Frauen und Popkultur -  Maren Volkmann

Frauen und Popkultur (eBook)

Feminismus, Cultural Studies, Gegenwartsliteratur

(Autor)

Thomas Hecken (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
480 Seiten
Posth Verlag
978-3-9812987-7-2 (ISBN)
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Weibliche Fans, Popmusik, Frauen in der Punk- und Rockmusikerszene, Riot Grrrl, Post- und Popfeminismus - das Verhältnis von Popmusik und Gender hat in den letzten Jahrzehnten viele Autorinnen beschäftigt. 'Frauen und Popkultur' gibt einen Überblick zu Untersuchungen aus dem angloamerikanischen Raum, die seit den 1970er Jahren in den Cultural Studies und im avancierten Musikjournalismus männliche Sichtweisen herausgefordert haben. Deren Ergebnisse und Thesen werden genutzt, um Romane von Kerstin Grether, Francoise Cactus u.a. in Hinblick auf gender und (post-)feministische Positionen zu analysieren.

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Einleitung


Im Jahre 2008 wird junge, deutschsprachige Literatur von Frauen vor allem mit einem Namen in Verbindung gebracht: Charlotte Roche. Die einstige VIVA-II-Moderatorin und Jungfeministin veröffentlicht mit »Feuchtgebiete« ihren ersten Roman und gerät damit in die Schlagzeilen, weil sie alle Erwartungshaltungen, die man gemeinhin an eine weibliche Autorin stellt, durchbricht. Anstatt sich um die vermeintlich weibliche Sphäre der Gefühle und Gedanken zu drehen, erzählt »Feuchtgebiete« die Geschichte der 18-jährigen Helen, die wegen einer Analfissur, die sie sich bei der Rasur zugezogen hat, im Krankenhaus liegt. Von dort aus berichtet sie »bildhaft Detailgetreues über blumenkohlförmige Hämorrhoiden, die wechselnde Konsistent ungewaschenen ›Muschischleims‹, blutige ›Arschsex‹-Praktiken und beherztes Tampon-Recycling«.1 Die »Welt« nennt Roches Roman ein »Minenfeld des Ekligen«,2 die »Süddeutsche Zeitung« bezeichnet ihn als »Monstrum, das der übermächtigen und hyperperfekten Heidi-Klum-Welt trotzt«.3 Ob man »Feuchtgebiete« nun der kurzweiligen Effekthascherei auf Grund der vielen proktologischen Nahaufnahmen und Ekel-Episoden anklagen möchte oder ihn doch als feministischen Roman interpretiert, der Position gegen die weibliche Unterdrückung durch den Hygienezwang bezieht – fest steht, dass »Feuchtgebiete« das meistverkaufte Buch im Jahr 2008 ist; sieben Monate lang steht es an der Spitze der Belletristik-Charts.4

Dieser Erfolg ist umso erstaunlicher, als Roche ein äußerst unkonventionelles Bild von Weiblichkeit in ihrem Roman entwirft. Protagonistin Helen verfügt über eine aggressive Sexualität, lebt diese in Form einer Reihe außergewöhnlicher Sexualpraktiken offensiv aus, erkundet neugierig jede Pore ihres Körpers. Gefühle und Emotionen werden bei ihren teilweise sicherlich schmerzhaften Erfahrungen im Krankenhaus weitgehend ausgeblendet. Auch Männer scheinen für sie auf emotionaler Ebene uninteressant zu sein – was zählt, ist ausschließlich die sexuelle Befriedigung. Helen ist die Einzige, die über sich und ihren Körper bestimmen darf.

»Feuchtgebiete« evoziert nicht zuletzt die Frage nach dem Feminismus in Deutschland: Während der Dritte-Welle-Feminismus vorwiegend im angloamerikanischen Raum stattfindet und nahezu unbemerkt an Deutschland vorbeizieht, scheint Alice Schwarzer und ihr Zweite-Welle-Feminismus der einzige feministische Referenzpunkt im deutschsprachigen Bereich zu sein. Doch was hat dieser Feminismus jungen Frauen noch zu bieten? Ist er nicht zu antiquiert, um ihre Lebensrealitäten zu spiegeln? »Feuchtgebiete« scheint auf der einen Seite zu signalisieren, dass Feminismus keineswegs passé ist, auf der anderen Seite macht der Roman jedoch deutlich, dass das Modell des Zweite-Welle-Feminismus überholt ist. Doch wie muss ein »aktualisierter« Feminismus heute aussehen?

Genau diese Diskussion um einen »Neuen Feminismus« wird mit einer Reihe von Sachbüchern, die zeitnah zu »Feuchtgebiete« auf den Markt kommen, geführt: »Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht« (2008) von Susanne Klingner, Barbara Streidl und Meredith Haaf, »Neue Deutsche Mädchen« (2008) von Jana Hensel und Elisabeth Raether, »Das F-Wort: Feminismus ist sexy« (2007) von Mirja Stöcker, »Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus« (2007) von Silvana Koch-Mehrin, »Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird« (2006) von Thea Dorn. Die Autorinnen dieser Bücher haben zum größten Teil einen journalistischen Background und sind durchschnittlich um die dreißig Jahre alt. Ihr Ziel ist es, einen neuen Feminismus zu formulieren, der sowohl in Abgrenzung zu Eva Herrmanns »Eva-Prinzip«, das für die traditionelle Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter plädiert, als auch zu Alice Schwarzers Themen, die ihnen teilweise nicht mehr relevant erscheinen, verstanden werden kann. Die Frau von heute will Karriere machen und Familie haben; sie will selbstbestimmt leben und in dieser feministischen Lebensweise gleichzeitig sexy sein. Dieser Entwurf eines »Neuen Feminismus« wirkt alles andere als radikal, vergleicht man ihn mit den Forderungen, die der Zweite-Welle-Feminismus in den 70er Jahren gestellt hat. Seit dieser Zeit haben sich die Lebensumstände für Frauen geändert – die Forderungen der Zweiten Welle sind zu einem großen Teil zu Lebensrealitäten geworden. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern scheinen nicht mehr so präsent, als dass sie zu einem politischen Kampf herausfordern würden. Dieser Zustand der geringen Sichtbarkeit birgt die Gefahr in sich, nun anzunehmen, dass Frauen alles erreicht haben und dass sie den Männern gleichgestellt sind. Doch in Zeiten, in denen Frauen immer noch weniger Lohn als Männer für gleiche Arbeit bekommen und die Chefetagen in männlicher Hand sind, lässt sich leicht erahnen, dass dies sicherlich noch nicht der Fall ist – und dass damit der Feminismus immer noch von Belang ist. Die eben angeführten Sachbücher projizieren ihre Vorstellung von Feminismus also konsequenterweise auf die Bereiche, die in den Nuller Jahren und in Zeiten der Leistungsgesellschaft für Frauen relevant sind; so nimmt z. B. die Frage, wie sich Kind und Karriere optimal miteinander vereinbaren lassen, einen wichtigen Platz ein. Auch weibliche Homosexualität und Schönheitswahn werden häufig diskutiert, allerdings sind dies Themen, die bereits etliche Jahre zuvor auf der feministischen Agenda im angloamerikanischen Raum standen. Im Jahre 1970 veröffentlicht die australische Feministin Germaine Greer »The Female Eunuch« (dt. »Der weibliche Eunuch«), 1990 erscheint von der amerikanischen Autorin Naomi Wolf »The Beauty Myth: How Images of Beauty Are Used Against Women« (dt. »Der Mythos Schönheit«) – Greer kritisiert die Degradierung der Frau als Sexobjekt; Wolf beschreibt, wie sich Frauen dem Schönheitsdiktat der Mode- und Kosmetikindustrie unterwerfen und ihren Körper nach deren Vorstellungen formen. Die Themen, die in den Sachbüchern um den »Neuen Feminismus« diskutiert werden, sind also keineswegs neu, sondern stellen lediglich eine verspätete Repetition der angloamerikanischen Debatte dar. Während Wolfes Buch im Jahre 1990 als durchaus radikal verstanden und seitdem als Klassiker zum Thema »Schönheitsideal« gelesen wird, hat eine deutsche Annäherung an diese Debatte, über zehn Jahre später, gänzlich an Radikalität verloren. Wie an vielen Beispielen gezeigt werden kann (das prominenteste Beispiel dürfte Judith Butler sein), findet die Rezeption angloamerikanischer feministischer Literatur in Deutschland verzögert statt – die zeitliche Verschiebung ist dabei nicht selten so groß, dass die übernommenen Themen ihre Relevanz verloren haben.

Der deutsche Entwurf eines »Neuen Feminismus« wirkt außerdem umso weniger radikal, wenn man ihn mit den Forderungen der US-amerikanischen third wave-Feministinnen vergleicht. So stellt auch die Journalistin Eva Behrendt in der Zeitschrift »Literaturen« fest: »Tatsächlich ist das neue Mädchentum die bürgerliche und ›Zeit‹-Leserinnen-kompatible Variante des Riot Grrrlism, der sich schon Anfang der neunziger Jahre vom Feminismus alter Schule abgrenzte […]«.5 Der angloamerikanische Dritte-Welle-Feminismus wurde in Deutschland zwar großflächig nicht wahrgenommen, wurde aber – insbesondere durch seine musikalischen Formen, wie z. B. riot grrrl – von Popjournalistinnen wie Sandra Grether, Tine Plesch oder Sonja Eismann aufmerksam rezipiert und in ihren Texten verarbeitet. Hier bedient der Dritte-Welle-Feminismus zwar nur eine Nische, die jedoch in der Diskussion um einen »Neuen Feminismus« völlig ausgeblendet wird. So finden sich lange vor der Forderung nach einem »Neuen Feminismus« im Jahre 2008 Zeugnisse eines Dritte-Welle-Feminismus, der bereits Ende der 90er Jahre feministisch und sexy sein wollte, im deutschsprachigen Raum. Unbeachtet von der großen Öffentlichkeit werden hier bereits Themen wie Schönheitsideale, Essstörungen, Sexpolitik und generell die Marginalisierung von Frauen ausgehandelt. Diese als »Popfeminismus« bezeichnete Form des Postfeminismus zeichnet sich dadurch aus, dass sie eng mit den Cultural Studies und dem avancierten Musikjournalismus aus dem anglophonen Bereich verbunden ist: Deren Vertreter und Vertreterinnen werden einerseits regelmäßig als Referenzpunkte der deutschen Journalistinnen genannt, andererseits finden sich deren Thesen, Themen und Konzepte deutlich in den deutschsprachigen Texten wieder.

Musikjournalismus auf der einen Seite, Popliteratur auf der anderen Seite: Auch hier machen Frauen um das Jahr 1999 herum unter dem Begriff »literarisches Fräuleinwunder« in Deutschland auf sich aufmerksam. Junge, nicht selten in den Medien auf ihr Äußeres reduzierte Autorinnen wie Alexa Hennig von Lange, Karen Duve oder Jenny Erpenbeck werden vom Feuilleton hochgelobt und geraten so ins Interesse der Öffentlichkeit. Hingegen weitgehend ungeachtet von Medien und Wissenschaft veröffentlichen zwischen 1998 und 2004 fünf deutsche Autorinnen Bücher, deren Protagonistinnen in einer Band spielen – eine Rolle, die bis dato überwiegend männlichen Figuren vorbehalten war.

Was bedeutet es, wenn Frauen erstens vermehrt Teil des Literaturbetriebs werden und zweitens Figuren etablieren, die sich jenseits eines konventionellen Konzepts von Weiblichkeit bewegen? War die Position der Frau in der Musikszene sogar in der Literatur nicht weitgehend auf die des Groupies (Rosemarie Heinikel: »Rosy Rosy« [1971]) oder des Fans (Veranda Spuk: »Mein Flirt mit einem ganz bestimmten Superstar oder Mein heiliger Pappkarton im Bettlaken«...

Erscheint lt. Verlag 2.12.2011
Reihe/Serie Schriften zur Popkultur
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Cultural Studies • Cultural Studies; Feminismus; Gegenwartsliteratur; Pop • Feminismus • Gegenwartsliteratur • Pop
ISBN-10 3-9812987-7-2 / 3981298772
ISBN-13 978-3-9812987-7-2 / 9783981298772
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