Stadt der Wölfe (eBook)

Spannende Abenteuergeschichte ab 10
eBook Download: EPUB
2015 | 2. Auflage
208 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42683-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stadt der Wölfe -  Christian Linker
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Was würdest du tun, wenn morgen alle weg wären? Janek wacht auf - und ist allein. Alle Menschen sind verschwunden! Dafür erobern Pflanzen und wilde Tiere die Stadt zurück. Verunsichert streift Janek mit einem herrenlosen Hund durch die überwucherten Straßen. Auf der Schultafel hinterlässt er eine Nachricht: »Falls noch jemand übrig ist außer mir: Melde dich bei Janek!« Die Antwort, eine verwischte Kreidespur, versetzt Janek in Panik. Wer versteckt sich vor ihm? Und warum? Plötzlich wird jeder Schatten, jedes Geräusch, jede Bewegung da draußen zur Bedrohung.

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

1


Von ganz allein wachte er auf. Das kam sonst nur am Wochenende oder in den Ferien vor. Doch heute war Montag – das war ja das Problem. 7 Uhr 27. Niemand hatte ihn geweckt!

Sofort kehrte die Wut zurück, sie fuhr wie ein Stromstoß in seinen schmalen Körper. Janek schnellte hoch und kam federnd auf die Füße, sprang zum Fenster und ließ das Rollo hochschnappen. Die Morgensonne stach herein und blendete ihn für einen Augenblick. Er wandte sich vom Fenster ab, während schwarze Punkte vor seinen Augenlidern tanzten. Dann hielt er inne, drehte sich langsam zum Fenster zurück und schaute noch einmal hinaus, wobei er schützend eine Hand über die Stirn hielt. Etwas da draußen hatte ihn irritiert. Aber jetzt war es nicht mehr da – oder, wenn es doch noch da war, dann fiel es ihm nicht mehr auf. Was er sah, schien vollkommen normal: Die Garagen gegenüber warfen lange Schatten in den Hof. Der verrostete Ring des Basketballkorbs an der linken Hofmauer schimmerte rostrot im Morgenlicht. Und an dem alten Apfelbaum schnüffelte Tassilo, der unfreundliche Riesenschnauzer des unfreundlichen Herrn Hartmann aus dem Erdgeschoss.

Das jämmerliche Fleckchen Gras rings um den Baum wurde von den Erwachsenen im Haus als Grünfläche bezeichnet und führte ständig zu erbitterten Kleinkriegen zwischen den Nachbarn; vor allem wegen Tassilo natürlich, der jeden Tag, im Sommer wie im Winter, morgens erst einmal an diesen Baum kackte. Genau wie jetzt. Und gleich würde der unfreundliche Herr Hartmann aus seiner Erdgeschosswohnung geflitzt kommen, mit einem Sandkastenschäufelchen und einer kleinen Mülltüte in der Hand, um das Geschäft seines Hundes zu beseitigen.

Genau das war der Zeitpunkt, an dem normalerweise auch Janek Janczar aus dem Haus geflitzt kam, mit geputzten Zähnen und hochgestylten Haaren, mit Müsli im Bauch und Pausenbrot in der Schultasche, um über den Hof zur Straße hinaus und zur Bahn zu laufen. Eigentlich.

Er riss sich vom Fenster los, vor Wut bebend. Unfassbar, sie hatten ihn tatsächlich allein gelassen! Er rannte in die Küche, ins Wohnzimmer, ins Bad, in Adas Zimmer, ins Elternschlafzimmer und wieder zurück in die Küche. Nicht mal Frühstück hatten sie ihm übrig gelassen! Der Küchentisch war leer und sauber gewischt, als wäre heute Morgen überhaupt niemand hier gewesen, als hätten seine Eltern und seine große Schwester nicht wie jeden Morgen gefrühstückt, bevor sie aufgebrochen waren – Ada zur Schule, Papa ins Büro und Mama in ihren Laden.

Okay. Janek hatte sich gestern Abend ätzend benommen, war vielleicht ein wenig zu weit gegangen. Aber musste man als Elfjähriger damit rechnen, dass alle Großen plötzlich wortwörtlich nehmen, was man sagt? Wollten sie ihm jetzt eine Lektion erteilen, oder was? Er stellte sich vor, wie die drei hier beim Frühstück gesessen, getuschelt und unterdrückt gekichert haben mussten; leise, um ihn nicht zu wecken.

»Der will uns nicht mehr sehen?«, hatte Ada vielleicht gesagt. »Kann er haben! Der wird sich ganz schön wundern.«

»Ob wir ihm nicht doch wenigstens einen Zettel hinlegen?«, könnte Mama dann überlegt haben.

Aber Papa dürfte ihr widersprochen haben: »So lernt er nie, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.«

Was der halt dauernd sagte.

Janek schüttelte den Kopf. Durch die Szene, die er sich soeben in der Fantasie ausgemalt hatte, erschien die ganze Sache zwar weniger unwirklich, war aber trotzdem nicht zu fassen.

Er stieg auf die Eckbank und wuchtete das schwere Müsliglas vom Regal, nahm eine Schale vom Bord und holte Milch aus dem Kühlschrank. War das überhaupt erlaubt, dass Eltern sich mit der großen Tochter aus der Wohnung schlichen und den kleinen Sohn allein in seinem Bett zurückließen? Was würden seine Eltern sagen, wenn er jetzt einfach die Polizei anriefe – armer kleiner Junge zu Hause vergessen? Er füllte einen Berg Müsli in die Schale und häufte einen zweiten aus Zucker obendrauf. Wer wollte ihm das jetzt verbieten, he? Am liebsten würde er sich mit Müsliglas und Zuckerdose im Wohnzimmer vor den Fernseher pflanzen und den ganzen Tag im Schlafanzug verbringen. Allein und völlig verwahrlost. Armer kleiner Junge … das waren doch sonst die Worte von Ada: oh, der arme kleine Janek. Immer, wenn er hilflos und wütend war, von allen Mitgliedern dieser Familie komplett unverstanden.

Ha!, dachte er plötzlich und ließ seine Faust auf den Tisch krachen, dass die Milch über den Rand der Müslischale schwappte. Von wegen armer kleiner Janek! Er sprang auf. Von wegen Verantwortung!

Janek rannte in sein Zimmer, zog sich im Laufen das Oberteil seines Schlafanzugs über den Kopf und warf es aufs Bett. Die roten Ziffern am Radio zeigten 7 Uhr 43. In genau siebzehn Minuten fing die Schule an.

Er hatte keine Chance, aber er wollte es trotzdem versuchen. Mit der einen Hand die Schlafhose runterziehen, mit der anderen ein T-Shirt aus dem Schrank holen, die Hose mit den Füßen abschütteln und gleichzeitig das T-Shirt überziehen, mit der Zahnbürste im Mund Unterhose und Strümpfe zusammensuchen – das dauerte keine zwei Minuten. Die Jeans von gestern tat es noch. Er fand sie unter seinem Schreibtisch, wo er sie gestern Abend in seinem Zorn hingepfeffert hatte. Die Katzenwäsche musste reichen, trotzdem gönnte er sich dreißig weitere wertvolle Sekunden, um seine vom Schlaf ganz unordentlich zerzausten Haare mit einer Handvoll Gel in eine Form von ordentlicher Zerzaustheit zu bringen. Schuhe an, Schultasche, Hausschlüssel, 7 Uhr 47. Und los. Janek stürmte aus der Wohnung, und als die Tür krachend ins Schloss fiel, war er schon auf dem ersten Treppenabsatz. Er galoppierte die Stufen der beiden Stockwerke hinab, an den Briefkästen vorbei, warf sich gegen die Haustür und startete durch, quer über den Hof, wo Tassilo sich im Schatten der Garagen zusammengerollt hatte und ihm zähnefletschend hinterherknurrte. Offenbar war Janek nicht der Einzige, der an diesem Morgen zu spät aus dem Haus kam. Auch Herr Hartmann schien heute nicht gerade auf Zack zu sein, denn Tassilos Geschäft dampfte in der Morgensonne. Janek rannte durch die Toreinfahrt, bog nach links ab und lief auf die Kreuzung zu. Von dort aus sah er die Station, an der tatsächlich gerade eine Stadtbahn stand. Wenn er die erreichte, hätte er doch noch die Chance, halbwegs pünktlich zu kommen.

Er war völlig auf dieses Ziel fixiert, die anstehende Mathearbeit geriet zur Nebensache; er wollte nur noch pünktlich kommen und es allen zeigen: Ada mit ihrem armen kleinen Janek und Mama, die ihn heute zum ersten Mal an einem Schultag nicht geweckt hatte, und Papa natürlich mit seiner bescheuerten Verantwortung.

Die Fußgängerampel zeigte Rot, aber das hielt ihn nicht auf. Ohne nach rechts oder links zu sehen, sprang er aus vollem Lauf auf die zweispurige Straße. In diesem Augenblick kam die Erkenntnis. Und zwar so, als bewegte er sich in extremer Zeitlupe, als schwebte er einen Moment lang in der Luft. Da waren gar keine Autos. Da waren keine Leute unterwegs, nicht eine Menschenseele. Und Tassilo – der hatte gar kein Halsband getragen, als Janek vorhin zum ersten Mal aus dem Fenster gesehen hatte.

Er kam auf dem Asphalt auf, bremste seinen Sprint und trabte noch ein paar Schritte, bevor er mitten auf der großen Kreuzung stehen blieb, wo die vier Fahrspuren mit den beiden Bahngleisen seine eigene kleine Straße querten.

Kein Auto, kein Fahrrad, kein Mofa fuhr, keine Kinder warteten an der Ampel, kein Lieferwagen hielt vor dem Supermarkt, keine Jugendlichen hingen vor dem Kiosk rum. Das Fenster des Kiosks war geschlossen wie sonst nur sonntags. Hinter den breiten Scheiben des Supermarktes herrschte Finsternis. Die Fußgängerampel sprang von Rot auf Grün und summte für sich allein. War gar nicht Montag, sondern Sonntag? Das konnte nicht sein, denn gestern war definitiv Sonntag gewesen, einer von der allerschlimmsten Sorte. Und die große Anzeigetafel an der Bahnstation zeigte es ganz deutlich:

Montag, 4. Juli, 7:52 Uhr

Nächste Bahn:

Darunter war die Tafel leer. Ungläubig staunend ging Janek auf die Station zu, wo noch immer die Bahn stand. Es waren zwei Waggons, menschenleer wie alles andere auch, die Türen standen offen. Er spähte durch die letzte Tür des hinteren Wagens. Die vollkommene Stille war unnatürlich. Die Sonne linste über die Giebel der Häuser auf der anderen Straßenseite und flutete den Waggon mit ihrem Licht.

Hier gab es nichts, wovor er Angst hätte haben müssen – wäre nicht plötzlich die ganze Welt komplett zum Fürchten gewesen. Und hätte er da nicht ein Scharren und Rascheln unter einer der hinteren Sitzbänke gehört. Dort lag ein Haufen weggeworfener Zeitungen. Die sich bewegten! Janek erstarrte. Da lugte das spitze Näschen einer Maus aus dem Blätterberg hervor. Mit zitternden Härchen schnupperte das Tier nach Orientierung, die schwarzen Knopfaugen spähten umher. Janek entspannte sich ein wenig, da fuhr ein Fauchen durch den Stadtbahnwaggon, der Berg aus Papier explodierte und eine braune Katze stürzte sich mit ausgefahrenen Krallen auf die Maus. Janek hörte jemanden brüllen. Die Stimme kannte er doch – es war seine eigene. Er hatte vor Schreck laut geschrien und einen Satz rückwärts gemacht. Die Katze hielt inne. Für einen Sekundenbruchteil bohrten sich die Blicke von Mensch und Tier ineinander. Dann wollte sie sich wieder ihrer Beute zuwenden, doch die Maus war verschwunden. Die Katze warf Janek einen missbilligenden Blick zu und trollte sich, sprang zur vorderen Tür hinaus und verschwand. An der hinteren Tür stand immer noch Janek wie festgefroren mit dem Echo seines Schreis im Ohr.

Er atmete tief ein und...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Abenteuerroman • Action & Abenteuer • alleine auf der Welt • Außenseiter • Deutschland • eBook • Einsamkeit • Freundschaft • Hund • Hunde • interkulturelle Freundschaft • Junior • Kinderabenteuer für Jungen und Mädchen ab 10 • Kinderbuch ab 10 Jahren • Kinderroman ab 10 • Missverständnisse • Mobbing • Mut • Pferde • Schullektüre • Schullektüre 4. Klasse • Schullektüre 5. Klasse • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Selbstbewusstsein • Selbstwertgefühl • Tiere • Traum • Überleben ohne Erwachsene • Welt ohne Erwachsene • Wilde Tiere • Wirklichkeit • Wölfe
ISBN-10 3-423-42683-7 / 3423426837
ISBN-13 978-3-423-42683-1 / 9783423426831
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