Die Mondspielerin (eBook)

Roman

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41264-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Mondspielerin -  Nina George
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Der ebenso poetische wie lebenskluge internationale Erfolgs-Roman 'Die Mondspielerin' von Spiegel- und New-York-Times-Bestseller-Autorin Nina George jetzt einer liebevoll gestalteten Sonderausstattung im Geschenkformat mit hochwertiger Veredelung: 'Für Bretagne-Fans, Frauen- und Menschenmöger sowie Lebensgenießer ein Muss.' Welt am Sonntag Schluss mit mir! Das ist Mariannes sehnlichster Wunsch, als sie sich in Paris in die Seine stürzt. Doch das Schicksal will es anders - sie wird gerettet. Die 60-jährige Deutsche, die kein Wort Französisch spricht, flüchtet vor ihrem lieblosen Mann bis in die Bretagne. Dort begegnet sie dem Maler Yann, und es gelingt ihr, mit neu erwachendem Mut und überraschender Zähigkeit ein neues Leben zu wagen. Ihr eigenes. »Ein liebevolles, warmherziges und lebenskluges Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen mag.« Hamburger Abendblatt ?Die Mondspielerin? - »Eine Geschichte voller Hoffnung, Weisheit und bretonischem Zauber; eine Geschichte über das eigene Leben, für das es nie zu spät ist.« Pforzheimer Zeitung

Die mehrfach ausgezeichnete internationale Bestsellerautorin Nina George, geboren 1973 in Bielefeld, schreibt seit 1992 Romane, Sachbücher, Essays, Reportagen, Kurzgeschichten, Blogs und Kolumnen. Ihr Roman Das Lavendelzimmer wurde in 36 Sprachen übersetzt und eroberte weltweit die Charts, so etwa die New York Times-Bestsellerliste in den USA. Mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Jens J. Kramer, schreibt Nina George als Jean Bagnol Provencethriller. Sie lebt in Berlin und in der Bretagne. Seit Juni 2019 ist Nina George Präsidentin des European Writers' Council, dem Dachverband von 40 europäischen Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverbänden.

Die mehrfach ausgezeichnete internationale Bestsellerautorin Nina George, geboren 1973 in Bielefeld, schreibt seit 1992 Romane, Sachbücher, Essays, Reportagen, Kurzgeschichten, Blogs und Kolumnen. Ihr Roman Das Lavendelzimmer wurde in 36 Sprachen übersetzt und eroberte weltweit die Charts, so etwa die New York Times-Bestsellerliste in den USA. Mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Jens J. Kramer, schreibt Nina George als Jean Bagnol Provencethriller. Sie lebt in Berlin und in der Bretagne. Seit Juni 2019 ist Nina George Präsidentin des European Writers' Council, dem Dachverband von 40 europäischen Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverbänden.

1


Es war die erste Entscheidung, die sie alleine traf. Das erste Mal eben, dass sie bestimmte, was zu tun war.

Marianne beschloss zu sterben. Jetzt. Hier. Da unten in den Wassern der Seine, am Ende dieses grauen Tages.

Kein Stern war zu sehen. Der Eiffelturm verblasste hinter dunstigem Smog. Paris sonderte ein Rauschen ab, ein ständiges Rauschen, Motorroller, Autos, das Raunen der Metro tief im Bauch der Stadt.

Das Wasser war kühl, schwarz und sanft. Die Seine würde sie mitnehmen, in einem Bett aus Freiheit und Stille bis ins Meer.

Tränen liefen ihr die Wangen herab, Perlenfäden aus Salz. Marianne lächelte, während sie weinte. Niemals zuvor hatte sie sich so leicht gefühlt. So frei. So glücklich.

»Meine Sache«, flüsterte sie. »Meine Sache.«

Sie zog die mehrfach nachbesohlten Schuhe aus, die sie vor fünfzehn Jahren gekauft hatte. Heimlich, kein Sonderangebot, Lothar hatte mit ihr geschimpft, als er es erfuhr. Dann hatte er ihr das Kleid dazu geschenkt. Zweite Ware, Webfehler, Preisnachlass, ein graues Kleid mit grauen Blumen. Auch das trug sie heute.

Das letzte Heute. Als sie noch all die Jahre und Jahrzehnte vor sich gehabt hatte, war ihr die Zeit unendlich erschienen. Wie ein Buch, das darauf wartet, geschrieben zu werden, so war ihr das Leben, das noch vor ihr lag, als junges Mädchen vorgekommen. Nun war sie sechzig, und die Seiten waren leer.

Die Unendlichkeit war wie ein einziger, grauer Tag vergangen.

Sie plazierte die Schuhe akkurat nebeneinander auf die Bank neben sich. Dann überlegte sie kurz und stellte sie auf den Boden. Sie wollte nicht, dass die Bank dreckig wurde, eine schöne Frau einen Fleck auf ihrem Rock bekam und darüber in Verlegenheit geriet.

Sie versuchte, ihren Ehering abzuziehen. Es gelang ihr nicht. Sie nahm den Finger in den Mund, schließlich rutschte der Ring ab. Darunter war die Haut hell.

Auf der anderen Straßenseite des Pont Neuf schlief ein Mann auf einer Bank. Er trug ein schmal gestreiftes Hemd wie ein Fischer, und Marianne war dankbar, dass er ihr den Rücken zukehrte.

Sie legte den Ring zu den Schuhen. Irgendeiner würde ihn schon finden und einige Tage davon leben können, wenn er ihn versetzte. Ein Baguette, Pastis, ein Stück Speck. Etwas Frisches. Nichts aus dem Müll. Vielleicht noch eine Zeitung, die ihn wärmte.

»Schluss mit abgelaufenen Lebensmitteln«, sagte sie.

Lothar hatte ihr die Sonderangebote in den Wochenblattbeilagen angekreuzt. Wie andere das Fernsehprogramm der Woche markieren. Samstag: Wetten, dass …? Sonntag: Tatort. Montag: Paradiescreme mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. Es wurde gegessen, was angekreuzt war.

Marianne schloss die Augen.

Lothar. Für seine Freunde Lotto. Oberstabsfeldwebel der Artillerie, Mutter der Kompanie.

Lothar Messmann, wohnhaft in Celle, im letzten Haus einer Sackgasse, eine Siedlung wie ein Märklinland, der Jägerzaun direkt am Wendehammer. Ein Mann, dem das Altern gut stand.

Lothar. Er liebte seinen Beruf. Er liebte sein Auto. Und er liebte den Fernseher. Er saß immer auf dem Sofa, ein Tablett mit Essen vor sich auf dem gekachelten Tisch, die Fernbedienung in der linken Hand, die Gabel in der rechten, den Ton ganz laut, wie es Artilleristen brauchen.

»Schluss mit Lothar«, flüsterte Marianne.

Sie schlug sich auf den Mund. Hatte sie jemand gehört?

Sie knöpfte den Mantel auf. Vielleicht wärmte er noch jemanden, auch wenn sie das Futter so oft genäht hatte, dass es ein unruhiges, vielfarbiges Muster aufwies. Lothar hatte ihr von seinen Reisen nach Bonn und Berlin zur Zentralverwaltung stets die Shampoofläschchen und das Nähgarn aus den Hotels mitgebracht. Kleine Manschetten aus Pappe. Graues Garn, schwarzes, weißes, rotes.

Wer braucht schon rotes?, dachte Marianne und begann, den hellbraunen Mantel zu falten, Kante auf Kante. So wie sie Lothars Taschentücher gefaltet hatte, die gebügelten Handtücher, Kante auf Kante.

Nicht einmal im Leben hatte sie Rot getragen. »Die Farbe der Huren«, hatte ihre Mutter gezischt und ihr eine Ohrfeige gegeben, als Marianne als Elfjährige mit einem roten Halstuch nach Hause gekommen war; sie hatte es gefunden, es hatte nach einem blumigen Parfüm gerochen.

Auf dem Montmartre hatte eine Frau am Rinnstein gehockt. Ihr Rock war hochgerutscht, und sie hatte rote Schuhe getragen. Ihre verweinten Augen waren mit Lidschatten verschmiert. »Nur eine betrunkene Hure«, hatte jemand aus der Reisegruppe gesagt. Als Marianne zu ihr gehen wollte, hatte Lothar sie festgehalten. »Mach dich nicht lächerlich, Annilein, die ist doch selber schuld.«

Er hatte sie daran gehindert, der Fremden zu helfen, und Marianne weiter in das Restaurant gezogen, in dem die Busreisegesellschaft einen Tisch bestellt hatte. Marianne hatte über die Schulter geschaut, bis die französische Reiseleiterin ihr kopfschüttelnd erklärt hatte: »Je connais la chanson – es ist immer dieselbe Leier, dabei ist es ihre eigene Schuld.«

Lothar hatte genickt, und Marianne hatte sich selbst dort im Rinnstein gesehen. Das war der Anfang, und nun stand sie hier.

Sie war noch vor der Vorspeise gegangen, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, zu sitzen und zu schweigen. Lothar hatte es nicht bemerkt, er war in ein Gespräch verwickelt, das er seit zwölf Stunden führte. Mit einer Frau aus Burgdorf, einer fröhlichen Witwe. Die Frau quiekte ständig »incroyable! – unglaublich!«. Ganz gleich, was Lothar sagte. Sie trug einen roten BH unter der weißen Bluse.

Marianne war nicht einmal eifersüchtig gewesen. Nur müde. Sie hatte das Lokal verlassen und sich immer weiter treiben lassen, bis sie mitten auf dem Pont Neuf stehen geblieben war.

Lothar. Es wäre einfach gewesen, ihm die Schuld zu geben.

Aber so einfach war es nicht.

»Selber schuld, Annilein«, wisperte Marianne.

Sie dachte an ihre Hochzeit im Mai vor einundvierzig Jahren. Ihr Vater hatte ihr auf seinen Stock gestützt zugesehen, wie sie Stunde um Stunde vergeblich gewartet hatte, von ihrem Mann endlich zum Tanz gebeten zu werden. »Mein Stehaufmädchen«, hatte Mariannes Vater gesagt, seine Stimme vom Krebs geschwächt. Sie hatte gefroren in dem dünnen weißen Kleid und nicht gewagt, sich zu bewegen. Nicht dass alles nur ein Traum gewesen war und aufhörte, sobald sie einen falschen Schritt tat.

»Versprichst du mir, dass du glücklich wirst?«, hatte ihr Vater sie gefragt, und Marianne hatte mit »ja« geantwortet. Sie war neunzehn.

Am Ende war das nichts weiter als eine große Lüge gewesen.

Ihr Vater war zwei Tage nach der Hochzeit gestorben.

Marianne schüttelte den gefalteten Mantel wieder auf, schleuderte ihn auf den Boden und trampelte mutwillig auf ihm herum.

»Schluss! Schluss jetzt! Schluss mit mir!« Sie trat ein letztes Mal auf den Mantel und kam sich verwegen vor.

Das Gefühl verging so rasch, wie es aufgebrandet war. Sie hob den Mantel auf und legte ihn auf die Lehne der Bank.

Selber schuld.

Es gab nun nichts mehr, das sie ablegen konnte. Sie besaß keinen Schmuck. Keinen Hut. Sie besaß nichts. Ihre abgeschabte Handtasche, in der sich ein Paris-Reiseführer, ein paar Salz- und Zuckertütchen, eine Haarklammer, ihr Ausweis und ihre Geldbörse befanden, stellte sie zu den Schuhen und dem Ring.

Marianne begann, auf die Brüstung zu steigen. Sie rollte sich erst auf den Bauch, zog das andere Bein nach und drohte dann zurück über die Kante abzurutschen. Ihr Herz klopfte hart, ihr Puls raste, der rauhe Sandstein schürfte ihre Knie auf.

Ihre Zehen fanden einen Mauerspalt, sie drückte sich nach oben. Dann hatte sie es geschafft. Sie setzte sich auf und schwang ihre Füße über den Rand der Brüstung.

Nur abstoßen und fallen lassen, dabei gab es nichts falsch zu machen.

Marianne dachte an die Mündung der Seine bei Honfleur, die ihr Körper nach all den Schleusen und Ufern passieren würde, bevor er das Meer erreichte. Sie stellte sich vor, wie sie sich auf den Wellen um sich selber drehen würde; als ob sie tanzte, zu einem Lied, das nur sie und das Meer würden hören können. Honfleur. Da war Erik Satie geboren; sie liebte seine Musik, liebte ohnehin jede Art von Musik. Musik war wie ein Film, den sie hinter geschlossenen Lidern sah, und bei Satie sah sie das Meer, obgleich sie nie am Meer gewesen war.

»Ich liebe dich, Erik. Ich liebe dich«, flüsterte Marianne; nie hatte sie das zu einem anderen Mann als Lothar gesagt.

Wann hatte er zuletzt gesagt, dass er sie liebte?

Hatte er es jemals gesagt?

Marianne wartete auf die Angst, doch sie kam nicht.

Der Tod ist nicht umsonst. Er kostet das Leben.

Was ist meines wert?

Nichts.

Kein fairer Tausch für den Teufel.

Selber schuld.

Als sie ihre Hände fest in die Steinbrüstung stemmte und nach vorn rutschte, zögerte Marianne und dachte an die Orchidee, die sie im Müll gefunden hatte. Dass sie nach einem halben Jahr Pflege und Vorsingen nun nicht erleben würde, wie sich die Knospe öffnete.

Dann stieß sich Marianne mit beiden Händen ab.

Der Sprung wandelte sich zum Fall, der Fall riss ihr die Arme hoch. Während sie in den Wind hineinfiel, dachte Marianne an die Lebensversicherung, die bei Selbstmord nicht ausgezahlt werden würde. 124 563 Euro perdu. Lothar würde außer sich sein.

Doch ein fairer Tausch.

Mit diesem Gedanken schlug Marianne in der eiskalten Seine auf. Ein Gefühl der wilden Freude, das sich in tiefe Scham verwandelte, als ihr graues Blumenkleid ihren Kopf umschloss, während sie versank. Sie...

Erscheint lt. Verlag 4.7.2011
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bretagne • Essen • Hafen • Leben • Liebe • Liebes-Roman • Mythen • Paris • Selbstmordversuch • Tod • Trinken
ISBN-10 3-426-41264-0 / 3426412640
ISBN-13 978-3-426-41264-0 / 9783426412640
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