Der nächste Winter (eBook)

Eine Erzählung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 5. Auflage
99 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7375-7066-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der nächste Winter -  Uwe Fuchs
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Ein Spaziergang am Elbstrand im Oktober. Aber Sven Bohland kann sich an der herbstlichen Schönheit der Natur nicht erfreuen. Seine bislang steil verlaufene Karriere hat im Zuge der Finanzkrise ein jähes Ende gefunden. Dem Jobverlust folgten Burnout und Vereinsamung. Warum ist alles so gekommen? Und wie soll es weitergehen? Unversehens wird der Ausflug zu einer Reise in die Vergangenheit, einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie.

In Kiel geboren, hier Ausbildung zum Buchhändler. Abitur auf dem zweiten Bildungsweg in Braunschweig. In Hamburg Weiterbildung zum Fachinformatiker, Anstellungen als Softwareentwickler im Verlags- und Theaterbereich. Inzwischen freiberuflich tätig und großenteils in Mecklenburg lebend.

In Kiel geboren. Ausbildung zum Buchhändler. Abitur auf dem zweiten Bildungsweg in Braunschweig. Seit 1999 in Hamburg lebend, hier Weiterbildung zum Fachinformatiker. Anstellungen als Softwareentwickler im Verlags- und Theaterbereich. Seit 2008 freiberuflich tätig.

Ausflug


„Du suchst Ruhe?“, hat mich Tim gefragt, ein Arbeitskollege. „Fahr raus nach Wedel, mach einen Spaziergang an der Elbe. Abends sind da außer dir nur noch Schafe.“

Als ich die Haustür öffne, bin ich wie geblendet. Greller Sonnenschein, wolkenloser Himmel, dazu eine fast unwirkliche Wärme. Ich will schon wieder kehrtmachen, in den kühlen, schützenden Hausflur zurückgehen, aber im letzten Moment nehme ich mich zusammen. Verdrossen mache ich mich auf den Weg.

Ich habe extra den Ausgang zur Wasserseite genommen, in der Hoffnung, dass hier nur wenig los sein wird. Irrtum! Etliche Leute sind unterwegs, bedecken die Kaimauern, ergießen sich über die hölzernen Pontons, verstopfen die Fußgängerbrücken. Der Sandtorhafen, an den Wochenenden sonst ein beschauliches Plätzchen, gleicht heute einem Bienenstock.

Dabei ist es hier schon unter der Woche recht ungemütlich, wegen des permanenten Baulärms. Gerade werden überall stählerne Duckdalben in den Boden des Hafenbeckens gerammt, um daran später alte, ausgediente Schiffe zu vertäuen – als Attraktion für Touristen. Am Fuß der Magellan-Terrassen hat eine erste, schicke Café-Bar eröffnet. Zahlreiche Leute sitzen auf der Terrasse in der Sonne. Sicher überwiegend Spaziergänger, aber möglicherweise sind auch Anwohner unter ihnen. Meine Nachbarn... bei dem Gedanken muss ich grinsen. Gleichzeitig macht sich ein Gefühl von Bitterkeit in mir breit.

Jenseits des Kleinen Grasbrooks ist alles noch Baustelle. Die Rohbauten ragen wie bleiche Skelette in den Himmel und lassen die Straße zu einer Schlucht werden. Ob die Häuser jemals fertig werden? Das scheint angesichts der sich rapide verschlechternden Wirtschaftslage fraglicher denn je.

Ich haste durch die Speicherstadt, ohne Blick für die pittoresken, backsteinernen Lagerhäuser zu beiden Seiten. Das Gebäude des „Spiegel“ lasse ich rechts liegen. Je weiter ich mich der Innenstadt nähere, desto mehr verdichtet sich das Menschengewühl. Schließlich sind es wahre Massen, die sich über die Straßen und Plätze schieben.

Wie kann es mitten im Oktober so warm sein? Aber die Herrlichkeit wird nicht lange währen: Bereits für heute abend hat der Wetterbericht Regen, Sturm und deutliche Abkühlung vorhergesagt. Der Winter naht, auch wenn man es angesichts des sonnendurchfluteten Straßenbildes gar nicht glauben mag.

„Und nimm besser nicht den Wagen“, hat Konrad mir geraten, ein anderer Arbeitskollege, „da stehst du bloß im Stau. Fahr lieber mit der S-Bahn.“

Jetzt nähere ich mich der Alster. An der Bahnstation werde ich Teil des Menschenstroms, der auf der Rolltreppe in die Tiefe gleitet. Die Sonne verschwindet, kaltes Neonlicht tritt an ihre Stelle.

Am Fuß der Treppe beginnt ein Labyrinth aus Tunneln und Treppen. Als ich halt mache und versuche, das Schilder-Wirrwarr zu verstehen, werde ich von Passanten angerempelt, zur Seite geschubst. Der Geräuschteppich zerrt an den Nerven. Ich bin kurz davor, endgültig die Geduld zu verlieren und umzukehren, als ich die rettende Aufschrift entdecke: „S1/S3“. Neue Hoffnung schöpfend arbeite ich mich weiter voran und finde schließlich den Bahnsteig.

Nun stehe ich zwischen den Wartenden: Shopper mit prall gefüllten Einkaufstüten, Gruppen von gackernden Teenies, eine Meute lärmender Touristen. Viele Leute klackern auf ihren Handys herum oder starren den Werbe-Bildschirm jenseits des Gleises an. Überall laufen Tauben pickend umher.

Wann habe ich zuletzt öffentliche Verkehrsmittel benutzt? In Hamburg jedenfalls noch nicht, obwohl ich hier nun schon vier Jahre lebe. Normalerweise nehme ich das Auto, egal ob ich ins Büro fahre oder zu einem Kunden will. Zum Flughafen rufe ich mir ein Taxi. Über die Jahre ist meine Abneigung, mich in Bussen und Bahnen unters Volk zu mischen, immer größer geworden. Außerdem kann ich mich im Taxi oder im eigenen Wagen besser auf die anstehenden Termine konzentrieren.

Endlich kommt die Bahn. Als ich sehe, wie die Leute ins Innere des Zuges drängeln, zögere ich wieder. Dann steige ich ebenfalls ein.

***

Die Luft im Zug ist zum Schneiden dick, obwohl alle Fensterklappen offen stehen. Ich sitze eingequetscht zwischen Menschen und Einkaufstüten. Von irgendwoher ertönt meckernder Sprechgesang, unterlegt von rhythmischem Zischen und Klappern. Ich versuche die Lärmquelle ausfindig zu machen, was sich als schwierig herausstellt: Kaum ein Ohrenpaar, aus dem nicht Kabel heraushängen. Besonders junge Leute stopfen sich, kaum dass sie den Zug betreten, fast automatisch die Stecker in die Gehörgänge. Offenbar die Standardausrüstung zum Bahnfahren...

Tim. Konrad. Noch immer denke ich an die beiden als meine Arbeitskollegen. Dabei wird es Zeit, dass ich mich an die neue Situation gewöhne: Sie sind meine ehemaligen Arbeitskollegen! Es ist vorbei. Ich bin raus.

Warum musste die Kündigung gerade jetzt kommen? Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich finanziell etwas gewagt, mich verschuldet. Eigentumswohnung, noch dazu eine so teure. Hätte es nicht etwas bescheidener ausfallen können? Ein schlichterer Stadtteil, in dem die Preise nicht so exorbitant hoch sind? Nein, es musste die Hafencity sein. Wenn schon, denn schon, habe ich mir gesagt. Aber ein gutes Gefühl hatte ich bei der Sache von Anfang an nicht.

Kaum hatte ich mein Vorhaben in die Tat umgesetzt, passierte es prompt: Die Turbulenzen an den Finanzmärkten erwischten unser Unternehmen. Krise – bislang hatte niemand im Kollegenkreis ernsthaft einen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet. Jahrelang immer nur Wachstum, Expansion, steigende Gewinne. Auch nach dem Crash sah es eine ganze Weile so aus, als würde der Kelch an uns vorübergehen. Aber dem war nicht so. Plötzlich hieß es: Die Kunden bezahlen ihre Rechnungen nicht mehr, stornieren die Aufträge reihenweise. Offenbar ging es nun auch bei uns bergab. Alle ahnten, dass bald Köpfe rollten würden.

Es war mein Telefon, das als erstes klingelte. Als ich die Nummer des Chefs auf dem Display las, konnte ich mir denken, was die Stunde geschlagen hatte. Ich ging in sein Büro wie zu einer Hinrichtung. Als erstes schloss er hinter mir die Tür, die sonst grundsätzlich offen stand. Dann kam er ohne Umschweife zur Sache: „Herr Bohland, wir können Sie nicht länger beschäftigen.“

Ich hätte gedacht, dass man bei einer solchen Nachricht von Emotionen schier überwältigt würde. Heillose Verzweiflung spürte, grenzenlose Wut oder etwas in der Art. Aber in mir war nur Leere.

Der Chef schaute mich mit einer maskenhaften, Betroffenheit simulierenden Miene an und wartete. Als offensichtlich war, dass es mir die Sprache verschlagen hatte, nahm er den Faden wieder auf. Er murmelte Plattitüden von Krise, der Notwendigkeit zu schrumpfen, einer auch für ihn unangenehmen Situation und dergleichen. Ich hörte kaum hin.

Erst als er seinen Vortrag mit den Worten „Sie sind ab sofort freigestellt“ schloss, erwachte ich aus meiner Erstarrung. Freigestellt. Das hieß ja wohl, dass ich gehen konnte. Feierabend. Für immer.

„Ihr Gehalt läuft selbstverständlich bis zum Vertragsende weiter.“ fügte er noch hinzu, aber da war ich schon wieder in Gedanken.

Der Gang zurück in mein Büro geriet zu einem Spießrutenlauf. Aus sämtlichen Türen wurden mir mitleidige Blicke zugeworfen. Jeder konnte sich denken, welche Art von Gespräch ich mit dem Chef geführt hatte.

Als ich nach Hause kam, so ungewohnt früh am Tag, machte es endlich „klick“. Ich betrachtete die unausgepackten Umzugskartons, die überall herumstanden, und fing plötzlich an zu zittern. Irgendetwas drückte mir die Luft ab, mir wurde schwindelig, ich bekam Schweißausbrüche. Nachts wurde es so schlimm, dass ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste, als den Notarzt zu rufen. Der gab mir eine Beruhigungsspritze und riet mir, einen Psychologen zu konsultieren.

Das war vor vier Wochen. Mittlerweile geht es mir wieder besser. Aber noch immer fällt es mir schwer zu begreifen, was eigentlich passiert ist.

***

Der Zug hält an den Landungsbrücken. Angeblich ein beliebtes touristisches Ziel, aber es steigen nur ärmliche, abgerissene Gestalten ein. Einer der Typen stellt sich neben zwei Kinderkarren und öffnet eine Dose Bier. Die beiden dunkelhäutigen Kinder in den Karren schauen ihn aus großen Augen an. Ihre Mütter blicken betreten zur Seite. Anscheinend erleben sie eine solche Situation nicht zum ersten Mal. Es ist grotesk und abstoßend. Ich möchte aussteigen.

Dann wird mir mit Grausen klar, dass solche Situationen von nun an zu meinem Leben gehören werden. Ich kann ihnen nicht mehr ausweichen. Mein Auto, für das ich vor kurzem noch viel Geld bezahlt habe, ohne dass es mir sonderlich weh tat, werde ich wohl wieder verkaufen müssen. Der Wohnungskauf hat mein Konto komplett leer geräumt. Und nun arbeitslos. Ich bin so blank, dass nicht mal mehr ein alter, klappriger Gebrauchtwagen drin ist.

Ein lauter Rülpser. Die Gestalt mit ihrem Dosenbier wankt im Rhythmus des fahrenden Zuges hin und her. Welche Umstände mögen einen Menschen derart verwahrlosen lassen? Was muss passieren, damit man sich dreckstarrend zwischen die Leute stellt und billiges Bier säuft? Hat ein Schicksalsschlag den Kerl aus der Bahn geworfen?

Der Gedanke treibt mir den Schweiß aus den Poren. Da ist es wieder, das Gefühl der Beklemmung. Genau wie vor vier Wochen, als mir gekündigt wurde und ich vorzeitig nach Hause kam, niedergestreckt, gedemütigt.

***

Dabei bin ich längst nicht mehr der Einzige, den es erwischt hat. Mittlerweile verlieren die Leute reihenweise ihre Arbeit. Auch in meiner Branche, der...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Schlagworte Burnout • Einsamkeit • Entwicklung • Jobverlust • Krise • Vergangenheit
ISBN-10 3-7375-7066-3 / 3737570663
ISBN-13 978-3-7375-7066-4 / 9783737570664
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