und musterte die Fahrgäste: Ältere Frauen mit vollen Einkaufstaschen starrten vor sich hin, und neugierige Touristen strengten sich an, beim Fensterschauen nichts zu versäumen, oder sie studierten eine Beschreibung in einem Reiseführer.
Der Dampfer hielt an der Station Santa Maria Elisabetta am Lido. Passagiere stiegen aus, andere gingen an Bord, sie kannte all das schon, doch es schien für sie – warum wusste sie nicht – plötzlich neu zu sein. Gleich darauf erinnerte es sie wieder an ein Gefühl in der Kindheit, wenn sie von der Schule mit der U-Bahn nach Hause gefahren war.
San Zaccaria war die Endstation des Dampfers, der daraufhin wieder nach Punta Sabbioni zurückfuhr. Sie hatte sich nicht einmal erkundigt, ob im Hotel Pandora hinter dem Markusplatz ein Zimmer für sie frei war, aber sie vertraute darauf, dass der Portier sie wiedererkannte, da sie mit Klemens dort mehrfach übernachtet hatte.
Vor San Zaccaria warteten so viele Boote und Vaporetti, dass der Dampfer bereits am Anfang der Riva degli Schiavoni angelegt hatte, weshalb Lilli ihren Koffer über die vier oder fünf Steinbrücken hinaufziehen und wieder hinunterschieben musste. Der Weg erschien ihr endlos lang, und sie war den Tränen nahe. Eine Spur auf den Brücken war mit Brettern für Invaliden, Kinderwagen und Rollkoffer ausgelegt. Trotzdem fühlte sie sich erschöpft.
Endlich nahm sie im Arkadengang des Dogenpalasts auf einer Steinbank Platz. Neben ihr saß ein schwitzender Mann, der die Augen geschlossen hatte, als ob er schliefe. Sie musterte ihn nur mit einem flüchtigen Blick und starrte auf den Markusplatz: Jedes Mal, wenn sie ihn auf einer Reise mit Klemens besucht hatte, war es für sie ein Erlebnis gewesen. Diesmal jedoch war es nur ein gewohnter Anblick, so als würde sie das Areal täglich betreten. Ein Stück weiter erstreckte sich der Markusdom. Der Großteil der Touristen betrachtete ihn als Museum. Doch Klemens war, fiel ihr ein, bei jedem Besuch die steile Treppe in das obere Stockwerk hinaufgeeilt, hatte sich auf einer Bank vor der Brüstung niedergelassen und in die goldenen Mosaikgewölbe mit den heiligen Gestalten gestarrt. Ganz nahe, auf der linken Seite, war die Hölle abgebildet, und Klemens hatte die Darstellung wieder und wieder angeschaut und jedes Mal aufs Neue fotografiert. Auch die Gewölbe hatte er aufgenommen – vor allem das Schöpfungsmosaik in der Basilika – und die Ornamente des alten Fußbodens.
Sie stand auf, nahm den Koffer und zog ihn weiter hinter sich her. Es war so warm, dass sie schwitzte.
Vielleicht war es besser, nicht im Hotel Pandora, sondern im gegenüberliegenden Hotel Diana abzusteigen, überlegte sie, während sie in die Gasse einbog, in der sich beide Hotels befanden. Die Glastür des Hotels Diana, in dem Klemens bei seiner letzten Reise angeblich gewohnt hatte, war jedoch, wie immer am Nachmittag, versperrt … Es gab einen wechselnden Code, den man als Gast eingeben musste, oder man versuchte über das Hotel Pandora, das demselben Unternehmen gehörte, Zutritt zu erlangen.
Vor der Rezeption stauten sich gerade Touristen mit Gepäck, daher wich sie in das angrenzende, beengte Foyer aus. Erschöpft fiel sie in einen mit Rosenmuster bezogenen Fauteuil, wo sie so lange wartete, bis alle Hotelgäste abgefertigt waren.
Man fand für sie schließlich nur noch ein freies Zimmer im Hotel Diana. Ein großer Afro-Europäer in brauner Uniform mit goldenen Schärpen und Knöpfen folgte ihr im Laufschritt über die schmale Gasse und brachte ihr den Koffer, den sie im Hotel Pandora stehen gelassen hatte, nach. Er erklärte ihr lachend, dass die Glastür am Eingang des Hotels mit der Codenummer 113E geöffnet werden konnte. Dann betraten sie das menschenleere Gebäude und fuhren mit dem Lift ein Stockwerk hinauf, ohne einen Menschen zu sehen. Im Hotelzimmer erschrak sie. Als Erstes registrierte sie nämlich, dass der Lärm der von Touristen überschwemmten darunterliegenden Gasse deutlich zu hören war. Sie hob den Kopf und erblickte die nahe Außenwand des gegenüberliegenden Hauses, dessen Fensterläden geschlossen waren. Auch ihr Zimmer war auffallend eng, aber an die vier Meter hoch, und eine der Wände war mit einem etwa drei Meter hohen dunkelbraunen Schrankungetüm verstellt. Sofort dachte sie an einen Sarg … Als sie die Schiebetür öffnen wollte, klemmte sie. Der große, englisch sprechende Afro-Europäer hatte Lillis Koffer inzwischen neben dem Doppelbett, das ein roter Überwurf mit goldenem Karomuster zierte, abgestellt. Dann steckte er eine Kunststoffkarte in einen dafür vorgesehenen Schlitz, worauf sich die Lampen einschalteten. Als Lilli ihm ein Trinkgeld geben wollte, schlug er es zu ihrer Überraschung aus.
Sie legte sich auf das Bett und schloss die Augen.
Erst nach einer halben Stunde erwachte sie wieder, weil es an der Tür klopfte. Sie wollte aber mit keinem Menschen sprechen. Zweimal wurde noch angeklopft, doch blieb sie weiter bewegungslos liegen und starrte zur Decke. Als es wieder still war, stand sie auf, um ihre Kleider in den Schrank zu räumen. Dabei stolperte sie beinahe über einen Koffer. Erst jetzt sah sie, dass es nicht ihr eigener war. Sie öffnete das fremde Gepäckstück, um einen Hinweis auf den Besitzer zu finden, und entdeckte Zauberartikel, darunter einen Totenkopf, Spielkarten, einen Klappzylinder und Schals aus Seide. Sie warf den Kofferdeckel zu und versuchte dann irgendjemanden aus dem Hotel telefonisch zu erreichen. Es hob jedoch niemand ab. Nochmals öffnete sie den Koffer und stieß zu ihrer Verwunderung...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2021 |
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Zusatzinfo | Mit 11 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anspruchsvolle Literatur • Comiczeichner • Die Hölle ist leer • Die Irrfahrt des Michael Aldrian • Kunsthistorikerin • literarischer Kriminalroman • Tod in Venedig • Venedig • Venedig-Trilogie • Wenn die Gondeln Trauer tragen |
ISBN-10 | 3-10-490173-2 / 3104901732 |
ISBN-13 | 978-3-10-490173-2 / 9783104901732 |
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