Zwischen Ich und Du (eBook)

Eine dialogische Philosophie der Liebe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1., Originalausgabe
369 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73089-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwischen Ich und Du - Angelika Krebs
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wo ist die Liebe? Sie befindet sich nicht im Ich und hat das Du nur zum Gegenstand - sie ist »zwischen« Ich und Du. Sie ist da, wo zwei miteinander fühlen und handeln; ihre geteilte Freude ist eine doppelte, ihr geteiltes Leid ein halbes. Aber wie kann man Gefühle teilen? Dieser Frage geht Angelika Krebs nach und bedient sich dabei der Methoden und Erkenntnisse sowohl der Analytischen Philosophie als auch der Phänomenologie. Im Zentrum stehen die Bedeutung des Miteinanderfühlens und seine Abgrenzung etwa von klassischem Mitleid und von Gefühlsansteckung. Das Buch liefert die erste umfassende Strukturanalyse des Phänomens der Gefühlsteilung und exemplifiziert das Phänomen an konkreten Beispielen: den Liebesgeschichten des Schriftstellers Henry James.

<p>Angelika Krebs ist Professorin f&uuml;r Philosophie an der Universit&auml;t Basel. Zuletzt erschienen: <em>Arbeit und Liebe. Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit</em> (stw 1564)</p>

1.
Liebe als Verschmelzung


1.1. Klassisch:
Platon und der Mythos vom Kugelmenschen


Wenn es ein philosophisches Werk gibt, welches als der Grundtext der Philosophie der Liebe gelten darf, dann ist dies Platons Dialog Das Gastmahl. Dank Platon und Aristoteles ist die griechische Antike ohnehin die Blütezeit der Philosophie der Liebe. Zwar haben sich alle »großen Philosophen« auch zur Liebe geäußert. Aber was Kant, Hume oder Hegel zur Liebe sagen, hat kein vergleichbares Gewicht – nicht in der Philosophie der Liebe und nicht in ihrem eigenen philosophischen Werk.[1]

Das Gastmahl stammt aus Platons mittlerer Schaffensphase (von 375 v. Chr.). Es ist weder Platons erstes Wort zur Liebe (das ist der Lysis) noch sein letztes (das ist der Phaidros). Das Gastmahl gilt als Platons literarischster Dialog. Erzähl-, Vortrags- und Gesprächsmomente sind kunstvoll ineinander verschachtelt. Die Figuren, insbesondere der aus Trunkenheit redselige, verliebte und verschmähte Alkibiades mit Efeu im Haar sowie der, den er liebt, Sokrates, sind plastisch modelliert. Bilder, Vergleiche und Mythen veranschaulichen die abstrakten philosophischen Inhalte. Die Abendgesellschaft zu Ehren des jungen Dichters Agathon entsteht so in aller Lebendigkeit vor unseren Augen: Da bringt Sokrates einen ungeladenen Gast mit und ist im entscheidenden Moment, da es gälte, den Gast einzuführen, noch draußen in Gedanken versunken. Da gibt es ein eifersüchtiges Gerangel um den besten Platz, neben Agathon. Da debattiert man, ob man sich schon wieder betrinken oder lieber reihum Reden halten soll, zum Beispiel zum Lob auf eros. Da bekommt einer Schluckauf, als er mit dem Redenhalten dran wäre. Da will nach Agathons brillantem Vortrag keiner mehr reden müssen etc.

Sieben Redner treten insgesamt auf. Der erste, Phaidros, behauptet, dass eros uns zur Tugendhaftigkeit anspornt. Der zweite, Pausanias, stößt in dasselbe Horn: Eros führe uns weg von der Sinnlichkeit hin zur seelischen Tugend. Der dritte Redner, Eryximachos, bringt einen neuen, naturphilosophischen Aspekt ins Spiel: Eros versöhne Gegensätze und walte in allem, nicht nur im Menschen. Auf etwas wieder ganz anderes will der Dramatiker Aristophanes mit seinem Kugelmenschenmythos hinaus: Eros sei die Kraft, die uns zur verlorenen, anderen Hälfte zurückführt. Die beiden folgenden Redner knüpfen an das Tugendthema der Anfangsreden an. Für Agathon leitet uns eros zum Schönen und macht uns weich, blühend, tugendhaft und kreativ. Für Sokrates, der eine Lehre der weisen Diotima vorträgt, bringt uns eros von der Liebe zu einem schönen Körper über die Liebe zur Schönheit aller Körper und die Liebe zur geistigen Schönheit endlich zur Liebe der Schönheit und Wahrheit an sich. Der letzte Redner, Alkibiades, besingt seine eigene Liebe zu Sokrates als einer einzigartigen Person und setzt somit, wie zuvor Aristophanes mit dem Kugelmenschenmythos, einen Kontrapunkt zu all den Reden über Schönheit, Wahrheit und Tugend. Die beiden berühmtesten Reden sind die des Aristophanes und die des Sokrates beziehungsweise der Diotima.

Nach dem Mythos des Aristophanes waren die Menschen ursprünglich Kugelwesen, zusammengesetzt entweder (und im besten Fall) aus zwei männlichen Hälften oder (im zweitbesten Fall) aus einer männlichen und einer weiblichen Hälfte oder (im schlechtesten Fall) aus zwei weiblichen Hälften. Die Kugelmenschen waren von gewaltiger Kraft und Stärke; sie wollten sich Zugang zum Himmel bahnen und die Götter angreifen. Um ihrem Übermut Einhalt zu gebieten, zerschnitt Zeus sie in zwei Hälften:

Seit so langer Zeit ist demnach die Liebe zu einander den Menschen eingeboren und sucht die alte Natur zurückzuführen und aus zweien eins zu machen und die menschliche Schwäche zu heilen. Jeder von uns ist demnach nur eine Halbmarke von einem Menschen, weil wir zerschnitten, wie die Schollen, zwei aus einem geworden sind. Daher sucht denn jeder beständig seine andere Hälfte. (191d)

Der Kugelmenschenmythos denkt die für Liebe konstitutive Überwindung des Egoismus als Einswerdung mit dem anderen. Der andere wird ein wesentlicher Teil des eigenen Selbst. Und als solchen instrumentalisiert man ihn nicht. Der andere interessiert im Kugelmenschenmythos in seiner Partikularität als die verlorene, ergänzende, passende Hälfte; er interessiert nicht, jedenfalls nicht vorrangig, als austauschbarer Träger guter Eigenschaften. Nimmt man den Kugelmenschenmythos wörtlich, dann gibt es sogar nur einen einzigen vorbestimmten anderen, der als die verlorene Hälfte zu einem passt.

Die Stufenleiter der Liebe der Diotima beziehungsweise des Sokrates lässt sich als Gegenmodell dazu lesen. In der scala amoris erscheint der andere als austauschbarer Träger guter Eigenschaften, gar als bloßes Mittel zum Zweck der eigenen Höherentwicklung, der eigenen Vereinigung mit der Idee des Schönen, Wahren und Guten. Überspitzt gesagt lautet hier die Botschaft: »Make philosophy, not love!« Liebe die Weisheit (philo-sophia) und nicht einen anderen Menschen! So gelesen, verfehlt die in der scala amoris vorgestellte Liebeskonzeption die beiden für Liebe eingangs als konstitutiv bestimmten Merkmale: die Überwindung des Egoismus und das Interesse am anderen in seiner Besonderheit.[2]

1.2. Modern:
Robert Solomon über das Paradox der Liebe


Eine zeitgenössische Variante des Verschmelzungsmodells der Liebe finden wir bei dem Emotionstheoretiker Robert Solomon in seinem Buch About Love.[3] Anders als Platon betont unser Zeitgenosse die Komplementarität der Geschlechter. Der heterosexuelle Liebesakt wird zum Leitbild des Ineinanderpassens der beiden nicht nur körperlich, sondern auch seelisch verschiedenen männlichen und weiblichen Hälften. Platon hatte mit unverhohlener Geringschätzung der Fähigkeiten der Frau die homosexuelle Liebe unter Männern als beste Form der Liebe angepriesen.[4] Robert Solomon privilegiert dagegen die Liebe zwischen Mann und Frau als gleichwertige, aber verschiedene Partner.

Auch die Besonderheit des Geliebten versteht Solomon anders als Aristophanes, nämlich nicht ontologisch, sondern historisch-produktiv. Danach gibt es nicht den einen vorbestimmten anderen, der zu einem als die andere Hälfte passt und vielleicht in der »Liebe auf den ersten Blick« erkannt wird. Vielmehr erschaffen Liebende allererst die Besonderheit oder Unersetzbarkeit des von ihnen Geliebten. Sie tun dies durch die Geschichte ihres Ringens um Einswerdung. Anders als historisch lässt sich nach Solomon die für Liebe charakteristische Unersetzbarkeit des Geliebten nicht erklären: »Nur historische Gründe sind jener gefährlichen Frage, die alle Diskussionen über Gründe in der Liebe heimsucht, nicht ausgesetzt: Würde man nicht – sollte man nicht – eine andere Person genauso lieben, für die die gleichen Gründe sprechen?« (Solomon 1988: 160)

Das »Ich liebe Dich« einer beginnenden Liebe ist nach Solomon kein feststellender Sprechakt, es bildet kein gegebenes Einheitsgefühl ab, sondern ist »performativ«, eine Bereitschaftserklärung und Einladung zu einem Prozess der gemeinsamen Erarbeitung einer Einheit: »Wer sagt: ›Ich liebe Dich‹, berichtet nicht über ein bei ihm vorliegendes Gefühl. […] Er vollzieht vielmehr einen aggressiven, kreativen und sozial definitiven Akt.« (Ebd.: 36) Selbstverständlich lade man nicht einen x-Beliebigen zu einem solchen Prozess ein, eine gewisse Wertschätzung und Kompatibilität müsse schon vorab gegeben sein.

Die in der Liebe ersehnte Vereinigung will Solomon weder nur körperlich noch rein metaphorisch verstanden wissen. Er denkt vielmehr an einen realen psychologischen Mechanismus: In der Liebe teilt man – anders als in der Freundschaft – nicht nur bestimmte Tätigkeiten, Wahrnehmungen und Empfindungen, sondern auch ein Selbst, eine Sicht auf die Welt. Man definiert dieses Selbst wechselseitig und besitzt es gemeinsam:

Eine Theorie der Liebe […] ist eine Theorie des Selbst, aber eines geteilten Selbst, eines Selbst, das von zwei Personen gemeinsam bestimmt und besessen wird. […] Die Geschichte [von Aristophanes] ist zwar Unsinn, aber sie deutet auf eine tiefe Wahrheit hin. Es ist die Aufgabe dieses Buches, Liebe neu zu begreifen als die wörtliche und nicht nur metaphorische »Verschmelzung« zweier Seelen. (Ebd.: 24)

Typisch für Liebende sei, dass sie nicht mehr wissen, wo der eine aufhört und der andere anfängt: »[S]ie können nicht mehr sagen, wo des einen Fleisch endet und des andern Fleisch beginnt, können nicht mehr sicher sein, wessen lustvolles Aufstöhnen wem gehört, denn alles Fleisch und alle Lust ist geteilt.« (Ebd.: 193)

Die Sehnsucht nach einer solch nahtlosen Einheit in der Liebe sieht Solomon allerdings in Spannung mit unserem Bedürfnis nach Autonomie, nach der eigenen wie nach der des anderen. Er spricht daher im Anschluss an Hegels Herr-Knecht-Dialektik und Sartres Kampf der Blicke von einem »Paradox der Liebe«. Unsere Sehnsucht, endlich wieder ganz zu sein, sei letztlich nicht stillbar. Insofern gehe Liebe notwendig mit Verzweiflung einher:

Hier ist das Paradox: Das unabhängige Individuum ist die Voraussetzung von Liebe, doch es ist genau diese Unabhängigkeit, welche die Liebe überwinden und negieren will. Das Individuum besteht auf seiner Selbstbestimmung, Liebe dagegen verlangt eine wechselseitige, gemeinsame Bestimmung. Das Individuum lebt an seinem eigenen Ort und in seiner eigenen Zeit, doch die Liebe baut alle Distanz ab und negiert die Integrität des...

Erscheint lt. Verlag 8.8.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Analytische Philosophie • Dialog • Liebe • STW 2063 • STW2063 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2063
ISBN-10 3-518-73089-4 / 3518730894
ISBN-13 978-3-518-73089-8 / 9783518730898
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Fünf Einwände und eine Frage

von Winfried Schröder

eBook Download (2023)
Felix Meiner Verlag
12,99