Schlaraffenland abgebrannt (eBook)

Spiegel-Bestseller
Von der Angst vor einer neuen Zeit
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8076-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schlaraffenland abgebrannt -  Michel Friedman
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Warum wir unsere Angst überwinden müssen Corona, Klimakrise, Krieg: Die Zeit der Sicherheit ist vorbei, die Wohlfühlgesellschaft, die sich in den letzten 30 Jahren etabliert hat, ist Vergangenheit. Angst, Irrationalität und Abwehr bestimmen einen Teil unserer Debattenkultur. Viele Menschen haben nicht ausreichend gelernt, mit Furcht umzugehen und gesellschaftspolitische Krisen durch eine konstruktive Streitkultur zu bewältigen. Das muss nun nachgeholt werden. Werden wir in diesem Jahrzehnt nicht aktiv, könnten Deutschland und Europa zu Entwicklungsländern werden.  Ein engagiertes politisches Plädoyer, das Mut macht In seiner augenöffnenden Gesellschaftsanalyse wirbt Friedman für überlegtes und couragiertes Handeln. Ein Aufruf, die Krisen, die da kommen werden, mit angemessenem Respekt anzunehmen und die Angst und Panik zu überwinden.  »Wir müssen uns unseren Realitäten stellen. Das haben wir seit Jahrzehnten nicht getan. Klimakatastrophe, Seuchengefahr, sozialpolitische und geostrategische Verwerfungen - all das war uns lange bekannt, doch es war uns lästig. Lieber haben wir die Risse übersehen und übertüncht. So lange, dass wir heute nicht mehr wissen, was man mit Rissen macht. Wir sind planlos. Nicht krisenfest. Unentschlossen. Das ist gefährlich.« Michel Friedman

Michel Friedman, geb. 1956 in Paris, ist Rechtsanwalt, Philosoph, Publizist und Moderator. Von 2000 bis 2003 war er stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Herausgeber der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine sowie von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses. Er engagiert sich gegen Rechtradikalismus und für die Integration Geflüchteter. Seit 2016 ist er Honorarprofessor und leitete bis 2022 das von ihm mitbegründete Center for Applied European Studies an der Frankfurt University. Er moderiert u. a. die Sendung »Auf ein Wort« bei der Deutschen Welle und »Friedman im Gespräch« im Berliner Ensemble sowie das Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss und die Veranstaltungsreihe »Denken ohne Geländer« (Hannah Arendt) im Jüdischen Museum Frankfurt am Main.

Michel Friedman, geb. 1956 in Paris, ist Rechtsanwalt, Philosoph, Publizist und Moderator. Von 2000 bis 2003 war er stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Herausgeber der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine sowie von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses.  Er engagiert sich gegen Rechtradikalismus und für die Integration Geflüchteter. Seit 2016 ist er Honorarprofessor für Immobilien- und Medienrecht und leitete bis 2022 das von ihm mitbegründete Center for Applied European Studies an der Frankfurt University. Er moderiert u. a. die Sendung »Auf ein Wort« bei der Deutschen Welle und »Friedman im Gespräch« im Berliner Ensemble sowie das Demokratieforum auf dem Hambacher Schloss und die Veranstaltungsreihe »Denken ohne Geländer« (Hannah Arendt) im Jüdischen Museum Frankfurt am Main.

Stillstand


Erschütterungen sind die Regel, nicht die Ausnahme. Bisher haben wir die Ausbrüche auf Abstand gehalten, sie nicht zu nahe kommen lassen. In unser Land. In unsere Gesellschaft. In unser Leben. Im Verdrängen ist dieses Land gut trainiert. Bis heute.

Unruhen? Anschläge? Kriege? Waren zwar da, in Jugoslawien, in Armenien, Aserbaidschan, Georgien, im Irak und im Kongo, in Afghanistan, Äthiopien, Mali, Nigeria, Somalia, Sudan, im Tschad, an der Elfenbeinküste und in Tigray, Libyen, Syrien, im Jemen und im Kaukasus, in Tschetschenien, Myanmar, im Gazastreifen und jetzt in der Ukraine. Die lange Liste ist nicht einmal vollständig. Trotzdem schienen die Kriege immer weit weg. Sie waren immer bei den anderen.

Und der Klimawandel? Wir tun doch schon unser Bestes. Multikulturalität, Migration? Wir sind doch eine offene Gesellschaft, wenn die, die kommen, so werden wie wir.

Wir und unsere Kinder, zwei Generationen, sind mittlerweile überwiegend vom Wohlstand verwöhnt. (Dies gilt nicht für circa 20 Prozent unserer Bevölkerung, die nach wie vor von ihrem Gehalt gerade mal über den Monat kommen, und auch nicht für Menschen, die aus verschiedenen Gründen davon abhängig sind, Sozialleistungen zu beziehen. Ebenso wenig gilt es für viele Rentner, schon gar nicht für Rentnerinnen. Diese Aufzählung könnte man noch fortsetzen.) Vor allem in den letzten dreißig Jahren blieben die Menschen hierzulande vom Krieg verschont, in Watte gehüllt. Sie haben einen Puffer zwischen sich und die Realität geschoben, haben die vielen gegenwärtigen Brandherde – Rechtsextremismus, Armut, Flucht – nicht beachtet.

Viele von ihnen haben die Terrorakte, selbst 9/11, verdrängt, die endgültige Zäsur für das Ende des 20. Jahrhunderts und den Beginn einer neuen Weltordnung im 21. Jahrhundert. Das Selbstbewusstsein der Weltmacht USA hat damit einen bis heute wirkenden Riss erlitten, der diejenigen, die an der Seite dieser Weltmacht stehen, also auch Deutschland, ebenfalls tangiert.

Diese fundamentale Verschiebung wurde zwar eine gewisse Zeit lang debattiert, aber nie wirklich ins Bewusstsein und in politisches Handeln übersetzt. Was übersetzt wurde, war eine stetig wachsende Islamophobie, eine Misstrauenskultur, die bis heute wirkt. Es kam zu einem Krieg gegen den Irak, der auf einer brutalen Lüge der amerikanischen Administration beruhte; zu einem Eingreifen in Afghanistan, das kläglich scheiterte; zu einer eindimensionalen Fokussierung auf die islamisch-muslimische Welt als Gefahr für die westliche Zivilisation.

Teilweise traf Letzteres auch zu und trifft immer noch zu. Schaut man allerdings genauer hin, stellt sich die Frage, wie man übersehen konnte, dass zur selben Zeit China mit seiner imperialistischen Politik deutliche Spuren hinterließ; dass Putins Russland sich mit der gestutzten Rolle in der Welt nicht zufriedengeben und den Versuch, ein »großes Russland« weiterzuentwickeln, in die Tat umsetzen würde. Stattdessen schnelles Vergessen, business as usual.

Auch nach der Banken- und Finanzkrise 2007/2008 – nun wirklich keine große Überraschung, aber von höchster Gefahr für Hunderte Millionen Menschen, ihren Wohlstand, ihre Ersparnisse zu verlieren – wurde mit dem Versprechen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass das Geld sicher sei, schnell zur Tagesordnung geschritten und der nächste Urlaub gebucht. Milliarden Schulden wurden sozialisiert, Steuerzahler bezahlten die Zeche, einige Verantwortliche mussten exemplarisch und laut ihre Jobs verlassen, wenige wurden bestraft, Länder, die überschuldet waren und deswegen ihre eigenen Kreditinstitute nicht retten konnten, wurden durch die EU doppelt belohnt und bekamen Geld und wieder Geld. Die Operation schien gelungen, und alle machten weiter.

Die Gier nach Geld wurde nicht geringer, die Regularien etwas verschärft, der Preis für die BürgerInnen war allerdings, dass die Zinsen auf null fielen, historisch einmalig nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Sie standen da als die Dummen, während sich die kapitalistischen Gierhälse ihre Taschen mit Krediten zu fast null Prozent, also geschenkt, vollstopfen konnten.

2015 änderte sich der Common Sense in unserer Gesellschaft. Mit den Menschen, die nach Deutschland flüchteten, wuchs die Polarisierung. Der alte Impuls, aus Menschen »Fremde« zu machen, die nur zu uns kommen wollen, um uns unseren Wohlstand zu nehmen, unsere Lebenskultur zu verändern, sich nicht assimilieren oder integrieren wollen, all diese Stereotypisierungen funktionieren wieder bei weitaus mehr Menschen, als wir angenommen haben. Viele Wölfe zogen nun ihren Schafspelz aus, zeigten ihre hässliche Fratze, kamen von ihrem eigenen Rassismus auf die Grundsatzfrage, ob man den Rechtsstaat überhaupt so nennen könne, wenn er das eigene Volk nicht schütze, und ob es die Demokratie überhaupt noch braucht.

Eine im Streiten ungeübte Gesellschaft hat sich polarisiert, in Teilen radikalisiert und entlädt ungebremst ihre Frustration. Dass eine Partei des Hasses, die die Demokratie verachtet, in den Bundestag und in alle Landtage demokratisch gewählt und in den Bundestag wiedergewählt wurde und allen Meinungsumfragen zufolge nun bei fast 20 Prozent steht, bedeutet einen Zivilisationsbruch. Die Tatsache, dass dies viele in diesem Land nicht beängstigt, finde ich wiederum nicht nur beängstigend, sondern hochgefährlich.

Auch die Seuche Covid, die seit Ende 2019 alle Menschen zum ersten Mal in ihrer Biografie erlebten, hat die Gesellschaft fundamental verändert. Nichts ging mehr, alles Gelernte half nicht. Wir erlebten Angst vor dem Tod als individuelles wie kollektives Gefühl. Dass der Todeserreger unsichtbar war, machte den Menschen noch mehr Angst. Die Bilder aus Italien und New York zeigten eine dramatische Hilflosigkeit von hoch industrialisierten Gesellschaften, in denen Krankheit und Tod eigentlich nicht mehr unbesiegbar erschienen (welch ein Größenwahn des Menschen!). Der immer älter werdende Mensch war keine Utopie mehr, sondern eine Realität. Und dann das!

Neben der Angst vor dem Tod war auch Covid eine Provokation, eine Kränkung für all die, die dachten, der Mensch sei in der Lage, alles zu beherrschen. Ähnlich wie bei der Flüchtlingssituation zeigte sich allerdings derselbe Mechanismus an Polarisierung und gesellschaftlicher Hilflosigkeit. Sie konzentrierte sich wütend und irrational auf »die da oben«, die Eliten, die Mächtigen. Antisemitismus machte sich breit, die »jüdische Weltherrschaft« war wieder an allem schuld. Querdenker, Neonazis und Esoteriker waren die extremen Speerspitzen. Ihre Giftpfeile schlugen auch in bürgerlichen Familien ein – und wurden von dort aus weitergeschossen.

Und dann der Krieg. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 herrscht Krieg in Europa. Es ist nicht der erste Krieg unserer Gegenwart. Vergessen und verdrängt der Jugoslawienkrieg, vergessen und verdrängt Georgien 2008, vergessen und verdrängt die völkerrechtswidrige Invasion in die Ukraine im Jahr 2014 und die Besetzung der Krim und des Donbass. Der Krieg der Türkei in Syrien und so viele andere Kriege auf dem Kontinent Europa. Bei all diesen Kriegen, die stattgefunden haben und stattfinden, das deutsche Mantra: Krieg ist kein Mittel der Politik mehr. Ich erspare uns eine Aufzählung der Kriege außerhalb Europas.

Das Leben, die Persönlichkeit der jungen Menschen in diesem Land sind schon jetzt tief geprägt von den Eindrücken der multiplen globalen Krisen. Sie verändern ihr Leben und ihr Bewusstsein. Sie jedenfalls werden nicht mehr so naiv sein zu glauben, man könne alles mit Geld von sich fernhalten und, ob die Welt nun brennt oder nicht, das eigene gute Leben so fortsetzen, wie ihre Eltern das noch getan haben. Ganz so, wie August Heinrich von Fallersleben es einmal formuliert hatte: »Ohne Ruhe geht es nicht,/Ruh ist erste Bürgerpflicht:/Wer sich dieser Pflicht ergeben,/Kann bei uns ganz sorglos leben.«[5]

Für viele war das schöne Leben das Ziel, war wichtiger als alles andere. Der Aufstieg stand im Vordergrund. Es war doch alles gut. Es war doch gemütlich. Es war doch sicher. Und so sollte es bleiben, unser Land. Unser Schlaraffenland. Für immer und ewig.

Hinter unseren Mauern, vermeintlich geschützt, haben wir die zusammenbrechenden Gleichgewichte des 20. Jahrhunderts, die neuen Machtakteure, die ein anderes 21. Jahrhundert konstruieren wollen, zwar zur...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angst • Angstforschung • Angststörung • Atomkrieg • Ausgrenzung • Corona • Debattenbeitrag • Debattenbuch • Debattenkultur • Demokratie • Demokratiefeinde • Flüchtlinge • Flüchtlingskrise • Furcht • German Angst • Gesellschaftsanalyse • Krieg • Krise • Krise der Demokratie • Pandemie • Panik • Populismus • Radikalisierung • Rassismus • Streitkultur • Wirtschaftskrise • Wohlfühlgesellschaft
ISBN-10 3-8270-8076-2 / 3827080762
ISBN-13 978-3-8270-8076-9 / 9783827080769
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