Die Rückkehr des Dunkelelf 2 - R.A. Salvatore

Die Rückkehr des Dunkelelf 2

Kampf der Kreaturen

(Autor)

Buch | Softcover
512 Seiten
2004
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-442-24299-3 (ISBN)
8,95 inkl. MwSt
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Nach der ersten großen Schlacht gegen die Orks hält Dunkelelf Drizzt Do’Urden seine Freunde für tot und beginnt einen einsamen Rachefeldzug. Tatsächlich jedoch sind Catti-brie und Wulfgar mit dem Leben davongekommen und stemmen sich zusammen mit den Zwergen des Nordens dem schier endlosen Strom der Orks entgegen …




R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman "Der gesprungene Kristall" machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Reihe von Romanen um den Dunkelelf Drizzt Do´Urd

VORSPIEL »Drei Nebel, Obould Todespfeil«, kreischte Tsinka Shrinrill. Sie hatte die Augen weit aufgerissen und rollte sie wie eine Wahnsinnige. Sie befand sich in Trance, als sie den Ork-König so ansprach, irgendwo zwischen der wirklichen Welt und dem Land der Götter. Zumindest behauptete sie das. »Drei Nebel begrenzen dein Reich unterhalb des Grats der Welt: der Nebel, den der Lauf des Surbrin in die Morgenluft entsendet; der übel riechende Dunst der Trollmoore, der sich auf deinen Befehl hin erhebt, und die spirituelle Essenz deiner verstorbenen Ahnen, die im Gräuelpass umgehen. Die Zeit deines größten Ruhms ist angebrochen, König Obould Todespfeil, und dieses Reich wird dir gehören!« Die Ork-Schamanin beendete ihre Erklärung, indem sie die Arme hochriss und ein lautes Heulen ausstieß, und die anderen Priester von Gruumsh Einauge, dem Gott der Orks, folgten ihrem Beispiel und heulten ebenfalls, hoben die Arme und drehten sich um sich selbst, während sie in einem weiten Kreis um den Ork-König und die zerstörte Holzstatue ihres geliebten Gottes tanzten. Um die zerstörte hohle Statue, die ihre Feinde benutzt hatten. Sie hatten ein Abbild von Gruumsh benutzt! Sie hatten ihren Gott gelästert! Urlgen Dreifaust, Oboulds Sohn und Erbe, verfolgte das Treiben der Schamanen mit einer Mischung aus Staunen, Angst und Dankbarkeit. Er hatte Tsinka – eine eher unwichtige, wenn auch sehr lebhafte Schamanin des Todespfeil-Stamms – nie gemocht, und er wusste, dass Obould ihr diese »Vision« praktisch diktiert hatte. Er blickte sich um, sah das Meer von Orks, alle zornig und empört über die Gotteslästerung, die Münder aufgerissen, die gefletschten Zähne gelb und grün, zugespitzt oder abgebrochen. Er sah die vielen blutunterlaufenen, gelblichen Augen, die sich aufgeregt umschauten. Er beobachtete das ununterbrochene Schubsen und Drängeln und bemerkte die unzähligen Beschimpfungen, von denen einige mit Wurfgeschossen beantwortet wurden. Diese Krieger hier waren so zornig und verbittert wie alle Orks des Grats der Welt, denn sie mussten in feuchten Höhlen hausen, während die anderen Völker sich der Bequemlichkeit ihrer Städte und Gemeinden erfreuen konnten. Ebenso wie Urlgen warteten sie angespannt, und viele leckten sich ungeduldig die aufgerissenen Lippen. Würde Obould ihr Schicksal wenden und dem Elend der Orks des Nordens ein Ende bereiten? Urlgen hatte den Angriff gegen die Menschensiedlung Senkendorf angeführt und dabei einen großen Sieg errungen. Der Turm des mächtigen Zauberers, der den Orks schon lange ein Dorn im Auge gewesen war, war eingestürzt, und der Zauberer selbst war tot, ebenso wie viele andere Bewohner des Orts und eine große Zahl von Zwergen, darunter auch, wie sie alle glaubten, König Bruenor Heldenhammer, der Herrscher von Mithril-Halle. Aber viele andere Zwerge waren Urlgens Angriff entkommen, indem sie diese gotteslästerliche Statue benutzten. Als Urlgens Soldaten das große Götterbild sahen, hatten sich die meisten niedergeworfen, wie es sich gehörte, um das Abbild ihres gnadenlosen Gottes zu ehren. Aber es war ein Trick gewesen: Die Statue hatte sich geöffnet und ein kleiner Trupp wilder Zwergenkrieger war herausgestürzt und hatte viele nichts ahnende Orks niedergemetzelt und die anderen in die Flucht geschlagen. Und so hatten die letzten Verteidiger der zerstörten Siedlung entkommen können und sich danach mit einem zweiten Zwergenheer von mehr als vierhundert Kriegern zusammengetan. Ihre gemeinsame Schlagkraft hatte Urlgens Armee, die die Flüchtlinge verfolgt hatte, zurückgetrieben. Der Ork-Kommandant hatte viele seiner Leute verloren. Daher hatte Urlgen, als Obould am Schauplatz erschienen war, erwartet, für sein Versagen beschimpft und vielleicht sogar geschlagen zu werden, und tatsächlich war die erste Reaktion seines Vaters entsprechend ausgefallen. Aber dann hatten sie zu ihrer Überraschung gehört, dass Verstärkung auf dem Weg war, dass viele andere Stämme ihre Höhlen im Grat der Welt verlassen hatten, um sich Oboulds Heer anzuschließen. Selbst jetzt noch staunte Urlgen über die schnelle und schlaue Reaktion seines Vaters. Obould hatte sofort befohlen, das Schlachtfeld abzuriegeln und sämtliche Spuren der Flucht der Zwerge zu verwischen. Es sollte so aussehen, als wäre niemand aus Senkendorf entkommen – Obould wusste, wie wichtig es war, den Neulingen gewisse Informationen vorzuenthalten. Aus diesem Grund hatte er auch Urlgen aufgetragen, seinen überlebenden Kriegern entsprechende Anweisungen zu geben und überall verbreiten zu lassen, dass kein Feind Senkendorf lebend verlassen hatte. Und die Ork-Stämme aus den tiefen Höhlen am Grat der Welt waren tatsächlich zu Oboulds Fahne geeilt. Ork-Häuptlinge hatten dem König wertvolle Geschenke zu Füßen gelegt und ihn angefleht, ihre Treueschwüre anzunehmen. Alle berichteten, dass sie von den Schamanen ihrer Stämme zu Obould geführt worden waren. Mit ihrer boshaften Täuschung hatten die Zwerge Gruumsh erzürnt, und daher hatten viele von Gruumshs Priestern ihre Stämme zu Obould geschickt, der sie auf den Weg der Rache führen würde. Obould, der König Bruenor Heldenhammer getötet hatte, würde dafür sorgen, dass die Zwerge für ihren Frevel mit Blut zahlten. Urlgen war ausgesprochen erleichtert über diese Entwicklung. Er war zwar größer als sein Vater, aber nicht annähernd stark genug, um den mächtigen Ork-König offen herauszufordern. Obould verfügte nicht nur über große Kraft und Geschicklichkeit, er hatte auch eine wunderbar gearbeitete, mit Stacheln besetzte Rüstung und ein Großschwert, das auf seinen Befehl hin von Flammen umzüngelt wurde, und alles zusammen sorgte dafür, dass kein Ork, nicht einmal der übermäßig stolze Urlgen, auch nur im Traum daran denken konnte, ihm die Herrschaft über die Stämme streitig zu machen. Und zum Glück brauchte sich Urlgen derzeit keine Gedanken mehr zu machen, dass sein Vater ihn bestrafen würde. Die Schamanen, angeführt von der herumwirbelnden Tsinka, versprachen Obould die Erfüllung all seiner Träume und priesen ihn für seinen gewaltigen Sieg in Senkendorf – einen Sieg, den sein hoch geehrter Sohn für ihn erkämpft hatte. Obould warf Urlgen im Lauf der Zeremonie mehrmals einen Blick zu, und wenn er grinste, war das nicht das übliche boshafte Zähnefletschen, das nur davon sprach, wie sehr es dem Ork-König gefallen würde, jemanden zu foltern. Nein, Obould war tatsächlich zufrieden mit Urlgen, zufrieden mit allen. König Bruenor Heldenhammer war tot, und die Zwerge waren auf der Flucht. Was bedeutete es schon, dass die Orks vor Senkendorf beinahe tausend Krieger verloren hatten – inzwischen waren wieder mehrere tausend zu ihnen gestoßen. Und es waren immer noch mehr auf dem Weg, sie stiegen hinauf an die Oberfläche (viele wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben), blinzelten im hellen Licht und zogen über die Bergpfade nach Süden, immer dem Ruf der Schamanen folgend, dem Ruf von Gruumsh, dem Ruf von König Obould Todespfeil. »Ich werde mein Königreich haben«, erklärte Obould, als die Schamanen mit ihrem Tanz und dem Geheule fertig waren. »Und wenn ich erst das Land zwischen den drei Nebeln beherrsche, werden wir uns gegen unsere Feinde in der weiteren Umgebung wenden. Ich werde die Zitadelle Felbarr zurückerobern!«, schrie er, und Tausende von Orks jubelten. »Ich werde die Zwerge nach Adbar scheuchen, und dort werde ich sie in ihren dreckigen Höhlen einschließen!«, fuhr Obould fort, während er an den ersten Reihen der Versammelten vorbeistapfte, und Tausende von Orks jubelten lautstark. »Ich werde den Boden von Mirabar zum Beben bringen!«, schrie Obould, und der Jubel wurde noch lauter. »Ich werde dafür sorgen, dass sogar Silbrigmond zittert, wenn mein Name erklingt!« Das rief den lautesten Jubel hervor, und die wilde Tsinka stürzte sich auf den großen Ork und küsste ihn, bot sich ihm an, versprach ihm den Segen von Gruumsh in seiner extremsten Form. Obould drückte sie mit seinem kräftigen Arm fest an sich, dann hob er sie hoch, und der Jubel wurde noch lauter. Urlgen jubelte nicht, aber er lächelte, als er zusah, wie Obould die Priesterin die Rampe hinauf zu der entweihten Statue von Gruumsh trug. Er dachte daran, wie viel größer sein Erbe schon bald sein würde. Obould konnte schließlich nicht ewig leben. Und sollte es dennoch danach aussehen, würde Urlgen schon eine Möglichkeit finden, etwas dagegen zu unternehmen. ANARCHIE DER GEFÜHLE Ich habe alles richtig gemacht. Jeder Schritt auf meinem Weg aus Menzoberranzan heraus wurde von meinem inneren Kompass geleitet, von meinen Vorstellungen von Gut und Böse, von Gemeinschaft und Selbstlosigkeit. Selbst wenn ich versagte, wie es jedem passiert, lag das an Fehlurteilen oder schlicht an Schwäche und geschah nicht, weil ich mein Gewissen außer Acht gelassen hätte. Denn aus dem Gewissen erwachsen all jene höheren Prinzipien und Lehren, die uns unseren jeweiligen Göttern näher bringen, näher zu unseren Hoffnungen und Vorstellungen vom Paradies. Ich bin stets meinem Gewissen gefolgt, aber ich fürchte, es hat mich getäuscht. Ich habe alles richtig gemacht. Und dennoch ist Ellifain tot, und damit wurde meine Tat vor so vielen Jahren, die ihr das Leben rettete, zu Hohn und Spott. Ich habe alles richtig gemacht. Und dennoch sah ich Bruenor sterben, und ich gehe davon aus, dass auch die anderen, die ich liebte, mit ihm umgekommen sind. Gibt es dort draußen irgendwo eine Gottheit, die über meine Dummheit lacht? Gibt es dort draußen überhaupt eine Gottheit? Oder war alles Lüge und – schlimmer noch – Selbsttäuschung? Ich habe oft darüber nachgedacht, was Gemeinschaft bedeutet und wie Einzelne bei ihren Versuchen, das große Ganze zu verbessern, persönlich ebenfalls vorankommen. Dies war das Leitprinzip meiner Existenz, die Erkenntnis, die mich aus Menzoberranzan herausgetrieben hat. Aber nun, in dieser Zeit des Schmerzes, begreife ich – oder vielleicht bin ich auch nur gezwungen zuzugeben –, dass mein Glaube auch einen viel persönlicheren Hintergrund hatte. Welche Ironie, dass ich mit meinen Ideen von Gemeinschaft tatsächlich vor allem mein eigenes verzweifeltes Bedürfnis genährt habe, zu etwas zu gehören, das größer war als ich selbst. Indem ich mir selbst immer wieder vor Augen führte, wie richtig meine Ideen waren, tat ich nichts anderes als jene, die sich vor der Kanzel eines Predigers sammeln. Ich suchte Trost und Anleitung, nur dass ich danach in mir selbst suchte, während viele es außerhalb ihrer selbst tun. Nach dieser Definition habe ich alles richtig gemacht. Und dennoch kann ich die wachsende Erkenntnis, die wachsende Befürchtung, die wachsende Angst nicht von der Hand weisen, dass letztendlich alles falsch war. Denn worin soll die Bedeutung alles dessen bestehen, wenn Ellifain tot ist und sie in den kurzen Jahren ihres Lebens solche Qualen erleiden musste? Wo ist der Sinn, wenn meine Freunde und ich unseren Herzen folgten und auf unsere Schwerter vertrauten, nur damit ich zusehen musste, wie sie in den Trümmern eines einstürzenden Turms starben? Wenn ich die ganze Zeit Recht hatte, wo bleibt dann die Gerechtigkeit und wo die Antwort eines dankbaren Gottes? Noch während ich diese Frage stelle, erkenne ich, wie überheblich sie ist. Noch während ich diese Frage stelle, erkenne ich, wie meine Seele funktioniert, und ich frage mich unwillkürlich, ob ich wirklich so anders bin als die anderen Drow. Was die Technik angeht, zweifellos, aber was ist mit den Auswirkungen? Denn habe ich nicht mit all meiner Hingabe an Gemeinschaft und Engagement genau das Gleiche gesucht wie die Priesterinnen, die ich in Menzoberranzan hinter mir gelassen habe? Suchte ich nicht ebenso wie sie nach ewigem Leben und höherem Ansehen bei meinen Freunden? Als die Grundmauern von Withegroos Turm schwankten und schließlich einstürzten, zerbrachen auch die Illusionen, die mich geleitet haben. Ich wurde zum Krieger ausgebildet. Ohne meine Geschicklichkeit mit den Krummsäbeln hätte ich in meiner Welt eine erheblich kleinere Rolle gespielt, wäre weniger respektiert und akzeptiert worden. Diese Ausbildung und Begabung sind nun alles, was mir geblieben ist; sie sind die Grundlage, auf die ich diesen neuen Abschnitt des seltsamen, gewundenen Weges aufbauen werde, den das Leben von Drizzt Do’Urden nimmt. Meine Fähigkeiten werden mir Gelegenheit geben, mich an diesen elenden Geschöpfen zu rächen, die alles zerstört haben, was mir am Herzen lag. Was ich tue, wird Ausdruck meiner Trauer um all jene sein, die ich verloren habe: Ellifain, Bruenor, Wulfgar, Regis, Catti-brie, und im Grunde auch Drizzt Do’Urden. Diese Krummsäbel, Eistod und Blaues Licht, werden nun zur Definition meiner selbst, und wieder einmal ist niemand außer Guenhwyvar an meiner Seite. Ich verlasse mich auf sie und auf nichts anderes. Drizzt Do’Urden SYMBOL DES ZORNS Drizzt bezeichnete es ungern als Schrein. Aber der Helm von Bruenor Heldenhammer mit seinem einen Horn, den der Drow auf einem Stock gehängt hatte, war der wichtigste Gegenstand in der kleinen Höhle, in der er sich niedergelassen hatte. Der Stock mit dem Helm stand direkt vor der hinteren Höhlenwand, an der einzigen Stelle in dieser natürlichen Zuflucht, die hin und wieder von einem Sonnenstrahl erreicht wurde. Drizzt wollte es so. Er wollte den Helm gut sehen können. Er wollte stets daran denken. Und er war nicht nur entschlossen, sich an Bruenor und an all seine anderen Freunde zu erinnern. Vor allem wollte Drizzt nicht vergessen, wer ihm und seiner Welt das angetan hatte. Er musste sich auf den Bauch legen, um zwischen zwei Felsen in die Höhle kriechen zu können, und selbst dann war es eng und schwierig. Doch das war Drizzt gleich; tatsächlich sagte es ihm sogar zu. Dieser vollkommene Mangel an Bequemlichkeit, diese beinahe tierhafte Existenz, tat ihm gut, und noch mehr als das: Es erinnerte ihn daran, was er werden musste, was er sein musste, wenn er überleben wollte. Er war nicht mehr Drizzt Do’Urden aus dem Eiswindtal, Freund von Bruenor und Catti-brie, Wulfgar und Regis. Er war nicht mehr Drizzt Do’Urden, den der Waldläufer Montolio deBrouchee im Geist von Mielikki über die Wege der Natur belehrt hatte. Er war wieder dieser einsame Drow, der Menzoberranzan verlassen hatte. Er war wieder ein Flüchtling aus der Stadt der Dunkelelfen, ein Abtrünniger vom Weg der Priesterinnen, die ihm solches Unrecht angetan und seinen Vater ermordet hatten. Er war der Jäger, ein Geschöpf reinen Instinkts, das das mörderische Unterreich überlebt hatte und sich für den Tod seiner Freunde an den Ork-Horden rächen würde. Er war der Jäger, ein Wesen, dem es nur noch ums Überleben ging und das den Schmerz und die Trauer um Ellifain beiseite geschoben hatte. So kniete er eines Nachmittags vor seinem heiligen Symbol und beobachtete das Spiel des Sonnenlichts auf dem schief hängenden Helm. Bruenor hatte schon vor vielen Jahren, lange bevor Drizzt in sein Leben getreten war, eins der Hörner an diesem Kopfschutz verloren. Er hatte Drizzt erzählt, dass er das Horn nicht ersetzte, weil es ihn daran erinnerte, immer den Kopf einzuziehen. Nun berührte der Drow den rauen Rand des abgebrochenen Horns mit seinen schlanken Fingern. Drizzt konnte am Lederband des Helms immer noch Bruenors charakteristischen Geruch wahrnehmen, als säße der Zwerg neben ihm in der dunklen Höhle, als wären sie gerade aus einem weiteren brutalen Kampf zurückgekehrt, beide immer noch schwer atmend, laut lachend und schweißüberströmt. Der Drow schloss die Augen und hatte wieder einmal dieses letzte verzweifelte Bild von Bruenor vor sich. Er sah Withegroos weißen Turm, sah Flammen, die an den Seiten emporzüngelten, sah einen einzelnen Zwerg oben auf der Spitze, der bis zum bitteren Ende Befehle brüllte. Er sah, wie der Turm sich zur Seite neigte, einstürzte und den Zwerg unter den Trümmern begrub. Er schloss die Augen noch fester, um die Tränen zurückzuhalten. Er musste sich wehren, musste seine Trauer weit, weit von sich schieben. Der Krieger, zu dem er geworden war, hatte keinen Platz für solche Gefühle. Drizzt öffnete die Augen wieder und schaute abermals den Helm an, bezog Kraft aus seinem Zorn. Er folgte der Linie eines Sonnenstrahls, der in die Felsennische hinter dem Helm fiel, wo seine Stiefel standen. Er brauchte sie nicht mehr, ebenso wenig wie dieses Gefühl der Trauer, das ihn nur schwächte. Er legte sich auf den Bauch und rutschte durch die enge Öffnung zwischen den Felsen ins Spätnachmittagslicht hinaus. Beinahe sofort richtete er sich auf und schnupperte. Er sah sich um, und seine scharfen Augen nahmen jeden Schatten und jedes Spiel der Sonne wahr; seine nackten Füße spürten den kühlen Boden. Nach einem weiteren abschätzenden Blick eilte der Jäger auf höheres Gelände. Er erreichte die Bergflanke in dem Moment, als die Sonne hinter dem westlichen Horizont verschwand, und er blieb stehen und sah sich um, während die Schatten länger wurden und sich Zwielicht über das Land senkte. Schließlich entdeckte er in der Ferne ein Lagerfeuer. Seine Hand bewegte sich instinktiv zu der Onyxstatuette in seinem Beutel. Er holte sie jedoch nicht heraus, beschwor Guenhwyvar nicht herauf. Nicht an diesem Abend. Er konnte besser sehen, je dunkler es wurde, und schließlich machte er sich auf den Weg, lautlos wie ein Schatten, flüchtig wie eine Feder an einem windigen Herbsttag. Er brauchte die Bergpfade nicht, denn er war viel zu geschickt, um sich von Geröll und zerklüftetem Boden aufhalten zu lassen. Er schlich problemlos durchs Unterholz, und so lautlos, dass viele Waldtiere, selbst das wachsame Rotwild, nicht einmal bemerkten, wie er sich näherte, und erst erkannten, dass er an ihnen vorbeigeschlichen war, als der sich drehende Wind seinen Geruch zu ihnen trieb. Einmal kam er an einen kleinen Fluss, aber er sprang mit vollendeter Balance von einem Stein zum anderen, und selbst auf den glattesten Stellen kam er nicht ins Rutschen. Er hatte das Lagerfeuer aus dem Blickfeld verloren, als er den Berghang verlassen hatte, aber er wusste, in welche Richtung er sich bewegen musste, so als würde der Zorn selbst seine langen und sicheren Schritte lenken. Auf der anderen Seite eines kleinen Tals, direkt hinter einem dichten Hain, entdeckte der Drow das Lagerfeuer wieder, und nun war er nahe genug, um die Umrisse jener erkennen zu können, die sich dort bewegten. Er wusste sofort, dass es sich um Orks handelte, sah es an ihrer Größe, an den breiten Schultern und an ihrer leicht gebückten Haltung. Sie stritten sich – das war wenig überraschend –, und Drizzt beherrschte ihre gutturale Sprache gut genug, um zu verstehen, dass es bei dem Streit darum ging, wer Wache halten sollte. Offensichtlich war keiner dazu bereit, und sie hielten es alle für eine unnötige Schikane.

Reihe/Serie BLA - Fantasy ; 24299
Die Rückkehr des Dunkelelf ; BD 2 | 1.20
Übersetzer Regina Winter
Sprache deutsch
Original-Titel The Lone Drow
Maße 115 x 183 mm
Gewicht 390 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Fantasy
ISBN-10 3-442-24299-1 / 3442242991
ISBN-13 978-3-442-24299-3 / 9783442242993
Zustand Neuware
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