Zeig ihnen, wie man Spaß hat (eBook)

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(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
256 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26685-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeig ihnen, wie man Spaß hat - Nicole Flattery
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Das radikale Debüt von Nicole Flattery kündigt eine glänzende Stimme der neuen Literaturbewegung aus Irland an. 'Mutig, furchtlos und auf qualvolle Weise lustig.' Sally Rooney
Acht Erzählungen über acht Frauen, die ein und dieselbe Person zu unterschiedlichen Zeiten ihres Lebens sein könnten: Die Studentin, die in 'Abtreibung. Eine Liebesgeschichte' mit ihrem Professor schläft, könnte die Collegeabgängerin sein, die in 'Zeig ihnen, wie man Spaß hat' in ihrer irischen Heimatstadt einen Tankstellenjob annimmt, oder die Lehrerin, die in 'Noch nicht das Ende' ihre Freizeit mit Blind Dates verbringt. Eine dieser Frauen wird irgendwann stundenlang unbeweglich auf dem Badezimmerboden liegen. Für eine andere ist sogar das Anziehen zu einer Quelle der Verwirrung geworden. Nicole Flattery zelebriert den Humor einer hohlen Welt, die kurz vor dem Untergang steht. Ihre Erzählungen sind melancholische Gedankenspiele, grotesk und tragisch zugleich. Mit erschreckender Präzision geben sie das Lebensgefühl einer ganzen Generation wieder und verspotten es zugleich.

Nicole Flattery, geboren 1990, lebt in Dublin. 2017 erhielt sie den White Review Short Story Prize, was zur Veröffentlichung ihres ersten Erzählbandes führte. Zeig ihnen, wie man Spaß hat erschien 2020 bei Hanser Berlin. Nichts Besonderes (2023) ist ihr Debütroman.

"Die inhärente Absurdität des heutigen Lebens als junge, feministische, theorieverständige Frau beschreibt Nicole Flattery in 'Zeig ihnen, wie man Spaß hat', die, ähnlich wie Sally Rooney, es schafft, die Stimmung einer Millennialgeneration zwischen Pragmatismus und latenter Unsicherheit einzufangen." Mara Delius, Literarische Welt, 04.01.20

ZEIG IHNEN, WIE MAN SPASS HAT


Die Programme waren für Leute gedacht, die viel Zeit hatten, oder auch für Leute, denen das Gefühl, beschissen behandelt zu werden, nicht ganz unvertraut war. Ich kannte beide Zustände bestens. Das Gespräch wurde von der Geschäftsleitung geführt — absurde Fragen hinter zentimeterdickem Plexiglas: Geben Sie bitte in Stunden an, wie lange Sie schon arbeitslos sind. Haben Sie Ihre Jugend damit verschwendet, Steine nach fahrenden Autos zu werfen?

»Der Bewerbungsprozess kann etwas willkürlich wirken«, erläuterte die Geschäftsleitung, und ich sagte, das tue mir leid.

»Nur Bauern entschuldigen sich«, kommentierte die Geschäftsleitung und konzentrierte sich wieder auf ihre undurchschaubaren Beurteilungen.

Das Gespräch dauerte die ganze Nacht, mit dem Ziel, mich zu brechen und dafür zu sorgen, dass ich mich bis ans Ende meiner Tage zu Strukturiertheit und Verantwortungsbereitschaft verpflichtete. Als ich rauskam, war ich mir über nichts mehr richtig sicher, bis auf meinen Namen und mein Alter, das sich irgendwo Ende zwanzig bewegen musste. Am Morgen wurde ich auf die Toilette geführt, wo mir eine Uniform angepasst werden sollte. Die Kabine schien mir so finster und bodenlos, als könnte dort tagelang unentdeckt eine Leiche liegen. Von der Bluse bekam ich Brüste, von den vorgeschriebenen Stiefeln Beine. Lauter Teile von mir, die ich mit aller Kraft hatte vergessen wollen, wurden jetzt unter überraschenden, polyesterhaltigen Umständen wiedervereint. Als ich fertig angezogen war, reckte die Geschäftsleitung wie verrückt den Daumen hoch. Die Geschäftsleitung war fast vollkommen kugelrund und neigte zu unvermittelten Lachanfällen. Sie musterte mich, meine weiße, leere Miene, und fragte: »Ist es nicht toll, dass man einfach so mal herzhaft lachen kann?« In ihrem Verhalten erkannte ich ihr früheres Leben als Landarbeiterin, die irre Seelenruhe, mit der sie das Vieh zur Schlachtbank führte.

Die Geschäftsleitung erklärte mir noch einmal den Ablauf. Wir hatten die Aufgabe, uns in der Nähe der Kasse aufzuhalten, das Erscheinungsbild der Tankstelle zu prägen und — das war das Wichtigste — den Glauben nicht zu verlieren. Die Geschäftsleitung ging aus dem Zimmer, während ich das Lernvideo laufen ließ. Darin erzählten drei Teilnehmer des Programms mit dem geschlechtslos glatten Äußeren von Versandhausmodels, was es für eine Freude sei, endlich wieder zu arbeiten. Sobald sie irgendwie spontan handelten oder etwas machten, was ihre Zuständigkeit überstieg, erschien ein großes X auf dem Bildschirm. Beim Zuschauen war ich aufgedreht und peinlich berührt, als würde ich eine bestimmte Art besonders scheußlicher Pornographie gucken.

Die Geschäftsleitung regte an, falls ich jemals das Gefühl hätte, den Glauben zu verlieren, solle ich einen kurzen, kräftigen Spaziergang machen — beispielsweise auf dem Fußweg neben der Autobahn — und mich von meinen Kolleginnen und Kollegen fernhalten, weil meine innere Verfassung und mürrische Miene zum Problem werden könnten. Sie meinte, ich wirke wie ein netter Mensch, die Kunden würden mich sicher mögen, falls wir welche hätten. Meine Persönlichkeit eigne sich besonders gut für zwischenmenschliche Kurzkontakte.

»Soll ich mir eine Visitenkarte drucken lassen?«, fragte ich.

»Das ist doch mal eine Idee«, sagte die Geschäftsleitung und reckte erneut wie verrückt den Daumen hoch.

*

Vor der Tankstelle war mein Heimatort vor allem bei Leuten berühmt gewesen, die unter Reisekrankheit litten. Hier hielten sie an und würgten und spuckten, um dann ein besseres Ziel anzusteuern. Bei meiner Rückkehr aus der Stadt hatte ich geglaubt, der Ort und ich hätten uns vielleicht beide auf strahlend glamouröse Weise verändert, aber das war nicht so. Enttäuschung und die Freuden des Ausgenutztwerdens waren für uns beide alte Bekannte.

Ich war seit zwei Monaten wieder daheim, und das Haus kam mir merkwürdig leer vor, als wären unsere sämtlichen Möbel verkauft worden. Irgendwie hatten sich während meiner Abwesenheit Hunderte kleiner, unsäglicher Ereignisse zugetragen. Ich war wieder bei meiner Mutter: zwei Aufreißerinnen, zwei Frauen, die in einer toxischen Beziehung steckten und es nicht mal merkten, zwei echte Luschen — wieder vereint.

Jeden Abend beim Essen wollte sie wissen, warum ich aß, wie ich aß, warum ich immer die Finger in Einmachgläser steckte und darin herumpulte. Ob ich überhaupt je Gemüse äße? Ob in vielen Restaurants drüben in der Stadt Erbsen serviert würden? Ich sagte, ich hätte keine Ahnung, über so etwas dächte ich nicht groß nach, und sie richtete die Gabel, mit der sie das alberne Gemüse aufgespießt hatte, auf mich, als wäre es ein Insiderscherz zwischen uns.

»Gab es auch Jungs dort? Hattest du einen Freund?«

»Ja.«

»War er nett?«

»Nicht besonders. Er war ziemlich nervig. Er sagte immer Sachen wie: Jetzt nehme ich noch einen kleinen Espresso. Kaffeekram, den alle sowieso längst wissen. Er war überhaupt nicht witzig. Und manchmal hat er mich auch so ein bisschen geschlagen, wenn ich schlief. Wobei ich natürlich nur so getan habe, als würde ich schlafen, ich war also auch nicht ganz ehrlich.«

»Es ist immer wichtig, dass ein Mann Sinn für Humor hat.« Ein vertrauliches, mütterliches Lächeln. Ihr Optimismus war undurchdringlich, erschreckend. Er konnte ganze historische Epochen niederbrennen.

Meine Eltern waren auf eine unerschütterliche Weise miteinander verbunden, die ich bewunderte. Sie hatten die Gewohnheit einer langen Ehe verfeinert, erst nichts zu sagen und dann alles zwei Mal. Mich beachteten sie nicht, allerdings auf pragmatische Weise: so, wie man im Bunker vielleicht den Schwächling ignoriert. Ihr Tagesablauf folgte seinem eigenen gemächlichen Privatrhythmus, durchsetzt vom harten Hämmern der Spülmaschine. Ein merkwürdiges Alltagsmuster: über die Straße schlendern, in den Supermarkt gehen, flüchtigen Bekannten zuwinken, zum immergleichen Stück Himmel hochschauen, wieder nach Hause gehen. Sie hatten Langeweile erlebt, sie einfach niedergestarrt und überdauert. Und trotzdem wirkten sie weniger verbraucht, weniger gealtert als ich. Mein Vater, der früher immer Schwarz getragen hatte, hatte plötzlich einen Enthusiasmus für Farben entwickelt und präsentierte sich mit rosa Hemd unter seinem roten Golfpullover. Meine Mutter ermunterte mich, ihn bei der Suche nach seinem Stil zu unterstützen. Sie hatten auch neue Freunde, Paare, die sie angeblich im Supermarkt kennengelernt hatten. Wenn diese neuen Leute anriefen und ich mich meldete und fragte: »Wer sind Sie?«, sagten sie: »Nein — wer sind Sie?«, als glaubten sie, Einbrecher erwischt zu haben, ein hochdramatisches Horrorszenario, das ihre Bande zu meinen Eltern noch verstärken würde.

Ich lungerte auf meinem durchgelegenen Bett herum und dachte mir fantasievolle Wege aus, meinen Körper zu verlassen. Ich blickte von oben auf ihn herab — schlaff und sternförmig —, schloss dann die Augen, riss sie wieder auf. Er war immer noch da. Wollte wohl nicht verschwinden. Ich war ruhelos. Ich schaute oft bei der Regentonne im Garten vorbei. Diese Regentonne empfand ich als Zeitmesser — all der Regen, der während meiner zweijährigen Abwesenheit gesammelt worden war. Meine Mutter argwöhnte, dass der Welt das Wasser ausgehen könnte, und diese verbeulte Aluminiumtonne war unsere Absicherung, unser geheimer Plan. Am liebsten hätte ich ihr gesagt: »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert«, aber das klang so aufgeblasen und fremd in unserem feindseligen kleinen Haus.

Ich hatte kein Interesse an Erlösung. Ich glaubte nicht daran — das war etwas für Spinner und Spießer —, aber die Regentonne hatte etwas an sich, was den Wunsch nach Wiedergeburt in mir weckte. Ich sah mich durchs trübe Wasser tauchen, das Gesicht von schmutzigem Laub umrahmt, während das Blau der Tonne die Jungfrau Maria in mir weckte.

Ich musste dringend raus aus diesem Haus.

*

Kevin fing genau eine Woche nach mir zu arbeiten an, hatte aber gleich ein Gefühl für die Tankstelle, das mir fehlte. Er begriff ihre stille Romantik, ihren rostigen Reiz. Er kannte die Reihenfolge, in der wir unsere Tätigkeiten absolvieren sollten — instinktiv. Ich tauchte beispielsweise den Wischmopp in den Eimer oder wrang ihn aus, und Kevin sagte: »Das sollen wir aber jetzt noch nicht machen«, und er hatte immer recht. Mein nichtlineares Denken machte ihm Sorgen, aber ich hatte den Eindruck, dass wir zusammen bestens funktionierten, ein perfekt eingespieltes Team.

Ich fühlte mich viel stärker zu ihm hingezogen, als es eigentlich gern...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Übersetzer Tanja Handels
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Show Them A Good Time
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beklemmung • cat person • Erzählungen • Familie • #ohnefolie • ohnefolie
ISBN-10 3-446-26685-2 / 3446266852
ISBN-13 978-3-446-26685-8 / 9783446266858
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