Hinter dem Blau (eBook)

Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich.
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
208 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-944296-16-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hinter dem Blau -  Alexa von Heyden
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Die fröhliche Studentin Sunny schreibt ihre Abschlussarbeit zum Thema »Lebenslust und Lebensmüdigkeit - der Selbstmord als Kulturphänomen«. Was niemand weiß: Sunnys Kindheit wurde von einer Tragödie überschattet. Als sie fünf Jahre alt war, beging der manisch-depressive Vater Selbstmord. Zwanzig Jahre nach seiner Tat sichtet sie den Nachlass des Vaters und beschäftigt sich erstmals intensiv mit seiner Geschichte und den Motiven für seine Tat. Was sie dabei entdeckt, schockiert Sunny, hilft ihr aber auch, ihm zu vergeben. Energisch packt sie ihre Zukunft an. Alle 40 Sekunden nimmt sich ein Mensch das Leben. Der Selbstmord gehört damit zu den häufigsten Todesursachen weltweit, bleibt aber eines der großen Tabus der Menschheit. In Deutschland begeben sich immer mehr Menschen wegen Depressionen in Behandlung. Viele entscheiden sich dennoch für den Freitod, vor allem Männer wählen diesen Weg. Familien und Freunde bleiben zurück. Alexa von Heydens einfühlsam erzähltes Memoir bietet einen berührenden Einblick in ein Thema, über das in unserer Gesellschaft häufig geschwiegen wird, und schildert hautnah das Schicksal einer Betroffenen. Die Berliner Autorin Alexa von Heyden hat einen bewegenden autobiografischen Roman über einen großen Verlust geschrieben - und über den langen Weg zurück ins Leben.

Alexa von Heyden wurde 1978 in Bonn geboren und arbeitet als Modejournalistin und Autorin für diverse Medien wie Journelles, Gala und Stern. 2007 gründete sie ihr Schmuck und Accessoires-Label vonhey, 2013 erschien ihr Bestseller »Hinter dem Blau«. Sie lebt in Berlin.

Alexa von Heyden wurde 1978 in Bonn geboren und arbeitet als Modejournalistin und Autorin für diverse Medien wie Journelles, Gala und Stern. 2007 gründete sie ihr Schmuck und Accessoires-Label vonhey, 2013 erschien ihr Bestseller »Hinter dem Blau«. Sie lebt in Berlin.

 

Meine Mutter steht hinter einer Absperrung in Terminal eins und lächelt in sich hinein. Noch sieht sie mich nicht, aber ich sehe sie: Wie sie von einem Bein auf das andere tritt, in ihrer knautschigen braunen Lederhandtasche nach einem Pfefferminzbonbon kramt und dann wieder aufschaut und lächelt – sie kann ihre Vorfreude nicht verbergen. Auch ich würde am liebsten losrennen und sie umarmen, aber ich warte noch auf meine Siebensachen, während fremde Koffer auf dem quietschenden schwarzen Gepäckband an mir vorbeifahren. Es herrscht Gedränge, die Stimmung ist angespannt. Am Freitagabend betet jeder Passagier, dass seine Tasche nicht die letzte ist. Alle wollen zu ihrer Familie, ins Wochenende. Das Gepäck einer Frau ist so schwer, dass sie es nicht allein hochheben kann. Ein Mann hilft ihr. Als er sich bückt, um den Trolley mit beiden Händen vom Band zu schaufeln, rutscht seine Hose ein Stück runter und legt seine behaarte Po-Ritze frei. Ich muss lachen. An den Glaswänden stehen in großen gelben Klebebuchstaben die Artikel aus dem Rheinischen Grundgesetz geschrieben. »Jede Jeck is anders« – das ist mein Lieblingsspruch. Während der Mann seine Last auf einen klapprigen Gepäckwagen krachen lässt, schiebe ich mich mit einem »’tschuldigung« an ihm vorbei und berge, was mir gehört.

Hinter der Glaswand, die mich und meine Mutter nur noch wenige Augenblicke voneinander trennt, recken und strecken sich die Köpfe von Menschen, um ihre Verwandtschaft zu entdecken. Meine Mutter ist nicht groß, so wie viele Mütter kleiner als ihre erwachsenen Töchter sind. Als sie mich sieht, winkt sie mit beiden Armen, als müsse sie einen Hubschrauber einwinken, und lacht so doll, dass man die Lücke zwischen ihren Vorderzähnen sieht. Ich sehe sie auf- und abspringen, stumm, ohne Geräusche, und forme mit dem Mund ein »Hallo«.

Meine Mutter liebt Wiedersehen. Am liebsten hätte sie uns Kinder nie von zu Hause wegziehen lassen. Jetzt lebt sie allein in einem Haus, in dem zu viele Zimmer leer stehen und in dem ihr niemand eine gute Nacht wünscht, bevor sie schlafen geht. Immer, wenn ich wegfahre, muss ich ihr versprechen, dass ich bald wiederkomme. Ich wünschte, ich könnte sie einpacken und mitnehmen, aber so funktioniert das Leben nicht.

»Sonnenschein!«, ruft sie, als ich in die Ankunftshalle des Flughafens trete. Ein paar Leute schauen zu uns hin. Meine Mutter klatscht in die Hände und presst sie vor ihrem Herzen zusammen. Dann breitet sie ihre Arme aus und lässt mich in sie hineinlaufen, wie ein Sprinter ins Ziel. Wir umarmen uns länger als die meisten anderen, die sich heute wiedersehen. Meine Mutter überschüttet mein Gesicht mit Küssen. Als Teenager war es mir peinlich, wenn sie mich in der Öffentlichkeit »Sonnenschein« nannte und abknutschte. Heute will ich in den Arm genommen, geküsst und mit Kosenamen gerufen werden. Alle sollen sehen, wie glücklich ich bin, meine Mutter zu haben. Mein Vater holt mich nicht ab. Er ist tot.

Mein Vater war manisch-depressiv und hat sich das Leben genommen. Es ist lange her und ich rede nicht gern darüber. Meine ganze Familie redet irgendwie nicht viel darüber. Vielleicht weil keiner so richtig weiß, wie. Irgendwer fängt immer an zu weinen und ehe man sich versieht, ist die Stimmung im Eimer. Aber das soll nun anders werden, zumindest habe ich es mir vorgenommen. An diesem Wochenende bin ich nicht zu Besuch, um gut zu essen und meine Wäsche zu waschen. Es ist weder ein Feiertag noch hat jemand Geburtstag. Ich bin gekommen, um mich zu erinnern. Das hat sowohl persönliche als auch praktische Gründe. Ich brauche Infos für meine Abschlussarbeit, die ich in ein paar Wochen abgeben muss. Das Thema heißt »Lebenslust und Lebensmüdigkeit – der Selbstmord als Kulturphänomen«.

Ich bin jetzt 25 Jahre alt und habe keinen Schimmer, wer ich bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht weiß, wer mein Vater eigentlich war. Das Problem war mir vorher nicht so bewusst, aber dann ist etwas passiert und das war so, als hätte mir jemand einen Kübel Eiswasser ins Gesicht gekippt.

Vor ein paar Monaten habe ich mich in Magnus verliebt. Es war in einer Bar in Berlin, wo man Flipper spielen kann. Er stand mit dem Rücken zu mir und hämmerte auf den blinkenden Spielautomaten ein. Mir gefielen sein Lockenkopf und seine Arme, auf denen sich die Adern wie Seile abzeichneten. Als er sich umdrehte, wusste ich, dass da was geht. Meine Knie wurden weich und ich konnte kaum mehr dem Gespräch meiner Freundinnen folgen, mit denen ich an der Theke stand und Tequila trank. Ich dachte nur noch daran, ihn zu küssen.

Zwei Stunden später fuhr ich auf Magnus’ Fahrradlenker mit ihm nach Hause und schlief mit ihm, ohne zu wissen, was er für ein Sternzeichen ist, wie er mit Nachnamen heißt und ob er irgendwelche Geschlechtskrankheiten hat. Magnus sagte, mein Geruch würde ihn süchtig machen, und küsste meinen Busen und meinen Bauch, bevor er mir die Unterhose auszog. Er fragte mich, ob ich wüsste, wie lustig ich sei. Ich hätte in der Bar einen Spruch nach dem anderen rausgehauen; so ein schlagfertiges Mädchen wie mich hätte er noch nie erlebt. Und er kommt aus Berlin, das will was heißen. Ich bin ja eher vom Dorf.

»Meine ganze Familie ist so lustig«, antwortete ich. Es ist nicht so, dass wir uns zu Hause gegenseitig Sketche aufführen. Eine kleine Bemerkung am Rande reicht aus und meine ganze Familie bricht in Lachen aus. Mein Kumpel Andi behauptet, dass Humor eine Art der Kompensation sein kann, man müsse nur an den Jüdischen Humor denken. Gerade weil bei uns in der Familie so etwas Schlimmes passiert ist, sind wir so lustig. Auf der anderen Seite ist es eine sichere Methode, damit man nicht auf »das Thema« zu sprechen kommt.

Dann fragte mich Magnus: »Was machen deine Eltern?«

Ich erzählte ihm, dass meine Mutter Ärztin ist und mein Vater schon tot.

»Tut mir leid zu hören«, sagte er.

Ich schob direkt hinterher: »Das braucht dir nicht leidzutun, der hat sich umgebracht.«

Nie zuvor hatte ich das so geradeheraus zu jemandem gesagt, schon gar nicht zu einem Mann, dem ich gefallen wollte. Aber zu Magnus hatte ich von Anfang an Vertrauen, es war ganz komisch. Den Rest der Nacht blieben wir wach und hörten Musik. Wir konnten nicht schlafen, denn wir verliebten uns. Erst als die Sonnenstrahlen über die Dächer krochen, überkam uns die Müdigkeit.

Ich wachte am Nachmittag auf. Magnus war nicht da, als ich die Augen aufschlug. Ich war nackt, er war einkaufen – das stand auf einem Stück kariertem Papier, das neben mir auf dem Kopfkissen lag. Ich überlegte, ob unsere gemeinsame Nacht doch nur eine einmalige Sache gewesen war und ich, ohne Tschüss zu sagen, abhauen sollte, aber ich wollte nicht gehen. Ich stand auf und spionierte in der Wohnung herum, suchte nach einem Ausweis mit Magnus’ Nachnamen, Fotos von einer eventuellen Freundin, schaute mir die Klamotten im Schrank und die Lebensmittel im Kühlschrank an, was für Zeitungen neben seinem Bett lagen und welches Duschgel er benutzte. Ich versuchte mich ein bisschen herzurichten, rubbelte mir mit dem Zeigefinger und Zahnpasta über die Zähne, wusch mir die Wimperntuschereste aus dem Gesicht und suchte nach einem Deo, aber fand keins. Als Magnus die Tür aufschloss, sprang ich unter die weiße Bettwäsche und tat so, als wäre ich gerade erst aufgewacht. Als er einen Himbeerjoghurt für mich aus der Tüte packte, wusste ich, dass es kein One-Night-Stand gewesen war. Mein letzter Freund wollte noch nicht mal, dass meine Zahnbürste in seinem Badezimmer stand. Magnus reichte mir den Joghurt und einen Esslöffel ins Bett und legte sich in Klamotten neben mich.

»Was machst du eigentlich?«, fragte ich ihn.

»Jura studieren«, antwortete er.

»Du siehst gar nicht aus wie ein Jurist.«

»Wie sehen Juristen denn aus?«

»Hast du keinen Lodenmantel?«

»Nein, ich bin doch kein Förster!«

»Und auch keinen Siegelring?«

»Nein!«

»Hast du eine Freundin?«

»Ich hoffe es.«

Dann mussten wir beide lachen.

Die folgenden Tage war ich nur in meiner WG, in der ich mit meinen Freundinnen aus der Bar lebte, um frische Klamotten zu holen, und fuhr dann wieder zu Magnus. Wir gingen im Park spazieren, knutschten hinter den Bäumen und verbrachten den Rest des Tages im Bett. Ich wohnte gewissermaßen seit unserer ersten Nacht bei ihm und habe damit wohl gegen sämtliche Regeln des Datings verstoßen. Im Nachhinein glaube ich, dass unser Kennenlernen wirklich so etwas wie Schicksal war, denn was dann geschah, sollte uns für immer zusammenschweißen.

Eines Abends ging ich los, um uns Rotes Curry vom Thailänder zu holen. Als ich zurückkam, saß Magnus mit seinen Klamotten unter der Bettdecke, war ganz blass und sagte, er wolle nichts mehr essen. Gerade habe ein Kumpel angerufen und gesagt, es sei was Schlimmes geschehen. Sein Freund Thorsten sei angeblich tot. Man wisse nichts Genaues, aber der Bruder hatte wohl einem anderen Freund Bescheid gesagt und in der Zeitung von heute stehe ein Bericht über einen Typen, der in Berlin-Mitte von einem Hochhaus gesprungen war. Auf dem Foto sah man die Schuhe des Toten und Magnus meinte, das wären Thorstens Stiefel. Ein paar Stunden später bestätigten die Eltern, dass ihr Sohn tot war. Seitdem schlief Magnus nicht mehr auf mir, sondern in meinen Armen ein. Er sagte, ich solle ihn einfach nur festhalten.

Vor ein paar Wochen waren wir noch mit Thorsten auf einer Party gewesen, wo er ein paar Worte mit mir gewechselt hatte. »Du bist also die neue Freundin …«, sagte er und es klang, als ob er mich auf die Probe stellen wollte.

Ich antwortete »Hallo, ich bin...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2013
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aufarbeitung Vergangenheitsbewältigung • Biografie • Depression • Doppelleben • Erinnerung • Erwachsenwerden • Familie • Familiengeschichte • Halbwaisen • Schicksal • Selbstmord • Suizid • Tragödie • Trauer • Trauma • Untreue • Vater • Vergangenheit • Vergebung • Verlust
ISBN-10 3-944296-16-8 / 3944296168
ISBN-13 978-3-944296-16-6 / 9783944296166
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