Zwischen Himmel und Elbe (eBook)

Eine Hamburger Kulturgeschichte

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
384 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75815-7 (ISBN)

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Zwischen Himmel und Elbe - Jan Bürger
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Hamburg gewann nicht durch Fürsten Bedeutung und auch nicht durch den Klerus. Die Hansestadt wuchs allein durch den Handel und galt für Reisende und Auswanderer lange als Tor zur Welt. Im Schatten seines riesigen Hafens wurde Hamburg besonders in den vergangenen 150 Jahren zum Schmelztiegel der Kulturen. Dabei wird sein vielfältiges künstlerisches Leben oft übersehen. Mit den städtischen Bahnlinien als Orientierungshilfe erkundet Jan Bürger Hamburgs einzigartige Geschichte, vom Grindel bis zur Mönckebergstraße, von der Elbphilharmonie bis nach Blankenese. Kenntnisreich und voller Überraschungen erzählt er von Schriftstellern und Gelehrten, Musikern und Malern, von der Gründung der Universität, innovativen Museen und rauschenden Künstlerfesten.

Hamburg, die Stadt an der Elbe, gewann nicht durch Fürsten oder den Klerus Bedeutung, sie wartet nicht mit Schlössern und Burgen auf. Die Hafenstadt wuchs allein durch den Handel und galt für Reisende und Auswanderer ein halbes Jahrtausend lang als Tor zur Welt. Früher als andere deutsche Städte wurde Hamburg zum Schmelztiegel der Lebensformen und Kulturen. Dabei entstand die Metropole, wie wir sie heute kennen, überwiegend in den vergangenen 150 Jahren. Dennoch begegnet uns in ihr vielerorts plötzlich die ältere Vergangenheit. Mit dem Liniennetz der U- und S-Bahnen als Orientierungshilfe erkundet Jan Bürger Hamburgs Straßen und Viertel und erzählt die Geschichte ihrer vielfältigen Kultur und derer, die sie schufen. Von Literatur und Theater, von Musik und Museen, von Gräbern und Gelehrten, vom Strich und vom Hafen, vom Hirschpark und von Övelgönne - von Gotthold Ephraim Lessing, Carl Philipp Emanuel Bach, Aby Warburg, Anita Rée und Hans Henny Jahnn bis hin zu Wolfgang Borchert, Brigitte Kronauer, den Beatles und der Elbphilharmonie. Eine Entdeckungsreise durch eine der aufregendsten deutschen Städte.

Jan Bürger, 1968 geboren, studierte in Hamburg, veröffentlichte Bücher über Hans Henny Jahnn, Gottfried Benn und Max Frisch und ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Er war Redakteur in Berlin und Gastprofessor in Nashville, Tennessee. Seit 2002 arbeitet er am Deutschen Literaturarchiv Marbach, wo er u.a. den Nachlass von Peter Rühmkorf betreut. <br>

Unterwegs. Fünf Betrachtungen vorab


Mit dem Zug in die Zukunft. Die Mehrheit in der Bürgerschaft war überwältigend: Im Mai 1906 wurde der Bau einer Hoch- und Untergrundbahn endgültig beschlossen. Seitdem klaffen überall in der Stadt Gruben. Gut fünf Jahre soll es dauern, bis sich Hamburg zu den modernsten Städten der Welt zählen kann, zumindest verkehrstechnisch. Unter der Großen Johannisstraße, der späteren Mönckebergstraße und an vielen anderen Orten entstehen gewaltige Tunnel. Man reißt die Fahrbahnen auf, hebt das Erdreich aus, verschalt alles mit Beton und dichtet es ab. Dann werden die Gleise verlegt, um die Schächte schließlich abzudecken und die Straßen neu zu pflastern, damit alles wieder so aussieht, als wäre zwischenzeitlich nicht viel geschehen. Auch die riesigen eisernen Viadukte am Hafen und in der Isestraße stellen eine technische Höchstleistung dar. Aber die Errichtung von Brücken gehört in der amphibischen Hansestadt eher zum Alltag als der Tunnelbau.

17,5 Kilometer lang wird die erste Ringlinie sein, die das Leben rund um den Alstersee verwandelt. Von nun an herrscht ein anderes Gefühl für Raum und Zeit: Besonders die Arbeiterquartiere im ‹roten› Barmbek scheinen dem bürgerlich-prunkvollen Rathaus plötzlich viel näher. Auf diesem Streckenabschnitt – zwischen Barmbek und Rathaus – wird am 15. Februar 1912 die Ära der Hamburger U-Bahn feierlich eingeläutet, und bis heute dauert sie an.[1]

Schon im Sommer 1912 kann man weiter bis zum Millerntor fahren – von Barmbek bis zu den Landungsbrücken braucht man fortan nur 19 Minuten. Das ist auch nötig, denn seit 1871 hat sich Hamburgs Einwohnerzahl mehr als verdreifacht. Um immer mehr Menschen durch die boomende Metropole zu befördern, gab es seit 1866 neben den Alsterdampfern Pferdebahnen. Später kam eine Dampfbahn nach Wandsbek hinzu. Seit 1894 stellte man auf elektrische Straßenbahnen um, doch auch sie fahren gemächlich und sind meist höchstens doppelt so schnell wie die Fußgänger.[2]

Von einer Geschwindigkeitsrevolution kann erst die Rede sein, seit die Züge der Untergrund- und Hochbahn rollen. Beschleunigung ist eines der wichtigsten Merkmale der neuen Epoche: Dem Bahnverkehr folgen die Automobile und später die Flugzeuge. Der Hauptgrund für Hamburgs Attraktivität als Handelsstadt war hingegen traditionell die Lage am Wasser. Dies bleibt auch weiterhin so. Dennoch steht das 20. Jahrhundert auch an der Elbe im Zeichen des Land- und Luftverkehrs.

Als sich Ernst Eitner 1913 bei gutem Wetter von seinem Haus in Hummelsbüttel aus aufmacht, den Hochbahnbau zwischen Ohlsdorf und Fuhlsbüttel zu malen, bewegen vermutlich auch ihn Gedanken daran, dass mit der Verlegung der Schienenstränge eine Epochenschwelle überschritten wird, kennt er sich doch sehr gut in Paris aus, wo die Metro schon seit über zehn Jahren den Alltag verändert. Noch werden in Fuhlsbüttel viele Erdarbeiten mühsam mit Trägern und Pferden bewältigt. Aber das Maschinenzeitalter hat unübersehbar begonnen. Auch Dampfbagger und -loks kommen zum Einsatz und werden von dem lange unterschätzten Impressionisten mit derselben Hingabe gemalt wie Fassaden, Gesichter und Bäume (siehe Tafel 1). Eine Retrospektive zu Eitners 150. Geburtstag im Jenisch-Haus in Klein Flottbek erklärte ihn 2017 zum «Monet des Nordens». Angesichts des Leuchtens seiner Farben wirkt dieser Vergleich gar nicht abwegig.[3] Eitner gehört zu den wenigen Malern seiner Generation, die unmittelbar auf die Impulse der impressionistischen Revolution des Sehens reagierten, ohne dabei ihre künstlerische Eigenständigkeit zu verlieren. Nicht nur die vielfältigen Nuancen des Himmels über der Elbe, auch die Farben des aufgegrabenen Erdreichs beim Hochbahnbau erinnern auf seinen Bildern an Landschaften der größten französischen Meister. Eitner, seine Freunde aus dem Hamburgischen Künstlerclub und vor allem ihr einflussreicher Förderer Alfred Lichtwark rufen gemeinsam das Ende der Historienmalerei aus. Sie soll genauso der Vergangenheit angehören wie romantisierende Naturbetrachtungen, auch wenn das in Hamburg viele noch nicht wahrhaben wollen und Eitners überraschende Farbkompositionen als Schmierereien abtun.

*

Ohne Fürsten. Während andere Metropolen durch ihre politische Funktion Bedeutung gewannen, durch Höfe oder Regierungssitze, wuchs die Stadt an der Elbe allein durch den Handel. Hamburg war sozusagen nie eine symbolische Größe. Deshalb fehlt hier vieles, was andere Städte unverwechselbar macht. Burgruinen, Exerzierplätze, prunkvolle Schlösser oder gar Wunderkammern sucht man vergebens. Es stimmt, was der Romancier und Essayist Hermann Peter Piwitt nicht ohne Bitterkeit über seine Heimatstadt feststellt: «Wo andere große Städte einen Markt, eine ehemals fürstliche oder bischöfliche Residenz haben und ums Eck eine alte berühmte Universität, da hat sie einen zu groß geratenen Feuerlöschteich, an den ein Büro- und Geschäftszentrum grenzt. Und drumherum ein Agglomerat von großen Dörfern.»[4] Nur ist dieser ‹Teich›, der vor bald 800 Jahren aufgestaute Alstersee in der Mitte der City, fast so schön wie der Zürichsee. Und was ist an der Kaufmannskultur eigentlich so verwerflich? Hat sie wirklich mehr Unheil und Hässlichkeit in die Welt gebracht als die Fürsten und Bischöfe?

Merkwürdig ist der Wunsch, Hamburg wäre eine ganz normale europäische Großstadt, ist es doch eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Meer. Ein halbes Jahrtausend lang, bis zum Siegeszug der Luftfahrt, mussten die meisten, die nach Deutschland wollten oder ihm den Rücken kehrten, Hamburg passieren, Reisende genauso wie Aus- und Einwanderer. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass vor allem die Schiffe, Docks, Kaianlagen, Speicher und Kontorhäuser die Hansestadt unverwechselbar machen. Nicht zu vergessen die Vielfalt ihrer Bewohner: Durch die Bedeutung für den Welthandel wurde Hamburg früher als andere deutsche Städte zum Schmelztiegel der Lebensformen und Kulturen.

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Zerstörungen, Neuanfänge. Das 19. Jahrhundert beginnt in Hamburg verheerend: Im November 1806 marschieren Napoleons Truppen in die Stadt ein. 1811 wird Hamburg Teil des Französischen Kaiserreichs. Wirtschaft und Handel werden von den Besatzern regelrecht in die Knie gezwungen. Es herrschen Lebensmittelknappheit und Versorgungsengpässe, weil alles, wirklich alles militärischen Zwecken untergeordnet wird. Die meisten Schiffe bleiben im Hafen, und sogar die Kirchen werden – mit Ausnahme des Michel – in Pferdeställe verwandelt. Tausende von alteingesessenen Bürgern müssen ihre Stadt unter dem ‹eisernen Marschall› Louis-Nicolas Davoût verlassen, damit die fremden Truppen versorgt werden können. Um freie Schussfelder zu schaffen, werden große Teile von Hamm und des heutigen St. Pauli einfach niedergebrannt. Die Gartenhäuser an der Alster im heutigen Harvestehude zerstört man noch im Herbst 1813, damit sie militärischen Operationen nicht länger im Weg stehen. Dabei sind die Franzosen schon geschlagen. Am 6. April 1814 tritt Napoleon zurück und geht ins Exil nach Elba.[5] Davoûts Truppen ziehen aber erst Ende Mai ab.

1815 wird die befreite Stadt Mitglied des Deutschen Bundes. Es beginnt eine Periode des Wiederaufbaus. Seit 1819 ist Hamburg offiziell ‹Freye und Hansestadt›, und endlich entwickelt sich diese über ihren engen, seiner Struktur nach mittelalterlichen Kern hinaus. Dann aber bricht am 5. Mai 1842 in der Deichstraße ein Feuer aus, das große Teile Hamburgs in Schutt und Asche legt. Die Katastrophe ist so grauenvoll, dass in ganz Europa über sie berichtet wird. Dieses Interesse sorgt für die frühesten fotografischen Aufnahmen der Stadt. Die berühmten Daguerreotypien, die Hermann Biow nach den Löscharbeiten vom Dach der vom Brand verschonten Börse macht, zeigen im Grunde nur eines: Es ist unglaublich viel kaputt.[6]

*

HH. Das Hamburg, das wir heute kennen, unser Hamburg ist vor allem in den vergangenen 150 Jahren nach dem Großen Brand entstanden. Es ist eine extrem moderne Stadt, die erstaunlich viel gemeinsam hat mit den Metropolen der Neuen Welt. Noch dazu wurde ihre Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg zerstört wie in kaum einer anderen Weltstadt. Trotzdem oder gerade deswegen wecken auf Hamburgs Straßen sogar die Nummernschilder Erinnerungen, die bis ins Mittelalter zurückreichen, bis zur Gründung der Stadt und ihrer ersten Blüte im Zeichen der Hanse. Hansestadt Hamburg. HH. Ehe wir’s uns versehen, springen wir durch die Zeitschichten, von Epoche zu Epoche, von Thema zu Thema. Erzählend bewegen...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Zusatzinfo mit 59 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Schlagworte Deutschland • Elbe • Geschichte • Hafen • Hamburg • Handel • Hansestadt • Kultur • Kulturgeschichte • Literatur • Museen • Musik • Theater
ISBN-10 3-406-75815-0 / 3406758150
ISBN-13 978-3-406-75815-7 / 9783406758157
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