Sternenstaub (eBook)

Die Geschichte des Universums in 42 nie verliehenen Nobelpreisen

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
352 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9617-2 (ISBN)

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Sternenstaub -  Ben Moore
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Der Nobelpreis ist die wohl größte Ehre, die Forscherinnen und Wissenschaftlern zuteil werden kann. Von 1901 bis 2021 gab es 218 Nobelpreisträger in der Physik. Doch warum wurden so wenige dieser Preise an Astrophysiker und Kosmologen vergeben? Warum gingen einige davon an die Falschen - und überhaupt nur vier an Frauen? Warum bekam Stephen Hawking nie einen Nobelpreis, warum wurde Albert Einstein wütend, als er einen bekam - und haben Sie je von dem belgischen Priester gehört, der den Urknall entdeckte? Ben Moore beantwortet nicht nur diese Fragen, sondern nimmt die Leser:innen auch mit auf eine Reise durch eine so bisher nie erzählte Geschichte unseres Universums. Er lenkt den Blick auf jene Leben, Schicksale und Entdeckungen herausragender Forscherinnen und Forscher, die übergangen, übervorteilt oder schlichtweg vergessen wurden.

Ben Moore, geboren 1966 in Großbritannien, ist seit 2002 Professor für Astrophysik an der Universität Zürich. Er hat über 300 Forschungsarbeiten zur Entstehung kosmischer Strukturen - Sterne, Galaxien und Planeten - veröffentlicht. Bei Kein & Aber erschienen von Ben Moore die Bücher Elefanten im All (2012), Da draußen (2014), Mond: Eine Biografie (2019) und zusammen mit Katharina Blansjaar Gibt es auf der dunklen Seite vom Mond Aliens? (2017). Zudem ist er Kolumnist beim Das Magazin des Tages-Anzeigers.

2. Aristarchos von Samos (ca. 310–230 v. Chr.)


»für die Entdeckung unseres Platzes im Sonnensystem«


Die Menschheit glaubte für die meiste Zeit ihrer Geschichte, dass die Erde im Zentrum des Universums liegt. Würden Sie etwas anderes annehmen ohne das Wissen, das Ihnen zur Verfügung steht? Immerhin scheint es so, als würden sich die Planeten und Sterne um die Erde drehen, und wenn sich die Erde bewegen würde, dann würden wir das doch spüren, oder? Und wie würden Sie die Distanzen zu Mond und Sonne und deren Größen messen, ohne Ihr Haus zu verlassen? Genau das tat Aristarchos von Samos. Er war außerdem der Erste, welcher der Sonne ihren korrekten Platz zuwies – in der Mitte unseres Sonnensystems, umrundet von der Erde und den Planeten.

Um zu verstehen, wie bemerkenswert Aristarchos’ Messungen und Thesen waren, müssen wir sie den zu seiner Zeit vorherrschenden Ideen über den Kosmos gegenüberstellen. Im 6. Jahrhundert v. Chr. glaubten Anaximander und sein Schüler Anaximenes, dass die Sonne, der Mond und die Planeten alle aus Feuer bestünden und aufgrund ihrer Ausdehnung durch die Luft schwebten wie ein Blatt im Wind. Sie hielten die Fixsterne für Bestandteile einer kristallinen Sphäre, die sich um die Erde dreht – die Anfänge einer Idee, mit der sich die westliche Kosmologie während der nächsten zwei Jahrtausende herumplagen sollte. Bereits Plato wusste, dass die sichtbaren Planetenbewegungen kompliziert waren – manchmal schien es von der Erde aus, als würden sie sich rückwärts (retrograd) bewegen. Er wollte diese Bewegungen verstehen und war der Ansicht, dass dem Kosmos simple geometrische Formen wie Kreise und Kugeln zugrunde liegen. Im 4. Jahrhundert v. Chr. lieferte sein Schüler Eudoxos von Knidos die mathematische Grundlage für das erste geometrische Modell des Kosmos – mit 26 perfekt kugelförmigen Himmelssphären, welche die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Planeten bestimmten. Obwohl der Versuch von Plato und Eudoxos, die Bewegungen der Planeten zu verstehen, wohl nur mathematischer Natur war, zimmerte Aristoteles später eine Kosmologie daraus zusammen.

Aristoteles war ebenfalls ein Schüler Platos und entwickelte ein Modell mit 55 untereinander verbundenen und sich bewegenden Himmelssphären, in deren Zentrum die Erde lag. Jede dieser Sphären wurde durch einen eigenen Gott angetrieben. Er glaubte, das Universum sei räumlich begrenzt und ewig. Die Sphären bestanden aus einem transparenten fünften Element, welches er Äther oder Quintessenz nannte. Eine äußerste, unbewegliche Sphäre enthielt die Sterne, weil bei diesen keine Bewegung beobachtet werden konnte.

Dieses Modell der perfekt verschachtelten Sphären hielt sich nicht lange. Man bemerkte, dass sich die Helligkeit von Venus und Mars über einen bestimmten Zeitraum veränderte. Heute wissen wir, dass dies an ihrer sich aufgrund ihrer Umlaufbahnen um die Sonne ändernden Distanz zur Erde liegt – wenn sie tatsächlich in einer festen Distanz die Erde umrunden würden, dürfte sich ihre Helligkeit nicht ändern. Also wurde das Himmelssphärenmodell ein wenig angepasst, und die Mitte der Planetensphären lag nun ein wenig abseits der Erde. Hipparchos, ein griechischer Astronom, war der Erste, der zu diesen Ideen eine Mathematik entwickelte und sie mit seinen Beobachtungen verglich. Die Ideen von Aristoteles und deren mathematische Beschreibung gelangten schließlich zu großer Berühmtheit, als Ptolemäus sie aufgriff, noch mehr Himmelssphären hinzufügte und dazu auch noch den Grundstein für die heutige Astrologie legte – was die Wissenschaft um etwa 1000 Jahre zurückwarf.

Für die immer komplexer werdenden Himmelssphären gibt es verschiedene Gründe. Einerseits ist da die von uns auf der Erde wahrgenommene »Rückwärtsbewegung« der Planeten. Heute wissen wir, dass dies an unserem Blickwinkel liegt, der sich ändert, während die Erde die Sonne umläuft. Besonders die Bewegung des Mars war für die frühen Astronomen schwer zu verstehen. Der Mars hat eine ziemlich exzentrische Umlaufbahn – aber das wusste man damals noch nicht. Nicht einmal Kopernikus, der die Planeten korrekterweise in Umlaufbahnen um die Sonne ordnete, konnte die Bewegung des Mars verstehen, weil er ebenfalls von kreisförmigen Umlaufbahnen ausging.

Eine unbewegte Erde, um welche sich die Sonne und die Planeten drehten, war das offensichtlichste Modell; eines, das in allen frühen Kosmologien existierte. Wenn man draußen steht und sich den Sonnenuntergang oder den Nachthimmel anschaut, erscheint es logisch, dass die Erde unbewegt ist und sich alles um uns herumdreht. Es erscheint auch logisch, dass die Erde im Zentrum von allem ist, denn alles wird vom Zentrum der Erde angezogen.

Aus der Sicht eines Beobachters im All bewegt sich die Erde allerdings mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 1675 Stundenkilometern und legt auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne stündlich 108000 Kilometer zurück. Das klingt so, als müsste uns dabei schwindlig werden, aber wir können diese Bewegung aus verschiedenen Gründen nicht spüren. Die Umlaufbahn der Erde ist so groß und ihre Biegung so sanft, dass es sich wie eine gerade Linie anfühlt. Und die Bewegung in einer geraden Linie mit einer konstanten Geschwindigkeit ist ein natürlicher Bewegungszustand, der nicht wahrnehmbar ist – außer wir sehen, wie etwas an uns vorbeirast. Und die g-Kraft (oder zentrifugale Beschleunigung) der Erdrotation liegt bei gerade einmal 0,003g – oder, in anderen Worten, bei 0,3 Prozent der Erdanziehung. Die Beschleunigung durch die Erdbewegung um die Sonne ist sogar noch kleiner.

Aristarchos war der Erste, der unseren Platz im Kosmos komplett neu bestimmte. Über sein Leben ist wenig bekannt, außer, dass er zumindest ein paar Jahre in den Museen und Bibliotheken von Alexandria verbrachte. Aristarchos war ein Schüler von Straton von Lampsakos, dem Leiter von Aristoteles’ Lyzeum. Gemäß Archimedes leistete Aristarchos einige der wichtigsten Beiträge zur Astronomie gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. Seine einzige erhaltene Schrift ist Über die Größen und Abstände von Sonne und Mond.

In diesem Text begann Aristarchos damit, die relativen Distanzen und Größen von Sonne und Mond zu berechnen. Er nahm korrekterweise an, dass der Mond das Licht der Sonne reflektiert und dass, wenn der Mond genau zur Hälfte beleuchtet ist, er mit der Erde und der Sonne ein rechtwinkliges Dreieck bildet, wobei der Mond an dessen Scheitelpunkt steht. Er bediente sich dann der euklidischen Dreiecksgeometrie, um die relativen Längen zweier Seiten des Dreiecks zu bestimmen, das Verhältnis der Mond-Sonnen-Distanz.

Mit einer zweiten Methode bestimmte Aristarchos die absoluten Größen von Sonne und Mond und unsere Distanz zu ihnen. Er wendete die Geometrie einer Mondfinsternis an, um die Radien von Sonne und Mond in Erdradien zu bestimmen. Für diese zweite Berechnung brauchte es einiges mehr an Dreiecken und Geometrie, aber die zugrunde liegende Idee war, die Größe des Erdschattens in der Distanz des Mondes zu schätzen, und die Größe des Mondes im Vergleich zum Erdschatten. Er tat dies, indem er maß, wie lange der Mond brauchte, um den Erdschatten einmal zu durchqueren (die Dauer der Totalität während einer Mondfinsternis), und diese Zeitspanne dann mit der ihm bekannten Umlaufzeit des Mondes um die Erde verglich. Er argumentierte, dass sich aufgrund der identischen scheinbaren Größe von Sonne und Mond (die Tatsache, dass bei einer Sonnenfinsternis der Mond die Sonne fast perfekt bedeckt) der Durchmesser der Sonne mittels einfacher Geometrie in Monddurchmessern bestimmen lässt.

Aristarchos’ Messungen waren sehr ungenau, aber seine Methoden waren korrekt. Er folgerte, dass die Erde knapp dreimal den Durchmesser des Mondes habe, und dass die Sonne um ein Vielfaches größer sei als die Erde. Er schätzte, unsere Entfernung zur Sonne würde etwa das 19-Fache unserer Entfernung zum Mond betragen – tatsächlich ist es das 400-Fache. Hipparchos bediente sich der Methoden von Aristarchos und kam damit auf eine Mondgröße und -distanz, die um weniger als zehn Prozent von den heute bekannten Werten abweichen. Bereits vor über 2000 Jahren war also bekannt, dass die Erde etwa dreieinhalb Mal so groß ist wie der Mond, der sich etwa 60 Erdradien von uns entfernt befindet!2

Diese unglaubliche Leistung legte den Grundstein für die kosmische Entfernungsleiter (besser bekannt als »distance ladder«), die es uns Kosmologen ermöglicht, die Lücken in unseren Messmethoden für weit entfernte Objekte im Universum zu überbrücken. Aristarchos erkannte auch, dass die Sterne am Nachthimmel viel weiter entfernt sein müssten als unsere Sonne, weil sie keine erkennbare Parallaxe aufwiesen. Die Parallaxe wird in den nächsten Kapiteln noch oft auftauchen. Es handelt sich dabei um eine Technik, bei der ein sichtbarer Unterschied in der Position eines Objekts aus zwei verschiedenen Perspektiven dazu verwendet wird, seine Distanz zu bestimmen. Um zu verstehen, wie das funktioniert, halten Sie Ihren Finger in die Höhe und betrachten Sie ihn abwechselnd mit dem linken und dem rechten Auge. Bringen Sie Ihren Finger doppelt so nah ans Gesicht, und er bewegt sich scheinbar doppelt so weit von Seite zu Seite, wenn Sie das Auge wechseln. Diese scheinbare Positionsänderung kann als Winkel dargestellt werden. Nun müssten Sie nur noch die Distanz zwischen Ihren Pupillen bestimmen, und Sie könnten den Abstand zum Finger mittels Geometrie berechnen.

Eine andere visionäre Idee von Aristarchos ist im Text Psammites (Die Sandrechnung) des jungen...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Übersetzer Katharina Blansjaar
Sprache deutsch
Original-Titel Unrewarded
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Weltraum / Astronomie
Naturwissenschaften Physik / Astronomie Astronomie / Astrophysik
Schlagworte Astrobiologie • Astrophysik • Atom • Außerirdische • Feminismus • Frauen.in.der.Geschichte • Geologie • Geschichte • Kosmologie • Neurowissenschaft • Sachbuch • Sterne • Universum • Urknall
ISBN-10 3-0369-9617-6 / 3036996176
ISBN-13 978-3-0369-9617-2 / 9783036996172
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