99 Fragen an (eBook)

Mehr braucht kein Mensch
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30797-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

99 Fragen an -  Moritz von Uslar
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Jetzt mit einer Frage weniger: Moritz von Uslar setzt sein Hit-Interviewformat fort und stellt 99 Fragen. 100 Fragen an ... , das Erfolgsformat im SZ-Magazin, erschien 2004 als Buch und wurde zum hochgelobten Bestseller. Damit hätte man es bewenden lassen können. Aber nach seinem Wechsel zum Zeit-Magazin wurde der alte Hit einfach neu aufgelegt - und subtil weiterentwickelt. So strich von Uslar eine Frage und feilte an der Technik. Fortan galt: Genug der Hektik, wir nehmen uns die Zeit, lassen die Leute auch mal ausreden. Das Ergebnis: eine Intellektualisierung des Schnellfeuer-Formats, die auch bei der Auswahl der Interviewpartner durchschlug. Mehr Geist und Hochkultur, weniger Boulevard, also Hans-Magnus Enzensberger, Werner Herzog, David Hockney, Peer Steinbrück - und trotzdem auch Diane Kruger, Jeff Bridges, Anna Netrebko, Marc Jacobs, Harry Belafonte , Michael Stipe, Mark Wahlberg. Am Ende dann das legendäre Nicht-Gespräch mit Frank Castorf. Wie immer dabei: Geistesgegenwart, Schlagfertigkeit, Improvisationskunst - Fähigkeiten, über die Moritz von Uslar wie kein zweiter Interviewer verfügt. Ein großes Lesevergnügen mit hohem Erkenntniswert!

Moritz von Uslar, geboren 1970 in Köln, war Redakteur beim Süddeutsche-Zeitung-Magazin und beim SPIEGEL und arbeitet heute als Reporter und Interviewer bei der Zeit. Ausgewählte Veröffentlichungen: Theaterstücke »Freunde« (2000), »Freunde II« (2001), »Lulu« (2004), gesammelte Interviews »100 Fragen an ...« (KiWi 829, 2004) und »99 Fragen an ...« (KiWi 1381, 2014), Roman »Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005« (2006, Kiepenheuer & Witsch), gesammelte Kolumnen »Auf ein Frühstücksei mit ...« (KiWi 1579, 2017). Der Reportageroman »Deutschboden. Eine Teilnehmende Beobachtung« (2010, Kiepenheuer & Witsch) wurde mit dem Fontane-Preis der Stadt Neuruppin ausgezeichnet und von André Schäfer fürs Kino verfilmt (2014).

Moritz von Uslar, geboren 1970 in Köln, war Redakteur beim Süddeutsche-Zeitung-Magazin und beim SPIEGEL und arbeitet heute als Reporter und Interviewer bei der Zeit. Ausgewählte Veröffentlichungen: Theaterstücke »Freunde« (2000), »Freunde II« (2001), »Lulu« (2004), gesammelte Interviews »100 Fragen an …« (KiWi 829, 2004) und »99 Fragen an …« (KiWi 1381, 2014), Roman »Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005« (2006, Kiepenheuer & Witsch), gesammelte Kolumnen »Auf ein Frühstücksei mit …« (KiWi 1579, 2017). Der Reportageroman »Deutschboden. Eine Teilnehmende Beobachtung« (2010, Kiepenheuer & Witsch) wurde mit dem Fontane-Preis der Stadt Neuruppin ausgezeichnet und von André Schäfer fürs Kino verfilmt (2014).

Hans Magnus Enzensberger


Er hat – natürlich – erst einmal keine Lust. Am Telefon lässt er auf die Interviewanfrage den typischen Enzensberger-Singsang hören, rhetorische Abwehrvolten, Ausweich- und Ablenkungsmanöver, die in ihrem Charme, ihrer Absurdität und freundlichen Verspieltheit praktisch unerwiderbar sind (»Warum reden Sie nicht mit Ihrer Reinigungsfrau? Ihre Reinigungsfrau ist schlau, die weiß alles«). Dann sagt er: »Kommen Sie halt. Wenn’s langweilig wird, dann hören wir auf.«

Das ist doch eine schöne Verabredung. Wenn es einen gibt, mit dem man noch einmal alles, wirklich alles besprechen möchte – die Politik, die Krisen, den großen Bla im öffentlichen Raum –, dann ist es er: Enzensberger, Lyriker und Essayist, der Frische, Helle, Lichte. Wie kein Zweiter in der Geschichte der Bundesrepublik steht er für das Denken mit dem gesunden Menschenverstand. Im November letzten Jahres ist der große Helle achtzig geworden und hat zu der Gelegenheit noch einmal entschlossen nichts gesagt.

Seine Arbeitswohnung liegt in München-Schwabing, Fußnähe zum Englischen Garten, in einem spektakulär unschönen Haus (Postmoderne, Siebzigerjahre). Er steht gleich derart angenehm zögerlich, fast verloren in seiner Wohnung herum, als wäre es nicht sein Zuhause. Klassizistische Möbel. Bücherwände. Bücherstapel. Seine lange, elegante Erscheinung. Er breitet die Arme aus. Schließt sie wieder. Bittet an den Tisch. Er ist ja auch Interview-König. Die gesammelten Enzensberger-Gespräche sind als Suhrkamp-Taschenbuch (»Zu große Fragen«) erschienen. Also besser: nicht so große Fragen. Wir machen den schönen Trick, ihm so unendlich große und breite Fragen zu stellen, dass er darauf alles antworten kann.

Plauderstunde mit Hans Magnus Enzensberger. Nebenan in der Küche strömt das Leitungswasser aus dem Hahn, es soll an diesem Sommertag auf Trinktemperatur abkühlen. Strömendes Leitungswasser: brutal irritierend. Aschenbecher, Zigaretten, Wegwerffeuerzeug. Noch brennt keine Zigarette. Sein kreisrunder Kopf, die sprichwörtlich hellwachen Augen. Er freut sich jetzt schon. Über was, um Himmels willen, freut er sich? Grinsender Enzensberger: Wenn er grinst, kräuselt sich sein schlauer Mund. Zum Warmwerden ein paar Entweder-oder-Fragen. Entweder-oder: immer gut.

1 Bier oder Wein?

Bier macht mich müde.

2 Bach oder Beethoven?

Gerne eine Partita.

3 Blackberry oder iPhone?

Kein Handtelefon.

4 Das Wasser lieber mit oder ohne?

Nur aus dem Hahn. Das Münchner Leitungswasser ist ja ausgezeichnet. Flaschen schleppen, das gibt’s bei mir überhaupt nicht.

5 Lieber den salzigen oder den süßen Snack?

Das Wort Snack ist mir fremd. Aber wenn Sie eine Mousse haben, gerne.

Eine Mousse! Unverändert grinsendes Gesicht. Der Enzensberger-Singsang: Er singt Bayerisch mit fränkischen Untertönen (in Kaufbeuren geboren, in Nürnberg aufgewachsen). Das Wasser in der Küche strömt unaufhaltsam: ström, ström. Noch einmal: Der Enzensberger-Kopf ist die totale Freude. Das Kreisrunde (Kopf) passt gut zum Langen (Körper). Unter der Tischplatte faltet er die Beine zu sagenhaften Schlangenlinien. Es ist, als hielte sich seine Denkfreude nicht nur in seinem Kopf, sondern in seinem ganzen Körper auf.

6 Können Sie ausschließen, dass wir uns gerade auf einer Dachterrasse befinden?

Es gibt hier einen Balkon. Da können Sie draußen in der Sonne sitzen, wenn Sie wollen. Ich bin lieber im Schatten.

7 Können Sie jetzt sagen, wo sich der Kellerschlüssel befindet?

An einem Schlüsselbund. Vermutlich. Ich könnte das, wenn Sie darauf bestehen, natürlich nachprüfen.

8 Wo liegt noch mal Kaufbeuren?

Im Voralpenland, im bayerischen Allgäu. In einer Moränenlandschaft, an der Wertach.

9 Wo liegt noch mal New York?

Das wissen Sie nicht? Oder wollen Sie mich verblüffen mit der Mitteilung, dass New York etwa auf dem Breitengrad von Neapel liegt?

10 Wie lang brauchen Sie von Ihrer Münchner Wohnung nach Italien?

Zu Fuß ist es mir zu weit. Jedenfalls ist mein Italien nicht die Toskana.

Er steht auf, kehrt aus der Küche mit zwei blauen Gläsern zurück, mit Leitungswasser gefüllt. Der Wasserstrom ist gestoppt. Er nimmt eine Zigarette mit beiden Händen, rollt sie zwischen den Fingern hin und her, guckt. Er hat das Prinzip dieses Gesprächs natürlich sofort begriffen: Gesprächsvermeidung à la Enzensberger. Es muss nichts mehr gesagt werden. Denn: Es ist ja schon alles gesagt. In den ausgesparten, nicht den ausgesprochenen Gedanken hält sich der Geist auf. Beim Nichtssagen kommt es darauf an, immer den Hauch einer Möglichkeit zu lassen, dass gleich doch etwas Bedeutendes gesagt werden könnte – so entsteht Spannung. Wir müssen nun gemeinsam durch eine etwas langweilige Landschaft hindurch: die Politik.

11 Wann ist noch mal die nächste Bundestagswahl?

Wenn die Koalition auseinanderknallt, gibt es vermutlich vorgezogene Neuwahlen.

12 Warum muss man Merkel einfach gernhaben?

Ihr Charme ist hartnäckig. Die Medien bilden sich ein, sie könnten die Kanzlerin wegschreiben. Aber das ist eine schwer besiegbare Person. Die Pfarrerstochter aus dem Osten? In der hat sich schon Helmut Kohl getäuscht.

13 Ihr Kurzkommentar zum zukünftigen Kanzler Sigmar Gabriel?

Den kenne ich gar nicht.

Übers ganze Gesicht strahlender Enzensberger! Klar, das macht Freude, den SPD-Vorsitzenden für einen Moment lang nicht zu kennen.

14 Was lesen Sie im Gesicht des Bundespräsidenten?

Gekonnte Unauffälligkeit.

15 Was sagt es über unseren Bundespräsidenten, dass sein Lieblingsbuch »Der kleine Prinz« ist?

Ach. So etwas kann doch jedem mal passieren.

16 Über welches Talent verfügt Ihr Gemüsehändler, über das Guido Westerwelle nicht verfügt?

Natürlich über enorme Kompetenz! Man muss da allerdings von Fall zu Fall unterscheiden. Es gibt ja auch unfähige Gemüsehändler. Unserer kennt sich aus. Am Elisabethmarkt gibt es außerdem einen guten Fischhändler und einen exzellenten Käsestand. Der Viktualienmarkt ist zu teuer.

17 Mit welchem Mitglied der Bundesregierung könnte man wohl am ehesten einen vergnügten Abend verbringen?

Können Sie sich alle Minister merken? Da wäre ich überfragt. Manchmal kriegt man solche Einladungen mit einem goldenen Wappen drauf: Essen mit dem Präsidenten von Ghana. Dann sitzt man mit dem zuständigen Siemens-Vertreter am Katzentisch. Den Flug bezahlt das Auswärtige Amt. Das ist gut für die Lufthansa, aber nicht für mich.

18 Einverstanden, dass die Grünen die anstrengendste Partei sind?

Die Grünen sind ein wenig langweilig, aber nicht so schlimm. Es ist doch ein Vorzug der deutschen Innenpolitik, dass sie so langweilig ist. Zum Beispiel ihr Reformeifer. Schul-, Renten- oder Gesundheitssysteme, die gehören ja zur Klasse der unlösbaren Probleme. Wenn in den Nachrichten von der Gesundheitsreform die Rede ist, schalte ich den Ton ab.

19 Koch, Mixa, Köhler, von Beust, welcher ist Ihr Lieblingsrücktritt?

Der Ole von Beust war doch ganz gut. Und dass Herr Köhler es satthatte, kann ich verstehen.

20 Im Vergleich zu, sagen wir, 1960: Ist die Politik insgesamt langweiliger geworden?

Noch langweiliger? Das glaube ich nicht.

21 Wie geht’s denn nun der deutschen Mittelklasse?

Letzten Endes landet man bei solchen Fragen bei einer Statistik. Und der glaubt doch sowieso niemand.

22 Wie lautet Ihr Widerspruch zu dem Trostlossatz »Alle Politiker sind korrupt«?

Die politische Klasse in Deutschland ist bescheiden. Ein Freiflug, ein Ausflug mit dem Dienstwagen, schon regt sich die Presse auf. In Frankreich, wo die Kuverts dicker sind, macht man sich lustig über diese Kleinigkeiten. Jeder Devisenhändler verdient doch mehr als die Bundeskanzlerin.

23 Wie lautet Ihr Widerspruch zu dem Satz »Der SPD fehlt das Personal«?

Vielleicht fehlt der SPD der Butler.

24 Sind Sie politikverdrossen?

Meine Vorliebe für die Politik hält sich in Grenzen.

25 Hängt Ihnen die Politikverdrossenheit auch so zum Halse raus?

Der Begriff der Politikverdrossenheit verdrießt mich.

26 ARD, »Bild«-Zeitung oder »FAZ«, welches Medium tut wohl am meisten für die Politikverdrossenheit?

Sie zu erzeugen gehört zum Businessplan aller Medien. Wir sind darin geübt, ihre Zumutungen zu ertragen, nicht nur, was die Politik betrifft. Der Sport ist schlimmer. Ganze Wochen, in denen sich die Fifa oder das IOC als Weltregierung aufspielt. Wenn Sie so wollen: Nach dieser Fußballweltmeisterschafts-Übung bin ich fußballverdrossen.

27 Stehen wir mit dem Rücken zur Wand?

Welcher Wand?

Er zieht die Augenbrauen hoch. Macht seinen Mund. Das hat ihm bis hierher, offensichtlich, mäßig Spaß gemacht. Er raucht noch immer nicht, wiegt die Zigarette in der rechten Hand. Des Enzensbergers belustigtes Gesicht ist natürlich auch eine Höflichkeitstaktik, und was ist Höflichkeit anderes als der wohlmeinende Versuch, zur Unzulänglichkeit seines Gegenübers eine Distanz einzunehmen, in der es erträglich wird miteinander. Jetzt muss vom...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2014
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 100 Fragen • 99 Fragen • Anthologie • deutschboden • humorvoll • Interviews • Interview-Sammlung • Journalist • Moritz von uslar • Prominente • Reaktionen • SZ-Magazin • Waldstein oder der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005 • Zeit Magazin
ISBN-10 3-462-30797-5 / 3462307975
ISBN-13 978-3-462-30797-9 / 9783462307979
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Nr. 888, Heft 5, Mai 2023

von Christian Demand; Ekkehard Knörer

eBook Download (2023)
Klett-Cotta (Verlag)
9,99