Dünenfluch (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44137-4 (ISBN)
Sven Koch, geboren 1969, lebt und arbeitet als Tageszeitungsredakteur in Detmold. Nach der Aufnahmeprüfung an den Filmhochschulen München und Berlin entschied er sich für eine journalistische Laufbahn und ist als Redakteur mit dem Schwerpunkt Nachrichten und Kultur tätig. Daneben ist Sven Koch in der künstlerischen Fotografie aktiv und hat in mehreren regionalen Ausstellungen seine Bilder präsentiert. Seit vielen Jahren steht er zudem als Rockmusiker auf der Bühne. Koch schreibt seit frühester Jugend. Bei Droemer/Knaur erschienen bislang seine Thriller Reihe um die Kriminalpsychologin Alex Stietencron und die an der deutschen Nordseeküste in Ostfriesland angesiedelten 'Dünen'-Krimis. Für Fischer/Scherz schreibt er unter dem Pseudonym Pierre Lagrange die Provence-Krimis um den pensionierten Commissaire Albin Leclerc. Mehr Infos und Aktuelles unter www.sven-koch.com
Sven Koch, geboren 1969, lebt und arbeitet als Tageszeitungsredakteur in Detmold. Nach der Aufnahmeprüfung an den Filmhochschulen München und Berlin entschied er sich für eine journalistische Laufbahn und ist als Redakteur mit dem Schwerpunkt Nachrichten und Kultur tätig. Daneben ist Sven Koch in der künstlerischen Fotografie aktiv und hat in mehreren regionalen Ausstellungen seine Bilder präsentiert. Seit vielen Jahren steht er zudem als Rockmusiker auf der Bühne. Koch schreibt seit frühester Jugend. Bei Droemer/Knaur erschienen bislang seine Thriller Reihe um die Kriminalpsychologin Alex Stietencron und die an der deutschen Nordseeküste in Ostfriesland angesiedelten "Dünen"-Krimis. Für Fischer/Scherz schreibt er unter dem Pseudonym Pierre Lagrange die Provence-Krimis um den pensionierten Commissaire Albin Leclerc. Mehr Infos und Aktuelles unter www.sven-koch.com
3.
Femke fuhr mit Vollgas über die Bundesstraße. Es war ihr gleichgültig, dass sie die erlaubte Geschwindigkeit bei weitem überschritt. Links rasten Maisfelder, Gehöfte und Windräder an ihr vorbei. Rechts die grüne Wand des Deichs und danach der undurchdringliche Bewuchs aus Sanddorn- und Hagebuttenbüschen entlang des Küstenstreifens. Dahinter lag das Wattenmeer. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Im Mund schmeckte es metallisch. Zum wiederholten Mal wischte sie sich mit dem Handballen über die feuchten Augenwinkel und zog die Nase hoch. Auf dem Beifahrersitz rappelte das Handy ununterbrochen. »Volker« stand auf dem Display. Seit sie die Treppen ihres Appartements in Wilhelmshaven heruntergelaufen war, versuchte er, sie zu erreichen. Aber Femke wusste bereits, was er ihr mitteilen wollte. Genau genommen wusste sie es, seit Jörn gegen halb sieben Uhr angerufen und Femke aus der Dusche geklingelt hatte. Jörn führte den Reiterhof bei Werlesiel. Er hatte geklungen, als sei ihm ein Gespenst begegnet: »Femke. Es ist alles ganz schrecklich. Du musst sofort kommen.«
Hinter dem Ortsausgang passierte sie eine riesige Baustelle. Überall standen Lkws, Bagger und Kräne. Ein Schild von geradezu epischen Dimensionen erklärte, dass hier ein Freizeitpark mit dem Namen »AquaParc« auf einer Fläche von dreißigtausend Quadratmetern entstand – aufgeteilt in eine tropische Wasserwelt und ein Nordsee-Erlebnis-Zentrum. Jede Menge Arbeitsplätze sollten geschaffen werden. Femke wusste, die Idee dahinter war, die Wirtschaft in der strukturschwachen Region anzukurbeln und dafür zu sorgen, dass auch außerhalb der Ferien- und Urlaubszeiten sowie bei schlechtem Wetter die Region rund um Werlesiel Konjunktur hatte. Die zweite Idee dahinter war, dass Knut Mommsen sich mit dem Bau ein Denkmal setzen wollte – Knut Mommsen, dem außer der größten Privatbrauerei der Region auch der halbe Ort gehörte.
Kurz hinter der Baustelle sauste der Wagen am großen Maisfeldlabyrinth vorbei und an der Festscheune, vor der seit einigen Tagen einige Protestschilder standen. Sie stammten von einer Bürgerinitiative, die von Mommsen geführt wurde. Auf den Schildern standen Slogans wie »Die Scheune gehört uns« und »Keine Unterkunft« sowie »Hier kein Asyllager«. Die Scheune gehörte der Gemeinde, und dieser sollten vom Landkreis weitere Flüchtlinge zugewiesen werden, die untergebracht werden mussten. Dazu standen nur noch wenige öffentliche Gebäude zur Verfügung. Zurzeit gab es sogar Überlegungen, auf private Kapazitäten wie Hotels und Pensionen sowie Ferienwohnungen zurückzugreifen – auch auf den Inseln. Der Sturm der Entrüstung war immens.
Femke bremste scharf ab, setzte den Blinker nach links und bog in den Wilden Acker ein. Der Weg führte geradewegs auf den Reiterhof zu. Zehntausendmal oder öfter war sie hier gefahren. Jedes Mal mit der Vorfreude auf ihren Justin. Doch dieses Mal war es grundlegend anders. Femke wusste, dass er sie nicht mit einem Schnauben und Kopfnicken begrüßen würde, wenn sie die Stallgasse entlang auf seine Box zuging. Er würde den massigen Körper nicht träge von der Weide auf den Zaun zubewegen und den Hals strecken, weil er die Leckerlis in Femkes Tasche witterte. All das würde Justin niemals wieder tun, wenn es stimmte, was Jörn gesagt hatte. Woran Femke nicht zweifelte – vor allem nicht wegen Volkers zahlloser Versuche, sie zu erreichen. Sie waren die Bestätigung dessen, was Jörn ihr erzählt hatte. Aber das Komische war: Es gab zwar keinerlei Zweifel an dem, was geschehen war – dennoch weigerte sie sich, es zu glauben. Als Polizistin wusste sie, dass es sich dabei um eine Art Schutzreflex der Seele handelte. Dennoch war es etwas völlig anderes, wenn einen selbst das Schicksal so hart traf, dass dieser Mechanismus ausgelöst wurde.
Mit knirschenden Reifen kam ihr Wagen an der Polizeiabsperrung zum Stehen. Der Weidezaun war mit rot-weiß gestreiftem Flatterband regelrecht umwickelt worden. Femke sah zwei Streifenwagen und zahlreiche Privatfahrzeuge am Wegesrand. Sie erkannte Volkers Range Rover. Jede Menge Menschen standen ratlos auf dem Weg und dem angrenzenden Hof. Einige trugen Reitkleidung, andere nicht. Manche weinten und lagen sich in den Armen. Andere rauchten und unterhielten sich gestenreich miteinander. Femke kannte alle. Jeden Einzelnen. Manche grüßten, wollten etwas zu ihr sagen. Femke ignorierte sie.
Im Gehen setzte sie die Pilotensonnenbrille mit den grünen Gläsern auf. Der Wind erfasste ihr langes, blondes Haar und spielte darin wie früher in Justins Mähne, wenn Femke mit ihm ausgeritten war. Das hohe Gras streifte an ihrer hellblauen Jeans entlang, zu der sie ein schlichtes weißes T-Shirt trug. Die Sonne brannte auf ihren Oberarmen. Unter den Sohlen ihrer Ballerinas knirschte der Kies der Zuwegung zur Weide. Dort stand Volker mit Jörn und zwei Polizisten in hellblauen Kurzarmhemden. Den einen kannte Femke. Es war ein langer Schlaks mit rötlichem Haar und der Lizenz zum Nerven. Als Femke noch die Polizeiinspektion in Werlesiel geleitet hatte, war Torsten Stibbe ihr Untergebener gewesen, wenngleich er sich regelmäßig benommen hatte, als sei es andersherum gewesen. Nachdem Femke zum LKA und zur Sonderabteilung für Schwerverbrechen und organisierte Kriminalität, kurz SOK, gewechselt war, hatte das Land die Inspektion aufgelöst und der in Esens zugeordnet, die hier zuständig war.
Torsten hob schwach die Hand zum Gruß. Volker löste sich aus der Gruppe und kam Femke entgegen. Sein Gesicht sprach Bände. Noch mehr die Hände, an denen getrocknetes Blut klebte. Volker war Tierarzt und seit letztem Winter Femkes Freund. Freunde waren sie zwar schon vorher gewesen, aber um Weihnachten herum hatte sich ihre Beziehung deutlich intensiviert.
»Femke«, sagte er, machte eine kraftlose Geste und Anstalten, sie zu umarmen.
Femke stoppte ihn mit einer abwehrenden Geste. Richtete ihren Blick auf die Pferde, die flach auf der Weide lagen. Sie zählte drei. Und erkannte Justin darunter.
»Ich habe versucht, dich zu erreichen.«
»Ich weiß«, sagte Femke, ohne den Blick von den Kadavern abzuwenden.
»Du bist nicht drangegangen.«
»Exakt«, erwiderte sie mit brechender Stimme. »Ich … Vielleicht wollte ich es einfach nicht bestätigt wissen. Ich weiß auch nicht. Tut mir leid.«
»Dir muss gar nichts leidtun.«
»Was …« Femke hustete in die Faust. »Was ist geschehen?« Sie räusperte sich und machte eine fahrige Geste. »Blöde Frage, ich weiß.«
Volker erklärte, dass Enno Berkens die toten Tiere beim Zeitungsaustragen entdeckt hatte. Woraufhin er sofort Jörn verständigte und Jörn sich vor Ort davon überzeugte, dass Enno keinen Unsinn erzählte. Jörn rief dann die Polizei an sowie die betroffenen Pferdebesitzer, zu denen Femke zählte. Schließlich hatte er Volker verständigt, der sofort herbeigeeilt war – und die Polizei hatte sich außerdem bei Volker gemeldet. Was alles an der Tatsache nichts änderte, dass drei Pferde tot waren.
»Wie?«, fragte Femke.
»Mehrere tiefe Stiche in die Drosselvenen. Es tut mir so furchtbar leid um deinen Opi. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Femke nickte und straffte sich. Opi. Justin hatte auf dem Hof sein Gnadenbrot bekommen. Er war ein alter und liebenswerter Kerl. Gewesen. Femke hatte ihn von Papa geschenkt bekommen, als sie sechzehn war. Seither war Justin stets viel mehr als nur ein Pferd für Femke gewesen. Bei einem Reitunfall hatte sie das erste Fingerglied ihres rechten Zeigefingers verloren, was sie zwangsweise zur Linkshänderin gemacht hatte – zumindest in allen Bereichen, bei denen es auf den rechten Zeigefinger ankam. Zum Beispiel beim Schießen. Mama und Papa hatten stets viel zu tun gehabt mit der Bäckerei und der kleinen Pension sowie den Ferienwohnungen. Justin war Femke zu jeder Zeit ein Freund gewesen, dem man seine Gedanken erzählen konnte und der einfach nur zuhörte und manchmal schnaubte, als wollte er sagen: Ich weiß genau, was du meinst, aber so ist es eben. Schließlich hatte er sich eine chronische Hufentzündung zugezogen, und an Reiten war nicht mehr zu denken gewesen. Dennoch kam Femke regelmäßig her, um sich um ihn zu kümmern. Genau genommen war Justin das Einzige, was sie noch mit Werlesiel verband – abgesehen von der Tatsache, dass ihre Eltern und Volker hier lebten. Aber sonst? Da war nichts mehr, gar nichts, und das Haus, das sie von Oma geerbt hatte, war seit letztem Jahr verkauft. Mit Justin war daher viel mehr gestorben als nur ein Tier, mit dem man eine enge Beziehung hatte. Es war ein Stück Heimat gestorben. Nein, getötet worden.
Femke deutete auf die Weide. Sie sagte: »Ich … Ich weiß, dass es wieder eine dumme Frage ist, denn wie es aussieht, ist die Weide ein Tatort, aber … Kann ich zu ihm?«
»Besser nicht«, sagte Volker leise.
Femke ignorierte seine Worte. Sie drängte sich wortlos an ihm vorbei und bewegte sich auf die beiden Polizisten und Jörn zu. Jörn telefonierte gerade. Er machte ein trauriges Gesicht und trat zur Seite. Sie hörte Wortfetzen wie »Versicherung« und »Nein, keine Ahnung, wer«. Schließlich kam sie vor Torsten und seinen Kollegen zu stehen, der einen gewaltigen Schnäuzer und eine teilnahmslose Miene trug.
»Moin, Chefin«, sagte Torsten. Immer noch nannte er sie so.
»Kann ich zu ihm?«
Torsten stemmte die Hände in die Hüften. Er blickte zu Boden, machte einen schmatzenden Laut und schüttelte leicht den Kopf. »Das weißt du doch, dass das nicht geht, da kann ich keine Ausnahme machen.«
Femke nahm abwehrend die Hände hoch und ließ sie wieder fallen.
Torsten hakte die Daumen in...
Erscheint lt. Verlag | 31.3.2017 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Femke Folkmer und Tjark Wolf |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bücher für den Urlaub • Dünenblut • Dünenfeuer • Dünenfluch • Dünengrab • Dünenkiller • Dünentod • Ein Fall für Femke Folkmer und Tjark Wolf 5 • Ermittler-Duo • Ermittlerkrimi • Femke Folkmer • Flüchtlinge • Flüchtlingswelle • Friesisch • Geheimnis • Krimi deutsche Autoren • Krimi Kommissarin • Kriminalromane Serien • krimi norddeutschland • Krimi Nordsee • Krimi regional • krimi reihen • Krimis mit Kommissarin • Krimis und Thriller • Küstenkrimi • Küstenkrimis Nordsee • Morde an Pferden • Nordsee • Nordsee-Krimi • Nordseeküste • Ostfriesland • Ostfriesland-Krimi • Ostsee • Pferderipper • Polizei Krimis/Thriller • Regionalkrimi • Roma • Serienmörder • Strand-Roman • Sven Koch • Sven Koch Reihenfolge • Tjark Wolf • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre • Vergangenheit • Werlesiel |
ISBN-10 | 3-426-44137-3 / 3426441373 |
ISBN-13 | 978-3-426-44137-4 / 9783426441374 |
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