Bitte nehmen Sie meine Hand da weg (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-23814-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bitte nehmen Sie meine Hand da weg -  Paul Bokowski
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»Der beste Stadtneurotiker, seit es lustige Taschenbücher gibt!« (Literaturhaus Frankfurt)
Schon mal über die Anschaffung eines Saugroboters nachgedacht? Dann lassen Sie sich von Paul Bokowski eines Besseren belehren. Der Lesebühnenautor weiß, wie schnell die elektronische Haushaltshilfe die Single-Wohnung übernimmt und Thermomix bis Trockner in vollautomatische Revolutionsbrigaden verwandelt. In seinem neuen Buch berichtet der Großmeister treffsicherer Pointen aus sämtlichen Gefahrenzonen des Alltags. Gibt es einen Knigge für Kleinanzeigen? Was wenn die Airline noch auf dem Rollfeld Insolvenz anmeldet? Und wer erklärt dem Vater im Vorruhestand, was ein Menstruationsbecher ist? Das Leben steckt voller Tücken. Lachen wir, solange wir noch können.

Paul Bokowski, geboren 1982, gehört zur Speerspitze der Berliner Lesebühnenszene. Der Autor, Vorleser und Geschichtenerzähler lebt seit über zehn Jahren in einem der unbeirrbarsten Problembezirke der bundesdeutschen Hauptstadt. Er ist jüngstes Mitglied der Lesebühne »Brauseboys«, Gründungsmitglied der Literaturveranstaltung »Fuchs & Söhne« sowie festes Redaktionsmitglied der Satirezeitschrift »Salbader«. 2012 erschien sein Überraschungserfolg »Hauptsache nichts mit Menschen«. Der 'Woody Allen des Weddings' entstammt einer deutsch-polnischen Familie und ist in seinem zweiten Leben leidenschaftlicher Backblogger.

Staubi allein zu Haus


Dezember


Zum ersten Mal seit drei Jahren verbringe ich Weihnachten in der analogen Heimat. In der noch analogen Heimat. Denn Mutter hat Vater einen Intensivkurs für die Volkshochschule Bad Kreuznach geschenkt. Der neckische Titel: »Ruhestand 2.0 – eine sehr späte Einführung in das digitale Zeitalter«. Ein erstaunlich treffsicheres Geschenk für einen Mann, der noch immer jedes Mal an den Anfang einer Webseite zurückscrollt, bevor er das Browserfenster wieder zumacht. Das Faltblatt der zweiwöchigen Fortbildung glänzt durch Wortspiele, die zweifelsohne in einem VHS-Kurs für angehende Werbetexter erarbeitet wurden:

»Backen oder Backup? – Was Sie über Googlehupf und EiCloud wissen müssen«

»Tinderüberraschung – Gleitsicht und Weitsicht beim Online-Dating«

»Appstellgleis, nein danke! – 5 Apps gegen Einsamkeit im Alter«

Den abschließenden QR-Code und die Formulierung »Weitere Informationen finden Sie online unter …«, empfinde ich zwar als höhnisch, beglückwünsche Vater aber zum Anbruch des digitalen Lebensalters. Er scheint wenig begeistert davon zu sein, sich zwei Wochen lang mit alten Menschen und neuen Technologien beschäftigen zu müssen. Was wir in erster Linie daran erkennen, dass er nur noch mürrische Brummgeräusche von sich gibt, die entfernt an ein altes 56K-Modem erinnern.

Auch ich wurde reich beschenkt. Seit wenigen Minuten nenne ich einen chinesischen Staubsaugerroboter mein Eigen. Ich versuche, diese subtile Kritik an meinem Sinn für Sauberkeit nicht allzu persönlich zu nehmen. Immer noch besser als der legendäre Weihnachtskalender mit Raumerfrischerpröbchen, der letztes Jahr in der Single-Wohnung meiner Schwester Hannah eingetrudelt ist. Sie verbringt die Festtage mit Brechdurchfall in einem 2-Sterne-Hotel in Zwickau. Ich beneide sie trotzdem.

In einer feierlichen Zeremonie wurde der elektronische Familienzuwachs auf den Namen Staubi getauft. Der kleine Racker verfügt über Bluetooth, USB, WLAN und eine eigene Android-App. Hätte er eine Spracherkennung, ich würde ihn bitten, mich zu heiraten. Auch Mutter ist begeistert. Sie verstreut großzügig Spekulatiusbrösel im Wohnzimmer, während das brummende Ding – Staubi, nicht Vater – unablässig seine Runden über das Parkett dreht. Vom Eierpunsch beseelt werden anschließend ein Seitenarm der Nordmanntanne und ein halber Meter Lametta gerupft, um Staubi an seine Grenzen zu bringen. Vergebens. Die Stimmung kippt, als Mutter und ich den letzten Rest Eierpunsch mit Gewürzlikör aufgießen und darum wetten, wer von uns beiden mehr Protagonisten aus der Weihnachtskrippe auf dem hin und her gleitenden Staubsauger platzieren kann. Mutter gewinnt mit einer Eselslänge Abstand.

Januar


Nach meinem blumigen Erlebnisbericht hat Hannah den Entschluss gefasst, auch allen zukünftigen Familienfesten fernzubleiben. Vater hingegen hat die Segel gestrichen und seine Frau zum Intensivkurs an die Volkshochschule begleitet. Mutter war augenblicklich Feuer und Flamme, was unser Vater sich damit erklärt, dass der Dozent wie eine exakte Mischung aus Costa Cordalis und dem jungen Stalin aussieht. Ich habe beschlossen, den zahlreichen Fragen, die diese Information aufwirft, fürs Erste nicht auf den Grund zu gehen. Stattdessen beobachte ich mit Besorgnis, wie sich unsere bisher so beharrlich analogen Eltern Stück für Stück in @ltern verwandeln.

Seitdem der VHS-Kurs in seine zweite Woche gegangen ist, brechen täglich neue Hiobsbotschaften über Hannah und mich herein. Gestern Abend eine Facebook-Nachricht meiner Schwester: »Mutter hat jetzt Instagram! Rette sich, wer kann!«

Tatsächlich postet Mutter seit drei Tagen unterbelichtete Fotos ihrer Mahlzeiten. Zu meiner großen Verwunderung hat sie schon jetzt mehr Follower als ich.

Februar


Wenn ich die vierzehn lustigen Tiervideos richtig interpretiere, die in den letzten drei Stunden auf meinem Handy eingetrudelt sind, ist meine Mutter neuerdings bei WhatsApp. Noch wirken ihre digitalen Gehversuche etwas unbeholfen. Dabei ist auch die Autokorrektur ihres Smartphones ganz offensichtlich keine große Hilfe: »Hallo Katz, hier ist deine Nutte. Sag Ball, hast du weinen streuen Straßburger schon ausdrapiert? Uns stehlt immer noch einer von den eiligen Brei Königen. Alles Brite. Mama.«

Ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen, greife nach meinem Tablet und tippe eine Antwort: »Hallo Futter, schön, dass du mir reibst. Lieder vergehe ich kein Hort. Böhmen Mus an Kater. Von meinem Straßburger geschändet.« Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: »Verramscht du mich?«

»Niemals!«, entgegne ich. »Fuß und Bus! Raul.«

Vater verbringt das Wochenende derweil auf seiner ersten LAN-Party in der hessischen Provinz. 200 fetthäutige Jugendliche in lebensbejahenden Outfits von dunkelgrau bis hellschwarz und irgendwo dazwischen ein Vorruheständler mit Camp-David-Shirt in Kiwi, Schlumpf oder Rosé. Oje.

März


Der künstliche Verschleiß technischer Geräte dürfte jedem ein Begriff sein, der schon mal einen Tintenstrahldrucker sein Eigen nannte. Mein Weihnachtsgeschenk hat den Begriff der geplanten Obsoleszenz, wie es fachmännisch heißt, ein wenig weiter gefasst. In der Nacht auf Sonntag hat Staubi die Steckerleiste neben dem Kühlschrank zu fassen gekriegt und völlig unbemerkt meinen Brotbackautomaten von der Anrichte geholt. Ich fand den Roboter in den frühen Morgenstunden, wie er triumphierend seine Runden um den technischen Kadaver drehte.

April


Meine Krankenkasse heißt jetzt BKKtransparent. Zu meiner großen Überraschung ging der Namenswechsel mit einem Begrüßungsgeschenk einher: einer elektronischen Waage eines taiwanesischen No-Name-Herstellers. Die Waage verlangt die Eingabe meines WLAN-Passworts und das Bestätigen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dummerweise erscheinen die AGB als Laufschrift auf der vierstelligen Digitalanzeige. Wenn meine Hochrechnung stimmt, weiß ich spätestens Mitte Mai, wie viel ich wiege. Ein Gutes hat die Sache: sechs Wochen mehr Zeit, um die letzten Weihnachtspfunde loszuwerden.

Mai


Der VHS-Kurs, den unser Senior zu Weihnachten geschenkt bekam, hat mittlerweile seine maximale Wirkung entfaltet. Vater ist seit zwei Wochen Mitglied im Chaos Computer Club. Auch Mutters digitale Fähigkeiten machen Fortschritte. Am frühen Nachmittag eine SMS auf meinem SmartTV: »Hallo Sohn. Hier ist deine Mutter. Mein Hausarzt sagt, deine Blutzuckerwerte sind bedenklich. Schöne Grüße, Mama. Von unserem Kühlschrank gesendet.« Es hat einen halben Nachmittag gedauert, bis ich herausbekommen habe, woher der Hausarzt meiner Mutter von meinen Blutzuckerwerten weiß. Allem Anschein nach kann meine neue Körperwaage nicht nur das Gewicht, sondern über meine Fußsohlen auch Puls, Körpertemperatur und Blutzuckerwerte bestimmen. Zusätzlich werden meine Vitalwerte via Twitter an meine Krankenkasse, meine nächsten Angehörigen und einen chinesischen Hersteller für Blutzuckermessgeräte gesendet.

Juni


Staubi hat im Badezimmer gewütet. Dieses Mal hat er im Vorbeifahren das Ladekabel der elektrischen Zahnbürste eingeheimst, was wiederum den Rasierapparat von Braun aus seiner Ladestation riss und schließlich sogar den Bluetooth-Lautsprecher von Bose aus dem Regal schleuderte. Ich habe die zahlreichen Einzelteile sauber zusammengekehrt unter der Badewanne entdeckt, nachdem aus dem Lautsprecher eine leise wimmernde Version von »Time to say goodbye« zu hören war. Dafür ist König Balthasar wieder aufgetaucht. Allem Anschein nach hat Staubi eine kleine Trophäensammlung hinter dem alten Schreibtisch im Arbeitszimmer angelegt: zwei Kugelschreiber, ein halbes Dutzend Erdnussflips, vier Euro und sieben Cent in Münzen, eine alte Bifi (sicherlich nicht meine), besagter König Balthasar und meine Kreditkarte.

Juli


Wenn man Vaters letztem Tweet Glauben schenken darf, verbringt er die nächsten zwei Wochen auf einer Hacker-Konferenz in internationalen Gewässern. Wir haben längst aufgehört, uns über seine neue Leidenschaft zu wundern. Sei es der bedenklich hohe Club-Mate-Konsum oder spätnächtliche semi-romantische Selfies mit seinem eigenen lebensgroßen Minecraft-Avatar. Mutter war über Vaters kleine Atlantikreise dermaßen erzürnt, dass sie aus reinem Trotz eine Kreuzfahrt durch den Persischen Golf gebucht hat. Sie kann es sich auch leisten. Seitdem eines ihrer YouTube-Videos über Besenreiser und glutenfreien Kartoffelauflauf viral gegangen ist, bietet ihr der chinesische Hersteller für Blutzuckermessgeräte ein doppeltes durchschnittliches Monatsgehalt für eine wohlwollende Instagram-Story. Hannah ist aus einer Bierlaune heraus mitgefahren. Heute Morgen lag ein erfrischend analoger Reisebericht in meinem Briefkasten: »Bruderherz, schöne Grüße von der MS Adipositas. Blutalkohol: 1,4 Promille. Temperatur: 39 Grad im Schatten. Altersschnitt an Bord: 62 Jahre. Mutter muss ständig Autogramme geben. Wegen Besenreisern und Kartoffelauflauf. Muss jetzt Schluss machen, Cocktail kommt. Alles Liebe, Hannah.«

August


Staubi hat die Mikrowelle kaltgemacht. Ich habe beschlossen, meinem Ärger dadurch Luft zu machen, dass ich bei der etwa zwanzig Ziffern langen Service-Hotline seines Herstellers anrufe. Landesvorwahl China, laut Firmenhomepage aber kostenfrei. Nach etwa fünfzig Minuten in der Warteschleife kann ich die chinesische Version von »We didn’t start the fire« fehlerfrei mitsingen....

Erscheint lt. Verlag 19.8.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleine ist man weniger zusammen • Berlin • Der ganz normale Wahnsinn • eBooks • Fuchs & Söhne • Hauptsache nichts mit Menschen • Humor & Satire • Kabarett & Comedy • kleine geschenke für frauen • Kurzgeschichten • Lesebühnenautor • lustig • lustige
ISBN-10 3-641-23814-5 / 3641238145
ISBN-13 978-3-641-23814-8 / 9783641238148
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