Heimatfront -  Simon Hottinger,  Simone Christen

Heimatfront (eBook)

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2017 | 1. Auflage
137 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7392-4338-2 (ISBN)
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Leopold will seinen Beitrag für das Vaterland leisten. Er verlässt seine Familie und gelangt mit seinen Kameraden an die Front. Er kämpft sich durch die Launen des Krieges und erfährt, was es heisst, ein Soldat an der untergehenden Front des Zweiten Weltkriegs zu sein. Karola Kroll arbeitet im Krankenhaus, ist tagtäglich mit den Entbehrungen des Krieges konfrontiert. Sie ist eine treue Anhängerin ihres geliebten Führers, saugt jedes seiner Worte in sich auf. Aber dann tritt ein jüdisches Mädchen in ihr Leben und Karolas Glaube an ihr Reich bekommt Risse.

Simon Hottinger, hat seine Handschrift in Heimat - Front hinterlassen und mit den Soldaten an der Front Bilder des schrecklichen Kriegsschauplatzes gezeichnet. Seine Leidenschaft zu schreiben pflegte er bisher in kleinen Werken und nun erscheint Heimat - Front, die erste grosse Veröffentlichung. Erlebt und arbeitet in Zürich dem Herzen der Welt.

2. KAPITEL


September bis Dezember, 1941



 
Den Wehrdienst hatte Leopold bestens überstanden. Er hatte gute Freunde gefunden und sass nun in einem Zug an die Front.
Leopolds Gesäss schmerzte. Die Holzbänke des Zuges waren nicht bequem. Doch es machte ihm nichts aus. Seine Motivation und Euphorie waren riesig.
Der Waggon war gefüllt mit frisch rekrutierten Soldaten. Alle waren sie 18 Jahre alt. Mit seinen Freunden aus dem Wehrdienst hatte er Platz genommen und gemeinsam ratterten sie an die Ostfront, um den Russen die Hölle heiss zu machen. Die Stimmung im Abteil war aufgerieben. Die jungen Soldaten waren nervös. Sie waren gespannt darauf, welch ein Ruhm sie erwarten würde. Die Nachrichten liessen ohne Ausnahme den baldigen Sieg über die Sowjetunion erahnen. Die Truppen kämen schnell und mit geringen Verlusten vorwärts. Hitler prahlte in einer Rede stolz, sie seien bereit für einen Krieg, der zehn Jahre dauern würde.
„Ein Wunder, werden wir alle nach Stalingrad verlegt. Freut ihr euch auch?", fragte Soldat Gollob.
„Na klar", schoss Dahl hervor, ohne eine Sekunde zu warten.
„Diese Untermenschen sollten uns doch keine Mühe machen. Wir sind Deutsche!" Stolz zupfte er sich den Kragen seiner Ausgehuniform zurecht.
„Ich habe gehört, der Iwan sei so schlecht ausgerüstet. Vier Männer kämpfen mit einem Gewehr", das war Soldat Von Kageneck. Als Iwan bezeichneten die Deutschen die russische Armee.
„Wo hast du das wieder gehört?", fragte Leopold misstrauisch. „Das ist doch keine Nation, die ihre Soldaten so kämpfen lässt."
„Weisst du Leo, ich habe dir doch erzählt, mein Papa arbeitet im Nachrichtendienst und er lässt manchmal Informationen durchsickern", behauptete Von Kageneck hochmütig.
„Du, immer mit deinem Vater. Gibt es auch andere Menschen in deinem Leben als deinen Vater?", sprach Dahl gelangweilt.
„Ach, hör doch auf", gab Von Kageneck zurück. Dahl grinste breit und wendete seinen Blick wieder aus dem Fenster. Damit war das Gespräch beendet.
 
***
 
Die Landschaft zog an ihnen vorbei. Soldat Gollob und Soldat Falck hatten gegessen und dösten jetzt friedlich vor sich hin, trotz des Lärmes im Zug. Leopold dachte an sein Zuhause. Nicht weil er sich danach sehnte, sondern weil er zu seiner Schwester aufsah. Er erinnerte sich daran, wie stolz sie ihn ansah, als er die Bestätigung für den Dienst in der Hand hielt. Seine Schwester war mit allen Wassern gewaschen und nichts konnte sie umwerfen. Er freute sich auf den Tag, an dem er sie wieder sehen würde. Dann würde er ihr zeigen, was für einen Mann er geworden war. Selbständig, ambitiös und stattlich wie ein Soldat.
Soldat Hugo Gollob war ein lustiger, charismatischer, molliger Armeeangehöriger. Er hatte immer Hunger, was hiess, er trug pausenlos Essen auf sich. Sollte dieser Soldat einmal kein Essen haben, wäre wahrscheinlich eine Hungersnot ausgebrochen. Im Wehrdienst musste er bereits einige Übelkeiten hinnehmen, weil er seinen Mund nicht halten konnte und oftmals dumme Sprüche klopfte. Seine Zunge war wie ein Gummiball, einer dieser Bälle, die nie aufhörten zu hüpfen. Ist die Zunge erst einmal in Fahrt, kann man sie kaum mehr bändigen.
Soldat Anton Falck war genau das Gegenteil. Er war athletisch gebaut, muskulös und wog kein Gramm Fett zu viel. Er war ein schweigsamer und mutiger Landsmann. Sein Humor war trocken und sein Lachen glich mehr einem Grunzen als etwas anderem.
Der Zug befand sich wahrscheinlich in Russland. Die Grenze hatten sie gewiss schon seit geraumer Zeit überquert. Der Anblick ausserhalb des Zuges war öde. Weite Ebenen mit Wald und Erde. Hie und da fuhr der Zug an Ruinen vorbei, an Wohnhäusern und Bauernhöfen. Sie waren schwarz-verkohlt, standen da, tot und abgebrannt. Rauchen taten sie schon lange nicht mehr.
Martin Dahl war in der Ausbildungszeit zum besten Freund von Leopold geworden. Zusammen hatten sie jede Aufgabe gemeistert. Da, wo andere versagten, waren sie stark. Dies brachte sie nahe zusammen. Sie hatten das Gefühl, alles meistern zu können. Kein Gegner würde ihnen zu stark sein. Martin war kräftig und schlank gebaut, hatte kurze Beine und grosse Hände. Seine Körperproportionen waren nicht gerade die schönsten, aber im Team war er Gold wert. Dahl war, wie Leopold, überaus motiviert. Seine teilweise aggressive Klappe brachten sie öfters in Schwierigkeiten und wenn Leopold sie nicht rausreden konnte, dann sassen sie es gemeinsam aus.
Von Kageneck war ein Muttersöhnchen. Er gehörte zu einer reichen Familie und hatte nie gelernt, selbständig zu leben. Er war klein und dünn und seine quiekende Stimme erinnerte an die Zeit vor dem Stimmbruch. Er behauptete, die Pubertät bereits hinter sich zu haben, aber er wurde ständig mit der Tatsache aufgezogen, dass dies nicht den Anschein machte. Ja, Von Kageneck war ein Muttersöhnchen, ein reiches Muttersöhnchen, wohlgemerkt.
„Dahl?", ertönte Leopolds Stimme im Gebabbel der Menge. „Was denkst du, wie wirst du den Ersten dieser hässlichen Russen abmurksen?" Leopold grinste. In seinen Augen spiegelte sich die Freude dutzender Fantasien, wie sein glorioser Russlandfeldzug beginnen würde.
„Hmm", überlegte Dahl, „mein Vetter, der ein paar Jahre älter ist als ich, hat mir einen Brief geschrieben. Er berichtete mir, als er eines Tages Wachdienst hatte, hielt sich ein Mann in der Gefahrenzone auf. Er schrie: ‚Parole!‘, doch der Soldat achtete nicht darauf. Mein Vetter konnte nicht erkennen, ob es sich um den Feind oder einen der eigenen Männer handelte. Auf jeden Fall war der Armeeangehörige sehr betrunken. Mein Verwandter schrie erneut ‚Parole‘. Nach einer weiteren kurzen Wartepause schoss er. Laut Befehl sollte die Wachmannschaft nur auf die Beine schiessen." Dahl schwieg kurz. „Er schoss ihm ins Nasenbein. Tja, ist auch ein Bein."
Beide lachten lauthals. „Das wäre doch ein schöner Start“, beendete Dahl grölend seine Kurzgeschichte. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder fassen konnten.
„Du Kroll?" In der Frage schwang noch immer das Lachen aus der Geschichte des Vetters mit.
„Ich werde ihm auch in den Kopf schiessen. Genau in die Stirn. So, dass er nach hinten umkippt und dieses gottvergessene Land verlässt, in die Hölle der Untermenschen. Da, wo er hingehört. Ich werde alle meine Kopfschüsse zählen. Von allen werde ich die meisten machen", behauptete Leopold voller Euphorie.
Der Zug begann allmählich sein Tempo zu drosseln. Normalerweise tat er dies erst, wenn es dunkel war. In Stalingrad waren sie noch nicht. Weit und breit waren keine Häuser zu sehen, überlegte Leopold.
Ein Mann in Uniform stiess die Tür zum Waggon auf, in dem sie sassen. Denkbar, dass es einer der Lokomotivführer war. „Unteroffizier Wick!", schrie der Mann.
Seine hässliche Fratze glich jenen Steinfiguren, die man in Kathedralen vorfand. Ein junger Mann erhob sich aus seiner Ecke. Leopold hatte ihn zuvor kaum bemerkt. Er stolzierte an ihrem Abteil vorbei. „Sie müssen in den Führungswagen, wenn man dem so sagen darf", brüllte die Fratze spöttisch.
Als Wick, der Unteroffizier, den Waggon verlassen hatte, stand der Zug beinahe still. Leopold, seine Freunde und alle anderen Soldaten warteten ahnungslos auf ihren Sitzen. Nervosität machte sich breit. Zuerst schlich sie am Boden umher, unter den Sitzen der Soldaten hindurch und ergriff jeden Knöchel. Sie kroch die Beine hinauf ins Herz, bis schliesslich der ganze Eisenbahnwagen vor Spannung triefte. Keiner wagte etwas zu sagen. Die Tür knallte auf und die Fratze stolzierte in den Wagen hinein, gefolgt von Wick und zwei weiteren Unteroffizieren.
„Wick! Die gehören zu deiner Mannschaft, richtig?", donnerte die Stimme durch den röhrenartig gebauten Zug.
„Jawohl", erklang Wicks unsichere Antwort.
Die anderen Armeeangehörigen verliessen den Waggon durch die gegenüberliegende Tür. Wick versuchte sicher zu wirken. Er hantierte mit einer Liste in der Hand herum und drehte sie zweimal, bis er begann daraus vorzulesen: „Soldat Böck, Soldat Maurer, Soldat Lamparter, Soldat Schulz, Soldat Bunke, Soldat Schindler, Soldat Kraft, Soldat Arnold“. Er las einige Soldatennamen herunter.
Alle bestätigten ihre Anwesenheit und, noch viel wichtiger, ihre Aufmerksamkeit. Darunter waren auch Soldat Kroll und seine Freunde. Alle waren gierig darauf zu erfahren, was los sei. Es sah ernst aus, hoffentlich war es keine Übung.
Wick fuhr mit lauter Stimme fort: „All jene, die ich eben genannt habe, erstellen sofort Tenue C kampfkomplett. Marschbereitschaft 4, meine Herren. Ich wiederhole: Marschbereitschaft 4, das heisst, Sie sitzen in dreissig Minuten bereit auf ihrem Sitz, Kampfrucksack gepackt. Packen Sie ihn gut. Wir stürzen uns ins Abenteuer Barbarossa!“
Der Unteroffizier grinste. „Marsch!", brüllte er.
Anscheinend freute auch er sich auf die Front. Die Soldaten im Zug hetzten los, alle begannen sich umzuziehen, rissen ihre Gepäckstücke hervor und zerrten ihre Kleidung heraus. Keiner achtete auf seinen Nachbarn. Jeder wollte so schnell als möglich bereit sein.
Die Nervosität, welche im Wagen herumlungerte, fühlte sich an wie eine entzündete Tellermine 42, welche Hast und Eile explosionsartig verbreitet.
Nach gefühlten drei Minuten war die angesagte Zeit vorüber und der letzte deutsche Soldat sass auf seinem Platz. Wick stolzierte in seiner Uniform mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zwischen den Soldaten auf und ab.
Leopold sass bereit auf seinem Sitz. Den Rucksack unter den Sitz geschoben und das Gewehr mit dem Lauf nach unten zwischen den Beinen auf dem Boden abgestellt. Beide Hände ruhten auf dem Kolben und seine Augen folgten gespannt seinem Vorgesetzten. Die Zeit zeigte kurz nach Mittag, und die Ansage des...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7392-4338-4 / 3739243384
ISBN-13 978-3-7392-4338-2 / 9783739243382
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