Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
416 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8966-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens -  Oliver Bottini
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»Platz 1 Deutscher Krimipreis 2018« Banat/Rumänien 2014: Ioan Cozma hat abgeschlossen mit der Welt. Der Kripo-Kommissar lebt allein, es sind nur noch ein paar Jahre bis zu seiner Pensionierung; wenn er nicht groß auffällt, wird auch niemand in seiner Vergangenheit wühlen. Es ist besser so. Doch die Welt will ihn nicht in Ruhe lassen. Ausgerechnet Cozma wird die Ermittlungsleitung in einem brutalen Mordfall übertragen: Die junge Lisa Marthen, eine Deutsche, wurde erstochen aufgefunden. Ihrem Vater gehört ein landwirtschaftlicher Großbetrieb, und der Verdacht fällt auf einen seiner jungen Feldarbeiter, der in Lisa verliebt war und seit ihrem Tod verschwunden ist. Als eine Spur nach Mecklenburg führt, macht Cozma sich auf den Weg - und muss feststellen, dass er dort nicht der Einzige ist, der für Gerechtigkeit sorgen will ... Oliver Bottini zeigt, wie sich die radikale Einsamkeit des Menschen durch Gier und Machthunger noch verstärkt. Doch eines bricht sich immer wieder Bahn - der Glaube an etwas Gutes und an Menschlichkeit. Die Spannung zwischen diesen Polen ist es, durch die >Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens< eine existenzielle Wucht entfaltet. »Einer unserer besten Krimischriftsteller« ELMAR KREKELER, DIE LITERARISCHE WELT

OLIVER BOTTINI wurde 1965 geboren. Für seine Romane erhielt er zahlreiche Preise, unter anderem den Krimipreis von Radio Bremen, den Berliner >Krimifuchs<, den Stuttgarter Krimipreis und sechsmal den Deutschen Krimipreis, zuletzt 2022 für >Einmal noch sterben<. Bei DuMont erschienen außerdem >Der kalte Traum< (2012) und >Ein paar Tage Licht< (2014) - kürzlich von ARTE/ZDF unter dem Titel >Algiers Confidential< verfilmt - sowie die Kriminalromane um die Freiburger Kommissarin Louise Bonì. Oliver

 

Mecklenburg-Vorpommern

7. / 8. April 2011

Sie verbrachten die Nacht auf Freitag im Haus in Prenzlin, fuhren am späten Vormittag weiter, gegen den Widerstand der Kinder, die das Haus liebten und Dänemark blöd fanden.

»Ihr wart noch nie in Dänemark«, sagte Winter.

»Weil wir es blöd finden«, erwiderte Emmy.

»Ist doch nur für ein Wochenende.«

»Und wenn wir in Dänemark vor Langeweile sterben?«, fragte Leon.

Auf der Autobahn wurden sie fröhlicher, keine Rede mehr vom Sterben, Winter hatte sie an seine Versprechen für Blåvand erinnert. Sie spielten ihr Lieblingsspiel, Sänger raten. »›On the Floor‹«, sagte Emmy und begann zu singen, und Leon rief: »Jennifer Lopez mit Pitbull!«, und fiel mit hoher Stimme ein. Winter hatte wie immer Mühe, den Text zu verstehen, zwei Jahre Schulenglisch in den Achtzigern bei einer Lehrerin, die nie über Güstrow hinausgekommen war, da konnte man nicht viel erwarten. Er hob den Blick zum Rückspiegel und musste lächeln. Emmys sich sanft wiegender Kopf, der Mund noch ein bisschen unsicher mit der Zahnspange, ein entrückter Blick aus dem Seitenfenster. Er ahnte, dass sie an die Pferde dachte, die er ihr versprochen hatte, Pferde am Strand von Blåvand. Wo er die herbekommen sollte, wusste er noch nicht.

Versprich mir was für Dänemark, Papa.

Was denn?

Weiß nicht, irgendwas Tolles.

Mir auch, Papa!

Leon hatte er ein Quad-Rennen in den Dünen versprochen, der Vater gegen den Sohn plus Revanche. Winter hatte keine Ahnung, ob es in Blåvand Quads gab. Ob Neunjährige Quad fahren durften.

Dünen gab es vermutlich.

Pferde und Quads im Sand von Blåvand also, dachte er zufrieden. Er hatte schon Unmöglicheres möglich gemacht.

»La la la, la la«, sangen die Kinder, das immerhin verstand er.

Eine Windböe drückte schwer gegen den Wagen, plötzlich war der Sturm da, der für Mecklenburg vorhergesagt worden war, und mit ihm die Anspannung. Windstärke 10, Nordost; noch immer stieg der Adrenalinspiegel, wenn Stürme kamen. Winter war in seiner Jugend zu oft draußen gewesen auf den Feldern, hatte gerettet, was zu retten war, wenn Unwetter über das flache Land rasten.

Claudias Fingerspitzen berührten seinen Arm. »Fährst du bitte langsamer?«

»Nein, schneller«, sagte Emmy. »Das ist eine Autobahn.«

»Viel schneller!«, rief Leon.

»Weitersingen«, sagte Winter, während er das Tempo drosselte.

Sie fuhren aus dem Waldstück in die ungeschützte Ebene hinaus. Der Wind drückte und lärmte, die Kinder sangen wieder.

Auch die Versprechen wurzelten, wie der Respekt vor Stürmen, weit in der Vergangenheit. Ein anderes Leben, ein anderes Land. Eine andere Frau … Manchmal hatten das Leben und die Frau wie gelähmt unter einem tiefen grauen Himmel gelegen. Winters Versprechen waren sanfte Versuche gewesen, Licht vorzutäuschen. Ja, Rom wäre toll. Versprich mir, dass ich irgendwann nach Rom komme … Dass ich irgendwann losfahren kann und nicht mehr stehen bleiben muss, außer wenn ich will, und du fährst natürlich mit.

Versprochen, Anett.

Er war eines Tages stehengeblieben. Anett nicht.

Die nächste Böe, er lenkte gegen, hielt den Citroën in der Mitte der Spur.

»Der Pitbull von Jennifer Lopez kann singen?«, fragte Claudia.

Leon brach in Gelächter aus, Emmy verzog fast angewidert das Gesicht. Emmy und ihre Mutter, da war der Wurm drin seit einer Weile. Winters Blick streifte Claudia. Die Wangen angespannt und blass, unter den schmalen Augen viele neue Fältchen, um den Mund ein trotziger Zug. Er wusste, dass sie mit sich rang, im Durcheinander ihrer Gefühle um die Familie kämpfte. Um ihn. Sie hatte sich verliebt, in irgendjemanden aus dem Büro. Alles stand plötzlich auf dem Spiel.

Dann geh, war er manchmal versucht zu sagen.

Er wollte nicht, dass sie ging.

Und Emmy spürte es. Spürte alles mit elf Jahren.

»Warum ist das so lustig?«, fragte er.

Leon erklärte es nachsichtig. Pitbull war ein Rapper.

»Micha?« Claudia deutete nach vorn, und er konzentrierte sich wieder auf die Straße. Die Sicht war schlecht geworden. Vor ihnen trieben die Böen Staubfahnen über die Fahrbahn. Winzige Partikel prasselten hart gegen seine Seite. Er sah Bremslichter aufleuchten und verringerte die Geschwindigkeit abrupt auf achtzig. Leon beschwerte sich theatralisch und lachte dann, es klang ein bisschen erschrocken. Winter wechselte auf die linke Spur. Im Rückspiegel Aufblendlicht, gedämpftes Hupen. Rasch gab er Gas.

»Und warum heißt der Pitbull?«, fragte er.

Claudia hob erneut die Hand und sagte etwas, doch es ging im plötzlichen Aufheulen des Sturms unter. Zwei-, dreihundert Meter vor ihnen schob sich eine haushohe sandfarbene Wolke über die Autobahn, und Winter dachte, dass es am besten wäre, stehen zu bleiben, aber das ging ja nicht, auf der Autobahn stehen bleiben. Dann waren sie schon mittendrin, waren von wirbelndem Sand umgeben, die Scheiben bedeckt von Sand, er sah nicht einmal mehr das vordere Ende des Wagens, nur rote Lichter, denen sie sich rasend schnell näherten.

Er hörte Claudia aufschreien, als er das Bremspedal durchtrat, zu spät, sie krachten auf das Auto vor ihnen. Laut knallend schossen die Airbags aus der Verkleidung, ein heftiger Schlag gegen Brust und Gesicht, benommen rang er nach Luft, während er zusah, wie der Airbag schon wieder erschlaffte, was seltsam beruhigend wirkte, alles gut, dachte er, siehst du, alles vorbei …

Sekundenlang war er unfähig, sich zu bewegen. Hektisch atmend starrte er auf die geborstene Windschutzscheibe, durch deren Risse Sand ins Wageninnere wirbelte, wo er sich mit dem weißen Talkumpuder der Airbags vermischte. Jenseits der Scheibe lag die Sichtweite unter fünf Metern.

Mehrere Menschen tauchten auf, rannten in Richtung Standstreifen.

Endlich gelang es ihm, den Gurt zu lösen und sich zur Seite zu drehen. Ein rascher Blick nach hinten, die Kinder schienen unversehrt. Claudia war in sich zusammengesunken, hielt sich den Unterarm. Winter zwang sich zur Ruhe, öffnete ihre Gurtschnalle und half ihr, sich zurückzulehnen, vorsichtig, der Unterarm war wohl gebrochen. Sie war leichenblass, brachte kein Wort hervor, nickte nur, alles okay, fast, und er unterdrückte die Angst und die Schmerzen in seiner Brust und nickte ebenfalls, bei mir auch.

Er wandte sich den Kindern zu. Emmy saß hochaufgerichtet da, die Hände auf den Ohren, die Augen geschlossen, aus ihrer Nase lief jetzt ein wenig Blut. Vor dem Fenster neben ihr flatterte der Seitenairbag. Plötzlich schüttelte sie wimmernd den Kopf, der Schock kam mit Verzögerung.

Leon rieb sich das Bein und weinte leise.

»Alles okay?«, stieß Winter hervor.

Emmy riss die Augen auf, wirkte vollkommen verwirrt, als wäre sie aus einem tagelangen Schlaf erwacht. Sie begann zu schreien, und er sah, wie ihre Hand nach dem Türgriff tastete. Nur nicht aussteigen, dachte er, und herrschte sie an: »Emmy, sitzenbleiben!« Sie beachtete ihn nicht. Als sie die Tür aufstieß, fuhr ein kräftiger Luftstrom ins Wageninnere, Sand drang in Winters Augen. Er hörte Claudias verstörte Stimme, legte ihr die Hand auf die Schulter, aber er hatte jetzt keine Zeit für sie, Emmys Schreie wurden immer schriller, sie hatte schon ein Bein halb im Freien, während sie mit beiden Händen am Gurtschloss herumfingerte und nach ihm schlug, weil er sie davon abzuhalten versuchte.

»Nicht aussteigen, Emmy, bitte! Emmy!«

Sie zerrte am Gurt, versuchte durchzuschlüpfen, und Winter öffnete hastig seine Tür, kämpfte sich in den lärmenden Sturm hinaus, wollte um den Wagen herum zu ihr. Sandkörner stachen wie Hunderte feinster Nadeln auf seiner Haut, drangen ihm in Ohren, Nase, Mund, und er dachte fassungslos, dass sie in eine Art Wüstensturm geraten sein mussten, bis er begriff, dass der Sand nicht aus einer Wüste kam, sondern von den umliegenden Äckern, er hatte den Geschmack von Erde im Mund, und er wusste doch, wie Erde schmeckte.

Die Augen mit einem Arm abschirmend, ließ er sich von den Böen am Wagen entlangstoßen, vorbei an Leons Tür zum Heck, musste sich für einen Moment an der Dachreling festklammern, um nicht weitergetrieben zu werden. Kaum einen Meter entfernt stand das nachfolgende Auto, die Beifahrertür offen, der Innenraum leer. Plötzlich brach ein riesiger Schatten in sein Blickfeld, grelle Lichter, eine mehrtonige Lkw-Hupe dröhnte. Hastig trat er einen Schritt zurück, stürzte über die Leitplanke des Mittelstreifens, kam mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Noch immer dröhnte das Horn, alle anderen Geräusche verloren sich darin, selbst das Tosen des Sturms und seine Schreie, nur das Horn blieb, ein unerträglich aggressiver Klang, der sich an ihm vorbeizubewegen schien und doch gleich laut blieb, und er presste die Hände auf die Ohren, bis der Lärm endlich abbrach, Sekunden später, vielleicht auch Minuten, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Solange Emmy nur nicht ausgestiegen war, dachte er, während er auf die Knie kam, solange die drei im Auto blieben, bis Hilfe eintraf, war alles egal.

Taumelnd stand er auf. Durch das Sandgestöber erkannte er mehrere Autos vor sich, doch die Farben stimmten nicht, kein Rot darunter, auch der Lkw war nicht zu sehen, er musste sich der falschen Seite zugewandt haben, vielleicht hatte er sich auch, ohne es zu bemerken, ein paar Meter entfernt.

Der Sturm riss ihm fast die Jacke vom Leib, während er sich den schmalen Mittelstreifen entlangkämpfte. Rechts...

Erscheint lt. Verlag 8.11.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Banat • Buchgeschenke • Cover Wald • Das verborgene Netz • Der kalte Traum • Deutscher Krimipreis • Dunkler Tod • Ein paar Tage Licht • Gewinner Krimipreis 2018 • Im Auftrag der Väter • Im Sommer der Mörder • Im weißen Kreis • Jäger in der Nacht • Korruption • Krimi • Krimi Herbst • Kriminalroman • Krimis & Thriller • Landraub • Langer Titel • Louise Boni • MachtGier • Mecklenburg • Mord im Zeichen des Zen • Neuer Krimi Oliver Bottini • Oliver Bottini • Politthriller • Rumänien • Thriller
ISBN-10 3-8321-8966-1 / 3832189661
ISBN-13 978-3-8321-8966-2 / 9783832189662
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