Abitur im Sozialismus

Schülernotizen 1963 - 1967

(Autor)

Buch | Softcover
296 Seiten
2016
EDITION digital (Verlag)
978-3-95655-693-7 (ISBN)
12,80 inkl. MwSt
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"Nun sagt mir doch endlich mal, was das ist, die DDR!" Diese Frage seiner damals 10-jährigen Enkelin lässt dem Autor Werner Müller keine Ruhe. Hinzu kommen die vielfältigen Erinnerungen von Schulfreunden aus den vier Jahren an der Erweiterten Oberschule "Rainer Fetscher" während eines Klassentreffens.Die oft abwertenden Äußerungen der westlich geprägten Medienlandschaft über das Schulsystem im kleineren der beiden deutschen Nachkriegsstatten rufen Unmut hervor. Deshalb beschließt der Autor, gemeinsam mit ehemaligen Klassenkameraden auf eine Zeitreise in die Mitte der 1960-er Jahre zu gehen. Damit dieser Ausflug der Erinnerungen nicht zu sonnig wird, stöbert er in den Klassenbüchern von damals, holt seine alten Tagebücher hervor und arbeitet sich durch Zeitungen, Bücher und Internet. So entsteht das vielfältige Bild eines Schulalltages dieser Zeit in der DDR, ein Stück Dokumentarliteratur. Dabei werden auch Wechselbeziehungen West-Ost gezeigt, Vergleiche herangezogen. Die Wahrnehmung der gemeinsamen Vergangenheit ist bei den Mitschülern oft unterschiedlich, widersetzt sich jedoch der heute immer noch beliebten Schwarzfärberei in Medien und Politik. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass eine realistische Darstellung der deutschen Geschichte bis 1990 nur in ihren Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen möglich ist. Das gilt nicht nur für die gezeigten vier Schuljahre. Wann das sein wird, ist im Nebel der Zukunft verborgen.

Werner Müller ist der Allerweltsname des Pirnaer Autors. Gelesen hat der 1948 Geborene schon immer gern, die verschiedenen Formen der Prosa und als Jugendlicher auch der Lyrik, später zahlreiche Fachbücher, um Tierarzt zu werden. Geschrieben hat er in dieser Profession verschiedentlich Artikel für Fachzeitschriften und seine Dissertationen. Andere Themen wurden, abgesehen von gut benoteten Schulaufsätzen, bisher nicht berührt. Mit journalistischer Neugier und wissenschaftlicher Akribie, als Rentner nun mit dem erforderlichen Zeitfonds ausgestattet, beschreibt der Autor seine vier Schuljahre an einer Erweiterten Oberschule im Pirna der 1960-er Jahre.

Nur wer losgeht kommt an
Vorwort
Kapitel 1: Wie alles kam
Kapitel 2: Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht….
Kapitel 3: 1963 – der Beginn unserer Zeit an der Erweiterten Oberschule – in welcher Zeit?
Kapitel 4: Nach Ende der 8. Klasse in die Erweiterte Oberschule
Kapitel 5: Abitur und Berufsausbildung – eine besondere Herausforderung
Kapitel 6: Unser Schulalltag von 1963 bis 1967
Kapitel 7: K & Co. – die Band, die eigentlich die „The Others“ war
Kapitel 8: Politinformation in der Klasse B2 1963 bis 1967
Kapitel 9: Das Internat und seine Bewohner
Kapitel 10: Außerschulische Arbeit/Tätigkeit – was war da los?
Kapitel 11: Unsere Arbeitsgemeinschaften (AG)
Kapitel 12: Pause
Kapitel 13: Mathe, Chemie, Bio und Physik
Kapitel 14: Geschichte und Staatsbürgerkunde
Kapitel 15: Deutsch
Kapitel 16: Russisch und Englisch
Kapitel 17: Zeichnen/Kunstgeschichte und Musik
Kapitel 18: Erdkunde und Astronomie
Kapitel 19: Sport und Sonstiges
Kapitel 20: Dem Ende zu - Abiturprüfung, Wehrdienst und/oder Studium
Kapitel 21: Fetschers zweiter Tod - Erlöschen einer Tradition
Kapitel 22: Was noch zu sagen wäre
Nachwort
Bildnachweis

Kapitel 4: Nach Ende der 8. Klasse in die Erweiterte Oberschule Während der 8. Klasse stellte sich die Frage, wie es schulisch weitergehen sollte. Mit meinem Klassenkameraden Wolfgang K. immer leistungsmäßig an der Spitze stehend, wurde von unserem Klassenlehrer der Vorschlag für die Erweiterte Oberschule für uns beide gemacht. Mit meinen Eltern habe ich das dann ausführlich besprochen. Was wäre das Ziel? – Natürlich ein Studium, aber welches? Kompliziert wurde die Entscheidungsfindung dadurch, dass ab 1962 in den Erweiterten Oberschulen neben dem Abitur auch noch die Ausbildung in einem Beruf mit Abschluss Facharbeiterbrief erfolgte. Erfahrungsberichte dazu einzuholen war nicht möglich, denn wir schrieben ja das Jahr 1962. Das Ausbildungsangebot an Berufen war vielseitig und orientierte sich an den vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten. Das waren damals nicht wenige: Elektromonteur, Chemielaborant, Chemiefaserfacharbeiter, Textilfaserfacharbeiter, Technischer Zeichner, Industriekaufmann, Serviererin/Kellner, Landwirt, Maschinenbauer, Mess-,Steuer- und Regelungstechniker, Werkzeugmacher. Zahlenmäßig war der Beruf des Elektromonteurs mit 30 Ausbildungsplätzen am stärksten vertreten. Das entsprach einer kompletten Klasse, der späteren B2. Dietrich, Sohn eines selbstständigen Tischlermeisters: „Zur EOS und evtl. zum Studium wollten mich meine Eltern gehen lassen, weil es schien, dass Handwerker in der DDR keine Perspektive haben… Berufsausbildung zu haben erschien mir ideal. Man war als künftiger Intelligenzler den Arbeitern nicht ganz fremd. Bei einem eventuellen Scheitern im Studium hatte man ein sicheres Niveau, auf das man zurückgehen konnte.“ Rudi zum Thema: „Damals stand ja die Frage nach einer Lehre neben der EOS. Und da gab es in Dresden nur noch die Lehre als Dreher, Fräser oder solche Berufe, die für uns nicht interessant waren. Alle Berufe mit Elektrotechnik waren schon belegt. Mein Vater legte großen Wert auf Elektrotechnik, da er darin eine Zukunft sah. Da kamen die Eltern auf den Gedanken, in Pirna nachzufragen, da ja die Schule und das Elbtalwerk in Heidenau als Ausbildungsbetrieb mit dem Zug gut zu erreichen waren. Und so kam es, dass ich, wie auch noch zwei andere, die vier Jahre nach Pirna ging….“ Sabine: „Ich fand es immer schade, dass wir nur vier, dann drei Mädchen waren. Ich war eine von den zwei Schülern, die von der Schule für die EOS vorgeschlagen wurden. Bei der Berufsausbildung hatte ich mich für Chemielaborantin eingetragen, war auch dafür vorgesehen, es wurde eben Elektromonteur.“ Und Ingrid? – „Warum entschied ich mich für die Elektromonteur-Ausbildung? Die Antwort ist ganz einfach. Die angebotenen sogenannten Mädchenberufe interessierten mich nicht. Als die Große von zwei Schwestern wurde ich von meinem Vati immer schon an die schwereren, auch handwerklichen Arbeiten zu Hause herangezogen. Das machte mir Spaß. Und ich fand es überhaupt nicht schlimm, eins von nur vier Mädchen mit 26 Jungs in der Klasse zu sein, im Gegenteil! Ich war froh, dem Zickenkrieg von Mädchenklassen entkommen zu sein.“ Wie war das bei Erika? – „Zur EOS wollte ich auf alle Fälle. Mit Abitur hatte man doch mehr Möglichkeiten in der beruflichen Ausbildung. Dabei wusste ich am Ende der 8. Klasse natürlich noch nicht so richtig, was dann kommen sollte. Das habe ich rankommen lassen und mich nach der 12. Klasse für ein Fachschulstudium als Physiotherapeutin in Dresden entschieden. Diese Berufswahl habe ich auch nie bereut. Das mit der Berufsausbildung zusätzlich zum Abitur war ja neu. Auf alle Fälle wollte ich unter keinen Umständen was mit Landwirtschaft oder mit Chemie machen. Ich habe mich aber eigentlich ganz bewusst für Elektromonteur entschieden. Mein Vati war damals Verkaufsstellenleiter in einem Rundfunkgeschäft der HO. Da habe ich schon einiges von und über Elektrik mitbekommen und fand das spannend. Das hat sich dann in der Ausbildung bestätigt. Die hat mir gefallen, auch wenn‘ s mal kritisch wurde mit den blanken, stromführenden Drähten.“ Als ich Irmgard fragte, bekam ich zur Antwort: „Der Elektrikerberuf war für mich eine Fehlentscheidung. Aber ich wollte mit Erika, die aus derselben Heidenauer Schule kam wie ich, gerne zusammenbleiben. Weil sie nun Elektromonteur gewählt hatte, habe ich mich einfach auch dafür entschieden. Na ja, und dann spielte wohl auch eine Rolle, dass damals ,Mädchenberufe‘ verpönt waren und man ja modern sein wollte.“ Micha erzählte mir am Telefon, dass Elektrotechnik schon immer sein besonderes Interesse war und er dann auch in dieser Richtung an der Technischen Universität Dresden studiert hat. Und Reinhard: „Die Berufswahl Elektriker habe ich total aus dem Bauch und total dämlich gemacht. Dachte so an die kindlichen Spielereien mit dem Elektrobaukasten. Habe schnell kapiert, dass das alles überhaupt nicht mein Ding ist, und es war mir dann lebenslang die Lehre, auch zum Weitersagen: Nie einen ungeliebten Beruf durchziehen! Das ist der Horror! Also habe ich mich artig und zähneknirschend durchgewurschtelt mit kollegialer Hilfe (Sigfried Marschall!!!). Der Meister sagte grinsend zum Abschied: Sagen Sie keinem, bei wem sie gelernt haben... Ich habe nie wieder im Leben ein Elektrokabel angefasst (zum Installieren).“ Meine Studienwünsche? – Die waren noch sehr verschwommen. Mutter schwärmte für Forstwissenschaft, keine Ahnung warum. Ich selbst interessierte mich für Veterinärmedizin und auch deutsche Sprache und Literatur. Also Tierarzt oder Lehrer für Deutsch? Aber welcher Ausbildungsberuf in den vier Jahren sollte es denn dann sein? – Hier hatte mein Vater einen sehr praktischen Vorschlag: Er interessierte sich schon immer nebenbei für Elektrik und hatte das mir als Hobby durch einen geschenkten Elektrobaukasten und sonstige Basteleien ein wenig vermittelt. Elektromonteur also, das hier erworbene Wissen könne man immer nutzen, egal ob oder was man studiere. Von der Schule wurde zudem versichert, dass der erworbene Facharbeiterbrief für die Zulassung zu einem späteren Studium keinerlei Bedeutung hätte, was sich ja dann auch bestätigte. So gab es die Bewerbung zur EOS mit dem Ziel: Abitur und Facharbeiterbrief Elektromonteur. Über die erfolgreiche Bewerbung habe ich mir wohl wenig Gedanken gemacht. Trotzdem war mir schon bewusst, dass ich als Arbeiterkind, mein Vater war gelernter Maschinenschlosser und nun aktuell als Bereichsleiter im VEB Baustoffe Heidenau beschäftigt, gute Chancen hatte. Ein anderer Mitschüler mit ebenfalls sehr guten Leistungen hatte die von vornherein nicht, weil sein Vater einerseits Inhaber eines kleinen mittelständischen Betriebes war und zudem noch den österreichischen Pass besaß, was er auch für seinen Sohn durchsetzen konnte. Wir haben als Schüler offen darüber gesprochen und ich bedauerte sehr, dass er nicht mitkam in die neue Schule. Ansonsten aber galt aus unserer damaligen Sicht und Kenntnis das Leistungsprinzip. Die Zahl der Plätze an der einzigen Erweiterten Oberschule des damaligen Kreises war halt limitiert und orientierte sich an dem Bedarf für künftige Hochschulstudienbewerber. Ingrid dazu: „Mit meinem Zensurendurchschnitt von 1,4 in der achten Klasse benötigte ich den Bonus Arbeiterkind nicht, um zur EOS zugelassen zu werden.“ Heute, mit dem Abstand von rund 50 Jahren, interessiert mich das noch einmal. Also zunächst ein Blick ins Klassenbuch der 9B 2, meiner Klasse. Da gab es Einträge hinter dem väterlichen Elternteil: Arbeiter=A, Produktionsarbeiter=PA, Werktätiger=W, Genossenschaftsbauer=GB, Selbständiger=S, Intelligenz=I. Aber wie erfolgte denn nun die Eingruppierung? Offensichtlich war der Vater maßgebend. Warum eigentlich nicht die Mutter? Hatten wir nicht Gleichberechtigung der Frau? Und wie wurde denn nun eingeteilt? Ich konnte nichts dazu finden, keine Richtlinie, keine Durchführungsvorschrift – nichts. Mein ehemaliger Lehrer und jetzt väterlicher Freund Gerhard Rehn konnte mir da auch nicht weiterhelfen. Gemeinsam schauten wir uns Beispiele an: Hauptbuchhalter=W, Kraftfahrzeugschlosser= PA, Friseurmeister=S, Werkleiter=A, Postamtsleiter=A, Heizer=PA, Lehrer=I, Pfarrer=I, Tischlermeister=S. Mindestens 50 % der Schüler eines Jahrganges mussten Arbeiter- und Bauernkinder sein. „Das stand eisern fest, da ging nichts dran vorbei“, so Gerhard. In meiner Klasse waren 50%, also 15 Schüler/Schülerinnen Arbeiter- und Bauernkinder (PA, A und GB). Schaut man sich aber die Klassifikationsbeispiele genauer an, so wird deutlich, dass hier große Spielräume bestanden, die denn auch genutzt wurden. – Werkleiter = Arbeiter? Hier trifft offensichtlich zu, was der Rhethorikprofessor Walter Jens einmal in einem Interview äußerte: „Unten wird stets anders gelebt als oben vorgeschrieben und mit Machtkalkül vorbeigedacht wird.“ (Hans-Dieter Schütt, „Richtfest für Luftschlösser“, Karl Dietz Verlag Berlin, 2000, S. 176). Und trotzdem gilt es anzumerken, dass hinter dieser Klassifizierung ein durchaus ernster Hintergrund vorhanden war. So wurde nach 1945 im Bildungssystem der DDR manches anders gemacht als in der BRD. Alte Wege und Traditionen sind bei dem Neuanfang nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches hier verlassen worden. Man entfernte zahlreiche Lehrer aus dem Schuldienst, die nach der geltenden Auffassung als politisch vom Faschismus belastet galten. Das waren nahezu 70%, die durch Neulehrer ersetzt wurden. Diese wiederum mussten zunächst in Schnellkursen, die mit den Jahren dann einer soliden Ausbildung wichen, fit gemacht werden für Bildung und Erziehung. Ich habe beide Lehrerarten kennengelernt. So war mein Klassenlehrer in der fünften und sechsten Klasse bereits Lehrer meines Vaters gewesen. Ebenfalls in der Fünf und Sechs begeisterte mich ein aus der Neulehrergewinnung hervorgegangener Pädagoge für Musik, deutsche Sprache und Literatur. Mit der Eingliederung der sozialen Herkunft der Schüler in die Aufnahmebedingungen für die den Gymnasien entsprechenden Schulen sollte das alte, bürgerliche Bildungsmonopol beseitigt werden. Sicher ist es bei der begrenzten Zahl von Ausbildungsplätzen aus der Sicht der Einzelnen zu Ungerechtigkeiten gekommen. Darüber wird heute intensiv nachgedacht. Doch mit dem Entstehen einer neuen Elite verschwand logischerweise diese Kategorisierung wohl im Verlauf der 1960er Jahre. Und um mit einer immer mal wieder auftauchenden Legende aufzuräumen: Von 30 Elternhäusern unserer Klasse waren laut einer Eintragung im Klassenbuch in sieben Fällen je ein Elternteil und in einem Fall beide Eltern Mitglied der SED. Das dürfte anteilig etwa der durchschnittlichen Mitgliederzahl dieser Partei in der DDR entsprechen. Interessant war für mich die in einem Diskussionsforum des Internet gefundene Darstellung eines „Verfolgten“, den man gezwungen habe, die Schule mit der 8. Klasse zu verlassen. Das erscheint mir denn aus eigener Kenntnis der Zeit wenig wahrscheinlich, zumal sich der Betreffende als durchaus widerborstiger Zeitgenosse zu erkennen gab. Abgänge aus der Acht sind auch in meiner Zeit vorgekommen, dann aber ausschließlich aus Leistungsgründen oder auf eigenen Wunsch. Letzteres war nicht so einfach. Nun ja, Umbruchzeiten bringen auch solche unerfreulichen Dinge mit sich, die von bestimmten Medien aber allzu gern zielgerichtet – Stichwort Delegitimierung – aufgenommen werden. Man darf auch nicht vergessen , dass noch weitere Wege zum Abitur führten, freilich mit gewissen Umwegen oder mit Mehrbelastung: Abgelehnte begabte Schüler, die dennoch studieren wollten, mussten den Umweg über eine dreijährige Berufsausbildung mit Abitur im Anschluss an die 10. Klasse wählen. Dieser zweite Bildungsweg war gut organisiert. Wer sich im Beruf nicht blöd anstellte, kam dann doch noch zu seinem Studienplatz. Ja, und schließlich gab es noch die Möglichkeit, das Abitur über den Besuch der Abendschule zu erwerben. Das war freilich hart – tagsüber Arbeit im Betrieb, abends noch die Schulbank drücken. Allerdings kenne ich mehrere Leute, die auf diese oder jene Weise zum Hochschulstudium kamen. Nicht vergessen darf man schließlich die zahlreichen Fachschulen, die hervorragend ausgebildete Absolventen entließen, z. B. die Institute für Lehrerbildung, in denen Unterstufenlehrer herangebildet wurden. Hier war als Zugangsvoraussetzung kein Abitur nötig. In den späteren Jahren der DDR kamen andere Voraussetzungen für den Besuch der Erweiterten Oberschule oder für die Vergabe bestimmter, begehrter Studienplätze wie z. B. Medizin zur Wirkung: Die Verpflichtung, über den 18-monatigen Wehrdienst hinaus als Soldat auf Zeit, in der Regel drei Jahre, oder als Berufssoldat in der Unteroffiziers- oder Offizierslaufbahn. Auch die Bundeswehr förderte ihre Mitglieder tatkräftig, die DDR ebenfalls, auf ihre Weise. – Wer tat recht, wer tat unrecht? Warum? Weshalb? Wieso? Dietrichs Erlebnisse sind in diesem Zusammenhang nicht uninteressant: „Offiziell galt das Leistungsprinzip. Aber mir sind im Laufe meines Lebens nicht wenige Fälle begegnet, wo das Leistungsprinzip aus ideologischen Gründen (Pfarrerskinder u. ä.) außer Kraft gesetzt wurde. Das Ziel, das Bildungsmonopol zu brechen, ist scheinbar nur mit Außerkraftsetzen des Leistungsprinzips zu erreichen. (Auch heute noch ein pädagogisch-philosophisches Problem!) Die Ausgestaltung dieses Konfliktes ist regional sehr verschieden gewesen. Das lag meistens an den jeweiligen Schuldirektoren und anderen Entscheidungsträgern. Es gab Schulen, an denen z.B. Pfarrerskinder keine Probleme hatten zur EOS zu kommen, und solche, wo kein Weg rein führte. - Es ist wahr. Für einige war der zweite Bildungsweg die zweite Chance. Aber Lehrerbildung war auch ohne Abitur nur linientreuen Menschen offen. Alle meine christlichen Schulfreundinnen, die Lehrerin werden wollten, haben statt Konfirmation Jugendweihe gemacht, weil sie sonst keine Chance sahen, Lehrer zu werden. … Auch da gab es einzelne Ausnahmen.“ Ergänzung von mir: Es war auch beides möglich, Jugendweihe und Konfirmation, wie ich aus meiner eigenen Familie weiß. Wolfgang U. ergänzt: „Bei mir war es so, dass ich selbst nur konfirmiert worden bin und meine Anmeldung zur Jugendweihe zurückgezogen habe, da ich erst Jugendweihe und dann Konfirmation nicht wollte, sondern umgekehrt. Eine Abschrift des Briefes, den der Vorsitzende des Kreisjugendweiheausschusses an die Gewerkschaftsleitung des Betriebes meines Vaters geschickt hat, habe ich heute noch. Darin heißt es ,… dass der Schüler Wolfgang U. abgeworben wurde.‘ Das Ganze war eine reine Trotzreaktion von mir, sonst nichts. Trotzdem war ich auf der EOS und konnte auch studieren.“ Das war die DDR. Und die BRD? – Hierzu lese ich im Internet (Wikipedia) vom „Adenauer-Erlass“, stammend aus dem Jahr 1950 und möglicherwiese aus juristischer Sicht immer noch in Kraft, und vom späteren „Radikalenerlass“, geltend von 1972 bis 1976 bundeseinheitlich, danach als Landesrecht. Bayern stellte als letztes Bundesland 1991 die sogenannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein. Insgesamt gesehen war diese zu Berufsverboten im öffentlichen Dienst führende Praxis hauptsächlich gegen linke Kräfte gerichtet, also auch ideologisch geprägt. Pädagogik konnte man zwar studieren, aber um den Beruf dann ausüben zu können, musste man eben „linientreu“ sein. Na ja... Wer Interesse daran hat, möge nachlesen in „Staatsschutz in Westdeutschland“ von Dominik Rigoll, erschienen 2013 bei Wallstein. Zum Thema Bildungsprivileg abschließend eine Notiz aus der Sächsischen Zeitung vom 7. Juli 2013: „Die Unis bleiben eine Domäne der Akademikerkinder. Nicht mal ein Zehntel der Studierenden hat Eltern, die maximal über einen Volks- oder Hauptschulabschluss verfügen.“ So viele Fragen, so viele Antworten! Doch ich merke schon, ich schweife ab. – Von allen diesen Dingen und Umständen haben wir Schüler damals wenig wahrgenommen. Mein Mitschüler und heutiger Freund Wolfgang U. fasst das kurz und treffend zusammen: „Wir waren alle verschiedener sozialer Herkunft, unsere Eltern waren Arbeiter, Eisenbahner, Angestellte, Ingenieure, Pfarrer, Sägewerksbesitzer, Lehrer, Ingenieure, Kellner usw. – aber einen Standesdünkel, …den gab es unter uns nicht.“

Erscheinungsdatum
Verlagsort Pinnow
Sprache deutsch
Maße 148 x 210 mm
Gewicht 489 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Sozialwissenschaften Pädagogik Allgemeines / Lexika
Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Sekundarstufe I+II
Schlagworte Arbeitsgemeinschaft • Berufsausbildung • DDR • DDR-Abitur • DDR-Schule • Deutschunterricht • enkelgeneration • Erweiterte Oberschule • Fremdsprachenunterricht • GST • Internat • Musische Bildung • Naturwissemschaften • Politinformation • Schulalltag DDR • Schulname • Sport
ISBN-10 3-95655-693-3 / 3956556933
ISBN-13 978-3-95655-693-7 / 9783956556937
Zustand Neuware
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