Heimliche Erinnerungen - Julius POSENER

Heimliche Erinnerungen

In Deutschland 1904 bis 1933

(Autor)

Buch | Hardcover
496 Seiten
2004
Siedler, W J (Verlag)
978-3-88680-764-2 (ISBN)
24,00 inkl. MwSt
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Heimliche Erinnerungen an DeutschlandDas Umschlagbild zeigt einen Vater Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit seinen drei Söhnen: Karl, Ludwig und - als jüngstem - Julius Posener. Das Bild strahlt die Sicherheit und Zuversicht einer großbürgerlichen jüdischen Familie aus. Eine trügerische Sicherheit. Der Nationalsozialismus vertrieb die drei an unterschiedliche Enden der Welt: Karl, den Ältesten, ins Exil nach Australien, wo er schon 1946 starb; Ludwig nach Palästina; und Julius über England nach Malaysia.
In Kuala Lumpur, wo er Architektur lehrte, schrieb Julius Posener in der ihm noch fremden englischen Sprache seine Erinnerungen. Sie sind schärfer, direkter - und bitterer - als die Erinnerungen, die er im Alter in seiner Muttersprache verfasste und 1990 unter dem Titel "Fast so alt wie das Jahrhundert" veröffentlichte. Es scheint, als würde das Brennglas des Exils Details vergrößern - die kindliche Schutzlosigkeit, die erwachende Sexualität, den eigenen Antisemitismus und die drohende Ausgrenzung - und so das eigene Leben wie die Brüche der Zeit umso plastischer hervortreten lassen. Das Buch ist auch - heimlich niedergeschrieben in der kolonialen Gesellschaft, die weder von Deutschen noch von Juden etwas wissen wollte - eine verstohlene Liebeserklärung an die verlorene Heimat.

Julius Posener (1904-1996) studierte Architektur an der Technischen Hochschule Berlin. 1935 emigrierte er nach Palästina, meldete sich 1941 freiwillig zur britischen Armee und wurde 1946 britischer Staatsbürger. Nach Jahren der Lehrtätigkeit in London und

Ankunft, Abkunft
Meine frühesten Erinnerungen sind traurig und beängstigend. Nach den ersten, flüchtigen und in meinem Gedächtnis nur schemenhaft erhaltenen Momenten bewußter Wahrnehmung, die nur Bewegung enthüllen ich werde in schwindelerregende Höhen gehoben, im Gleitflug eine Treppe hinuntergetragen, zwischen die Kissen eines übergroßen Kinderwagens gestopft oder auf einen turmhohen Kinderstuhl gesetzt , ist meine früheste, halbwegs deutliche Erinnerung diese: Jemand hält mich im Arm, ich glaube, es ist mein Vater, doch dann werde ich in andere Arme weitergereicht. Die Szene spielt sich im Eßzimmer ab, und auf dem Tisch steht eine längliche Schale mit Operationsbesteck. Ich werde getröstet: Man hat mir die Mandeln herausgenommen. Es gibt keine Erinnerung an Schmerzen, nur an etwas Unverstandenes und Trauriges.
Die nächste Erinnerung ist deutlicher. Ich stehe in einem Zimmer mit hoher Decke und einem Fußboden aus breiten, unregelmäßigen Dielen, und dieser ist direkt unter mir besudelt. Mein Hinterteil fühlt sich klebrig an, nach warmem, weichem Kot. Ich weine. Jemand, ich glaube, es ist das Mädchen aber meine Mutter muß kurz darauf dazugekommen sein , eilt zu mir und sagt, ich müsse mich nicht schämen, es sei nicht meine Schuld. Die dritte Erinnerung stammt von meinem vierten Geburtstag. Einige Zeit zuvor hatten meine beiden Brüder, die drei und sechs Jahre älter waren als ich, heimlich an einer Überraschung für mich gearbeitet. An meinem großen Tag warte ich im dunklen Korridor vor dem Geburtstagszimmer, wo ich durch einen Spalt in der Tür das Flackern des Lebenslichts sehen kann. Bald darauf werde ich in den Raum geführt und schaue erwartungsvoll zum Gabentisch hinauf. Mein ältester Bruder will mir das Modell eines Zeppelins zeigen, das er für mich gebastelt hat, aber er gerät damit an die Kerzenflamme, und das Ding fängt sofort Feuer. Schreiend renne ich aus dem Zimmer und in die Küche, wo sich alles um mich schart, um mich zu trösten. Trotz meines unvergessenen Entsetzens taten mir meine Brüder, deren Werk und die Freude, die sie mir machen wollten, zerstört worden waren, leid. Der Hangar aus Pappe, den sie für den Zeppelin gebaut hatten, blieb für viele Jahre Bestandteil unseres Spielzeugs, aber ich konnte ihn nie ansehen oder berühren, ohne einen leichten, ehrfürchtigen Schauer angesichts der damit verbundenen Tragödie zu verspüren. Jahre später, als ich über die Katastrophe von Graf Zeppelins Luftschiff in Echterdingen las, verknüpfte ich das Ereignis eng mit dem, was am Gabentisch meines vierten Geburtstags geschehen war. Danach stellen sich friedlichere Erinnerungen ein: Sie handeln von Spaziergängen an der Hand eines Dienstmädchens, zusammen mit meinem Bruder Ludwig, Karl war zu alt dafür. Wir gehen durch die Straßen der Gartenvorstadt von Berlin, in der wir lebten. Ich sehe und rieche noch ganz deutlich braunes Laub, das ich durch die Lücken am Fuße der gußeisernen Zäune erkennen konnte. Ich weiß nicht, warum mir gerade diese Erinnerung so viel bedeutet, aber ich gebe mich ihr noch heute gerne hin.
Wir wohnten damals in der Holbeinstraße in Lichterfelde in einem düsteren und weitläufigen Haus mit riesigen Kachelöfen. In der Abenddämmerung, besonders im Winter, wurde das Gaslicht oder eine Petroleumlampe angezündet, und ich weiß noch, daß ich mich vor dem Geruch des ausströmenden Petroleums in dem Augenblick, bevor die Flamme hell wurde, und auch vor dem gelegentlichen Zischen des Gases fürchtete.
Das Haus stand in einem großen moderigen Garten mit einem Springbrunnen davor. Einmal trank ich Wasser aus diesem Brunnen, indem ich es mit meiner Spielzeugtrompete ansaugte, und wurde streng gerügt, als ich später Bauchschmerzen bekam und meine Sünde beichtete. Immerhin gab man mir daraufhin ein alkoholisches Tonikum, das mir sehr gut schmeckte. Richtigen Ärger bekam ich, als Willi, der Sohn des Gärtners, ein seltsames Spiel mit mir spielte. Ich

Übersetzer Ruth Keen
Sprache deutsch
Maße 135 x 215 mm
Gewicht 766 g
Einbandart Leinen
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Architekten (Einz.) • Architekten (Einzelne Personen) • C. H. Beck-Übersetzerpreis • Deutsches Reich 1871-1945; Berichte/Erinnerungen • Posener, Julius
ISBN-10 3-88680-764-9 / 3886807649
ISBN-13 978-3-88680-764-2 / 9783886807642
Zustand Neuware
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