Die Souveränität des Guten (eBook)

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2023 | 1. Auflage
148 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77455-7 (ISBN)

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Die Souveränität des Guten -  IRIS MURDOCH
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In diesem nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegenden Klassiker der Philosophie des 20. Jahrhunderts offenbart Iris Murdoch die Unzulänglichkeiten der analytischen Moralphilosophie und fordert einen Richtungswechsel. Wir können Moral nicht verstehen, wenn wir uns rein auf naturwissenschaftliche und sprachphilosophische Methoden beschränken. In Auseinandersetzung mit Wittgenstein, Kant, Sartre, Weil oder Platon argumentiert Murdoch, dass die Moral nicht darin besteht, rationale Entscheidungen in einer wertneutralen Welt zu treffen. Stattdessen besteht sie in der Orientierung an der objektiven Idee des Guten, in der selbstlosen Zuwendung und der aufmerksamen Beobachtung der Wirklichkeit mit dem Ziel, ihr gerecht zu werden.



Iris Murdoch (1919-1999) war eine angloirische Philosophin und Schriftstellerin. Neben ihren philosophischen Hauptwerken <em>The Sovereignty of Good</em> und <em>Metaphysics as a Guide to Morals</em> schrieb sie 26 Romane. F&uuml;r <em>The Sea, The Sea</em> erhielt sie 1978 den Booker Prize.

7Mary Midgley

Vorwort zur Routledge Great Minds Edition


Viele Jahre sind vergangen, seit mir zum ersten Mal klar wurde, wie sehr sich doch Iris Murdochs Moralverständnis – gemeinsam mit meinem eigenen – von der gängigen ethischen Mode entfernt hatte.

In meiner Erinnerung durchflutet helles Mondlicht die St.-Giles- Straße, als Iris und ich nach einem anstrengenden Tag im Juni 1942 den Heimweg nach Somerville entlangstolperten. Wir waren beide am Ende unseres Studiums und erschöpft von den letzten Prüfungen. Hinzu kam, dass unser netter Tutor uns etwas Gutes tun wollte und uns eingeladen hatte, mit zwei höchst angesehenen Koryphäen zu Abend zu essen, und wir also den ganzen Abend lang ihren höchst angesehenen Meinungen gelauscht hatten. »Nun«, sagte ich, »was meinst du? Haben wir was Neues gelernt heute Abend?« »Oh ja, ich glaube schon«, sagte Iris, während sie zum riesigen Mond emporblickte. »Ja, ich glaube schon. X ist ein guter Mensch und Y ist ein schlechter Mensch.« Auf dieses korrekte, aber grotesk altmodische Urteil hin erfasste uns ein derartiger Lachanfall, dass sich die wenigen Passanten erschrocken umsahen und alle Katzen davonliefen.

Das Problem zu dieser Zeit war nicht nur, dass moralische Urteile dieser Art kontinuierlich angefochten und als bloße Gefühlsregungen oder leerer Idealismus abgetan wurden. Das Problem war auch, dass das innere Selbst, das solche Urteile vornimmt – die wesentliche Person, das aktive Selbst, das von zentraler Bedeutung ist –, irgendwie ignoriert und vergessen wurde. Angeblich moderne, angeblich wissenschaftliche Denkansätze waren bereits damals mit dem Versuch beschäftigt, das Vertrauen in unsere direkte Wahrnehmung unseres eigenen Lebens zu schwächen und die innere Evidenz, von der all unser übriges Wissen abhängt, in Verruf zu bringen. Wenn ich nun auf diese Zeit zurückblicke, so verblüfft es mich zu sehen, dass diese absurden Ansichten, die damals zur Unterstützung dieser Bemühungen herangezogen wurden – Ansichten, die Iris vor vierzig Jahren so wirkungsvoll auf den Punkt gebracht hat –, heute noch immer wachsen und gedeihen und noch immer als von der Naturwissenschaft gefordert betrachtet werden. 8Kein Geringerer als Francis Crick – Mr. DNA höchstpersönlich – hat kürzlich ein ganzes Buch mit dem Titel Was die Seele wirklich ist geschrieben, in dem er dafür argumentiert, dass das Selbst »nichts anderes als« das Verhalten von Nervenzellen und ihren assoziierten Molekülen ist. Während sich Akademiker:innen früher Sorgen machten, dass sie die zehn Gebote übertreten könnten, plagen ihre Nachkommen heute Schuldgefühle einer anderen Art: Wehe, wenn sie auch nur ansatzweise versucht sein sollten zu vermuten, dass irgendwo ein wirkliches Subjekt vonnöten sein könnte, um mit dieser aseptischen Welt von Objekten zurechtzukommen. Die Hoffnung, einen Zweig der Naturwissenschaften zu finden, der dieses Subjekt wegerklärt, behält die Oberhand gegenüber jeder schüchternen Tendenz, einfach zu akzeptieren, was unsere Vermögen uns mitteilen. Und so schreibt uns die aktuelle Mode noch immer vor, dass die wirkliche Komplexität des Selbst ungeprüft bleibe.

Iris hingegen kümmerte sich nie um Moden. Das ist es, was Die Souveränität des Guten so gut macht – was es noch immer zu einem der wenigen modernen philosophischen Bücher macht, die Menschen außerhalb der akademischen Philosophie wirklich hilfreich finden. Es teilt diese Auszeichnung mit C.S. Lewis’ kleinem Büchlein Die Abschaffung des Menschen, das mit ähnlich tödlichem Pfeil auf dasselbe Ziel schießt. Beide Bücher entlarven die farbenfrohe, fantastische Bilderwelt angesagter reduktiver Ideen, innerhalb derer wir leben – eine Bilderwelt, die sich trotz einer Menge Oberflächenaktivität seither kaum verändert hat. Wie Iris sagt, »ein gewieftes Set an Begriffen kann ein höchst effizientes Instrument der Verderbung sein«. So erklärt sie:

Wir sind von ständigen Sorgen geplagte Tiere. Unser Geist ist rund um die Uhr aktiv, webt kontinuierlich einen angstgetränkten, meist zwanghaft mit dem Selbst beschäftigten, oft verfälschenden Schleier, der die Welt zum Teil verhüllt. (S.99)

Was den Schleier vor allem durchdringt, ist eine klare, direkte Wahrnehmung von Dingen, die nicht Teil unseres eigenen Wesens sind. Zum Beispiel:

In einer aufgewühlten, verärgerten Stimmung sehe ich aus dem Fenster. Meiner Umgebung bin ich kaum gewahr, vielleicht grüble ich nach über einen Ansehensverlust, den ich erlitten habe. Dann 9sehe ich plötzlich einen schwebenden Falken. Mit einem Mal ist alles verändert. Das grübelnde Selbst mit seiner verletzten Eitelkeit ist verschwunden. Jetzt gibt es nichts außer dem Falken. Und wenn ich dann meine Gedanken über die andere Sache wieder aufnehme, scheint sie weniger wichtig. (S.100)

Doch der Schleier ist widerstandsfähig und es ist furchtbar schwer, ihn selbst in den Blick zu bekommen. Geschickt ebnet er uns in jedem Alter neue, unbemerkte Pfade, auf denen wir die Wirklichkeit umgehen können. Diese neuen Pfade zu entdecken, ist die oberste Aufgabe der Philosophie, nur fällt Philosoph:innen das natürlich häufig nicht viel leichter als anderen Menschen:

Es ist bei allen Philosoph:innen wichtig zu fragen, wovor sie sich fürchten. (S.88)

Während des zwanzigsten Jahrhunderts boten intellektuelle Moden Fluchtmöglichkeiten, indem sie Individuen nach und nach immer mehr isolierten, zunächst von Gott, dann von ihrer Gesellschaft (»So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht«) und schließlich vom Rest der Natur. Auf diese Weise wurde Individuen eine außergewöhnliche, übernatürliche Art von Unabhängigkeit angedichtet. Auf jeder Stufe waren die Reformierenden damit beschäftigt, genuin unterdrückende Behauptungen zurückzuweisen. Doch auf jeder Stufe wurden die echten, praktischen Gründe für diese Zurückweisung nach und nach vergessen, während ein Theoretiker nach dem anderen (Nietzsche, Freud, Skinner, Heidegger, Sartre, Hayek, Dawkins) sich schwelgerisch in einer übertriebenen Rhetorik erging, die in der Kombination dieser Elemente in einen extremen und reduktiven Individualismus mündete.

Dieser Extremismus machte es immer schwerer, eine intelligente Versöhnung zu denken, die das Beste der verschiedenen Lager zusammenzubringen vermochte. Was wir stattdessen bekamen (wie Iris hervorhebt), war ein seltsamer, halbbewusster Mischmasch aus den dramatischsten Bestandteilen jeder Doktrin, weil diese Teile am aufregendsten und am leichtesten zu merken waren.

Dieses sehr mächtige Bild, das uns hier begegnet, […] ist behavioristisch insofern, als es Bedeutung und Wesen von Handlungen mit dem öffentlich Beobachtbaren verbindet, es ist existentialistisch in10sofern, als es das substantielle Selbst eliminiert und den einsamen, omnipotenten Willen betont, und es ist utilitaristisch insofern, als es annimmt, dass Moral nur mit Akten, die die Öffentlichkeit betreffen, zu tun hat und haben kann. (S.24)

Die Namen dieser Doktrinen mögen uns nicht allen vertraut sein, doch kennen wir alle, wie Iris sagt, die Idealfigur, die diese Doktrinen personifiziert, weil sie die Geschichten dominiert, die wir lesen und schauen:

[E]r ist der Held beinahe jedes zeitgenössischen Romans. […D]ieser Mensch [weilt] noch immer unter uns, frei, unabhängig, einsam, mächtig, rational, verantwortungsvoll, mutig, der Held so vieler Romane und moralphilosophischer Bücher. Nach der Raison d’Être dieses attraktiven, aber trügerischen Menschentyps müssen wir nicht lang suchen. Er ist das Kind des Zeitalters der Naturwissenschaft, auf selbstbewusste Weise rational und sich doch gleichzeitig seiner Entfremdung von dem materiellen Universum, das seine Entdeckungen ihm offenlegen, bewusst […]. (S.96)

Seit Iris das schrieb, hat der Klimawandel unsere Sorgen bezüglich dieser letzteren Art der Entfremdung deutlich vergrößert. Doch die Machtfantasie, die sie beschreibt, ist potent wie eh und je und wird noch immer hochgehalten von der »Vorherrschaft der Naturwissenschaft: oder vielmehr [der] Vorherrschaft unpräziser Vorstellungen von ...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2023
Übersetzer Eva-Maria Düringer
Sprache deutsch
Original-Titel The Sovereignty of Good
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Ethik
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte aktuelles Buch • bücher neuerscheinungen • Ethik • Klassiker • Moralphilosophie • Neuerscheinungen • neues Buch • STW 2392 • STW2392 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2392
ISBN-10 3-518-77455-7 / 3518774557
ISBN-13 978-3-518-77455-7 / 9783518774557
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