Lebendige Seelsorge 2/2015 (eBook)

Gender

Erich Garhammer (Herausgeber)

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2015 | 1. Auflage
72 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-04813-6 (ISBN)

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Lebendige Seelsorge 2/2015 -
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Möglicherweise denken Sie bei dem Themenschwerpunkt 'Gender': muss das denn sein? Ich denke: ja, denn die Zeitschrift 'Lebendige Seelsorge' möchte Diskurse eröffnen und Kontroversen austragen, denen kirchlich nicht auszuweichen ist. Das Thema Gender ist ein aktuelles und kontrovers verhandeltes Thema in Kirche und Gesellschaft. Für die einen beschreibt Gender einen Sachverhalt mit kreativem Potential, für die anderen stellt schon das Wort eine Gefahr für die Ordnung der Dinge dar. Dies sind mehr als gute Gründe, dem Begriff Gender in Konzeption und Verwendung nachzugehen und seinen Sinn auszuloten. Am Anfang des Heftes stehen die Beiträge von Saskia Wendel und Stephan Goertz. Sie bieten aus systematischer und moraltheologischer Perspektive Argumente für eine sachliche Debatte und zeigen auf, welche Grenzen, aber auch Potenziale die Kategorie Gender für die Theologie beinhaltet. Diese Perspektive wird in dem Beitrag von Stefan Gärtner im Feld der Pastoral fortgeführt. Dabei wird vor allem eines deutlich: die Genderthematik ist auch im Bereich der Pastoral nach wie vor nicht selbstverständlich. Maria Elisabeth Aigner befasst sich mit den Herausforderungen einer gendersensiblen Verkündigung. Elke Langhammer wendet sich in ihrem Beitrag der Frage zu, was sich zeigt, wenn innerhalb der Kirche ehrenamtliches Engagement aus der Genderperspektive in den Blick genommen wird. Auch für heranwachsende Mädchen und Jungen ist das Thema bedeutsam. Was in diesem Zusammenhang die Anliegen einer geschlechtersensiblen Religionsdidaktik sind, erläutert Silvia Arzt. Im Kontext von Beratung und Supervision ist das Thema Gender gerade auch aus sytemischer Perspektive von Bedeutung, wo für Barbara Baumann plädiert. Der Beitrag von Björn Korndorfer ist aus der Perspektive der Männerforschung geschrieben und eine gute Ergänzung zum Projekt der Männerseelsorge, das von Andreas Ruffing vorgestellt wird.

Erich Garhammer, Dr. theol., geboren 1951; Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg; Mitherausgeber der Reihe 'Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge'.

Erich Garhammer, Dr. theol., geboren 1951; Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg; Mitherausgeber der Reihe "Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge".

Sex und Gender


Moraltheologische Überlegungen zur kritischen Funktion einer Unterscheidung


„Gender matters, indeed; yet gender also does not matter.“ (Margaret A. Farley, Just Love, New York/London 2006, 156) Stephan Goertz

Die Unterscheidung zwischen Sex und Gender ist von der Unterscheidung zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden. Beide Unterscheidungen zu beobachten und nach ihrer jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Relevanz zu fragen, ist Gegenstand der Gender Studies als „Wissenschaft von der Geschlechterunterscheidung“ (Stefan Hirschauer). Dabei wird nicht eine Antwort gesucht auf die Frage, was Männer oder Frauen sind, sondern wie und in welchem Maße Gesellschaften mit der Unterscheidung der Geschlechter operieren – oder auch nicht (vgl. Pasero/Weinbach). Da gerade Religionen, die eine Schöpfungstheologie kennen, der Geschlechterunterscheidung eine besondere Bedeutung beimessen, sind auch sie Gegenstand der Gender Studies geworden. Als normativ abstinente Disziplin ist die Geschlechterforschung dabei erst einmal nicht an der Begründung von ethischen Kriterien interessiert, die zwischen Varianten der Geschlechterunterscheidung zu unterscheiden erlauben. Sie kann verschiedene Moralen des Geschlechterverhältnisses beobachten und in diesem Sinne eine deskriptive Gender-Ethik betreiben, aber der Schritt zu normativen Aussagen und zur Kritik an gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen verlangt nach genuin ethischen Begründungen.

GENDER ALS NEUES FEINDBILD


Wenn im Folgenden die Unterscheidung zwischen Sex und Gender im Mittelpunkt steht, dann deshalb, weil mir scheint, dass im Kontext des katholischen Christentums die anthropologische Frage nach dem Geschlecht in der Differenz zwischen Sex und Gender von grundlegender Bedeutung ist für die vielen ethischen und kirchenpolitischen Kontroversen um die Kategorie Gender, die nach der treffenden Einschätzung von Alexander Foitzik den Eindruck erwecken, als habe Gender bei manchen Katholiken „den Kommunismus als ideologisches Feindbild der siebziger und achtziger Jahre abgelöst“ (Foitzik, 273). Der katholische Disput um die Art der Unterscheidung zwischen Sex und Gender ist als Disput um eine den Herausforderungen der Moderne gewachsene theologische Anthropologie zu begreifen. Letztlich geht es um den Spielraum einer sittlich selbstbestimmten Lebensführung unter der Existenzbedingung der Differenz zwischen Sex und Gender.

DENNOCH SEX UND GENDER


Für eine moraltheologische Reflexion äußerst brauchbare Bestimmungen zur Unterscheidung zwischen Sex und Gender verdanken wir der Moralphilosophin Herta Nagl-Docekal. Entgegen den Versuchen, die Unterscheidung von Sex und Gender durch das ad-acta-Legen von Sex auszuhebeln oder aber die Kategorie Gender als tauglichen Begriff in Frage zu stellen, plädiert Nagl-Docekal für die Beibehaltung der Sex/Gender-Differenz. Denn dadurch wird es möglich, die sozialen Ordnungen des Geschlechterverhältnisses als moralische, also in Entwürfen menschlicher Freiheit und eben nicht in Imperativen natürlicher Determinanten wurzelnde Ordnungen zu begreifen. Moralische Vorstellungen von einem Leben als Frau oder als Mann bleiben unterbestimmt, wenn sie lediglich auf biologisch-leibliche Phänomene und Differenzen abheben. Sex von Gender zu unterscheiden lässt Entwürfe des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern als kontingente Entwürfe erkennen. Die Sex/Gender-Differenz nicht aufzugeben bedeutet zunächst, an der Differenz zwischen weiblichen und männlichen Körpern festzuhalten, also an der – nicht zu leugnenden – Zweigeschlechtlichkeit der menschlichen Natur. Die biologische Tatsache der zweigeschlechtlich-sexuellen Reproduktion des Menschen hat evolutionsgeschichtlich differente „männliche“ und „weibliche“ Strategien hervorgebracht. Das natürliche Geschlecht ist nach Auskunft von Evolutionsbiologen aber keine eindeutige Kategorie, weil es einen „äußerst komplexen Entwicklungspfad vom Geschlechtschromosom zur Geschlechtsidentität“ (Johow/Voland, 13) zu beachten gilt. Obwohl fester Bestandteil der menschlichen Natur und deshalb nicht konstruiert, legen Menschen von Natur aus Geschlecht in kulturellen Kontexten unterschiedlich aus. Die Unterscheidung zwischen Sex und Gender ist Teil der alten Debatte um das Verhältnis von Natur und Kultur, von Anlage und Umwelt. Heutige Modelle gehen dabei weniger von additiven als von synergetischen Relationen aus. Anthropologisch gewendet würde das heißen, das menschliche Leben vollzieht sich unter je bestimmten unbeliebigen Bedingungen, über die wir nicht frei verfügen können und die doch zugleich in je unterschiedlichen Freiheitsgraden Gegenstand des Handelns bleiben. „Ohne die Frage, wie mit bestimmten Gegebenheiten handelnd umgegangen werden soll, gäbe es keine Normen“ (Nagl-Docekal, 59). Wir Menschen haben, so hat es Hegel ausgedrückt, eine zweite Natur. Sex wird daher zwar von uns nicht hervorgebracht, aber die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht (Sex) legt uns nicht auf eine konkrete Art und Weise der handelnden Bezugnahme fest. Menschen entwickeln unterschiedliche Moralen, die auf körperliche Differenzen Bezug nehmen und auf diese zurückwirken. „Indem wir unsere Körper gestalten, setzen wir sie zugleich als gegeben voraus“ (Nagl-Docekal, 66). Der menschliche Körper kann daher als eine praktische Wirklichkeit bezeichnet werden. Seine Gestaltung variiert individuell, historisch und gesellschaftlich. Die Sex/Gender-Differenz ist Ausdruck der spezifisch menschlichen Existenzweise eines zur Moral befähigten Wesens, sie ist Ausdruck der Freiheit des Menschen, in ein Verhältnis zu sich selbst treten zu können, ja zu müssen.

NATUR UND MORAL


Die moralische Ordnung des menschlichen Zusammenlebens ist von den Naturbedingungen des Menschseins zu unterscheiden. Eine unmittelbare natürliche Bestimmung des Lebens hinter dem Rücken der Freiheit, wie unterschiedlich ihr Spielraum auch ausfallen mag, wäre keine menschliche Lebensform. Wenn es also um die moralischen Fragen des Geschlechterverhältnisses geht, kann die sinnvolle Frage nur lauten, nach welchen ethischen Prinzipien dieses zu gestalten ist. Selbst die Vorstellung, das Leben als Mann oder als Frau solle naturgemäß sein, bringt zum Ausdruck, dass menschliches Leben eben nicht naturgemäß präreflexiv geführt werden kann. Jeder Rekurs auf das Natürliche in moralischer Absicht ist normativ und wirft die Frage auf, warum denn und auf welche konkrete Weise das Natürliche zum Maßstab des Handelns werden soll.

Die Sex/Gender-Differenz hat damit die kritische Funktion, die Kontingenz der konkreten Geschlechterverhältnisse sichtbar zu machen. Die Geschlechtsidentität und das Geschlechterverhältnis sind nicht unmittelbar „von Natur aus“ gegeben und auch nicht moralisch zwingend „von Natur aus“ vorgegeben, sondern Ergebnis rekonstruierbarer historischer Entwicklungen.

REFLEXIVITÄT UND FREIHEIT


Gender ist nicht unmittelbar abhängig von Sex. Diese „kategoriale Trennung […] ermöglicht die nötige neue Choreographie der Geschlechterbeziehung“ (Ammicht-Quinn, 570). Neu soll diese Beziehung sein, weil Naturalisierungen von Geschlecht früher wie heute zu Entwürfen sozialer Ordnungen geführt haben, die in der Regel Frauen und sexuellen Minderheiten Handlungsmöglichkeiten verwehrt haben, die heterosexuelle Männer für sich wie selbstverständlich reklamiert haben. Das Natürliche wurde damit zum Kriterium der Anerkennung des Anderen als gleichberechtigtes moralisches Subjekt. Sobald reflexiv durchschaut worden ist, wie das Natürliche in normativer Absicht ins Spiel gebracht wird von denjenigen, die sich auf diese Weise die vorderen Plätze im sozialen Raum reservieren wollen, hat der Hinweis auf das Natürliche seine moralische und politische Unschuld endgültig verloren. Nicht ohne Grund ist mit der Aufklärung das in dieser Hinsicht nicht eindeutige Naturrecht in das Menschenrecht transformiert worden. Denn mit dem Hinweis auf die unterlegene Natur der Frau oder auch die pervertierte Natur sexueller Minderheiten sind immer wieder menschenrechtliche Unterschiede legitimiert worden. Es geht um die Rechte von Frauen, von Transsexuellen, von Intersexuellen, von Schwulen und Lesben. Die körperliche Anatomie, die Geschlechtsidentität und die sexuelle Orientierung sollen in dem Sinne irrelevant sein, dass sie die Inanspruchnahme allgemeiner Rechte des Menschen nicht verhindern und der Verschiedenheit der Lebensführung die Anerkennung nicht verweigern (vgl. Butler). Nicht zuletzt die sexuelle Selbstbestimmung ist als Aspekt der zu garantierenden Entfaltung der individuellen Persönlichkeit zu garantieren. Frauen sollen nicht auf „natürliche Weise“ Frauen sein müssen, Männer nicht Männer, und sexuelle Minderheiten nicht den Normen „natürlicher“ Geschlechtsidentität und Heterosexualität unterworfen werden. Mit dieser Wendung offenbart sich die Sex/Gender-Differenz...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2015
Mitarbeit Anpassung von: Hildegard Wustmans
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Gender • Pastoral • Seelsorge
ISBN-10 3-429-04813-3 / 3429048133
ISBN-13 978-3-429-04813-6 / 9783429048136
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