Unsterblich (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-18072-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unsterblich -  Jens Lubbadeh
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Diese Zukunft ist nur einen Klick entfernt
Der Traum der Menschheit vom ewigen Leben ist Wirklichkeit geworden: Dank Virtual-Reality-Implantaten können die Menschen als perfekte Kopien für immer weiterleben. Stars der Popkultur sind inzwischen wieder auferstanden und werden weltweit gefeiert - bis einer von ihnen eines Tages spurlos verschwindet. Eigentlich unmöglich! Für den Versicherungsagenten Benjamin Kari wird aus der Suche nach einem digitalen Klon ein mörderisches Katz-und-Maus-Spiel.

Jens Lubbadeh ist freier Journalist und hat bereits für »Die Zeit«, »NZZ«, »Bild der Wissenschaft«, »Technology Review«, »Spiegel Online« und viele weitere Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert Quandt Medien-Preis ausgezeichnet. Sein Roman-Debüt »Unsterblich« hat auf Anhieb Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Seitdem hat er mehrere hochkarätige Science-Thriller veröffentlicht. Jens Lubbadeh lebt in Berlin.

2

Immortal Inc., Immortalisierungsbericht,

File-Nr. 3721-050304-1222112

Dietrich, Marlene (r) Geburtstag: 27. Dezember 1901, Berlin

Dietrich, Marlene (r) Todestag: 6. Mai 1992, Paris

Dietrich, Marlene (v) Immortalisierung: 24. Juli 2036

Ort der Immortalisierung: Immortal Inc. Incubator II

(Lazarus), San Bruno, Kalifornien, USA

Alter des Ewigen: 36 Jahre

Copyright: Paramount Pictures

Hades: Koenigsallee 30, 14193 Berlin, Germany

Marlene Dietrich saß vor ihm. Sie blickte ihn aus ihren blauen Augen an, die Lider leicht gesenkt, wie es typisch für sie war. Die blonden Haare waren aus der hohen Stirn gekämmt und fielen in üppigen Locken über die Schultern. Ihr Mund gab ihrem Gesicht eine Andeutung von … leichter Belustigung? Neugier? Oder war es Langeweile? Man konnte so vieles in dieses außerordentliche Gesicht hineinlesen.

Kari war noch niemals einer so schönen Frau begegnet. Noch niemals einer, die eine solche Präsenz besaß. Er vergaß, dass er »nur« ihrem Ewigen gegenübersaß.

»Mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte sie ihn.

»Mein Name ist Benjamin Kari. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Frau Dietrich«, sagte er.

Er konnte kaum den Blick von ihr abwenden, so schön war sie. Und natürlich wusste sie das.

Marlene Dietrich sprach mit ihm. Ihre Stimme. Unzählige Male hatte er sie gehört, in Interviews, in Konzerten, in Filmen natürlich. Aber das waren alles Konserven gewesen. Jetzt hörte er sie wirklich sprechen. Es war eine Betörung. Optik und Audio waren bei ihr erstklassig gelungen.

»Was möchten Sie essen, Sir?«

Die Stimme der Stewardess riss ihn aus seinen Erinnerungen. Kari öffnete die Augen und sah in ein stark geschminktes Gesicht.

»Ich nehme den Fisch«, sagte er.

Kari war auf dem Weg nach Hamburg, um Lars von Trier zu treffen, der sich dort gerade aufhielt. Danach würde Kari weiter nach Berlin fahren, zu Marlene Dietrichs Hades. Zehn Stunden Flug lagen noch vor ihm. Mehr als genügend Zeit, um sich den Fall Dietrich noch einmal in Erinnerung zu rufen.

Als die Stewardess den Becher mit Wasser und Orangensaft abstellte, sah er kurz ihren Lebenstracker an ihrem rechten Handgelenk funkeln. Ein winziger Diamant, klein wie eine Linse. Erst neulich hatte er gelesen, dass bereits über 95 Prozent der US-Bevölkerung Lebenstracker trugen. Bei den Hirnchips war die Penetranz noch besser: 99,9 Prozent. Aber die waren schließlich auch gesetzlich vorgeschrieben.

Marlene Dietrich war einer der ersten wirklich prominenten Fälle in Karis Laufbahn als Zertifizierer gewesen. Acht Jahre war ihre digitale Wiederauferstehung nun her. Er ließ den Fisch abkühlen und versank wieder in Gedanken.

»Wie fühlen Sie sich, Frau Dietrich?«

»Oh, ganz fantastisch. Ich bin heute so beschwingt. So frisch.«

»Wie … neugeboren?«, sagte er und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Ja«, sagte sie. »Das trifft es.«

Natürlich wusste sie nicht, dass sie wirklich neu geboren war.

Kari hatte in seiner Laufbahn viele Hollywooddiven zertifiziert: Marilyn Monroe, Lauren Bacall, Elizabeth Taylor, Audrey Hepburn, Sophia Loren, Meryl Streep. Er war eine unangefochtene Autorität auf dem Gebiet und hatte damit sein Hobby zum Beruf gemacht. Kari war schon immer ein Liebhaber alter Filme gewesen. Und Hollywooddiven faszinierten ihn. Insbesondere Marlene Dietrich.

»Fühlen Sie sich wohl in Berlin, Frau Dietrich?«

»Ick bin nen Berliner Mädel, det wissen Se doch«, sagte die Dietrich und lachte.

Marlene, die Humorvolle. Und das trotz ihres ambivalenten Verhältnisses zu ihrer Heimat.

Ja, Marlene Dietrich war ein Berliner Mädel. 1901 war sie in eine privilegierte Familie in Berlin-Schöneberg hineingeboren worden. Dennoch konnte Kari nicht verstehen, warum Paramount Berlin als Hades gewählt hatte. Marlene Dietrich hatte Deutschland Anfang der 1930er-Jahre verlassen. Die deutsche Filmgesellschaft Ufa hatte sie nicht gewollt, trotz ihres überwältigenden Erfolgs mit dem Blauen Engel. Ihr Entdecker, der Regisseur Josef von Sternberg, hatte sie mit in die USA genommen. Dann ergriff Hitler die Macht, der Zweite Weltkrieg begann, und Dietrich reiste sogar freiwillig mit den amerikanischen Soldaten an die Front, um sie zu stärken – im Kampf gegen die Soldaten ihrer Heimat.

Marlene Dietrich war nie wieder zurückgekehrt. Warum sollte ihre Ewige nun also in Berlin wohnen? Für Kari fühlte sich das falsch an. Deutsche Diven hätten so etwas Mondänes, begründete Paramount seine Wahl. Hildegard Knef. Romy Schneider. Diane Kruger. Martina Gedeck. Das liebten die Zuschauer.

Besser hatte Paramount bezüglich des Wiederauferstehungsalters entschieden. Marlene Dietrich war als Sechsunddreißigjährige immortalisiert worden.

Die Altersfrage war eine der schwierigsten Entscheidungen bei der Immortalisierung von Personen. Schließlich würde sich der Ewige nicht mehr verändern.

Bei Prominenten war ausschlaggebend, in welchem Lebensabschnitt der Star am stärksten im kollektiven Gedächtnis verankert war. Bei manchen war das leicht zu beantworten, bei anderen nicht. Marlon Brando etwa gehörte zu den schwierigen Fällen. War der junge wilde Brando in Die Faust im Nacken ikonischer als der allmächtige Mafiapate Vito Corleone? Letztlich war es bei Stars eine ökonomische Entscheidung.

Sechsunddreißig war eine gute Wahl für eine Schauspielerin. Für die echte Marlene Dietrich war das ein schwieriges Lebensalter gewesen. Ihre Karriere hatte damals auf der Kippe gestanden. Sie hatte sich zwar mit mehreren Filmen in Hollywood etabliert, doch 1937, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, galt die »Deutsche« plötzlich als »Kassengift«. Und was tat die Dietrich, die Hitler und die Nazis immer gehasst hatte? Sie wurde Amerikanerin.

»Wie gefällt es Ihnen in den USA

Eine harmlose Frage am Anfang der Zertifizierung.

»Ganz ausgezeichnet«, antwortete sie. »Die Amerikaner haben einen herrlich trockenen Humor.«

Er sah auf das Display. Es bestätigte, was er auch so schon bemerkt hatte – keine Mikromimik-Ausschläge. Kari hatte bei dieser Frage auch keine erwartet. Marlene Dietrich hatte nie besonders an den USA gehangen. Aber so etwas würde sie nie öffentlich zugeben, dafür war sie viel zu höflich.

»Ich habe hier mit großartigen Regisseuren arbeiten dürfen. Mr. von Sternberg. Mr. Billy Wilder. Und natürlich Mr. Orson Welles. Er ist ein Genie.«

Marlene, die Bescheidene.

»Mit welchem Regisseur würden Sie noch gerne zusammenarbeiten?«

Sie überlegte einen Moment.

»Mit Ingmar Bergman. Ich liebe seine Filme.«

Eine absehbare Antwort.

»Wie wäre es mit Quentin Tarantino?«, fragte Kari, wohl wissend, was sie von dieser Idee halten würde.

Mikromimik Verachtung. Fünfundvierzig Millisekunden lang.

»Ich glaube, ich würde nicht in sein Konzept passen.«

Marlene, die Diplomatische.

Marlene Dietrichs Ewiger hatte natürlich ein Update bekommen, um sich in der Gegenwart zurechtzufinden. Daher wusste sie, wer Tarantino war. Seit ihrem Tod waren immerhin mehr als fünfzig Jahre vergangen.

Bei allen Ewigen von Prominenten aus der Prä-Immortalisierungszeit bestand das Problem, dass sie keinen Lebenstracker getragen hatten. Der Tracker erfasste alles, was der Mensch zeit seines Lebens getan, gesagt und gefühlt hatte, indem er sämtliche messbaren Signale analysierte und aufzeichnete: Stimme und Sprechweise, Bewegungs- und Verhaltensmuster, Herzschlag, Hautleitfähigkeit, Botenstoff- und Hormonausschüttungen. Daraus ergab sich ein ziemlich umfassendes Profil eines Menschen. Gab es Trackerdaten, war es einfach, eine automatisierte lebensechte Simulation eines Menschen zu erstellen. Sie konnte alles tun, was der Mensch auch hätte tun können. Sie war genauso intelligent, witzig, einfallsreich – oder auch nicht, je nach Persönlichkeit. Aber die Ewigen konnten nicht über das hinaus, was der Mensch gewesen war. Sie waren Computercodes. Sie reagierten immer so, wie die Algorithmen es aus dem Verhalten des jeweiligen Menschen zu Lebzeiten berechneten. Sie waren gefrorene Zeit – wie das Vermeergemälde.

Als Immortal die Technologie der Immortalisierung entwickelt hatte, waren viele Menschen skeptisch gewesen. Der Gedanke, dass sie völlig berechenbar waren, behagte vielen nicht. Was war mit dem freien Willen? Gab es den nicht mehr? Dazu noch all die datenschutzrechtlichen Fragen. Konnte Immortal wirklich versichern und sicherstellen, dass die Trackerdaten absolut vertraulich blieben?

Als die ersten Ewigen dann auftraten, waren viele schnell überzeugt. Der Drang des Menschen, etwas Bleibendes in dieser Welt zu hinterlassen, seien es Kinder, Bücher, eine Formel oder auch nur eine eingeritzte Botschaft in einem Baum oder einer Parkbank, war übermächtig. Die Aussicht, ewig zu leben, wenn auch nur digital, war für viele Menschen einfach zu verlockend gewesen. Es war ein technischer Ausweg aus dem unerträglichen Gedanken an die eigene Endlichkeit.

Zweifler blieben. Die Thanatiker hatten mit den Ewigen und Immortal nie ihren Frieden machen können.

Doch bei den Prominenten des zwanzigsten Jahrhunderts, die in der Prä-Immortalisierungszeit gelebt hatten, war die Verewigung aufwendiger. Sie mussten auf Basis des Mediamaterials rekonstruiert werden....

Erscheint lt. Verlag 11.7.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Cyberspace • Cyberthriller • Deutschland • dystopie fantasy • eBooks • Heimatkrimi • Jens Lubbadeh • Klon • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Marlene Dietrich • Nahe Zukunft • Near future • Noir • Philosophie • Science-Thriller • Spannung • Unsterblichkeit • Virtuelle Realität • wissenschaftsjournalist
ISBN-10 3-641-18072-4 / 3641180724
ISBN-13 978-3-641-18072-0 / 9783641180720
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