Der Wasserdieb (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
512 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-21602-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Wasserdieb -  Claire Hajaj
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Er kam, um zu helfen, doch zwischen Hoffnung, Liebe und Verrat verließ er den Weg der Gerechten ...
Nach dem Tod seines Vaters, eines Arztes, der ihn stets ermahnte, etwas Sinnvolles zu tun, geht der englische Ingenieur Nick nach Afrika, um dort ein Kinderkrankenhaus zu bauen. Doch nach kurzer Euphorie gerät er zwischen alle Fronten. Er verliebt sich in Margaret, die Frau seines Gastgebers. Ihre Affäre droht nicht nur, das Glück einer ganzen Familie zu zerstören - sondern auch die Zukunft des jungen JoJo, der zu Nick wie zu einem Helden aufschaut. Darüber hinaus erkennt Nick, dass sein Arbeitgeber, der Gouverneur, korrupt ist. Er will aber nicht mehr tatenlos zusehen, wie die Bevölkerung von teuren Wasserlieferungen abhängig ist, obwohl ein einfacher Brunnen alle retten könnte. Er entwendet Geld und macht sich an die Arbeit. Eine wohlgemeinte Tat, die schwerwiegende Folgen für ihn hat - und für alle, die er liebt ...

Claire Hajaj, 1973 in London geboren, hat ihr bisheriges Leben zwischen zwei Kulturen, der jüdischen und der palästinensischen, verbracht und versucht, sie zu vereinbaren. In ihrer Kindheit lebte sie sowohl im Nahen Osten als auch im ländlichen England. Sie bereiste alle vier Kontinente und arbeitete für die UN in Kriegsgebieten wie Burma oder Bagdad. Sie schrieb Beiträge für den BBC World Service, außerdem veröffentlichte sie Artikel in »Time Out« und »Literary Review«. Ihren Master in Klassischer und Englischer Literatur hat sie in Oxford gemacht. Zuletzt lebte sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Beirut.

Durch die langen Vorhänge strömte Licht herein und drang durch Nicks Lider. Er lag ruhig da in der Morgenhitze, während jeder neue Atemzug ihn sanft in Richtung Bewusstsein zog. Nach und nach erwachten seine Sinne – die dünne Schweißschicht, die seine Haut bedeckte, der kühle Luftzug des Ventilators, die Federn der harten Matratze, die gegen seinen Rücken drückten, das sanfte Gelb der Decke, als er die Augen aufschlug. Er hatte noch den Geschmack des gestrigen Abendessens im Mund – warm und bitter. Ausnahmsweise konnte er sich nicht an seine Träume erinnern.

Er setzte sich auf, die Füße auf die nackten Fliesen gestellt, während er sich umsah. Meine neue Welt. Sein Koffer lehnte an einer Tür, die von seinem winzigen Schlafzimmer zum Büro führte. Ein Plastikvorhang trennte das Bett von einem Waschbecken, einer Toilette zum Hinkauern und einem an der Wand befestigten Schlauch zum Duschen. Er meinte, draußen Vogelgesang zu hören.

Nachdem Nicholas sich mit dem Schlauch kühl abgeduscht und hastig rasiert hatte, trat er in sein Büro. Die Schubladen der Aktenschränke waren verrostet. Ein klobiges Codan-HF-Funkgerät war an einen tragbaren Generator angeschlossen. Auf dem zerschrammten Schreibtisch befanden sich ein Telefon und ein Walkie-Talkie. Davor stand ein abgenutzter Plastikstuhl. Nick dachte an sein Büro in London – die dicken Teppiche und die Kunstwerke, die Aussicht auf eine Welt aus Geschäftigkeit und Stahl.

Aus Dr. Ahmeds Praxis auf der anderen Seite der Wand waren leise Stimmen zu hören. Schon Vormittagssprechstunde. Laut Nicholas’ Uhr war es halb zehn. Eric, JPs Kontaktmann, würde ihn in einer halben Stunde abholen und in die Stadt fahren – um die Krankenhausbaustelle zu besichtigen und den Regionalgouverneur kennenzulernen. Unseren Komplizen.

Kates Briefpapier und Füllfederhalter lagen auf dem Aktenschrank, wo Nick sie vor dem Schlafengehen deponiert hatte. Das Licht ließ die Linien des Wasserzeichens wie dunkle Schnörkel wirken, die eingeprägten doppelten Initialen oben auf dem Briefbogen schimmerten. N & K. Beim Anblick dieser Buchstaben wurde er von Zuneigung ergriffen – zu ihr und dieser auf anrührende Weise durchschaubaren Aktion. Eigentlich war das Briefpapier für ihre Hochzeitseinladungen gedacht gewesen und in der Woche vor seiner Abreise eingetroffen. Nimm es mit, hatte sie gesagt. Es wird dich daran erinnern, dass es hier etwas gibt, für das es sich lohnt zurückzukommen. Den Füllfederhalter hatte sie ihm bei ihrem letzten gemeinsamen Abendessen – gegrilltes Hähnchen und Chablis – geschenkt. Als er sie zum Dank geküsst hatte, hatte er die Wärme ihrer Lippen gespürt, überdeckt von der betäubenden Kühle des Alkohols. Ich werde dich vermissen, hatte er geflüstert und sich gezwungen zu glauben, dass das auch die Wahrheit war.

Nun saß er, die Finger auf dem steifen weißen obersten Briefbogen, am Schreibtisch. Er griff zum Füller und schrieb:

Hallo aus dem tiefsten dunkelsten Etcetera. Bis jetzt habe ich überlebt. Es ist gar nicht so schlimm. Eigentlich ist es sogar ziemlich schön. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, Räume mit Formen zu füllen, dass ich ganz vergessen habe, wie beeindruckend Raum an sich sein kann. Als ich durch so viele Kilometer Leere gefahren bin, hatte ich das seltsame Gefühl, dass die Leere gar nicht leer ist, sondern Teil von etwas Größerem, zu gewaltig, als dass man es vom Boden aus sehen könnte. Sehr verwirrend. Oder vielleicht war es auch nur der Jetlag …! Meine Gastgeber sind interessante Menschen. Der Arzt ist wie ein viktorianischer Gentleman – Dickens in der Wüste. Anfangs dachte ich, er wolle mich auf den Arm nehmen. Aber er scheint echt zu sein. Er hat sogar eine Standuhr den ganzen Weg aus der Portobello Road hierhergeschleppt. Er verehrt sie wie eine Ikone. Seine Frau ist viel jünger als er, irgendwie scheint sie nicht an diesen Ort zu gehören. Ein Buch mit sieben Siegeln. Er hielt inne und musste an ihre graziösen Arme denken, wie sie den Tisch gedeckt hatte, vom Geschnatter der Anwesenden getrennt durch einen Hauch Verachtung. Sie haben einen etwa zwölfjährigen Sohn. Er scheint unglücklich zu sein. Jedenfalls werde ich heute herausfinden, was meine Aufgaben sind, und hoffentlich kein allzu großes Chaos anrichten. Schade, dass du nicht hier bist.

Ein Tintentropfen spritzte aus der Feder und befleckte das Papier. Schimpfend beobachtete Nick, wie die Wörter unter dem sich ausbreitenden violetten Fleck verschwammen. Er knüllte den Briefbogen fest zusammen. Nun würde er später von vorne anfangen müssen.

Draußen war die Welt in entspannte Stille gehüllt. Den Rucksack geschultert, stand er in der Tür und schirmte seine Augen mit der Hand vor dem grellen Ansturm des Tageslichts ab. Dr. Ahmeds Gemüsegarten erstreckte sich, von dunkelgrünen Schösslingen durchzogen, bis zum Tor. Miss Amina saß, in ihren orangefarbenen Umhang gewickelt, auf ihrer Veranda. Nick hob die Hand; schwabbeliges Fett wackelte unter ihrem Kinn, als sie den Gruß mit einer scheuen, ruckartigen Kopfbewegung erwiderte. In der Ferne ratterte ein Automotor; Nick hörte das Meckern von Ziegen in der Nähe.

Er ging zur Ecke der Veranda und blickte zum Garten. Farbe blitzte auf und sorgte dafür, dass er unwillkürlich zurückwich. Margaret, hochgewachsen und mit einem Wäschekorb auf dem Kopf, trat aus der Küchentür, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Nicholas beobachtete sie von seinem Versteck aus. Die lange Linie ihres Rückens wand sich, als sie sich in den Nacken griff und Schweißperlen unter ihrem dunklen Haarknoten wegwischte. Schuldbewusst wie ein Voyeur wandte er sich ab.

Die Tür zu Dr. Ahmeds Praxis stand einen Spalt weit offen. Der Gestank von Desinfektionsmitteln durchschnitt die sanften Gerüche draußen. Nick verharrte zögernd; er konnte die Umrisse von Formen ausmachen: die Linie eines ausgestreckten Beins, ein Teil verdeckt von einem weißen Dreieck – und dann plötzlich scharfer, kalter Stahl.

Als er zurücktrat, wurden drinnen die Stimmen leiser. Schritte überquerten den Fußboden. Im nächsten Moment erschien Dr. Ahmeds lächelndes Gesicht in der Tür. Im Morgenlicht war eine behandschuhte Hand zu sehen. Das helle Latex war mit Blut beschmiert.

»Nicholas! Haben Sie gut geschlafen?«

»Ausgezeichnet.« Nicholas wandte den Blick von dem blutigen Handschuh ab und spähte über die Schulter des Arztes in den dämmrigen Raum, wo zwei Augenpaare weiß schimmerten. Ein Mädchen stand neben dem Untersuchungstisch. Ihr Gesicht, mager wie das eines Vögelchens, war unter der Kopfbedeckung aus schwarzem Stoff kaum zu sehen. Ihre blasse Haut, zusammen mit den schwarzen Schleierwellen, ließ sie wirken, als würde sie ertrinken.

Neben ihr auf dem Tisch lag ein kleiner Junge – seine Beine ragten aus schmutzigen Shorts. Eine rosig verfärbte Wattebandage bedeckte sein rechtes Schienbein. Seine Augen zuckten wegen des plötzlichen Lichteinfalls, und Nick erkannte, dass sie in der Mitte milchig trüb waren.

»Gerade zur rechten Zeit«, verkündete Dr. Ahmed, öffnete die Tür weiter und winkte Nicholas herein. »Ich brauche einen OP-Assistenten.«

Widerstrebend trat Nicholas ein. Er spürte, wie sich ihm der Magen zusammenkrampfte. Das Mädchen zog sein Gewand enger um sich. Ihre Finger hoben sich dunkelgelb von dem Stoff ab. »Hallo.« Nick beugte den Kopf zu ihr hinunter. Verdattert sah sie Dr. Ahmed an. Er sprach leise mit ihr, eine große Hand auf ihre schmale Schulter gelegt.

»Hier.« Dr. Ahmed zeigte auf das Bein des kleinen Jungen. Er hielt eine Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger, das Garn baumelte in Richtung Boden. »Wir bringen gerade einen ganz kleinen Unfall in Ordnung. Aber Sie müssen das Bein für mich festhalten. Ja, genau so. Der Bursche ist ein alter Kunde, was, Hassan?«

Die Augen in dem kleinen Gesicht bewegten sich suchend. Nick musste den Drang unterdrücken, die Hand auszustrecken und die Lider des Jungen zu schließen, um den Augen den sinnlosen Wunsch zu nehmen, genauer hinzuschauen. Die Haut am Bein fühlte sich unter seiner Hand heiß und trocken an. Sie zuckte ein wenig bei jedem Anziehen des Fadens, während Dr. Ahmed seine Arbeit tat. Das Mädchen strich besorgt mit der Hand über die Stirn des Jungen. Erschrocken wurde Nick klar, dass sie seine Mutter sein musste.

»Fast fertig«, sagte der Arzt. Nick hörte einen beschwichtigenden Unterton heraus, der vielleicht für ihn gedacht war. Er wollte sich für seine Zimperlichkeit entschuldigen – erklären, warum er die Wunde nicht ansehen konnte und weshalb er derjenige war, der den Fluchtinstinkt unterdrücken musste, während der Junge mit stoischer Ruhe ausharrte. Doch Ehrlichkeit war eine Angewohnheit, die er schon lange zu Grabe getragen hatte. Stattdessen schluckte er die aufsteigende Magensäure mithilfe von Konversation hinunter. »Dies sind also Ihre Patienten?«

»Ich werfe mein Netz weit aus.« Dr. Ahmed beugte sich über das Bein, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Die beiden sind aus der Stadt. Sie kommen am Markttag immer mit Gemüse her. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, die Verletzungen dieses Jungen zu behandeln. Er weiß nämlich nicht, dass er fast blind ist.« Dr. Ahmed streckte sich und massierte seinen Rücken. Dann nahm er mit der sauberen Hand die Brille ab und rieb sich die Augen.

»Wie kann er das nicht wissen?«

»Wünsche erschaffen Illusionen. Dieser Junge will rennen und spielen wie seine Freunde. Also sagt ihm sein Verstand, dass er sehen kann. Und manchmal«, er...

Erscheint lt. Verlag 16.10.2017
Übersetzer Karin Dufner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Well
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afrika • Der Duft von bitteren Orangen • Drachenläufer • eBooks • Henning Mankell • Humanitäre Hilfe • Khaled Hosseini • Roman • Romane • Wasser
ISBN-10 3-641-21602-8 / 3641216028
ISBN-13 978-3-641-21602-3 / 9783641216023
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99