Bin ich schön? (eBook)

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2013 | 1. Auflage
352 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60085-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bin ich schön? -  Doris Dörrie
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Leopold und seine junge Frau wollen es anders machen als ihre spießigen Nachbarn. Sie bitten die vietnamesische Asylantenfamilie Hung zu sich ins Haus, laden sie zum Tee und zum Essen ein, schenken ihnen warme Winterkleidung und ein Paar Neue Schuhe für Frau Hung. Doch es kommt anders, als sie denken. Siebzehn tragisch-komische Geschichten, die nachdenklich stimmen, weil sie so hemmungslos ehrlich sind.'

Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (u. a. ?Männer?, ?Mitten ins Herz?, ?Kirschblüten - Hanami?) veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben (?Leben, schreiben, atmen?) und Kinderbücher. Sie leitet den Lehrstuhl ?Creative Writing? an der Filmhochschule München und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.

Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Filmarbeit (u. a. ›Männer‹, ›Mitten ins Herz‹, ›Kirschblüten – Hanami‹) veröffentlichte sie Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben (›Leben, schreiben, atmen‹) und Kinderbücher. Sie leitet den Lehrstuhl ›Creative Writing‹ an der Filmhochschule München und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.

[7] Gutes Karma aus Zschopau

Lena, Charlottes zweijährige Tochter, kroch Eugenia aus Turin sofort auf den Schoß. Vielleicht lag das mehr an Eugenias mit Glitzersteinchen besetztem Pullover als an Eugenia selbst, einer müden, mausgrauen, etwa fünfzigjährigen Frau. Sie sah sich blitzschnell in Charlottes Küche aus Nirostastahl um und lächelte matt.

Schöne Küche, murmelte sie, sehr schöne Küche.

Oh, Sie brauchen sie nicht zu putzen, es ist mir wichtig, daß Sie mit dem Kind an die Luft gehen, mit Lena spielen… sagte Charlotte.

Ich mache alles, sagte Eugenia, kochen, putzen, alles. – Bitte. Ich bin geschieden. Ich mache alles. Bitte.

Lena patschte Eugenia mit ihrer kleinen Hand ins Gesicht.

Ich rufe Sie an, sagte Charlotte. Eugenia nickte stumm.

Dorota aus Warschau brachte ihren dreijährigen Sohn mit, der ständig seine Rotznase an ihrem Rock abwischte. Charlotte bot Dorota ein Tempotaschentuch an, das sie achselzuckend entgegennahm und in ihre Handtasche steckte. Dorota hatte lange rote Haare, kräftige, zupackend wirkende Hände und roch nach Schweiß. Lena ging nach wenigen Minuten auf sie zu, nahm sie an der Hand und [8] führte sie aufs Klo, wo sie Dorota vormachte, wie sie ganz allein in ihren Topf, der wie ein Volkswagen geformt war, pinkeln konnte.

Ihren Kaffee trank Dorota mit fünf Teelöffeln Zucker. Charlotte hatte unwillkürlich mitgezählt. Müssen Sie denn arbeiten? fragte Dorota und befühlte mit einer Hand die Gardinen.

Oh… ich… ich will wieder arbeiten, ich unterrichte am Goethe-Institut… stotterte Charlotte. Dorota sah sie ruhig an. Ihr Sohn schniefte.

Anita aus Zschopau war sehr jung, höchstens einundzwanzig, und auf eine sehr altmodische Weise hübsch. Ihre ungeschminkte Haut schimmerte perlmuttweiß, und in ihren dunkelbraunen Haaren trug sie eine brave schwarze Schleife. Lena starrte Anita aus sicherer Entfernung an und machte keinerlei Anstalten, auf sie zuzugehen. Während des Gesprächs sah Anita auf ihre Schuhe. Graue Halbschuhe aus Kunststoff. An den Schuhen erkennt man sie immer noch, dachte Charlotte. Kein Mensch im Westen trägt solche Schuhe. Anitas Schuhe rührten sie.

Wer? fragte Lena streng und deutete mit dem Zeigefinger auf Anita.

Das ist Anita, sagte Charlotte, sie wird vielleicht auf dich aufpassen, wenn ich arbeite.

Mama arbeitet, Lena weint, sagte Lena und fing an zu weinen.

Deine Mama kommt ja wieder, sagte Anita leise in ihrem weichen Sächsisch, das ist nicht weiter schlimm, sie kommt ja wieder.

[9] Charlotte fiel auf, daß sie nie zuvor in ihrem Leben einen jungen Menschen hatte sächsisch sprechen hören. Früher sprachen im Westen nur alte Tanten und aus der DDR ausgereiste Rentner sächsisch.

Sie sei erst seit zwei Wochen in München, erzählte Anita mit leiser Stimme, und wohne bei einer Kusine ihrer Mutter, aber dort könne sie nicht lange bleiben, und wenn sie nicht bald Arbeit fände, müsse sie zurück.

Zum Abschied gab Anita Charlotte eine kleine dünne Hand, und weil sie sich so zerbrechlich anfühlte, küßte Charlotte Anita spontan auf beide Wangen. Ich weiß noch nicht einmal, wo Zschopau liegt, sagte Charlotte, ist das nicht schrecklich? Ich war nie drüben. Das ist für mich immer noch wie ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ich kann mir einfach nicht merken, wo die Städte liegen, welche Flüsse dort fließen, wie die Berge heißen. Jedes Land in Südamerika, jeder Staat in den USA ist mir vertrauter als Ostdeutschland… Charlotte kicherte.

Anita sah sie mit sanften Kuhaugen an und wartete. Es entstand eine kleine Pause. Ich rufe dich an, sagte Charlotte.

Vielen Dank, Frau Finck, antwortete Anita förmlich.

Bitte, nenn mich Charlotte, sagte Charlotte und berührte Anita am Arm, ich fühle mich sonst so furchtbar alt.

Anita sah sie ausdruckslos an, wandte sich dann ab und ging. Im Weggehen hob sie die Hand und nahm die Schleife aus ihrem Haar.

Hat sie ein gutes Karma? fragte Robert am Telefon. Es war zehn Uhr in Los Angeles. Ein Mädchen in rosa Uniform hatte ihm das Telefon an den Swimming-pool gebracht.

[10] Weißt du, wo Zschopau liegt? fragte Charlotte.

Klingt nach Zone und verpesteter Luft, sagte Robert.

Du bist furchtbar, sagte Charlotte.

Laß Lena entscheiden, wer sie verderben soll.

Sie hat die Polin gleich aufs Klo gezerrt und ihr vorgemacht, wie sie pinkeln kann.

Wenn das kein Zeichen ist… sagte Robert und lachte.

Dorota hat mich angesehen, als dächte sie, ›diese reiche Kuh‹…

Wer ist Dorota?

Die Polin. Du hörst mir nicht zu. Bist du allein?

Ich bin am Pool. Ich sehe den Marlboromann. Die Polizei fährt vorbei, hörst du die Sirene?

Charlotte hörte entfernt den Ton einer Polizeisirene wie aus einem Fernsehfilm. Sie nahm einen weißen Plüschaffen von Lena in die Hand und hielt ihn sich an die Wange. Sie schwiegen. Es zischte in der Leitung.

Ich möchte einen Babysitter, der mich verehrt, nicht stört und immer verfügbar ist, sagte sie.

Dann nimm die Sklavin, diese Eugenia, schlug Robert vor.

Sie würde mir auf die Nerven gehen.

Sie ist Italienerin, sie liebt Kinder.

Du nimmst die ganze Angelegenheit nicht ernst, sagte Charlotte. Wann kommst du wieder? Ihr Mann fehlte ihr nicht. Im Gegenteil, das Leben kam ihr leichter, unbeschwerter vor ohne ihn.

Ich vermisse dich, sagte sie, und auch das stimmte.

Welche ist die Billigste? fragte er.

Anita, sagte Charlotte, sie hat keine Ahnung.

[11] Dann nimm Anita.

Du bist ein widerlicher Kapitalist.

Ich vermisse dich auch, sagte er.

Charlotte betrachtete ihre Tochter im Schlaf. Mein armes Kind, flüsterte sie, deine egoistische Mutter will wieder arbeiten.

In der Küche schenkte sie sich ein Glas Rotwein ein, setzte sich an den Küchentisch, nahm ihren Ehering ab und umwickelte ihn mit einem Faden. Sie hielt das Pendel über den Tisch und pendelte die Babysitter aus: Eugenia gegen Dorota, da gewann Dorota. Anita schlug Eugenia, Dorota wiederum Anita. Das Pendel hatte sich für Dorota entschieden.

Nein, dachte Charlotte trotzig, ich nehme Anita. Anita aus der Zone. Der ehemaligen DDR. Ostdeutschland. Anita mit den Plastikschuhen. Sie braucht Hilfe. Sie hat nichts. Sie hat sich aufgemacht aus dem grauen, düsteren Zschopau (sahen so nicht alle Städte im Osten aus?) in das glitzernde München, und jetzt liegt es an mir, ob sie Hoffnung schöpfen kann oder enttäuscht sich vielleicht sogar die früheren Verhältnisse zurückwünscht. Charlotte wurde fröhlich. Sie fühlte sich wichtig. Sie legte eine Platte auf und rauchte den Rest eines alten Joints.

Karma, sagte sie laut vor sich hin, gutes Karma aus Zschopau. Sie lachte.

Anita kam am ersten Tag gleich eine halbe Stunde zu spät. Charlotte war außer sich, bemühte sich jedoch, Lena ihre Nervosität nicht spüren zu lassen. Lena befahl ihr, ein [12] Schwein zu malen. Ich hätte Eugenia nehmen sollen, dachte Charlotte wütend und malte ein Schwein, die wäre jetzt hier. Sozialistischer Schlendrian! Zum hundertsten Mal ging sie zum Fenster und sah jetzt Anita mit fliegenden Haaren über die Straße auf das Haus zurennen. Obwohl es ein eisiger Wintertag war, trug Anita nur eine dünne, spinatgrüne Strickjacke. Typisch, diese Farbe! dachte Charlotte.

Mit rotglühendem Gesicht kam Anita die Treppe hochgehechtet, sie habe die U-Bahn-Station nicht gefunden, keuchte sie, und da sei sie von der Briennerstraße aus gelaufen. So weit? fragte Charlotte ungläubig.

Sind Sie mir böse? flüsterte Anita.

Du sollst mich doch nicht siezen, sagte Charlotte.

Während Charlottes Schüler, Deutschlehrer aus China, ihre Eindrücke von Deutschland beschrieben, überlegte Charlotte, was Anita jetzt wohl gerade mit Lena anstellte. Wußte sie, wie man den Playmobilmännchen die Haare auf- und absetzt, kannte sie Kaspar Mütze, Tiger oder Bär? Sie hätte sie Vorspielen lassen sollen, wie Vorsingen oder vorsprechen. Woher wollte sie wissen, ob Anita nicht Szenen stalinistischen Terrors mit Lena inszenierte, Jugendweihe oder Militärparade spielte, Lena erzählte, Gott existiere nicht, und ihr Zucker zu essen gab?

Deutschland erinnert mich an ein Theaterstück, das ich in China einmal gesehen habe, sagte ein großer, sehr gut aussehender Chinese, Herr Zhou, ich weiß leider nicht mehr, wie es hieß. Zwei Menschen saßen die ganze Zeit unter einem Baum und machten sich sinnlose, quälende Gedanken…

[13] Warten auf Godot, sagte Charlotte, es ist ein englisches Stück.

Lena sah glücklich aus.

Was habt ihr gemacht zusammen? fragte Charlotte Anita. Anita zuckte die Achseln.

Quats macht, sagte Lena.

Ah, ihr habt Quatsch gemacht, wiederholte Charlotte und nickte Anita lächelnd zu. Sie lächelte nicht zurück, sah auf die Uhr.

Kann ich gehen? fragte sie.

Charlotte nahm einen alten, aber noch sehr schönen Mantel aus dem Schrank. Du bist zu dünn angezogen, sagte sie zu Anita und legte ihr den Mantel in den Arm. Wenn du ihn nicht mehr brauchst, gibst du ihn mir zurück. Es sollte nicht aussehen wie ein Almosen.

Anita schien sich zu freuen. Sie fuhr mit der Hand über den Stoff. Es war ein echter Kaschmirmantel.

Das ist ein Herrenmantel, sagte Anita.

Ich trage fast nur Herrenmode, sagte Charlotte, sie ist meistens schicker.

Anita sah sie nachdenklich an. Na, dann danke, sagte sie, kann ich jetzt gehen?

Tschüß, sagte Lena.

Ich...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2013
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Asyl • Asylant • Erzählung • Erzählungen • Familie • Geschichten • Intellektuellenszene • Kindermädchen • Kulturelle Unterschiede • Niederbayern • Toscana • Toskana • tragikomisch
ISBN-10 3-257-60085-2 / 3257600852
ISBN-13 978-3-257-60085-8 / 9783257600858
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