Stachlige Persönlichkeiten

Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen

(Autor)

Buch | Softcover
176 Seiten
2014 | 1., Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-474-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stachlige Persönlichkeiten - Jörg Berger
15,00 inkl. MwSt
Leben und leben lassenSie meinen es nicht böse. Trotzdem verwickeln schwierige Menschen andere in Beziehungen, die Kraft rauben, überfordern oder sogar bedrohlich sind. Kann man sich wirkungsvoll davor schützen? Und geht das, ohne sich selbst unfair zu verhalten? Es geht, weiß der Psychotherapeut Jörg Berger und stellt bewährte Strategien für den Umgang mit schwierigen Menschen vor. Psychologisches Hintergrundwissen, Tricks, Tipps und viele Fallbeispiele machen das Buch zu einer aufschlussreichen und praxisnahen Lektüre.Jörg Berger ist als Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis tätig. Er hat zahlreiche Sachbücher und Zeitschriftenartikel veröffentlicht und gehört dem freien Redaktionsteam der Zeitschrift family an. Seit über 15 Jahren begleitet er Betroffene, die unter schwierigen Menschen leiden, und arbeitet mit Menschen, die andere als schwierig erleben, an deren belastenden Verhaltensmustern.Mit Illustrationen von Thees Carstens.

Jörg Berger ist als Dipolm-Psychologe und Pschologischer Psychotherapeut in eigener Praxis tätig. Er hat zahlreiche Sachbücher und Zeitschriftenartikel veröffentlicht und gehört dem freien Redaktionsteam der Zeitschrift Family an. Seit über 15 Jahren begleitet er Betroffene, die unter schwierigen Menschen leiden, und arbeitet mit Menschen, die andere als schwierig erleben. an deren belastenden Verhaltensmustern.

Grenzüberschreiter Grenzüberschreiter konfrontieren Sie mit Übergriffen. Sie regieren in Ihre Entscheidungen hinein, verfügen über Ihre Arbeitsmittel und Ihr Eigentum. Manchmal dringen sie sogar in Ihre Privatsphäre vor. Das geschieht mitunter so liebenswürdig und selbstverständlich, dass man Grenzüberschreiter gewähren lässt. Wer seine Grenzen verteidigen will, wird unversehens in einen zähen Stellungskrieg ver- wickelt. Die Probleme mit Grenzüberschreitern entstehen meist in einem schleichenden Prozess, wie die beiden folgenden Fallbeispiele zeigen. Alfons ist mit seiner Familie in das benachbarte Reihenhaus eingezogen. Schon kurz darauf fragt er, ob er sich den Rasenmäher ausleihen darf. Später bittet er die Nachbarn, für zwei Tage seine Katzen zu füttern. Alfons ist seinerseits großzügig. Er reicht Grillwürstchen über den Zaun und stellt die Mülltonne von Vera und Mark gleich mit auf die Straße. Das Ehepaar ist unangenehm berührt, kann aber nicht richtig greifen, was sie stört. Ist das nicht ganz normale Hilfsbereitschaft unter Nachbarn? Als Alfons aber um ihr Auto bittet – seines sei in der Werkstatt und die Tochter müsse dringend zum Arzt – wird es Mark zu viel. „Ich habe heute einen wichtigen Termin“, behauptet Mark und schämt sich im gleichen Moment für die Notlüge. Warum kann er Alfons nicht einfach offen sagen, dass er jemandem, den er kaum kennt, sein Auto nicht leihen will? Die Antwort findet Mark, als Alfons seine Hecken schneidet und das Buchsbäumchen im Vorgarten seiner Nachbarn schnell mitschneiden will. „Nein, danke, das mache ich selbst“, entfährt es Mark in einem ärgerlichen Tonfall. „Schon gut, schon gut“, beschwichtigt Alfons. „Jeder hat ja so seine eigene Philosophie, wie er seine Büsche schneidet.“ Zwei Tage lang grüßt Alfons nicht und Mark überlegt sich, ob er sich entschuldigen muss. Vera und Mark bemühen sich, wenigstens zu Alfons’ Frau nett zu sein und bald entspannt sich das Verhältnis wieder. Es vergeht aber keine Woche ohne eine weitere unangenehme Situation: Einmal steht Alfons fast nackt in der Tür, nur ein Handtuch um die Hüften, als Vera samstags ein Paket abholen will, das Alfons entgegengenommen hat. Ein anderes Mal drückt er sein Beileid zum Tod der Großtante aus – eine Tatsache, die Alfons eigentlich nicht wissen kann – vermutlich hat er eines der Kinder ausgefragt. „Ich kriege die Paranoia“, sagt Vera, als sie mit Mark schon wieder über Alfons spricht. „So geht das nicht weiter.“ Edelgards Einstieg als Leiterin eines Kindergartens wirkt vielversprechend. Sie bietet allen im Team gleich das Du an und sorgt für Tee und Gebäck in den Sitzungen. Doch bald verändern die Besprechungen ihren Charakter. Sie ziehen sich in die Länge und drehen sich fast nur noch um Edelgards Anliegen. Wenn die ausführlich besprochen sind, bleibt für die Themen der Kollegen keine Zeit mehr. Deshalb schlägt Dorothee vor, eine Tagesordnung einzuführen und zu Beginn die Besprechungspunkte zu sammeln. Darauf lässt sich Edelgard ein, versteht es aber, ihre Punkte nach vorne zu ziehen: „Darauf muss ich leider bestehen, weil die Zeit drängt.“ Oft geben die Kollegen schon deshalb nach, weil sie nicht wieder zu spät in ihre Gruppen kommen wollen. Viele Entscheidungen, die die Erzieherinnen bisher selbstständig getroffen haben, zieht Edelgard an sich und findet fast immer eine Vorschrift, mit der sie dies begründen kann. Edelgard belehrt die Kolleginnen, wie sie sich im Herbst vor Infekten schützen können und welchen Einfluss es auf die Kinder hat, wenn Erzieherinnen Markenkleidung tragen. Einmal verliert Dorothee die Selbstbeherrschung: „Jetzt hör doch auf, mich zu erziehen. Ich bin ein erwachsener Mensch und eine ausgebildete Fachkraft.“ „Wie redest du denn mit mir?“, kontert Edelgard ruhig, aber streng. „Unsere Zusammenarbeit beruht auf gegenseitigem Respekt. Ich erziehe keinen, ich achte nur auf einige wichtige Dinge, die es braucht, damit es hier gut läuft.“ Dorothee bringt eine entschuldigende Erklärung hervor und räumt das Feld. Es kommt ihr vor, als ob Edelgard nun in ihrer Gruppe besonders häufig nach dem Rechten schaut. Grenzüberschreiter leben in einer Welt ohne Zäune und Türen. Deshalb verfügen sie über die Zeit, die Mittel und Möglichkeiten anderer, als wären es die eigenen. Sie erleben es als Ablehnung, wenn sich andere abgrenzen, statt sich gegenseitiger Hilfe, persönlichem Austausch und positiver Beeinflussung zu öffnen. Betrachten wir die Welt noch einen Augenblick durch die Brille von Grenzüberschreitern. Sobald andere Grenzen setzen, fügen sie ihnen etwas ganz Ähnliches zu wie Mobber ihren Opfern. Sie grenzen die Betroffenen aus. Sie schließen sie von Entscheidungsprozessen aus, sie entziehen ihnen den Zugang zu Ressourcen. „Moment mal“, werden Sie vielleicht einwenden, wenn Sie im Kontakt mit einem Grenzüberschreiter stehen. „Aber es geht doch um meine Privatsphäre, meine Entscheidungen und mein Eigentum!“ Aber wer bestimmt denn, was Sie für sich allein beanspruchen dürfen und wo es nur recht und billig ist, andere zu beteiligen? Das ist Definitionssache. Grenzüberschreiter definieren den gemeinsamen Bereich sehr weit und erleben die Abgrenzung anderer daher als eine Art Mobbing. Diese Erfahrung haben sie häufig gemacht und gelernt, ihre vermeintlichen Rechte zu schützen – durch Beharrlichkeit, geschickte kommunikative Manöver und Kampfmittel, die es jedem ungemütlich machen, der sie vermeintlich ausgrenzt. Mit Abstand betrachtet Grenzüberschreiter sind beziehungsorientierte Persönlichkeiten mit Gemeinsinn. Sie leisten dort am meisten, wo Einmischung notwendig und erwünscht ist, zum Beispiel in der Kleinkinderziehung. Kinder von Grenzüberschreitern berichten oft von einer innigen, harmonischen Kindheit, bis in der Pubertät schwere Konflikte aufbrechen. Im beruflichen Bereich finden bedürftige Menschen, Praktikanten und Auszubildende in Grenz- überschreitern eine beherzte Führung. Schulgründungen, Bürgerinitiativen oder Hilfswerke sind nicht denkbar ohne die Energie von Grenzüberschreitern, die andere motivieren, ihre persönlichen Grenzen zugunsten einer guten Sache zu überschreiten. Gleichzeitig setzen Grenzüberschreiter Machtkämpfe in Gang, wo immer sie auftauchen. Manchmal unterliegen sie und werden ausgegrenzt oder tatsächlich gemobbt. Kluge, kompetente Grenzüberschreiter halten das Feld aber so ausdauernd, dass andere aufgeben. Überfordert von den ständigen Kämpfen räumen andere schließlich das Feld. Viele Versetzungen, Kündigungen, Vereins- und Kirchenaustritte sind Grenzüberschreitern geschuldet. Die nahen Bezugspersonen von Grenzüberschreitern leiden oft unter psychosomatischen oder depressiven Beschwerden. Manche passen sich an und schrumpfen zu einer kindlich-abhängigen Persönlichkeit. Sie erleben dadurch eine harmonische Beziehung zu Grenzüberschreitern. Nach einer solchen Deformierung brauchen Betroffene aber oft professionelle Hilfe, um wieder zu sich selbst zu finden. Verhängnisvollerweise bringen sich Grenzüberschreiter dort am liebsten ein, wo intensive Zusammenarbeit gefragt ist, zum Beispiel in Teams, größeren Unternehmen und Vereinen. Gleichzeitig schätzen sie den Einfluss, den Menschen in Führungspositionen oder als Ausbilder haben. Damit tauchen Grenzüberschreiter genau da auf, wo Konflikte und Machtkämpfe den größten Schaden anrichten. Falsche Hoffnung, echte Chancen Nach dem Zusammenstoß mit einem Grenzüberschreiter haben Betroffene vor allem zwei Wünsche. Sie wollen für die strittige Sache eine vernünftige, abschließende Lösung finden. Außerdem würden sie gerne verhindern, dass es zu weiteren Grenzüberschreitungen kommt. Darüber grübeln Betroffene lange, manchmal bis in die Nacht hinein. Sie malen sich die Reaktionen von Grenzüberschreitern aus und ahnen, dass diese einer einvernehmlichen Regelung nicht zustimmen werden. Deshalb lässt man solche Wünsche besser los. Auch wenn einem Konflikte zuwider sind: Solange man in der Nähe eines Grenz- überschreiters lebt, gehören Auseinandersetzungen zum Leben dazu wie die Eindämmung des Meeres für Küstenbewohner. Auseinandersetzungen mit Grenzüberschreiter laden sich schnell emotional auf. Dabei gerät das eigentliche Problem leicht aus dem Blickfeld. Bei Machtkämpfen geht es vor allem um eines: um Macht. Nichts ist also wichtiger als eine korrekte Einschätzung der Machtverhältnisse. Wenn es einen Menschen mit Einfluss gibt, der gelegentlich die Grenzen abgesteckt, kann man mit Grenzüberschreitern gut auskommen. Das kann ein Vorgesetzter sein, ein Vereinsvorsitzender oder zur Not auch ein Anwalt. Im Fall von Edelgard fanden die Erzieherinnen einen Rückhalt beim Träger des Kindergartens. Sie dokumentierten die Grenzüberschreitungen und trugen sie auf eine höhere Ebene. Der Träger nahm Gespräche mit Edelgard auf. Als sich dennoch nichts änderte, drängte dieser auf den Vorruhestand von Edelgard, in den sie schließlich einwilligte. In manchen Positionen sind Grenzüberschreiter nicht tragbar. Trotzdem braucht es günstige Bedingungen, um einen Machtkampf zu gewinnen: solidarische Kollegen, die eine Auseinandersetzung wagen, und Verantwortliche auf einer höheren Ebene, die Probleme ernst nehmen und angehen. Leider sind diese Bedingungen nur selten gegeben und dann heißt es: loslassen. Ein moralisches, fachliches oder juristisches Recht hilft nur, wenn es sich auch durchsetzen lässt. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als zu akzeptieren: Im Leben geht es nicht immer gerecht zu, manchmal muss man sich mit anstrengenden Situationen arrangieren oder das Feld räumen. Nicht nur Kämpfe können von den eigenen Zielen abbringen, sondern auch eine Versuchung. Denn von manchen Grenzüberschreitern geht anfangs eine große Freundlichkeit aus. Sie gewinnen mit ihrem Engagement und ihren guten Umgangsformen. Sie stecken andere an mit ihrer Sehnsucht nach Harmonie, großzügiger Gemeinschaft und einem Leben ohne geschlossene Türen. Erst nach und nach entdecken Betroffene, wie sie ihre Entscheidungsfreiheit und Privatsphäre verlieren. Folgende Frühwarnzeichen weisen auf die falsche, unrealistische Harmonie hin, die das Beziehungsangebot von Grenzüberschreitern ausmacht: Nähe und Offenheit ohne vorherigen Vertrauensaufbau die ungeprüfte Annahme, dass Ihre Sichtweise und Ziele mit denen von Grenzüberschreitern übereinstimmen Bitten, die Ihr Einverständnis schon voraussetzen und die Möglichkeit eines Neins ausschließen Grenzüberschreiter haben das gleiche Recht auf Offenheit, Hilfsbereitschaft und Kooperation wie alle anderen Menschen, aber eben zu den gleichen Bedingungen wie alle anderen: Achtung vor der Privatsphäre, dem Eigentum, der Selbstbestimmung, den Sichtweisen, Zielen und Wünschen anderer und schließlich der Bereitschaft, Interessenskonflikte auf faire Weise auszutragen. Wer diese Voraussetzungen nicht mitbringt, darf auch keine Nähe, Offenheit und Kooperation erwarten. Grenzüberschreiter befrieden In manchen Fällen steht es in unserer Macht, die Grenzen so zu setzen, wie wir es wollen, besonders wenn es um unser Eigentum, unsere Entscheidungen, unsere Verantwortungsbereiche und unsere Zeit geht. Dann geht es im Wesentlichen um die Kunst des Neinsagens, die taktvoll vorgeht und möglichst wenig Angriffsfläche für Verhandlungen bietet. Hier ein paar Tipps dafür: Auch wenn Ihr Zorn berechtigt ist, sollten Sie ruhig und freundlich bleiben. Grenzüberschreiter sind sehr sensibel dafür, ob Sie die Umgangsformen wahren. Sprechen Sie Ihr Nein fest und klar aus, verzichten Sie auf Entschuldigungen und die Bekundung von Bedauern. Machen Sie Ihr Nein durch Ihre Körpersprache glaubwürdig: Blickkontakt, eine ruhige, feste Stimme, eine aufrechte Körperhaltung. Begründen Sie Ihr Nein sachlich, wenn zwingende Gründe vorliegen. Wenn nicht, nennen Sie subjektive Gründe: „So gefällt es mir besser.“ – „Damit würde ich mich nicht wohlfühlen.“ – „Das würde mich im Moment überfordern.“ – „Ich möchte mich lieber auf etwas anderes konzentrieren.“ Wenn möglich, bieten Sie eine Alternative an: „Zu der Besprechung kann ich in dieser Woche nicht kommen, ich werde aber das Protokoll gründlich lesen.“ – „Was meinen Kleidungsstil angeht, entscheide ich lieber selbst. Ich würde mich aber freuen, wenn ich dich um Rat fragen dürfte, wenn es ums Kochen geht.“ Manchmal mildert es ein Nein, wenn man um eine kurze Bedenkzeit bittet. Das zeigt, dass Sie den Wunsch des Grenzüberschreiters ernst nehmen. Außerdem gewinnen Sie Zeit, um über eine Begründung nachzudenken oder einen Kommunikationsweg zu wählen, der Ihnen am angenehmsten ist, zum Beispiel eine E-Mail. Wenn es sich um einen Grenzüberschreiter handelt, ist es mit einem Nein natürlich nicht getan. Oft beginnt damit die Auseinandersetzung erst. Ein Nein ist eher wie der Aufschlag beim Tennis, der den Ball ins Spiel bringt. Grenzüberschreiter sind hartnäckig und einfallsreich, wenn es darum geht, ein Nein auszuhebeln. Manchmal reagieren sie auf ein Nein, als hätten sie gar nicht genau hingehört, oder lenken die Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Kurze Zeit später versuchen sie genau das zu erreichen, was andere gerade abgelehnt haben, so als wäre das Nein nie ausgesprochen worden. Das kann wütend machen oder bedrohlich wirken. Am besten hilft aber eine Gelassenheit weiter, wie man sie etwa gegenüber Schwerhörigen zeigt: die Dinge einfach mehrfach wiederholen – deutlich, aber bemüht, trotzdem freundlich zu klingen. Manchmal reagieren Grenzüberschreiter auch mit einem ungläubigen Schweigen oder dem Ausdruck großer Überraschung, wenn sie ein Nein hören. Damit rufen sie bei anderen einen Drang hervor, sich zu erklären, der stark werden kann wie ein Juckreiz. Eine Erklärung macht aus dem Nein eine verhandelbare Sache, deren Für und Wider man gemeinsam diskutieren kann. Den Ballwechsel gewinnt daher nur, wer rechtzeitig einen Schlusspunkt setzt: „Ja, so weit dazu.“ – „Kann ich sonst etwas für Sie tun?“ – „Ich räume jetzt noch den Tisch ab.“ Besonders schwer kann es werden, mit einem plötzlichen Stimmungswechsel umzugehen. Grenzüberschreiter reagieren auf ein Nein manchmal gekränkt, beleidigt, brüskiert, empört oder sogar feindselig, was sich in ihrer Körpersprache und entsprechenden Kommentaren zeigt. In der Welt der Grenzüberschreiter bedeutet ein Nein unter Umständen eine Ausgrenzung, eine persönliche Zurückweisung oder Benachteiligung. Angesichts solcher Reaktionen kann man sich böse oder schuldig fühlen. Viele Menschen reagieren darauf, indem sie ihr Nein abmildern oder sogar ganz zurücknehmen. Angemessen ist stattdessen ein kurzer, mitfühlender Blick wie der eines Arztes, der seinem Patienten einen Schmerz zufügen muss. Nach einem körpersprachlichen Zeichen von Mitgefühl können Sie zu etwas anderem übergehen. Wer ausdauernd und taktvoll Nein sagen kann, kommt mit Grenz- überschreitern oft gut zurecht. Wenn man von einem Grenzüberschreiter abhängig ist, wird es allerdings schwierig. Wenn Grenzüberschreiter Macht haben Vorgesetzte dürfen und müssen auf ihre Mitarbeiter Einfluss nehmen. Vermieter haben bis zu einem gewissen Grad das Recht, den Rahmen für ein Mietverhältnis zu bestimmen. Wo Eltern ihre erwachsenen Kinder noch unterstützen, sei es finanziell oder in der Kinderbetreuung, verdienen ihre Anregungen Respekt. Aber wie weit geht der Einfluss? Darüber kann man streiten. Grenzüberschreiter dehnen ihren Einfluss in einer Weise aus, die auf Dauer nicht erträglich ist. Aber auch in Abhängigkeitsverhältnissen gibt es Strategien, die eine Grenzziehung ermöglichen. Grenzüberschreiter leben mit einem chronischen Gefühl, dass ihnen Unrecht geschieht oder droht. Deshalb schätzen sie Regeln, Gesetze und Autorität. Auch der Gedanke von Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zieht Grenzüberschreiter an. Einem grenzverletzenden Vermieter könnte man einen Auszug aus dem Mietrecht vorlegen. Dabei darf man nicht den Eindruck erwecken, ein Gesetz als Machtmittel zu missbrauchen. Vielmehr wird das Gesetz wie ein fairer Schiedsrichter angerufen: „Ich habe mir Gedanken gemacht, wie wir diese Sache fair regeln können. Dazu habe ich in das Mietrecht hineingelesen und mir scheint, dass da ein fairer Interessensausgleich gelungen ist.“ Im Arbeitsleben können Sie sich im Bedarfsfall auf fachliche Autoritäten, Dienstanweisungen oder Unternehmensgrundsätze berufen. Nicht jedem macht es Freude, sich in Regelwerke, Leitbilder, Vorschriften oder Gesetze einzulesen. Aber im Umgang mit Grenzüberschreitern gilt auf besondere Weise: Wissen ist Macht. Hilfreich ist auch, wenn Sie die Weltanschauung von Grenzüberschreitern kennen, dann können Sie sich gegebenenfalls auf humanistische, christliche oder demokratische Grundsätze berufen. Dabei muss aber Ihre innere Haltung stimmen, denn Grenz- überschreiter sind wachsam und bemerken Manipulationsversuche. Berufen Sie sich daher lieber nur auf Grundsätze, die Ihnen selbst als fair und glaubwürdig erscheinen. Wer Glück hat, findet eine Autorität, die dem Grenzüberschreiter übergeordnet ist. Diese kann von Zeit zu Zeit als Schiedsrichter angerufen werden. Das kann der nächsthöhere Vorgesetzte sein, ein Pfarrer einer Kirchengemeinde oder ein Vereinsvorsitzender: „Wir kommen zu ganz unterschiedlichen Sichtweisen, wie diese Sache gut zu regeln ist. Lass uns die Sache doch Herrn Salomon vorlegen, um zu klären, wie das in unserem Unternehmen (unserer Gemeinde, unserem Verein) zu handhaben ist.“ Selbst wenn ein Grenzüberschreiter damit nicht einverstanden ist, kann man eine übergeordnete Autorität anrufen. Damit sich ein Grenzüberschreiter nicht hintergangen fühlt, kann man den Zeitpunkt, den Inhalt und das Ergebnis des Gesprächs offenlegen. Eine andere Strategie besteht darin, zwischen dem Endergebnis und dem Weg zu unterscheiden, auf dem Sie das Ergebnis erreichen wollen. Wenn Grenzüberschreiter über das Endergebnis mitbestimmen dürfen, dann können Sie den Weg wählen, auf dem Sie das Ergebnis erreichen wollen. Wann immer ein Grenzüberschreiter versucht, über Ihr Vorgehen zu bestimmen, können Sie das Gespräch auf das Ergebnis lenken: „Was genau soll am Ende herauskommen? Sind wir uns da einig? Bis wann brauchen wir das Ergebnis?“ Dies gibt Grenzüberschreitern die Sicherheit, die sie zum Loslassen brauchen. Wenn nötig, lässt sich noch eine Begründung für das eigene Vorgehen anfügen: „Dieses Ziel erreiche ich leichter, wenn ich es auf meine Weise tue.“ Diese Strategie erfordert natürlich, dass Sie das Ergebnis dann auch pünktlich und wie vereinbart abliefern. Wenn Probleme auftauchen, sollten Sie Grenzüberschreiter frühzeitig über Verzögerungen oder notwendige Änderungen informieren. Verlässlichkeit und Transparenz sind der Einsatz, ohne den ein gutes Auskommen mit Grenzüberschreitern kaum möglich ist. Grenzüberschreiter lösen machmal einen verhängnisvollen psychologischen Mechanismus aus. Sie machen andere mit ihrer Einmischung ärgerlich und rufen sogenanntes passiv-aggressives Verhalten hervor. Am liebsten würde man dann ihre Vorhaben sabotieren und scheitern lassen. Betroffene führen dann unkluge Anweisungen wörtlich aus („Gut, auf Ihre Verantwortung“) und konfrontieren Grenz- überschreiter dann mit dem Misserfolg. Das Risiko ist aber hoch, dass ein schlechtes Ergebnis für beide Seiten nachteilige Folgen hat. Je freier man bleibt, auf seine eigene Art und Weise zum Ziel zu kommen, desto geringer ist die Gefahr eigener passiv-aggressiver Reaktionen. Wenn Grenzüberschreiter Macht haben, muss man sich mit einem gewissen Maß an Einmischung und Fremdbestimmung arrangieren. Oft gelingt es aber, dieses Maß in erträglichen Grenzen zu halten. Wo es zu schweren Grenzüberschreitungen kommt, dürfen sich Betroffene auch eine entschiedene Gegenwehr erlauben. Sie haben dann meist das Recht und die Unterstützung anderer auf ihrer Seite. Wo jede Toleranz endet Wie schon erwähnt setzen sich Grenzüberschreiter über Wunsch und Willen, Rechte und Selbstbestimmung ihrer Mitmenschen hinweg: Sie verwenden das Eigentum und die Arbeitsmittel von Betroffenen, obwohl diese das nicht wünschen. Über gemeinsame Ressourcen verfügen sie, als ob sie ihnen alleine gehören würden. Sie treffen Entscheidungen, mit denen sie in die Zeitplanung und Verantwortungsbereiche anderer eingreifen. Sie verschaffen sich manchmal sogar Zugang zu Informationen, indem sie fremde Unterlagen, Post, Kalender, Dateien, E-Mails oder Handys einsehen. Wer Grenzüberschreiter deswegen zur Rede stellt, stößt selten auf Schuldbewusstsein. Stattdessen spielen sie ihr Verhalten herunter oder finden Gründe, die es rechtfertigen. Auf Einsicht kann man daher nicht zielen. Es bleibt nichts, als Anreize zu setzen, die mehr wiegen als der Gewinn der Grenzüberschreitung. Um sich dabei nicht in persönliche Kämpfe zu verwickeln, hilft eine Kommunikationsstrategie, die im Therapeutenjargon „empathische Konfrontation“ heißt: „Wenn Sie meine Unterlagen lesen, ohne mich vorher zu fragen, dann erlebe ich das als Eindringen in meinen persönlichen Bereich. Ich spüre dann den Wunsch, alles unter Verschluss zu halten, was Sie interessieren könnte. Aber das wollen Sie doch sicher nicht. Grundsätzlich teile ich gerne Informationen mit Ihnen.“ „Ich bin dir sehr dankbar, dass ich dir die Kinder gelegentlich bringen kann. Aber wenn du erlaubst, was ich ihnen verbiete, macht mir das die Erziehung schwerer und ich bringe die Kinder mit einem unguten Gefühl zu dir. Das wäre doch schade.“ Die empathische Konfrontation weist auf negative Folgen hin, die für den Grenzüberschreiter bedeutsam sind. Die natürliche Konsequenz auf Grenzüberschreitungen besteht in einer verstärkten Abgrenzung und dies stellt wiederum genau die Beziehungserfahrung dar, die Grenzüberschreiter fürchten. An diesem wunden Punkt kann man sie oft packen. Das gelingt umso besser, je mehr man gleichzeitig das Interesse an einer guten Beziehung oder Zusammenarbeit ausdrückt. Einer Grenzüberschreitung, die in Ihrer Gegenwart geschieht, begegnen Sie am besten mit Selbstbehauptungsstrategien. Diese bestehen darin, selbstsicher und ausdauernd auf dem eigenen Recht zu beharren. Dies lässt sich gut an folgendem Problem demonstrieren. Fast alle Grenzüberschreiter beanspruchen übermäßig viel Redezeit, sei es in Teamsitzungen oder in privaten Gesprächen. Gerade zurückhaltenden Menschen fällt es schwer, den Konflikt um die Redezeit offen auszutragen. Bei Personen, von denen man abhängig ist, ist dies natürlich noch mal schwerer. Aber höfliche Formulierungen schaffen den Spielraum, um sich zur Not auch ausdauernd zu behaupten: „Darf ich meinen Gedanken noch zu Ende führen?“ „Entschuldigung, ich war noch nicht ganz fertig. Ich möchte noch …“ „Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Ihre Informationen sind sehr hilfreich. Uns bleiben aber heute nur noch 20 Minuten. Diese Zeit möchte ich noch für das Thema … nutzen.“ „Bitte lassen Sie mir noch etwas Raum für diesen wichtigen Punkt.“ „Entschuldigung, ich habe Ihnen nun aufmerksam zugehört und will Ihr Anliegen nach meinen Möglichkeiten unterstützen. Nun habe ich aber auch das Recht (die Pflicht), den folgenden Punkt anzusprechen, der in meinem Verantwortungsbereich liegt.“ Variationen dieser Sätze ließen sich seitenweise fortführen. Mit ein wenig Übung kann man auf diese Weise ausdauernd für sein Recht eintreten. Auch das stärkste Mitteilungsbedürfnis kommt irgendwann gegen diese Grenze nicht mehr an und es entsteht Raum für das eigene Anliegen. Auch andere Rechte lassen sich mit dieser Selbstbehauptungsstrategie durchsetzen. Im Recht ist, wer die zwischenmenschlichen Spielregeln, die Bestimmungen eines Unternehmens oder anerkannte Grundsätze auf seiner Seite hat. Doch nicht in jeder Situation hat man das Recht auf seiner Seite. Es gibt viele Fälle, für die es weder Regeln noch Gesetze gibt. Trotzdem kann es nicht angehen, einen Grenzüberschreiter in diesen Fällen bestimmen zu lassen. Dann bleibt ein Mittel, dessen Risiko allerdings sorgfältig abzuwägen ist: Allianzen bilden. Wer Bündnisse schmiedet, muss zwei Gefahren ins Auge blicken. Im Umfeld von Grenzüberschreitern findet man leicht Menschen, die genauso wütend sind oder sich ähnlich bedroht fühlen wie man selbst. Leicht wird man sich einig, dass es so eigentlich nicht geht und man Grenzüberschreitern die Stirn bieten müsste. Wer sich aber hervorwagt und Stellung bezieht, steht schnell alleine da, weil die anderen die Konfrontation scheuen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, sich mit Menschen zu verbünden, die auf Rache aus sind, unfaire Mittel einsetzen und Mobbing oder Bossing betreiben wollen. Unversehens wird man in ein Vorgehen verwickelt, das nicht den eigenen Überzeugungen entspricht und möglicherweise mit hohen Risiken einhergeht. Wie der Aufbau von Bündnissen gelingt, zeigt folgendes Beispiel. Horst, Patriarch einer Unternehmerfamilie, bestimmt das jährliche Familientreffen mit seinen Programmpunkten. Sein Neffe Jens weiß, dass die Mehrheit der Familie genervt ist von Horst, von seiner ausufernden Rede und den peinlichen Spielen, die er anleitet. Auf diesen Rückhalt setzt Jens, als er eine Rundmail schreibt und Programmpunkte vorschlägt, die auch andere zum Zug kommen lassen. Wie nicht anders zu erwarten, bügelt Horst den Vorschlag in einer Mail ab, als hätte er allein das Sagen. Als in den nächsten Stunden keine einzige Mail aus der übrigen Familie ankommt, ist Jens irritiert. Alle klagen, aber wenn es darauf ankommt, findet Horst schweigende Zustimmung. Jens fährt mit einem bitteren Gefühl zur Familienfeier. Als eines der Spiele doch eine lustige Wendung nimmt, wirft Horst in die Runde: „Das amüsiert doch selbst unseren lieben Jens.“ Jeder weiß, dass Horst damit auf die Mail anspielt. Die Konfliktscheu im Umfeld von Grenzüberschreitern hat meist zwei Gründe. Den einen fehlt die Motivation, sie ziehen die Harmonie einer Auseinandersetzung vor. Anderen fehlen schlicht die Mittel. Sie würden gerne etwas ändern, wissen aber nicht, wie sie gegen einen einflussreichen Menschen auftreten können. Die Wünsche einer Mehrheit sind daher nur etwas wert, wenn sich aus ihnen ein Bündnis schmieden lässt. Ob andere dazu bereit sind, sollte man im Vorfeld klären, in unserem Fall zum Beispiel so: „Würdest du dich auch per Mail zu Wort melden, falls Horst unser Anliegen abschmettern will?“ Wer hier ausweichend antwortet, scheidet als Bündnispartner aus. Beim nächsten Familienfest ist Jens besser gewappnet. Er hat seine Schwester und seinen Vater, Horsts Bruder, als Unterstützer für einen neuen Programmpunkt gewonnen. Jens ruft Horst an, um den Programmpunkt anzukündigen. Erwartungsgemäß lehnt Horst diesen ab und behauptet, dass ihn schon im letzten Jahr keiner wollte. Jens geht nicht auf eine Diskussion ein, sondern beharrt: „Wir Jungen dürfen doch auch einen Programmpunkt einbringen. Bitte setze ihn auf das Programm.“ Am nächsten Tag schickt Jens’ Schwester eine Rundmail, in der sie die Familie einlädt, etwas zu dem neuen Programmpunkt beizutragen. Als Horst am Tag der Feier diesen Programmpunkt unter den Tisch fallen lässt, schaltet sich Jens’ Vater ein und erinnert seinen Bruder an das Versäumnis. Nun bleibt dem Patriarchen nichts anderes übrig, als nachzugeben. Auf die anderen wirkt es, als sei ein Bann gebrochen, der auf der Familie lag. Jens reizt es, Horsts Niederlage auszukosten und am Ende der Feier eine entsprechende Bemerkung zu machen. Stattdessen reißt er sich aber zusammen. Er dankt Horst für die engagierte Vorbereitung und würdigt die Familientradition, die er aufrecht hält. Horst nickt zufrieden. Leben und leben lassen Grenzüberschreiter fürchten, um ihre Rechte betrogen und ausgeschlossen zu werden. Aus dieser Angst beginnen sie häufig einen Präventivkrieg. Sie sichern sich den Zugriff auf Mittel und Informationen. Sie kämpfen um Redezeit und Einfluss. Nähe und Offenheit versuchen sie zu erzwingen. Überkompensation nennen Psychologen ein Verhalten, das aus Angst über das Ziel hinausschießt. Wer Grenzüberschreitern etwas Gutes tun will, schenkt ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit und kommt ihren Interessen von sich aus entgegen. Wie bei allen schwierigen Menschen fallen dabei Mitgefühl und Eigennutz zusammen: Wer die Angst vor Ausgrenzung beruhigt, verringert grenzverletzendes Verhalten. Im Idealfall verwandelt sich ein Grenzüberschreiter in einen treuen Verbündeten, der einem auch mal die Kartoffeln aus dem Feuer holt. Folgende Investitionen machen Grenzüberschreitern das Leben leichter: Höflichkeit, Loyalität und Zeichen der Zugehörigkeit. Respekt und Höflichkeit. Grenzüberschreiter sind sensibel für den Respekt, den gute Manieren ausdrücken. Darüber hinaus bemerken sie jedes Zeichen der Missachtung. Daher sollte man sich im Umgang mit ihnen die Benimm-Regeln in Erinnerung rufen. Oft geht es dabei um Kleinigkeiten wie Aufstehen bei der Begrüßung, die höfliche Form einer Bitte, korrekte Titel und Funktionsbezeichnungen, die Aufmerksamkeit für Geburtstage und dergleichen. Idealerweise entspricht die innere Haltung dem höflichen Verhalten: „Ich respektiere und achte dich. Das drückt sich darin aus, wie ich mit dir umgehe.“ Das fällt natürlich umso schwerer, je mehr ein Grenzüberschreiter selbst die Regeln der Höflichkeit bricht. Genau hier liegt aber der Grund, warum viele Menschen mit Grenzüberschreitern nicht gut auskommen. Sie steigen in einen Kreislauf negativer Verhaltensweisen ein, indem die zwischenmenschlichen Spielregeln immer mehr außer Kraft gesetzt werden. Deshalb ist es hier klüger, Böses mit Gutem zu überwinden und so die Angst vor Missachtung zu besänftigen, die Grenzüberschreiter umtreibt. Loyalität. Nachbarschaft, berufliche Zusammenarbeit oder Familienzusammengehörigkeit schließen Menschen zu einem Bund zusammen, dem sie treu bleiben oder untreu werden können. Was ein solcher Bund genau mit sich bringt, hängt von der jeweiligen sozialen Gruppe ab. Meist geht es um Verpflichtungen wie diese: nicht schlecht über den anderen reden; den anderen in Schutz nehmen, wenn er einer unfairen Behandlung ausgesetzt ist; die Interessen des anderen berücksichtigen, auch wenn er nicht persönlich anwesend ist; dem anderen Informationen zuleiten, die für ihn wichtig sind; den anderen in Entscheidungen einbeziehen, die ihn betreffen. Grenzüberschreiter setzen in den meisten Gruppen eine Dynamik in Gang, durch die sie immer mehr die Loyalität anderer verlieren. Umso mehr Pluspunkte können Sie sammeln, wenn Sie weiterhin loyal bleiben. Zeichen der Zugehörigkeit. Neben Respekt und Loyalität ist es vor allem ein Gefühl der Zugehörigkeit, das Grenzüberschreiter entspannt. Wer das Gefühl hat, seinen Lebensraum verteidigen zu müssen, freut sich über jedes Zeichen der Daseinsberechtigung: eine Einladung zum gemeinsamen Essen oder zu gemeinsamen Unternehmungen, eine Information über aktuelle Dinge, eine Erkundigung nach dem persönlichen Befinden, nach Wünschen oder Tagesordnungspunkten gefragt werden oder E-Mails erhalten. Zu solchen Gesten muss man sich unter Umständen überwinden. Denn was jemand zu erzwingen versucht, mag man ihm nicht mehr freiwillig geben. Ein weiterer Hinderungsgrund für freundliche Gesten besteht in der Erfahrung: Wenn ich einem Grenzüberschreiter den kleinen Finger reiche, greift er nach der ganzen Hand. Deshalb kann es hilfreich sein, schon eine Einladung mit einer Abgrenzung zu verbinden: „Alfred, ich würde mich freuen, wenn du am Montag dein neues Vertriebsmodell vorstellst. Wir haben aber einen straffen Zeitplan, sodass ich dich nach 15 Minuten unterbrechen muss. Sei mir dann bitte nicht böse. Das muss ich bei jedem anderen auch tun, wenn er überzieht.“ Wenn Sie einmal auf einen Grenzüberschreiter stoßen, werden Sie die Erfahrung machen: Je sicherer Sie darin werden, sich taktvoll abzugrenzen, umso natürlicher und offener können Sie mit Grenzverletzern umgehen. Damit kehrt sich ein negativer Kreislauf von Grenzüberschreitungen und Ausgrenzung um. Erfahrungen der Zugehörigkeit machen Grenzüberschreiter umgänglicher und ermöglichen mehr Offenheit. Die Umkehr eines solchen Kreislaufes kostet allerdings Ausdauer und gute Nerven. Die eigenen Grenzen akzeptieren Grenzüberschreiter lösen bei anderen ein Gefühl der Ohnmacht aus. Betroffene grübeln dann lange – wie sie ihre Rechte wahren und wie sie den Grenzüberschreitungen entgehen können. Doch es gibt keine Methode, sich dem unangenehmen Verhalten zu entziehen. Einige Betroffene entwickeln Schlafstörungen, weil das Abschalten auch nachts nicht mehr gelingt. Selbst wenn es ihnen gelingt, ihre Grenzen zu schützen, rauben die Auseinandersetzungen alle Energie. Schließlich sind Grenzüberschreiter im Überschreiten von Grenzen wesentlich geübter als andere im Schützen derselben. Besonders wer in seiner Kindheit Grenzüberschreitungen ausgesetzt war, kann starke Anspannung erleben, wenn er aufs Neue mit ihnen konfrontiert wird. Betroffene erstarren dann und wehren sich nicht. Oder sie schlagen mit unverhältnismäßigen Mitteln zurück. In solchen Fällen dürfen sich Betroffene natürlich auch eingestehen, dass sie der Umgang mit einem Grenzüberschreiter überfordert. In privaten Beziehungen kann man sich in eine längere Beziehungspause retten oder die Beziehung auf einen oberflächlichen Kontakt begrenzen. Wenn man sich dafür erklären muss, ist es meist klug, dem Grenzüberschreiter keine Vorwürfe zu machen. Entwaffnende Ehrlichkeit führt am schnellsten zu einem friedlichen Abstand, zum Beispiel mit einer Formulierung wie der folgenden: „Ich komme mit manchen deiner Verhaltensweisen nicht klar, aber das ist mein Problem. Sie erinnern mich an unangenehme Erfahrungen von früher. Deshalb möchte ich mich für eine Zeit aus unserer Beziehung zurückziehen. Ich hoffe, ich entwickle mich so weiter, dass es eines Tages besser geht.“ Im beruflichen Bereich dauert die Distanzierung oft länger. Manchmal lassen sich aber die Weichen so stellen, dass die Berührungspunkte mit einem Grenzüberschreiter abnehmen. Mittelfristig ist es in vielen beruflichen Bereichen möglich, sich um eine Versetzung zu bemühen. Im Notfall kann eine Krankschreibung einen sofortigen Abstand schaffen. Die unfreiwilligen Kämpfe erzeugen oft genug psychosomatische Symptome, die eine Krankschreibung rechtfertigen. Umgekehrt kann, wer die Macht dazu hat, einen Grenzüberschreiter natürlich auch entlassen oder auf eine andere Stelle versetzen. Ein solcher Schritt sollte allerdings sorgfältig abgewogen sein. Viele Grenzüberschreiter wehren sich gegen solche Trennungen, auch mit juristischen Mitteln. Betroffene zögern manchmal viel zu lange, eine Trennung herbeizuführen. Sie haben ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Grenzüberschreiter, einen falschen Ehrgeiz, mit ihm klarzukommen, oder auch die irrige Befürchtung, anderswo seien die Menschen auch nicht besser. Aber anderswo kommen Menschen vielleicht besser mit dem Grenzüberschreiter zurecht. Auch als Mensch mit einem hohen moralischen Anspruch darf man einmal aufgeben, wenn es zu schwierig wird. Schließlich finden sich in den meisten Abteilungen und Teams angenehme Menschen, in deren Gegenwart man nach einem Wechsel aufatmen kann. Manchmal halten berufliche oder private Sachzwänge Betroffene in der Nähe eines Grenzüberschreiters. Dann bleibt nichts, als sich der Herausforderung zu stellen und die Strategien dieses Kapitels so gut wie möglich umzusetzen. Leichter macht es sich derjenige, der sich in einer solchen Situation professionelle Begleitung sucht, sei es durch ein Coaching, eine Psychotherapie oder vielleicht auch durch den Rat eines lebenserfahrenen Menschen, der zu regelmäßigen Gesprächen bereit ist. Auch wenn die Situation im Ganzen nicht zu ändern ist, können Veränderungen im Kleinen einen spürbaren Unterschied machen, und die Entlastung kann enorm sein, wenn Betroffene Empathie und moralische Unterstützung erleben. Grenzüberschreiter sind Meister im Nahkampf. Sie beherrschen die vereinnahmende Freundlichkeit genauso wie ein zähes Ringen um Einfluss. Ein anderer Typ schwieriger Menschen erspart sich solche Auseinandersetzungen. Er spielt mit Ihren Wahrnehmungen und Gefühlen. Auf einen Blick: Tipps zum Umgang mit Grenzüberschreitern ? Lassen Sie sich nicht zu schneller Vertraulichkeit und Offenheit verführen. ? Auch wenn Sie verärgert sind oder sich bedroht fühlen: Wahren Sie die Form! ? Sagen Sie taktvoll, aber ausdauernd Nein, um Ihre Privatsphäre und Selbstbestimmung zu schützen. ? Setzen Sie Selbstbehauptungsstrategien ein, um sich ein faires Maß an Redezeit, Ressourcen und Einfluss zu sichern. ? Konfrontieren Sie Grenzüberschreiter einfühlsam mit den Folgen, die ihr Verhalten auf Ihre Gefühle und Ihr Verhalten hat. ? Berufen Sie sich auf Gesetze, Bestimmungen oder Ihre Prinzipien. Wo möglich, schalten Sie gelegentlich eine höhere Stelle ein, die für einen fairen Interessensausgleich sorgt. ? Wo es zu Machtkämpfen kommt, prüfen Sie Bündnisse mit vertrauenswürdigen Personen. ? Seien Sie Grenzüberschreitern gegenüber korrekt, was deren Mitbestimmung, Information und Einbeziehung angeht.

GrenzüberschreiterGrenzüberschreiter konfrontieren Sie mit Übergriffen. Sie regieren in Ihre Entscheidungen hinein, verfügen über Ihre Arbeitsmittel und Ihr Eigentum. Manchmal dringen sie sogar in Ihre Privatsphäre vor. Das geschieht mitunter so liebenswürdig und selbstverständlich, dass man Grenzüberschreiter gewähren lässt. Wer seine Grenzen verteidigen will, wird unversehens in einen zähen Stellungskrieg ver- wickelt.Die Probleme mit Grenzüberschreitern entstehen meist in einem schleichenden Prozess, wie die beiden folgenden Fallbeispiele zeigen.Alfons ist mit seiner Familie in das benachbarte Reihenhaus eingezogen. Schon kurz darauf fragt er, ob er sich den Rasenmäher ausleihen darf. Später bittet er die Nachbarn, für zwei Tage seine Katzen zu füttern. Alfons ist seinerseits großzügig. Er reicht Grillwürstchen über den Zaun und stellt die Mülltonne von Vera und Mark gleich mit auf die Straße. Das Ehepaar ist unangenehm berührt, kann aber nicht richtig greifen, was sie stört. Ist das nicht ganz normale Hilfsbereitschaft unter Nachbarn? Als Alfons aber um ihr Auto bittet - seines sei in der Werkstatt und die Tochter müsse dringend zum Arzt - wird es Mark zu viel. "Ich habe heute einen wichtigen Termin", behauptet Mark und schämt sich im gleichen Moment für die Notlüge. Warum kann er Alfons nicht einfach offen sagen, dass er jemandem, den er kaum kennt, sein Auto nicht leihen will? Die Antwort findet Mark, als Alfons seine Hecken schneidet und das Buchsbäumchen im Vorgarten seiner Nachbarn schnell mitschneiden will. "Nein, danke, das mache ich selbst", entfährt es Mark in einem ärgerlichen Tonfall. "Schon gut, schon gut", beschwichtigt Alfons. "Jeder hat ja so seine eigene Philosophie, wie er seine Büsche schneidet." Zwei Tage lang grüßt Alfons nicht und Mark überlegt sich, ob er sich entschuldigen muss. Vera und Mark bemühen sich, wenigstens zu Alfons' Frau nett zu sein und bald entspannt sich das Verhältnis wieder. Es vergeht aber keine Woche ohne eine weitere unangenehme Situation: Einmal steht Alfons fast nackt in der Tür, nur ein Handtuch um die Hüften, als Vera samstags ein Paket abholen will, das Alfons entgegengenommen hat. Ein anderes Mal drückt er sein Beileid zum Tod der Großtante aus - eine Tatsache, die Alfons eigentlich nicht wissen kann - vermutlich hat er eines der Kinder ausgefragt. "Ich kriege die Paranoia", sagt Vera, als sie mit Mark schon wieder über Alfons spricht. "So geht das nicht weiter."Edelgards Einstieg als Leiterin eines Kindergartens wirkt vielversprechend. Sie bietet allen im Team gleich das Du an und sorgt für Tee und Gebäck in den Sitzungen. Doch bald verändern die Besprechungen ihren Charakter. Sie ziehen sich in die Länge und drehen sich fast nur noch um Edelgards Anliegen. Wenn die ausführlich besprochen sind, bleibt für die Themen der Kollegen keine Zeit mehr. Deshalb schlägt Dorothee vor, eine Tagesordnung einzuführen und zu Beginn die Besprechungspunkte zu sammeln. Darauf lässt sich Edelgard ein, versteht es aber, ihre Punkte nach vorne zu ziehen: "Darauf muss ich leider bestehen, weil die Zeit drängt." Oft geben die Kollegen schon deshalb nach, weil sie nicht wieder zu spät in ihre Gruppen kommen wollen. Viele Entscheidungen, die die Erzieherinnen bisher selbstständig getroffen haben, zieht Edelgard an sich und findet fast immer eine Vorschrift, mit der sie dies begründen kann. Edelgard belehrt die Kolleginnen, wie sie sich im Herbst vor Infekten schützen können und welchen Einfluss es auf die Kinder hat, wenn Erzieherinnen Markenkleidung tragen. Einmal verliert Dorothee die Selbstbeherrschung: "Jetzt hör doch auf, mich zu erziehen. Ich bin ein erwachsener Mensch und eine ausgebildete Fachkraft." "Wie redest du denn mit mir?", kontert Edelgard ruhig, aber streng. "Unsere Zusammenarbeit beruht auf gegenseitigem Respekt. Ich erziehe keinen, ich achte nur auf einige wichtige Dinge, die es braucht, damit es hier gut läuft." Dorothee bringt eine entschuldigende Erklärung hervor und r

Erscheint lt. Verlag 19.9.2014
Sprache deutsch
Maße 135 x 205 mm
Gewicht 213 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Aggression • Herrschsucht • Lebenshilfe • Menschliche Beziehungen; Ratgeber • Opferrolle • Persönlichkeit; Ratgeber • Psychologie • Psychologie, Herrschsucht, Aggression, Zwischenmenschliche Beziehungen, Lebenshilfe, Opferrolle, Selbstbestimmung • Selbstbestimmung • Sozialverhalten; Ratgeber • Spiritualität; Romane/Erzählungen • zwischenmenschliche Beziehungen • Zwischenmenschliche Beziehung; Ratgeber
ISBN-10 3-86827-474-X / 386827474X
ISBN-13 978-3-86827-474-5 / 9783868274745
Zustand Neuware
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