Vertrauen - Die unsichtbare Macht (eBook)

Die unsichtbare Macht
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491176-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vertrauen - Die unsichtbare Macht -  Martin Hartmann
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Alle wollen es - Banken, Politik, Wissenschaft, das Internet und die Liebe: unser Vertrauen! Doch das Vertrauen steckt in der Krise, viele fühlen sich betrogen, von Medien, Parteien, Unternehmen. Der Philosoph Martin Hartmann analysiert in einer inspirierenden Gegenwartsdiagnose, was dran ist an der Krise. Und entdeckt ein grundlegendes Dilemma: Wir preisen das Vertrauen, wir vermissen es und beklagen seinen Verlust. Doch viele haben Angst vor der Verletzlichkeit, die mit Vertrauen einhergeht. Neue Formen der Überwachung werden hingenommen, an scheinbar bestätigten Meinungen festgehalten. Das führt zu Konflikten, Unsicherheit und Stillstand. Grund genug für vertrauensbildende Maßnahmen! Eine erhellende Lektüre, die verstehen hilft, was Vertrauen eigentlich ist und für unser Leben bedeutet. Martin Hartmann ermutigt uns, wieder mehr Vertrauen zu wagen - für ein besseres Miteinander. Philosophie für alle!

Martin Hartmann, geboren 1968, ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern. Nach dem Studium der Philosophie, Komparatistik und Soziologie an der Universität Konstanz, der London School of Economics und an der Freien Universität Berlin wurde Martin Hartmann 2001 promoviert. 2009 habilitierte er sich mit seiner Arbeit über »Eine Theorie des Vertrauens«. In seinem vorliegenden Buch wendet er sich an ein breiteres Publikum. »Vertrauen. Die unsichtbare Macht« wurde 2021 zum Wissenschaftsbuch des Jahres gekürt.

Martin Hartmann, geboren 1968, ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern. Nach dem Studium der Philosophie, Komparatistik und Soziologie an der Universität Konstanz, der London School of Economics und an der Freien Universität Berlin wurde Martin Hartmann 2001 promoviert. 2009 habilitierte er sich mit seiner Arbeit über »Eine Theorie des Vertrauens«. In seinem vorliegenden Buch wendet er sich an ein breiteres Publikum. »Vertrauen. Die unsichtbare Macht« wurde 2021 zum Wissenschaftsbuch des Jahres gekürt.

Obwohl Hartmann sein Buch vor der Pandemie verfasst hat, wirkt es wie eine Flaschenpost an die Zukunft.

Am Ende hinterlassen Hartmanns scharfsinnige Analysen das gut begründete Gefühl, unserem Vertrauen vertrauen zu können.

Kapitel 1 Die große Krise


Die Diagnose und die Atmosphäre: Sinkende Vertrauenswerte und wachsende Angst


Fangen wir mit der Krise an. Jede Studie über Vertrauen fängt mit der großen Krise an. Das einflussreiche Edelman Trust Barometer 2017 formuliert unumwunden: Überall auf der Welt befindet sich das Vertrauen in einer Krise. Ob Unternehmen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen oder die Medien – fast überall leiden diese Institutionen unter einem Vertrauensschwund. Entsprechend dramatisch und alarmistisch sind die Formulierungen: Das »System« sei zerbrochen, Führungsebenen in Wirtschaft und Politik hätten an Glaubwürdigkeit verloren, eine Welt des Misstrauens breite sich aus. Grundlage dieser Daten sind Umfragen in 28 Ländern (nicht gerade die »Welt«), die seit 2012 durchgeführt werden. Befragt werden per »Online-Interview« jeweils 1150 Personen der »allgemeinen Bevölkerung« sowie 200 »Meinungsführer«. Für die Daten von 2017 gilt dabei folgende Auffälligkeit: Vor allem die allgemeine Bevölkerung verliert ihr Vertrauen, während die Daten der Meinungsführer stabil bleiben oder sogar steigen. So ist nach dem Edelman Trust Barometer das Vertrauen in Basisinstitutionen wie Banken, Regierungen oder Medien unter den »Meinungsführern« zwischen 2012 und 2017 gestiegen (von 53 % auf 60 %), und selbst unter der »allgemeinen Bevölkerung« hat es einen minimalen Zuwachs des Vertrauens gegeben (von 44 % auf 45 %). Die Diskrepanz zwischen den Eliten und der Bevölkerungsmehrheit aber bleibt hoch und scheint sich zu vergrößern. Selbst wenn die gesellschaftlichen Eliten also ein recht hohes Vertrauen in wichtige Basisinstitutionen haben (vielleicht ja, weil sie einen viel größeren Einfluss auf diese Institutionen haben), gilt dies nicht für die Mehrheit der Menschen in den Staaten, die an der Studie beteiligt sind. Der Datensatz von 2018 spricht mittlerweile explizit von einer Polarisierung des Vertrauens, auch wenn das Vertrauen in die Regierung unter den »Meinungsführern«, zumindest in den USA, zwischen 2017 und 2018 ebenfalls deutlich gesunken ist.[2]

Es gibt weitere Daten, die einen Trend belegen sollen. Die deutsche Shell Jugendstudie von 2015 stellt fest, dass die Jugendlichen den Parteien, Unternehmen, Kirchen und Banken wenig Vertrauen entgegenbringen (größer ist das Vertrauen in Polizei, Gerichte und Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, aber siehe die Edelman-Daten über Nichtregierungsorganisationen).[3] Der World Values Survey stellt in regelmäßigen Abständen (unter anderem) folgende Frage: »Würden Sie ganz allgemein sagen, dass man den meisten Menschen vertrauen kann oder dass man gar nicht vorsichtig genug sein kann?« 2013 haben immerhin mehr als 50 % der Deutschen geantwortet, dass man sehr vorsichtig sein muss (der eigenen Familie vertrauen immerhin fast 75 % stark und knapp 20 % schwach). Zum Vergleich: In China sagen nur 35 % der Befragten, man müsse sehr vorsichtig sein, in den USA dagegen 64 %. Immerhin zeigt der World Values Survey, dass die Zahl derjenigen in Deutschland, die angeben, den meisten Menschen könne man nicht vertrauen, zwischen 2006 und 2013 etwas zurückgegangen ist, nämlich von 57,9 % auf 53,8 %, aber der niedrigere Wert erscheint immer noch ziemlich hoch. Es bleibt dabei, dass die Mehrheit der Deutschen ihren Mitmenschen kein Vertrauen entgegenbringt.

Ähnlich bedenklich sind Zahlen, die das Vertrauen in die Demokratie betreffen. Laut einer Studie von 2005 waren im Jahr 2004 nur 51 % der Deutschen zufrieden mit der Demokratie, in Ostdeutschland sogar nur 28 %. Noch wenige Jahre zuvor, nämlich im Herbst 2002, waren die Zahlen deutlich besser, 66 % der Deutschen vertrauten in das demokratische System (44 % der Ostdeutschen, 71 % der Westdeutschen).[4] Vor allem in südeuropäischen Ländern sind die Zahlen noch viel dramatischer. Das im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellte Populismusbarometer 2018 kommt zu dem Schluss, dass 30,4 % der Wahlberechtigten in Deutschland populistische Einstellungen haben. Sie gehen also davon aus, dass den Eliten ein »Volk« gegenübersteht, das den wahren politischen Willen repräsentiert, der durch direktdemokratische Verfahren erfasst werden sollte, und weigern sich, innerhalb dieses »Volkes« eine Pluralität von Meinungen und Einstellungen zu erkennen.[5]

Auch mit Blick auf die Demokratie befinden wir uns offenbar in einer historischen Phase, in der die Grundinstitutionen unserer demokratischen Gesellschaft und die sie begleitenden Annahmen fragiler erscheinen, als das vorher der Fall war. Selbstverständlichkeiten werden brüchig, Tabus verlieren an Wirkung, Undenkbares wird denkbar.

Man nehme nur einige Buchtitel der jüngeren Zeit: Wie Demokratien sterben (Steven Levitsky und Daniel Ziblatt), How Democracy Ends (David Runciman), Der Zerfall der Demokratie (Yasha Mounk), Der Weg in die Unfreiheit (Timothy Snyder) oder Das Zeitalter des Zorns (Pankaj Mishra). Pankaj Mishra spricht in einem Interview sogar davon, dass die Aufklärung ausgedient habe, andere skizzieren angesichts der Krise die Alternative Aufklärung oder Untergang.[6] Die Finanzkrise von 2008 hat zahllose Analysen hervorgebracht, die mit der Kategorie des Vertrauens arbeiten. Die weiteren Stichworte der Gegenwart sind bekannt: Polarisierung, Fake News, Filterblase, illiberale Demokratie, Putin, Trump, Erdogan, Orban, AfD, FPÖ, Front National, Brexit, Fünf Sterne, Krise der Mitte, Krise der Sozialdemokratie, Krise der Volksparteien, Neoliberalismus, wachsende globale Ungleichheit, das eine Prozent …

Das sind die Daten und Schlagworte, weitere ließen sich auflisten. Manchmal formulieren die Daten sehr umfassend und reden von einem allgemeinen Vertrauensschwund, manchmal geht es um konkrete Institutionen oder um die Demokratie an sich.

Aber was bedeuten diese Daten? Die Antwort auf diese Frage wird eines der Themen dieses Buches sein.

Ich will einen Augenblick bei der Antwort auf die Frage danach bleiben, ob man den meisten Menschen vertrauen kann. Nehmen wir an, es stimmt, was diese Daten sagen, nämlich dass es in vielen Ländern schon seit längerem ein sinkendes allgemeines Vertrauen gibt. Es sei daran erinnert, es geht bei dieser Frage nicht um unser Vertrauen in die Politik, die Medizin oder die Polizei, es geht um unser Vertrauen in die Mitmenschen. In alle Mitmenschen, egal, was sie tun, man spricht auch vom generellen Vertrauen.

Wo ist das Problem? Was ist so schlimm daran, wenn wir anderen nicht mehr vertrauen? Die Frage klingt rhetorisch, weil die Antwort so eindeutig zu sein scheint, aber in einer philosophischen Studie muss sie doch gestellt werden.

Die Antwort lautet häufig, dass Vertrauen die Gesellschaft zusammenhält. Diese Antwort ist natürlich zu vage, deswegen muss man schon angeben, worauf sich denn das Vertrauen richtet, das die Gesellschaft zusammenhält. Gilt dieses Vertrauen der Friedfertigkeit der Menschen? Ihrer Wahrhaftigkeit? Ihrer Aufrichtigkeit? Was immer wir hier antworten, das Vertrauen kann nur in Verbindung mit seinem Gegenstand oder seinem Objekt Gesellschaft zusammenhalten. Man könnte dann sagen: Vertrauen auf die Friedfertigkeit des anderen hält Gesellschaften zusammen. Tatsächlich leuchtet das in gewisser Weise ein, zu den sehr allgemeinen Formen des Vertrauens in andere gehört die Erwartung, dass sich diese anderen nicht ohne Anlass aggressiv verhalten.

Aber Friedfertigkeit reicht natürlich nicht aus, um aus einem losen Bund von Menschen eine Gesellschaft zu machen, auch wenn sie vielleicht eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer Gesellschaft ist. Der Philosoph Bernard Williams hat einmal süffisant bemerkt, es sei unwahrscheinlich, »dass man sich sicher fühlt, wenn der andere sagt: ›Ich verspreche dir, dich nicht zu ermorden.‹«[7] Damit das Vertrauen in die Friedfertigkeit der anderen ganz zum Tragen kommen kann, muss es gleichsam ganz und gar selbstverständlich geworden sein und lebt dann davon, dass aggressive Formen des Verhaltens gar nicht mehr als Möglichkeit reflektiert werden, zumindest nicht als alltägliche Form des Verhaltens. Man verlässt das Haus und denkt nicht daran, dass der Mann auf der anderen Straßenseite ein Mörder sein könnte. Vom Handschlag hat man gelegentlich gesagt, er sei eine zivilisatorische Errungenschaft, da derjenige, der dem anderen die Hand reicht, sie nicht mehr nutzen kann, um mit ihr eine Waffe zu führen. Der Handschlag aber steht nicht am Anfang der Zivilisation, er steht mitten in ihr und zehrt in seiner symbolischen Dimension von zahllosen kulturellen Voraussetzungen, die ihn erst möglich machen.

Wenn viele Menschen also sagen, sie würden ganz allgemein anderen nicht mehr vertrauen, dann bleibt vorerst unklar, was genau damit gemeint ist. Ohnehin geben die Daten, die vorliegen, kaum Auskunft...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2020
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angst • Dieselskandal • E-Trust • Fake News • Finanzkrise • Freundschaft • Gutes Leben • Institutionen • Krise • Künstliche Intelligenz • Liebe • Misstrauen • Philosophie • Politik • Terror • Transparenz • Vertrauenskrise • Vertrauenswürdigkeit • Würde • Zusammenleben
ISBN-10 3-10-491176-2 / 3104911762
ISBN-13 978-3-10-491176-2 / 9783104911762
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