Die Nebel des Morgens (eBook)

Verbotene Erinnerungen des letzten Nibelungensohns. Roman
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2009 | 1. Auflage
703 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-8387-0030-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Nebel des Morgens -  Viola Alvarez
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Europa im späten fünften Jahrhundert. Ein Skalde wird von zwei Soldaten entführt und verschleppt. Obwohl der Dichter seit zwei Jahren kein Wort mehr gesprochen hat, ist er für den machtgierigen Auftraggeber der Entführung, einen minderen Burgunderkönig am Rhein, wertvoller als pures Gold.

Denn er ist Bryndt Högnisson, das Kind von Königin Brynhild und ihrem heimlichen Geliebten Hagen von Tronje. Und Bryndt ist der Einzige, der die Wahrheit über die namenlose Tragödie im Hunnenland kennt ...

Vor dem Anfang

Eine Geschichte mit ihrem Anfang zu beginnen, hieße zu glauben, dass es ein Ende geben könnte. Beides ist eine Lüge. Diese Geschichte hat keinen Anfang, und sie hat kein Ende.

Es gibt nur Erinnerungen und Vergessen. Das Vergessen gewinnt schließlich immer. Der Kampf zwischen Lügen und Wahrheit endet auf einem verlassenen Schlachtfeld, und nichts bleibt außer stummen Trümmern, die beiden gedient haben.

Dies ist die Geschichte meiner Familie. Alle haben sie mittlerweile so oft gehört, dass es jedem so vorkommt, als ginge es dabei um Leute, die man wirklich kennt. Für mich trifft das zu.

Ich erzähle von wirklichen Menschen, nicht jenen Sagengestalten, die überlebensgroß durch hehre und doch simple Lieder sirren. Ich weiß, wie sie aussahen, wie sie klangen, wie sie rochen.

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass dies wirklich nur meine Geschichte ist, eine Familiengeschichte. Etwas, das wir alle haben, vor dem wir alle fortlaufen, was uns trotzdem sagt, wer wir sind.

Heimlich, verborgen hinter meiner Stille, der Gleichmut gegen die Dummheit und Brutalität, die mich umgibt, wünsche ich mir, dass es allein meine Erinnerung an Untergegangene, Vergessene und Verzerrte wäre, die mir erklären würde, was unerklärlich ist. Eine Geschichte, die mich in dieser Welt verankert, in der es mir immer so schwer gefallen ist zu sein. Ich wünsche mir, dass mein Leben einen Sinn hätte durch meine Geschichte, das Leid, die Tränen, das viele ungewollte Sehen, die Worte, die mir so leicht kommen. Aber es ist nicht nur meine Geschichte. Es ist die Geschichte so vieler Menschen, fast alle tot zu dieser Zeit, eine Geschichte der Untergegangenen. Es gibt Menschen, die habe ich gesehen, in Nord, Ost, Süd und West, denen ist nie etwas Besonderes geschehen. Sie leben, sie arbeiten, sie sterben. Ich habe diese Menschen lange beneidet.

Was macht meine Geschichte anders?

Es ist etwas daran, das mit Recht zu tun hat.

Vielleicht ist das der Sinn meines Lebens, vielleicht der einzige, diese Geschichte zu erzählen, um das Unrecht zu Recht zu machen, die Lügen zu Wahrheit. Mag sein, dass ich nicht das Ende dieses Liedes bin, sondern nur eine Wendung.

Ich überlasse es, Ihr Fremden, Eurem Urteil.

Wenn meine Mutter diese Geschichte erzählte, später in ihrer Krankheit, dann fing sie immer so an:

»Als die Götter sich langweilten, begannen sie ein Spiel.

Sie warfen uns alle in einen Beutel wie Runen und schüttelten uns im Dunkeln hin und her. Dann leerte Odin selbst den Beutel aus und lachte. ›Jetzt wollen wir sehen!‹, sagte er, ›jetzt wollen wir sehen, wo sie hingehen werden, wenn ihnen nicht mehr schwindlig ist!‹ Und seine Raben lachten auch.

Dann sahen die Götter uns zu, wie wir versuchten, uns zurechtzufinden. Aber es unterhielt sie nicht lange. Als die Götter sich langweilten und spielten, gaben sie nicht Acht. Es geschahen Fehler«, sagte sie. Dann sah sie mich an.

War ich das in ihren Augen? Ein Fehler? Oder bat sie im Gegenteil mich um Verzeihung für die Fehler, die sie selbst gemacht hatte. Fehler, die mein Leben lange formen sollten, zu lange. Ich brauchte so viele Jahre, bis ich aufhörte, nur der Sohn meiner Eltern zu sein. Alte Fehler, junge Fehler, es ist egal.

Ich bin lange kein Kind mehr. Ich glaube nicht an die Götter und ihre Spiele. Ich glaube nur an den Wind und seine Worte. Ich bin nicht verrückt, auch wenn alle das denken.

Meine beiden Wächter unterhalten sich oft darüber, wie seltsam ich ihnen vorkomme. »Der hat sie doch nicht alle«, sagt der, der wie ein Hahn aussieht. Das sagt er jeden Morgen, seit sieben Tagen. »Der ist so verrückt wie eine Fledermaus«, sagt dann der andere jedes Mal in seiner nervtötenden Einfallslosigkeit. Jeden Morgen, seit sieben Tagen. Der Hahn und der Einfallslose – das ist nun meine Gesellschaft. Sie finden alles, was ich tue oder meistens eher nicht tue, bemerkenswert, als Beweis meiner Verrücktheit. Mein Geisteszustand scheint sie sehr zu beschäftigen, ich vermute, ihr Auftraggeber hat sie entsprechend vorbereitet. Ich finde es viel eher bemerkenswert, dass jemand so beschränkt sein kann und doch die weite Reise gemeistert hat, um mich zu finden. Zumal ich mich selbst schon fast vergessen hatte. Es macht mir nichts aus, dass sie mich umbringen wollen.

Ich warte.

Sie wollen, dass, was ich weiß, mit mir verloren geht. Was für eine dumme Vorstellung. Was ich weiß, kann jeder andere auch wissen, wenn er nur zu hören wüsste. Es ist das Zuhören, das die anderen nicht können. Ich kann.

Wenn ich mein Ohr in den Wind lege, auf schrägem Hals, sodass mir kein Flüstern verloren geht, dann weiß ich genau, wie es war. Ich erinnere mich an alles. Ich kenne sie genau, die Lebenden und die Toten, jeden ihrer Gedanken. Und wenn auch das Vergessen schließlich gewinnen muss, dann habe ich aber noch nicht aufgegeben. Mit meinem Atem will ich noch einmal an ihm vorbeireiten, ihm meine Wortkrieger zeigen, meine ganze Macht des Erinnerns. Dann kann es kommen und mich vernichten. Ich habe nicht gelernt, wie man aufgibt.

Woher hätte ich es lernen sollen? Von ihr? Von ihm? Der Wind lacht. Ich lache auch. Ich weiß genau, was geschah. Ich habe keine Angst. Wenn mein Tod kommen wird, werden zwei herrliche Frauen in goldenem Glanz mich in die Halle meiner Ahnen führen, wo meine Lieben schon jetzt auf mich warten, alle.

So wird es sein, oder?

Als die Götter sich langweilten, da flüsterten sie den irdischen Herrschern ins Ohr, dass sie sich erheben, dass sie herumziehen und sich an Erfahrungen bereichern sollten. Aber die Könige und Fürsten des Südens, des Ostens und des Westens hörten den Göttern nur schlecht zu. Sie verstanden nur »Reichtum«. Sie sprangen auf und schrien nach ihren Pferden. Und alle ritten nach Rom, wo sie reich werden wollten, diese Toren.

Allein die Herrscher des Nordens hörten besser zu. Sie erzählten zuerst ihren Frauen und dann ihren Räten von den Worten der Götter. Sie saßen zusammen und dachten nach. Dann beschlossen sie zu warten. Die Götter hatten nicht gesagt, dass sie sofort aufbrechen sollten. Deswegen zogen sie nicht nach Rom, noch nicht. Wenn alle nach Rom zögen, dachten sie, dann gäbe es wohl nur einen, der dort auch ankäme. Mit dem könnte man sich ja dann später treffen. Wenn Odins Raben schon fett wären.

»Das ist gut, wir warten, wer ankommt«, sagten die Räte.

»Warten ist immer gut«, sagten die Frauen, »es wird auch Winter. Da muss man nicht unbedingt nach Rom fahren.«

Und die Herrscher und Könige des Nordens warteten.

Meine Mutter war Königin auf den Inseln.

Nur die ganz Alten wissen noch von ihr. Niemand lernt die Namen ihrer Ahnen, denn sie wollte vergessen werden. Selbst die ganz Alten, die sie noch kennen, haben Angst, sich zu erinnern. Mittlerweile reden alle so, als wäre meine Mutter eine Göttin, aus Feuer und Eis geboren, kein Mensch. Was für ein Unsinn.

Ich kenne meine Ahnen.

Meine Mutter war Brynhild Svenkesdottir, Tochter der Ylva, Tochter des Svenke, beide aus dem Geschlecht der gefürchteten Königin Yenka mit den blauen Zähnen.

Die Namen meiner Ahnen strahlen heller als jeder polierte Schild in der Morgensonne. Es waren tapfere Krieger und starke Bauern, große Lügner und herrliche Denker, große Könige und Königinnen zu ihrer Zeit. Ich vergesse keinen.

Es begann zu einer Zeit, da die Sonnenbarke einen Tag lang verankert geblieben war und viele sich um den Fortgang des Lebens sorgten. Das war vor mehr als einhundert Jahren.

König Vymanrik, der Tapfere, erschreckt durch die Dunkelheit dieses Tages, ließ verkünden, dass er zur Fortsetzung des Lebens eine Frau nehmen wolle. Und von überallher brachten ehrgeizige Leute sogleich ihre Töchter, eine schöner als die andere. Starke, gesunde Mädchen, an denen nichts auszusetzen war. Mein Ahnvater jedoch hatte keinen Sinn für schöne Frauen, er war ein alter Kampfstier, dem man außer Schnauben und Scharren nichts Neues mehr beibringen konnte. Er sah die vielen Mädchen nur an und zuckte die Schultern: »Die sehen alle gleich aus«, klagte König Vymanrik seinen Räten. »Woher soll ich wissen, welche sich zur Königin eignen würde, die mein Reich verteidigt, wenn ich tot bin?«

Die Räte berieten eingehend und verkündeten: »Versprecht allen eine Kleinigkeit, schenkt sie ihnen und nehmt sie ihnen dann wieder weg. Eine wahre Königin wird sich daran beweisen.«

Und König Vymanrik schenkte jeder von ihnen einen Ring aus rotem Gold, in den war Wolfshaar eingeflochten. Und jeder sagte er, nur sie erhalte diesen Gunstbeweis. Dann, als alle sich freuten, die Auserwählte zu sein, ging er hin und forderte den Ring zurück. Einige Mädchen weinten, einige schmollten, einige riefen nach ihren Vätern. Aber alle gaben den Ring zurück.

Nur eine weigerte sich: »Das ist mein Ring, König«, sagte sie und sträubte sich.

»Gib ihn mir, ich will ihn wiederhaben«, forderte Vymanrik und streckte die Hand aus, ihn der Störrischen vom Finger zu ziehen. Da biss sie ihm, so fest sie konnte, in den Daumen, dass schon Blut kam. Hätte er nicht aufgegeben, sie hätte ihm den Daumen abgebissen, das ist sicher.

»Donnerwetter!«, sagte König Vymanrik und war auf einmal ganz verliebt. Er sah dann auch, dass das Mädchen vorn zwei blaue Zähne hatte, und fand sie unvergleichlich schön. Keine der anderen hatte blaue Zähne. Keine der anderen hatte überhaupt ihre Zähne benutzt, um Vymanriks Herz zu gewinnen.

Die es getan hatte, hieß Yenka Fyrlissdottir und kam von den östlichen Bergen, wo zwischen Steinen und Regen die...

Erscheint lt. Verlag 17.3.2009
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel Die Nebel des Morgens
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Literatur Historische Romane
Schlagworte 5. Jahrhundert • 5. Jh • Aley • Altertum • Brünnhild • brynhild • Deutschland • Frankreich • Goten • Gunther • Hagen von Tronje • Helmut Brackert • Historical • Historienroman • Historische Romane • Historischer Roman • Historisches Buch • Hunnen • Island • Jahrhundert Trilogie • Ken Folett • Ken Follet • Ken Follett • Kreuzzüge • Kriemhild • Kulturgeschichte • Legende • Mainz • Mittelalter • Mystik • Neuerzählung • Nibelungen • Nibelungenlied • Nibelungensage • Niebelungen • Niebelungenlied • Niebelungensaga • Nie sollst du mich befragen • Odenwald • Rätsel der Vergangenheit • Rebecca Gable • Regensburg • Rhein • Richard Wagner • Roman zur Legende • Saga • Sage • Schatz des Nibelungen • Siegelinde • Siegfried • Sieglinde • Sigismund • Spessart • Überlieferung • Wagner-Festspiele • Walküre • Wallküre • Warringham • Worms
ISBN-10 3-8387-0030-9 / 3838700309
ISBN-13 978-3-8387-0030-4 / 9783838700304
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