Lieb doch, wie du willst (eBook)

Geschichten von Lust und Sehnsucht | Liebe in aller Diversität
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62204-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lieb doch, wie du willst -  Antje Babendererde,  Jennifer Benkau,  Caroline Brinkmann,  Benni Cullen,  Ilona Einwohlt,  Tobias Elsäße
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Sinnliche Geschichten von bekannten Autor*innen, ab 16 Jahren, herausgegeben von Erfolgsautorin Ilona Einwohlt.  Ein Kribbeln zwischen den Zeilen spüren, dem Höhepunkt entgegenfiebern, mit allen Sinnen genießen ... In diesen Erzählungen geht es um Gefühl, Sinnlichkeit und Erotik. Hier wird weitererzählt, wo sonst im Jugendbuch ausgeblendet wird. Unterschiedliche Erfahrungen, jenseits tradierter Rollenklischees und heteronormativer Sexualität, stehen dabei im Mittelpunkt. Texte namhafter Autor*innen zeigen die Vielfalt des Lebens und feiern Diversität - mal schön, mal schmerzhaft, aber immer aufregend!  Ein Feuerwerk der Geschichten von Antje Babendererde, Benni Cullen, Ilona Einwohlt, Tobias Elsäßer mit Jana Fuhrmann, Anne Freytag, Kathrin Schrocke, Kai Spellmeier und Tobias Steinfeld. 

Ilona Einwohlt, Jahrgang 1968, ist eine erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin. In ihren Romanen geht es um aktuelle Themen mitten aus dem Leben. Die Autorin ist als Bildungsreferentin mit Workshops und Vorträgen unterwegs, besonders zu Themen wie 'Rollenklischees und Sexismus in den Medien' und 'Digitale Identitäten'. Sie führt Veranstaltungen und Beratungen für Eltern und Jugendliche durch. Ilona Einwohlt lebt in Darmstadt.

Anne Freytag

French Connection

Ich glaube, anfangs wollte ich hauptsächlich wissen, wohin es führen würde. Wie weit wir bereit wären zu gehen. (Und ob ich den Mut hätte, es durchzuziehen, das auch.)

Es war klar, dass das mit uns nicht von Dauer wäre – immerhin war ich nur vier Wochen dort. Meine Eltern hatten meinen Aufenthalt bei Familie Lindley als Strafe betrachtet, ein vierwöchiger Intensivsprachkurs, den sie sich ein kleines Vermögen kosten ließen. Das Ziel: Meine Englischkenntnisse so weit zu verbessern, dass ich den Einstufungstest für das internationale Studium bestehen würde, das ihnen für mich vorschwebt. Insgeheim denke ich, dass ich nur ihretwegen so schlecht in Englisch war – bei der Art, wie sie jede andere Sprache außer Französisch verachten, wäre es kein Wunder. Früher brauchte man kein Englisch, sagt meine Mutter gern. Da hat man es auch so zu etwas gebracht. Heute ist das anders. Keine Ahnung, ob sie recht hat, Fakt ist, sie haben mich hingeschickt.

Alice – so heißt meine Gastmutter – holte mich vom Flughafen ab. Rückblickend denke ich, dass es bereits da angefangen hat – was mir zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht bewusst war. Wer würde schon damit rechnen? Klar, jeder Zwanzigjährige träumt von so was. Aber es passiert nicht – außer in französischen Filmen.

Sie stand in der Ankunftshalle mit einem Pappschild in der Hand. Klein und zierlich, eine Frau, die meine Mutter mit petite beschreiben würde. Ich wusste von dem Steckbrief, den das Sprachinstitut geschickt hatte, dass sie neununddreißig ist. Sie neununddreißig, ihr Mann Tom zweiundvierzig, die drei Söhne achtzehn, sechzehn und zwölf. Die Namen der Söhne hatte ich vergessen. In dem Steckbrief stand, dass sie regelmäßig Sprachschüler aufnehmen – eine Art Hobby von Alice, dem sie neben ihren Verpflichtungen als Hausfrau und Mutter nachkommt. Genau so stand es da. Meine Mutter schüttelte dabei nur verächtlich den Kopf und sagte: Amerikaner.

Als ich Alice dort stehen sah, wirkte sie nicht wie eine Mutter. Dafür schien sie mir zu schüchtern. Eher wie ein Mädchen, das man dort abgestellt hatte. Das Einzige, was sie zu einem sexuellen Wesen machte, waren ihre Beine. Proportional zur Körpergröße lang und schlank, so wie die Beine einer Frau, die viel laufen geht.

Als sie mich in der Menge entdeckte, sagte sie: »Henri?« Sie sprach es englisch aus. Ich korrigierte sie nicht.

Auf dem Parkplatz zündete ich mir eine Zigarette an, Alice war irritiert, das konnte ich sehen. Ich glaube, ich war der erste Raucher, dem sie je begegnet ist. Sie sagte nichts deswegen, wartete stattdessen geduldig, bis ich fertig war. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas von einem Stimmt, in Europa raucht ihr noch.

Wir stiegen in ihren Wagen – er war eiskalt, von der Klimaanlage. Runtergekühlt, als wären wir Leichen auf dem Weg zum Friedhof. Wir sprachen kaum, nur ein paar leere Sätze. Wie war der Flug? Hat alles geklappt? Auch bei der Einreise keine Probleme? Ich beantwortete ihre Fragen. Und währenddessen beobachtete ich sie heimlich. Alice war auf den Verkehr konzentriert und damit zu abgelenkt, um meine Blicke zu bemerken. Wir fuhren auf den Highway. Tausend Spuren und noch mehr Autos – und wir in einem riesigen SUV mit dieser winzigen Frau hinterm Steuer. Alice’ Rock war beim Einsteigen hochgerutscht, ihre Oberschenkel waren nackt. Ich verbot mir, hinzusehen, tat es aber dennoch immer wieder. Ihre Schenkel, ihr Profil. Ein Auf und Ab, das sich minutenlang hinzog. Mir ging durch den Kopf, dass sie einen schönen Nacken hat, etwas, das ihre Kurzhaarfrisur betonte. Burschikos geschnittenes blondes Haar, dunkle Augenbrauen, kleine Ohren.

Auf dem Familienfoto, das dem Steckbrief beilag, war sie vor lauter Männern kaum zu sehen gewesen. Eine kleine Person zwischen amerikanischen Schultern. Sie fiel mir damals nicht weiter auf. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, ihr Haar war zu der Zeit länger, weiß es aber nicht.

Die zweite Hälfte der Fahrt kam mir ewig vor. Lag vielleicht am Flug oder an der Schlaflosigkeit in der vorangegangenen Nacht. Mein Kopf war wach, mein Körper bleiern müde. Ich nickte auf dem Weg zu den Lindleys mehrfach ein. Die ersten Male wachte ich wieder auf, dann anscheinend nicht mehr, denn irgendwann waren wir da. Alice weckte mich mit einer Berührung am Arm. Die Einfahrt war so groß wie ein Fußballplatz.

»Da wären wir«, sagte sie und stieg aus. »Tom und die Jungs kommen erst später.«

Alice zeigte mir das Haus. Es war wie in einem amerikanischen Film. Sehr viele Bäder und Schlafzimmer und Bereiche, um Gäste zu empfangen. Ich wartete darauf, dass sie mir mein Zimmer zeigen würde, doch bei keinem der vielen Räume sagte sie etwas Entsprechendes.

Danach führte sie mich durch den Garten. Eine Art privater Park, der deutlich machte, wie viel Platz man in den USA haben kann. Wir erreichten eine zweite Terrasse, dann blieb Alice stehen und meinte: »Das ist das Gästehaus.« Sie reichte mir einen Schlüssel und ließ mich aufsperren.

Das Haus bestand aus einem Raum mit deckenhohen Fenstern, die man aufschieben konnte. Im Zentrum ein großes Bett, rechts eine Küchenzeile, die besser ausgestattet war als die meisten Küchen meiner Freunde in Paris. Links hinter einer Wand ein Badezimmer, das für amerikanische Verhältnisse klein war, mir aber geräumig erschien.

Ich lernte Tom und die Jungs erst am nächsten Morgen beim Frühstück kennen. Ich hatte mich am Abend zuvor nur kurz duschen und ein paar Minuten hinlegen wollen, und wachte dann am nächsten Tag auf, weil die Sonne mich blendete. Das Frühstück war verdammt gut und genauso fremd. Gespräche über Sport, über Toms Job, über die Schule. Alice trug das Essen auf wie eine Bedienstete. Meine Mutter hätte sich das nie bieten lassen. Meine Geschwister und ich mussten immer mithelfen, egal worum es ging, egal, wie klein wir waren.

Alice schien es als ihren Job zu betrachten – einen Job, für den sie in Liebe bezahlt wurde. Es gab von allem zu viel – Pancakes, Rührei, Speck, Waffeln, Ahornsirup. Ich weiß noch, dass ich dort saß und mich gefragt habe, ob sie wirklich jeden Morgen so essen, oder ob sie meinetwegen so dick auftragen. Aber Tom und die Jungs waren so unbeeindruckt, dass es wohl normal für sie war.

Bei uns zu Hause essen wir morgens getrennt und jeder kümmert sich selbst um sein Frühstück. Abends ist Familienzeit und wir wechseln uns mit dem Kochen ab. Bei den Lindleys war es wie in einem Hotel mit nur einer Mitarbeiterin.

Die erste Woche verlief unspektakulär. Ich war vormittags in meinem Sprachkurs auf dem Campus. Alice holte mich ab, wir aßen zusammen zu Mittag, dann hatten wir unsere privaten Conversationlessons. Am fünften Tag hatte ich das erste Mal Gedanken, die mit ihr und Sex zu tun hatten. Sie fragte, ob es für mich okay wäre, eine längere Pause nach dem Essen einzulegen. Ich sagte Ja, ohne nachzufragen, warum.

Kurz darauf schwamm sie Bahnen vor meinen geöffneten Fenstern. Ich saß auf dem Bett und sah ihr zu. Ich wollte immer lernen zu kraulen, in meinen Augen war es die einzig richtige Art zu schwimmen, doch ich beherrschte sie nicht – ganz im Gegensatz zu Alice. Sie glitt durch das Wasser, durchpflügte es nahezu lautlos mit den Händen, schaute alle paar Züge kurz hoch, atmete ein, schwamm weiter. Als sie irgendwann meinen Blick bemerkte, fragte sie, ob ich auch schwimmen wollte. Es kam mir komisch vor, allein mit ihr im Pool, aber ich wollte nicht unhöflich sein.

Sie bestand darauf, dass ich Sonnenschutz benutzte, Rücken und Schultern cremte sie mir ein, dann bat sie mich, dasselbe bei ihr zu tun. Als ich ihren Nacken und ihre nackten Schultern berührte, kamen die Gedanken das erste Mal. Danach zeigte sie mir, wie man krault. Sie erwies sich als gute Lehrerin, ich lernte es relativ schnell.

Im Anschluss setzten wir uns in unseren nassen Schwimmsachen auf die Terrasse des Haupthauses und unterhielten uns auf Englisch. In den Tagen davor hatte sie Lektionen aus einem Buch mit mir bearbeitet. Doch an jenem Tag nicht. Kein Buch, nur Fragen, die wir uns gegenseitig stellten. Ich wollte wissen, warum sie Sprachkurse gibt, ob sie ursprünglich aus Kalifornien kommt, wie es ist, mit so vielen Männern zusammenzuleben. Sie fragte nach meiner Familie, danach, wie es sich in Paris so lebte, ob ich eine Freundin hätte. »Sie wird dich doch bestimmt sehr vermissen, wenn du so lang weg bist.« Ich sagte die Wahrheit, dass ich in keiner Beziehung war. Dass ich nach nichts Festem suchte. Dass ich erst mehr Erfahrungen sammeln wollte. Ich hatte es bereits ausgesprochen, als mir klar wurde, wie zweideutig meine Aussage rübergekommen sein musste und entschuldigte mich. Alice winkte ab. Sie sagte, sie hätte es nicht so verstanden – doch ihre geröteten Wangen sagten das Gegenteil.

Danach erzählte sie, was sie den ganzen Tag über so tat – aufräumen, kochen, einkaufen, putzen – und wenn sie mit allem fertig war, laufen. Sie sagte: »Es gibt ein paar schöne Laufstrecken in der Gegend. Falls du mal mitkommen willst?« Ich schüttelte den Kopf und...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Behinderung • divers • Diversität • Erotik • Erotische Geschichten • erstes Mal • Gänsehaut • Geschlechtsverkehr • Kribbeln • Kurzgeschichten • Küssen • Leidenschaft • Lesbisch • LGBTQ • Liebe • Lust • Nackt • romantisch • Schwul • Sexualität
ISBN-10 3-522-62204-9 / 3522622049
ISBN-13 978-3-522-62204-2 / 9783522622042
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